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Viertes Kapitel.
Über die Namen einfacher Ideen.

§ 1. Namen von einfachen Ideen, Modi und Substanzen haben etwas jeder Klasse Eigentümliches. – Obgleich alle Wörter, wie ich gezeigt habe, unmittelbar nichts weiter bedeuten, als die Ideen im Sinne des Redenden, werden wir doch bei näherer Untersuchung finden, daß die Namen der einfachen Ideen, gemischten Modi (worunter ich die Relationen mitbegreife) und natürlichen Substanzen in jeder Klasse etwas Eigentümliches haben, was sie von denen der anderen Klassen unterscheidet. Zum Beispiel:

§ 2. Erstens, die Namen von einfachen Ideen und Substanzen deuten deren reale Existenz an. – I. Die Namen der einfachen Ideen und Substanzen deuten neben der abstrakten Idee im Bewußtsein, die sie unmittelbar bezeichnen, auch auf eine reale Existenz hin, wovon ihr ursprüngliches Muster entnommen worden ist. Die Namen der gemischten Modi dagegen beschränken sich auf die im Bewußtsein vorhandene Idee und leiten die Gedanken nicht über diese hinaus, wie wir ausführlicher in dem folgenden Kapitel sehen werden.

§ 3. Zweitens, Namen der einfachen Ideen und Modi bezeichnen immer beide, die reale und die nominale Wesenheit. – II. Die Namen von einfachen Ideen und Modi bezeichnen immer sowohl die reale wie die nominale Wesenheit ihrer Art. Die Namen natürlicher Substanzen dagegen bezeichnen selten, wenn überhaupt jemals, irgend etwas mehr als bloß die nominalen Wesenheiten dieser Arten, wie wir in dem die Namen der Substanzen insbesondere behandelnden Kapitel zeigen werden.

§ 4. Drittens, die Namen der einfachen Ideen sind undefinierbar. – III. Die Namen der einfachen Ideen lassen sich auf keine Weise definieren, bei den Namen aller komplexen Ideen ist das möglich. So viel mir bekannt, hat noch niemand bemerkt, welche Wörter einer Definition fähig sind und welche nicht; und dieser Mangel giebt, wie ich annehmen möchte, nicht selten Anlaß zu großem Streit und Dunkelheit in den Reden der Menschen, indem einige Definitionen für Ausdrücke verlangen, die sich nicht definieren lassen, und andere glauben, sich bei einer Erklärung nicht beruhigen zu können, die aus einem allgemeinen Wort und dessen Einschränkung (oder, um die Kunstausdrücke zu gebrauchen, aus dem genus und der differentia) besteht, wenn selbst nach einer solchen vorschriftsmäßig abgefaßten Definition die, welche sie hören, oft keinen deutlicheren Begriff von dem Sinn des Wortes haben als vorher. Wenigstens glaube ich, daß der Nachweis, welche Wörter einer Definition fähig sind und welche nicht, und worin eine gute Definition besteht, nicht ganz außerhalb unserer gegenwärtigen Aufgabe liegt, und vielleicht über die Natur dieser Zeichen und unserer Ideen so viel Licht verbreiten wird, daß er einer genaueren Erwägung wert ist.

§ 5. Wenn sich alle definieren ließen, so gäbe das einen Progreß in infinitum. – Ich will mich hier nicht damit bemühen, den Beweis dafür, daß nicht alle Ausdrücke definierbar sind, aus dem Progreß in infinitum führen, in den wir augenscheinlich geraten würden, wenn wir zugäben, daß alle Namen definiert werden könnten. Denn, wenn die Ausdrücke einer Definition immer wieder durch eine andere definiert werden müßten, wo sollten wir dann schließlich anhalten? – Ich will vielmehr aus der Natur unserer Ideen und der Bedeutung unserer Wörter zeigen, warum einige Namen definiert werden können und andere nicht, und welche das sind.

§ 6. Worin eine Definition besteht. – Darüber herrscht, denke ich, Einverständnis, daß eine Definition in nichts anderem besteht als in dem Aufzeigen der Bedeutung eines Wortes durch mehrere andere nicht gleichbedeutende Ausdrücke. Da die Bedeutung von Wörtern nur in den Ideen liegt, die sie nach der Absicht dessen, der sie gebraucht, vertreten sollen, so ist der Sinn eines Ausdrucks dann aufgezeigt, oder das Wort definiert, wenn die Idee, zu deren Zeichen es im Bewußtsein des Redenden gemacht und womit es hier verknüpft ist, durch andere Worte gleichsam dargestellt oder dem Blicke eines anderen vorgeführt, und dieser so über dessen Bedeutung vergewissert wird. Dies ist der einzige Endzweck von Definitionen und deshalb der einzige Maßstab dafür, ob eine Definition gut ist oder nicht.

