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Zweites Kapitel.
Über die Grade unseres Wissens.

§ 1. Das intuitive (anschauliche). – Da, wie gesagt, all unser Wissen in dem Anblick besteht, den der Geist von seinen eigenen Ideen hat, der das höchste Licht und die größte Gewißheit gewährt, wofür wir mit unseren Fähigkeiten und auf unserem Erkenntniswege empfänglich sind, so wird es nicht unrichtig sein, die Grade seiner Überzeugungskraft ein wenig näher in Betracht zu ziehen. Die verschiedene Klarheit unseres Wissens scheint mir ihren Grund in der verschiedenen Art und Weise zu haben, wie der Geist die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung irgend welcher von seinen Ideen wahrnimmt. Denn, wenn wir auf unsere eigenen Weisen des Denkens reflektieren, so werden wir finden, daß mitunter der Geist die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen unmittelbar aus ihnen selber ohne Dazwischenkunft einer dritten entnimmt, und das mögen wir, denke ich, intuitive Erkenntnis nennen. Denn hiebei braucht der Geist sich nicht die Mühe einer Prüfung oder Untersuchung zu machen, sondern nimmt die Wahrheit wie das Auge das Licht bloß dadurch wahr, daß er sich ihr zuwendet. So erkennt der Geist, daß weiß nicht schwarz, daß ein Kreis kein Dreieck ist, daß drei mehr sind als zwei und gleich einem und zwei. Solche Arten der Wahrheit nimmt der Geist beim ersten Anblick der nebeneinander vorgestellten Ideen durch die bloße Anschauung ohne Dazwischenkunft einer dritten Idee wahr, und diese Art der Erkenntnis ist die klarste und sicherste, deren die menschliche Gebrechlichkeit fähig ist. Dieser Teil unseres Wissens ist unwiderstehlich und drängt sich wie der helle Sonnenschein unmittelbar unserer Wahrnehmung auf, sobald wie der Geist seinen Blick der entsprechenden Richtung zuwendet; für Zögern, Zweifel oder Prüfung läßt er keinen Spielraum, sondern erfüllt den Geist unverzüglich mit seinem hellen Lichte. Auf dieser Anschauung beruht die ganze Sicherheit und Augenscheinlichkeit alles unseres Wissens; eine Sicherheit, die jedermann so groß findet, daß er sich keine größere vorstellen und deshalb auch keine verlangen kann, denn niemand kann sich selber für einer größeren Gewißheit fähig halten als die, womit er weiß, daß irgend eine Idee in seinem Geiste gerade so sei, wie er ihr Wesen auffaßt, und daß zwei Ideen, an denen er einen Unterschied wahrnimmt, verschiedene und nicht genau dieselben seien. Wer eine größere Gewißheit als diese verlangt, der fordert, er weiß nicht was, und zeigt nur, daß er ein Skeptiker sein möchte, ohne dazu imstande zu sein. Die Gewißheit beruht so vollständig auf dieser Anschauung, daß für den nächsten Grad des Wissens, den ich den demonstrativen nenne, diese Anschauung bei allen Verbindungen der vermittelnden Ideen notwendig ist, ohne die wir zu keinem Wissen und keiner Gewißheit gelangen können.