§ 7. Warum einfache Ideen undefinierbar sind. – Dies vorausgeschickt, sage ich, daß die Namen der einfachen Ideen und nur diese keiner Definition fähig sind. Der Grund hierfür liegt darin, daß die mehren Ausdrücke einer Definition, weil sie eine Mehrheit von Ideen bezeichnen, alle zusammen genommen auf keine Weise eine Idee darstellen können, der alle und jede Zusammensetzung fehlt; und deshalb kann bei den Namen einfacher Ideen keine Definition stattfinden, die eigentlich in nichts anderem besteht als in dem Aufzeigen der Bedeutung eines Wortes durch mehre andere, von denen nicht jedes dasselbe Ding bedeutet.

§ 8. Beispiele: Bewegung. – Die Außerachtlassung dieses Unterschiedes in unseren Ideen und deren Namen hat in den Schulen zu jener großartigen Spielerei geführt, die sich so leicht in den uns von einigen wenigen dieser einfachen Ideen gegebenen Definitionen beobachten läßt. Denn, was den größten Teil derselben betrifft, waren selbst diese Meister im Definieren genötigt, sie unberührt zu lassen, bloß wegen der Unmöglichkeit, die sie dabei antrafen. Welchen auserwählteren Jargon könnte der menschliche Witz erfinden als folgende Definition: »die Thätigkeit eines in Kraft Seienden, insoweit es in Kraft ist«? Die würde jeden vernünftigen Menschen, dem sie nicht schon wegen ihrer berühmten Absurdidät bekannt wäre, in Verlegenheit setzen, zu erraten, welches Wort in aller Welt wohl als Erklärung dafür gelten könne. Wenn Cicero einen Holländer gefragt hätte, was »Beweeginge« sei, und darauf in seiner eigenen Sprache die Auskunft erhalten hätte: actus entis in potentia, quatenus in potentia, könnte wohl – frage ich – irgend jemand sich einbilden, daß er dadurch die Bedeutung des Wortes »Beweeginge« verstanden oder erraten hätte, welche Idee ein Holländer gewöhnlich im Sinne habe und einem anderen bezeichnen wolle, wenn er sich jenes Lautes bediene?

§ 9. Auch ist es den neueren Philosophen, die den Jargon der Schulen abzulegen und verständlich zu reden versucht haben, nicht viel besser gelungen, einfache Ideen zu definieren, sei es nun durch Erklärung ihrer Ursachen oder auf andere Weise. Was thun die Atomisten, die die Bewegung als den Übergang von einem Orte zu einem anderen definieren, mehr, als daß sie ein Synonymon für ein anderes setzen? Denn was ist Übergang anders als Bewegung? Und wenn sie gefragt würden, was Übergang sei, wie könnten sie ihn besser definieren als mit »Bewegung«? Denn ist es nicht wenigstens ebenso passend und zutreffend zu sagen: »Übergang ist die Bewegung von einem Orte zu einem anderen«, als zu sagen: »Bewegung ist der Übergang etc.«? Es heißt übersetzen und nicht definieren, wenn wir zwei gleichbedeutende Wörter miteinander vertauschen, und dies kann, wenn das eine besser verstanden wird als das andere, dazu dienen, die von dem Unbekannten vertretene Idee zu entdecken, aber es ist weit entfernt davon, eine Definition zu sein, wenn wir nicht sagen wollen, daß jedes englische Wort im Lexikon eine Definition des entsprechenden lateinischen Wortes, und Bewegung die Definition von motus sei. Auch wird sich »die successive Berührung der Oberflächenteile eines Körpers mit denen eines anderen« – wie die Cartesianer uns die Bewegung erklären – bei genauer Prüfung nicht als eine viel bessere Definition erweisen. Die von Locke angeführten Beispiele einer Definition der Bewegung verdienen allerdings die ihnen zu teil gewordene Kritik, allein Locke selbst geht darin fehl, daß er die Bewegung für eine einfache Idee hält, während sie in der That eine abstrakte und zusammengesetzte Vorstellung ist, die unter den noch weiteren Begriff der Veränderung fällt, und sich ganz wohl als die stetige Veränderung des Abstandes zweier Punkte voneinander im Raume definieren ließe. Vgl. Buch II, Kapitel 13, § 14; Kapitel 14, § 16 i. f.; Kapitel 23, § 19, wo Locke selbst sie in ähnlicher Weise definiert.

§ 10. Licht. – »Die Thätigkeit des Durchsichtigen, insoweit, wie es durchsichtig ist«, ist eine andere peripatetische Definition einer einfachen Idee, die, obgleich nicht absurder als die vorige der Bewegung, doch ihre Nutz- und Bedeutungslosigkeit deutlicher verrät, weil die Erfahrung jeden leicht davon überzeugen wird, daß sie den Sinn des Wortes »Licht« (was sie definieren soll) einem Blinden ganz und gar nicht verständlich machen kann, während die Definition von Bewegung auf den ersten Blick nicht so nutzlos erscheint, weil sie sich nicht ebenso auf die Probe stellen läßt. Denn da uns diese einfache Idee ebensowohl durch den Tastsinn wie durch das Gesicht zukommt, so ist es unmöglich, als Beispiel jemanden zu zeigen, der die Idee der Bewegung bloß durch die Definition ihres Namens erhalten könnte. Diejenigen, die uns sagen, das Licht sei eine große Anzahl kleiner Kügelchen, die in schneller Bewegung auf den Hintergrund des Auges träfen, drücken sich zwar deutlicher aus als die Schulen, aber diese Worte würden, noch so gut verstanden, doch niemandem, der nicht schon wüßte, was Licht heißt, die von diesem Worte vertretene Idee besser bekannt machen, als wenn jemand ihm sagte, das Licht sei nichts als ein Schwarm kleiner Federbälle, die den ganzen Tag über von Feen mit Schlagnetzen gegen die Stirnen einiger Menschen getrieben würden, während sie bei anderen vorbeiflögen. Denn, die Richtigkeit dieser Erklärung zugegeben, würde doch die Idee von der Ursache des Lichtes, so genau wir sie auch haben möchten, uns von dem Lichte selbst, als einer Wahrnehmung in uns von gewisser eigentümlicher Beschaffenheit, ebensowenig eine Idee geben, wie die Idee von der Gestalt und Bewegung eines scharfen Stahlstückes uns eine Idee von dem Schmerze verschafft, den es uns innerlich verursachen kann. Denn die Ursache einer Sinnesempfindung und die Empfindung selbst sind bei allen einfachen Ideen eines Sinnes zwei Ideen und zwei voneinander so verschiedene Ideen, daß es keinen größeren Abstand zwischen zweien solchen geben kann. Und darum würde ein am schwarzen Star Erblindeter, wenn auch Descartes' Kügelchen noch so lange auf seine Netzhaut träfen, dadurch niemals eine Idee vom Lichte oder etwas ihr Nahekommendes erhalten, wenn er auch noch so gut verstände, was kleine Kügelchen seien, und was »auf einen anderen Körper treffen« heiße. Auch unterscheiden die Cartesianer deshalb sehr wohl zwischen dem Lichte, was die Sinnesempfindung in uns verursacht, und der durch dasselbe in uns hervorgebrachten Idee, die das Licht im eigentlichen Sinne ist.