§ 2. Das demonstrative – Der nächste Grad des Wissens besteht darin, daß der Geist die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung gewisser Ideen zwar erkennt, aber nicht unmittelbar. Wo immer der Geist die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung irgend welcher von seinen Ideen wahrnimmt, da ist zwar sicheres Wissen, allein es kommt nicht immer dazu, daß der Geist die zwischen ihnen bestehende Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung selbst da, wo sie zu entdecken ist, gewahr wird, und solchenfalls verbleibt er in Unwissenheit, oder gelangt höchstens nur zu einer wahrscheinlichen Vermutung. Der Grund, weshalb der Geist nicht immer sofort die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen wahrnehmen kann, liegt darin, daß die Ideen, deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung den Gegenstand der Untersuchung bildet, vom Geiste nicht in solcher Weise zusammen vorgestellt werden können, daß sie sich zeigte. In diesem Falle also, wenn der Geist seine Ideen nicht dergestalt zusammenbringen kann, daß er durch ihre unmittelbare Vergleichung und gleichsam Nebeneinanderstellung oder Anwendung aufeinander ihre Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung wahrnähme, ist er genötigt, durch Vermittelung anderer Ideen (einer oder mehrer, wie es eben kommt) die gesuchte Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zu entdecken, und hierin besteht das, was wir Schlußfolgerung nennen. Wenn z. B. der Geist wissen will, ob die drei Winkel eines Dreiecks der Größe nach mit zwei rechten übereinstimmen oder nicht, so kann er dies nicht unmittelbar aus dem Anblick und der Vergleichung beider erkennen, weil die drei Winkel eines Dreiecks nicht auf einmal mit einem oder zwei (rechten) Winkeln zusammengebracht und verglichen werden können, und deshalb hat der Geist hievon keine unmittelbare, keine anschauliche Erkenntnis. In diesem Falle muß er gewisse andere Winkel ausfindig machen, denen die drei Winkel eines Dreiecks gleich sind, und wenn er jene gleich zwei rechten findet, so erkennt er auch die Gleichheit dieser mit zwei rechten.

§ 3. beruht auf Beweisen, – Solche vermittelnden Ideen, die dazu dienen, die Übereinstimmung zweier anderen zu zeigen, heißen Beweise, und wo die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit diesem Hilfsmittel deutlich und klar erkannt wird, nennt man das Demonstration, weil dem Verstände gezeigt und dem Geiste sichtbar gemacht wird, daß es sich so verhalte. Die Fähigkeit des Geistes, rasch solche vermittelnden Ideen (wodurch die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung anderer aufgedeckt wird) ausfindig zu machen und sie richtig anzuwenden, ist, denke ich, das, was man Scharfsinn nennt.

§ 4. ist aber nicht so leicht, – Obgleich diese durch Beweise vermittelte Erkenntnis sicher ist, leuchtet sie doch nicht ganz so klar und hell ein, und findet nicht so bereitwillige Zustimmung wie die anschauliche Erkenntnis. Denn, wenn auch bei der Demonstration der Geist zuletzt die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der von ihm betrachteten Ideen wahrnimmt, so geschieht das doch nicht ohne Mühe und Anspannung, es gehört mehr als ein flüchtiger Blick zu ihrer Auffindung. Anhaltende Aufmerksamkeit und Nachforschung sind für diese Entdeckungsart erforderlich, und es ist nötig schritt- und stufenweise vorzugehen, ehe der Geist auf diesem Wege zur Gewißheit gelangen und die Übereinstimmung oder den Widerstreit zwischen zwei Ideen wahrnehmen kann, zu deren Aufzeigung Beweise und Vernunftgebrauch erforderlich sind.

§ 5. nicht ohne voraufgehenden Zweifel, – Ein anderer Unterschied zwischen intuitiver und demonstrativer Erkenntnis besteht darin, daß, wenn auch bei der letzteren jeder Zweifel verschwindet, sobald durch die Dazwischenkunft der vermittelnden Ideen die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung wahrnehmbar geworden ist, so doch vor der Demonstration ein Zweifel bestand, was bei der intuitiven Erkenntnis keinem Geiste begegnen kann, dessen Wahrnehmungsvermögen noch scharf genug ist, um die Unterschiede der Ideen aufzufassen, ebensowenig wie es für ein Auge, das weiß und schwarz deutlich wahrzunehmen vermag, zweifelhaft sein kann, ob diese Tinte und dieses Papier ganz dieselbe Farbe haben. Wenn der Gesichtssinn im Auge besteht, so wird es beim ersten Blick ohne Anstand wahrnehmen, daß die auf diesem Papier gedruckten Wörter eine andere Farbe haben als das Papier, und ebenso wird der Geist, wenn er Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögen besitzt, die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung solcher Ideen erkennen, die eine intuitive Erkenntnis hervorbringen. Wenn die Augen das Sehvermögen oder der Geist das Wahrnehmungsvermögen verloren haben, so suchen wir vergeblich nach einer Lebhaftigkeit des Gesichtseindrucks in den einen oder nach einer Klarheit der Erkenntnis in dem anderen.