§ 11. Weitere Erklärung dafür, weshalb einfache Ideen undefinierbar sind. – Wie gezeigt worden, erhalten wir einfache Ideen nur vermittelst der Eindrücke, die von den Objekten selbst durch die jeder Art angewiesenen besonderen Zugänge auf unser Bewußtsein gemacht werden. Wenn wir sie nicht auf diesem Wege empfangen, so werden alle zur Erklärung oder Definition ihrer Namen gebrauchten Wörter in der Welt niemals imstande sein, in uns die von den Namen vertretenen Ideen zu erzeugen. Denn, da Wörter Laute sind, so können sie in uns keine anderen einfachen Ideen hervorrufen als eben die von diesen Lauten, und können sonst in uns solche nur durch jene willkürliche Verknüpfung anregen, die bekanntermaßen zwischen ihnen und den einfachen Ideen besteht, zu deren Zeichen der gemeine Gebrauch sie gemacht hat. Wer anderer Ansicht ist, der möge versuchen, ob irgend welche Worte ihm den Geschmack einer Ananas und die wahre Idee des Genusses dieser gepriesenen köstlichen Frucht verschaffen können. Soweit ihm gesagt wird, er habe eine Ähnlichkeit mit irgend welchen Geschmacksarten, deren Ideen er schon in seinem Gedächtnis hat, dem sie durch sinnliche seinem Gaumen nicht fremde Objekte eingeprägt worden, ebensoweit mag er jener Ähnlichkeit in seiner Vorstellung nahekommen. Das heißt jedoch nicht, uns die fragliche Idee durch eine Definition verschaffen, sondern andere einfache Ideen durch ihre bekannten Namen in uns anregen, die immer noch von dem wirklichen Geschmack jener Frucht selbst sehr verschieden sein werden. Ebenso verhält es sich mit dem Licht und den Farben und allen anderen einfachen Ideen; denn die Bedeutung der Laute haftet ihnen nicht von Natur an, sondern ist ihnen willkürlich beigelegt. Und keine Definition von Licht oder Röte ist geeigneter oder fähiger, die eine oder die andere dieser Ideen in uns hervorzubringen, als die Laute »Licht« oder »rot« für sich allein. Denn, wer hofft, eine Idee von Licht oder Farbe durch einen wie immer beschaffenen Laut zu erwecken, der muß erwarten, daß Laute sichtbar oder Farben hörbar seien, und muß die Ohren den Dienst aller anderen Sinne verrichten lassen. Es ließe sich ebensogut sagen, daß wir mit den Ohren schmecken, riechen und sehen könnten; eine nur des Sancho Pansa würdige Art von Philosophie, der die Dulcinea durch Hörensagen zu sehen vermochte. Deshalb kann niemand, der nicht vorher die von einem Worte vertretene einfache Idee durch den geeigneten Zugang in sein Bewußtsein aufgenommen hat, jemals durch irgend welche andere nach den Regeln der Definition zusammengefügte Worte oder Laute irgend einer Art die Bedeutung jenes Wortes kennen lernen. Der einzige Weg dazu ist, das geeignete Objekt auf seine Sinne einwirken zu lassen, und so die Idee in ihm hervorzubringen, deren Namen er schon gelernt hat. Ein wißbegieriger blinder Mensch, der sich den Kopf über sichtbare Gegenstände viel zerbrochen und sich die Erklärungen seiner Bücher und Freunde zu nutze gemacht hatte, um die ihm oft begegnenden Namen des Lichtes und der Farben zu verstehen, rühmte sich eines Tages, daß er jetzt wisse, was »Scharlach« bedeute. Als sein Freund ihn darauf nach dieser Bedeutung fragte, antwortete der Blinde, Scharlach sei gleich dem Ton einer Trompete. Gerade solch ein Verständnis des Namens irgend einer anderen einfachen Idee wird dem zu teil werden, der es nur aus anderen zu dessen Erklärung benutzten Wörtern zu gewinnen hofft.

§ 12. Beweis des Gegenteils für zusammengesetzte Ideen durch die Beispiele einer Statue und des Regenbogens. – Der Fall liegt ganz anders bei zusammengesetzten Ideen; da diese aus mehren einfachen bestehen, so vermögen die Wörter, welche die mehren jene Zusammensetzung bildenden Ideen vertreten, dem Geiste komplexe Ideen, die früher niemals in ihm bestanden haben, einzuprägen und deren Namen so verständlich zu machen. Bei solchen Sammlungen von Ideen, die einen Namen führen, findet die Definition oder die Belehrung über den Sinn eines Wortes durch mehre andere statt, und kann uns die Namen von Dingen verständlich machen, die nie in den Bereich unserer Sinne gelangt sind, wie auch befähigen, wenn andere Leute jene Namen gebrauchen, Ideen zu bilden, die mit den ihnen im Sinne liegenden übereinstimmen; vorausgesetzt, daß keiner der Ausdrücke der Definition eine solche einfache Idee vertritt, die dem Bewußtsein dessen, dem die Erklärung gegeben wird, noch völlig fremd ist. So kann das Wort »Statue« einem Blinden durch andere Worte erklärt werden, was mit dem Wort »Gemälde« nicht möglich ist, weil seine Sinne Es sollte heißen: sein Tastsinn. ihm eine Idee von der Gestalt, aber keine von den Farben gegeben haben, und diese deshalb durch Worte in ihm nicht entstehen können. Dies verschaffte dem Maler im Wettstreit mit dem Bildhauer den Preis. Als jeder von ihnen den Vorrang seiner Kunst behauptete, und der Bildhauer damit prahlte, daß die seinige deshalb vorzuziehen sei, weil sie weiter reiche, und sogar die, welche ihr Gesicht verloren hätten, deren Schönheit doch wahrnehmen könnten, war der Maler bereit, sich dem Urteil eines Blinden zu unterwerfen. Ein solcher ward an den Ort gebracht, wo sich die von dem einen angefertigte Statue und das von dem anderen hergestellte Gemälde befanden, und zuerst zu der Statue geführt, an der er mit seinen Händen alle Umrisse des Gesichts und des Körpers verfolgte, worauf er mit großer Bewunderung der Geschicklichkeit des Künstlers Beifall zollte. Als er dann aber zu dem Gemälde geführt war, und seine Hände darauf gelegt hatte, ward ihm gesagt, daß er jetzt den Kopf, dann die Stirn, die Augen, die Nase etc. berühre, während seine Hände sich über die Teile des Gemäldes auf der Leinwand hinbewegten, ohne den geringsten Unterschied zu entdecken. Darauf rief er aus: das müsse sicherlich notwendigerweise ein höchst bewundernswürdiges und göttliches Kunstwerk sein, welches den Anwesenden alle die genannten Körperteile dort darstellen könne, wo er selbst weder etwas zu fühlen noch wahrzunehmen vermöge.

§ 13. Wenn jemand das Wort »Regenbogen« einem anderen gegenüber gebrauchte, der diese Erscheinung niemals gesehen hätte, während ihm deren Farben alle bekannt wären, so könnte er durch Aufzählung der Figur, Größe, Stellung und Farbenordnung jenes Wort so gut definieren, daß es vollkommen verstanden würde. Gleichwohl würde diese Definition, wie genau und vollkommen sie auch sein möchte, doch einem Blinden niemals verständlich sein, weil mehre der einfachen Ideen, die jene zusammengesetzte ausmachen, durch keine Wörter in seinem Geiste hervorgerufen werden könnten, da sie ihm niemals durch Sinneswahrnehmung und Erfahrung zugeführt sein würden.

§ 14. Dasselbe wie für einfache Ideen, nämlich die Undefinierbarkeit (§§ 7, 11). »The same« bezieht sich auf den Anfang des Rubrums von § 12: »The contrary shown etc.« zurück. gilt für komplexe Ideen, wenn sie durch Worte verständlich gemacht werden sollen. – Einfache Ideen können, wie gezeigt worden, nur durch Erfahrung von den Objekten gewonnen werden, die geeignet sind, solche Wahrnehmungen in uns hervorzubringen. Wenn wir auf diese Weise unser Bewußtsein mit ihnen angefüllt haben und ihre Namen kennen, dann sind wir in der Lage, die Namen komplexer aus ihnen zusammengesetzter Ideen definieren und mit Hilfe einer Definition verstehen zu können. Wenn aber ein Ausdruck eine einfache Idee vertritt, die jemandem noch niemals bewußt geworden ist, so ist es unmöglich, ihm deren Sinn durch irgend welche Wörter bekannt zu machen. Und es ist also auch die Definition einer zusammengesetzten Idee insoweit unmöglich, als sie etwa aus solchen unbekannten einfachen Ideen besteht. (Dies scheint der Sinn des Rubrums dieses Paragraphen zu sein.) Wenn ein Ausdruck eine Idee vertritt, die jemandem bekannt ist, der aber nicht weiß, daß dieser Ausdruck sie bezeichne, dann kann dessen Bedeutung ihm durch einen anderen ihm gewohnt gewordenen Namen für dieselbe Idee verständlich gemacht werden. In keinem denkbaren Falle ist jedoch irgend ein Name irgend welcher einfachen Idee einer Definition fähig.

§ 15. Viertens, die Namen der einfachen Ideen sind am wenigsten zweifelhaft. – IV. Obgleich aber die Namen der einfachen Ideen zur Bestimmung ihrer Bedeutung der Hilfe der Definition entbehren, so sind sie dessen ungeachtet im allgemeinen weniger zweifelhaft und unsicher als die der gemischten Modi und der Substanzen, weil sie nur eine einfache Wahrnehmung vertreten, weshalb die Menschen über ihre Bedeutung meistens leicht und vollständig einverstanden sind, und wenig Raum für Irrtum und Streit über ihren Sinn offen bleibt. Wer einmal gelernt hat, daß »weiß« der Name für die Farbe ist, die er am Schnee oder an der Milch wahrgenommen hat, der wird zu einer unrichtigen Anwendung jenes Wortes nicht imstande sein, so lange er diese Idee im Gedächtnis behält, und wenn er sie ganz verloren hat, so ist er nicht geneigt dessen Bedeutung mißzuverstehen, sondern merkt, daß er es überhaupt nicht versteht. Hier soll weder eine Vielheit einfacher Ideen zusammengefügt werden, was bei den Namen der gemischten Modi die Zweifelhaftigkeit veranlaßt, noch auch ein vorausgesetztes aber unbekanntes reales Wesen mit darauf beruhenden Eigenschaften, deren genaue Anzahl ebenfalls unbekannt ist, worin bei den Namen der Substanzen die Schwierigkeit liegt. Im Gegenteil ist vielmehr bei den einfachen Ideen die ganze Bedeutung des Namens auf einmal bekannt und besteht nicht aus Teilen, so daß, je nachdem davon mehr oder weniger Aufnahme finden, die Idee sich verschieden gestalten und die Bedeutung des Namens dunkel oder ungewiß werden kann.

§ 16. Einfache Ideen haben wenig Stufen aufwärts in linea praedicamentali. – V. Mit Bezug auf einfache Ideen und deren Namen ist ferner noch zu bemerken, daß sie nur wenig Stufen aufwärts in linea praedicamentali (wie man zu sagen pflegt) von der untersten Art bis zur obersten Gattung haben. Der Grund hievon ist, daß aus der untersten Art, weil sie nur eine einfache Idee ist, nichts ausgelassen werden kann, damit sie nach Wegnahme des Unterschiedes mit etwas anderem in einer beiden gemeinsamen Idee übereinkommen möge, die unter einem Namen das Genus der beiden anderen wäre. So z. B. giebt es nichts, was sich aus den Ideen von weiß und rot weglassen ließe, damit beide dasselbe Aussehen erhielten und demnach einen und denselben Namen führen könnten, gleichwie die komplexe Idee des Menschen, wenn die Vernünftigkeit aus ihr weggelassen wird, mit der des Tieres unter der allgemeineren Idee und dem Namen des animalischen Wesens zusammenfällt. Wollte man deshalb, um lästige Aufzählungen zu vermeiden, weiß und rot und verschiedene andere solcher einfachen Ideen unter einem generellen Namen zusammenfassen, so sah man sich genötigt das durch ein Wort zu thun, welches nur den Weg bezeichnet, auf dem sie in das Bewußtsein gelangen. Denn, wenn weiß, rot und gelb alle unter dem Genus oder dem Namen »Farbe« zusammengefaßt werden, so bedeutet der nicht mehr als solche Ideen, die im Bewußtsein nur durch das Gesicht entstehen und nur durch die Augen Eingang finden. Und wenn man einen noch allgemeineren Ausdruck bilden will, der sowohl Farben wie Töne und ähnliche einfache Ideen in sich schließt, so geschieht das vermittelst eines Wortes, was alle die bedeutet, die nur durch einen Sinn in das Bewußtsein gelangen; auf diese Weise befaßt der allgemeine Ausdruck Qualität in seinem gewöhnlichen Sinne Farben, Töne, Geschmacksarten, Gerüche und ertastbare Eigenschaften im Unterschiede von der Ausdehnung, Anzahl, Bewegung, Freude und Schmerz, die durch mehr als einen Sinn auf den Geist Eindrücke machen und ihre Ideen einführen.

§ 17. Sechstens, die Namen Deren Sprachlaut ist hier offenbar nicht gemeint, sondern ihre Entstehung oder der Anlaß dazu. der einfachen Ideen sind gar nicht willkürlich. – VI. Zwischen den Namen der einfachen Ideen, der Substanzen und der gemischten Modi besteht noch folgender Unterschied: – Die der gemischten Modi vertreten vollkommen willkürlich gebildete Ideen; von denen der Substanzen gilt nicht ganz dasselbe, vielmehr entsprechen sie einem Muster, wenn auch mit einer gewissen Freiheit; und die der einfachen Ideen sind vollständig dem Dasein der Dinge entnommen und ganz und gar nicht willkürlich. Zu welchem Unterschiede in der Bedeutung ihrer Namen das führt, werden wir in den folgenden Kapiteln sehen.

Die Namen der einfachen Modi unterscheiden sich wenig von denen der einfachen Ideen.


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