§ 6. und nicht so klar. – Freilich ist auch die durch Beweis hervorgebrachte Erkenntnis sehr klar, aber doch oft nur mit einem großen Abzug von dem hellen Glanz und der vollen Gewißheit, die stets die von mir intuitiv genannte begleiten; gleichwie das Bild eines Gesichtes, das durch eine Reihe von Spiegeln aus dem einen in den anderen reflektiert wird, solange es eine Ähnlichkeit und Übereinstimmung mit dem Objekte behält, eine Kenntnis desselben hervorbringt, aber nach jeder folgenden Reflexion immer nur mit einer Verminderung der vollkommenen Klarheit und Deutlichkeit, die es in dem ersten Spiegel hatte, bis es zuletzt nach vielen Wiederholungen der Reflexion eine große Beimischung von Dunkelheit erhält, und namentlich für schwache Augen nicht so leicht mehr auf den ersten Anblick erkennbar ist. Ebenso verhält es sich mit der durch eine lange Reihe von Beweisen bewirkten Erkenntnis.

§ 7. Jeder Schritt muß intuitive Gewißheit haben. – Jeder Schritt nun, den die Vernunft beim demonstrativen Erkennen macht, beruht auf einem intuitiven Erkennen der gesuchten Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der nächsten vermittelnden Idee, die zum Beweise dient; denn andernfalls würde auch dieser eines Beweises bedürfen, weil ohne die Wahrnehmung einer solchen Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung keine Erkenntnis zustande kommt. Wird diese durch sich selbst D. h. durch die beiden zusammen vorgestellten Ideen selbst. wahrgenommen, so ist das intuitive Erkenntnis; kann sie nicht durch sich selbst wahrgenommen werden, so bedarf es einer vermittelnden Idee als eines gemeinsamen Maßstabes, um ihre Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung darzuthun. Hieraus ergiebt sich, daß in einer Schlußfolgerung jeder Schritt, der eine Erkenntnis hervorbringt, intuitive Gewißheit hat, und wenn der Geist diese wahrnimmt, dann ist nur noch nötig, daß er sich ihrer erinnere, damit die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Ideen, worauf sich unsere Untersuchung bezieht, sichtbar und gewiß werde. Damit irgend etwas ein Beweis sei, ist es also notwendig, die unmittelbare Übereinstimmung der zwischeneingeschobenen Ideen wahrzunehmen, wodurch die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der beiden in Untersuchung gezogenen Ideen (wovon die eine stets das erste und die andere das letzte Glied der Reihe bildet) ermittelt wird. Diese intuitive Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der zwischenliegenden Ideen bei jedem Schritt und Fortgang der Demonstration muß auch genau im Sinne behalten werden, und man muß dessen gewiß sein, daß kein Glied übersprungen ist; weil aber bei langen Deduktionen und dem Gebrauch vieler Beweise das Gedächtnis nicht immer alles sicher und genau behält, so ist das Ergebnis, daß diese Erkenntnisweise unvollkommener ist als die intuitive, und die Menschen häufig Fehlschlüsse für Beweise ansehen.

§ 8. Daher kommt der Irrtum »ex praecognitis et praeconcessis«. – Die Notwendigkeit dieser intuitiven Erkenntnis bei jedem Schritte wissenschaftlicher oder demonstrativer Schlußfolgerung hat, wie ich glaube, zu dem mißverständlichen Axiom Anlaß gegeben, daß jede Folgerung ex praecognitis et praeconcessis geschehe. Inwiefern hierin ein Irrtum liegt, werde ich Gelegenheit haben ausführlicher darzuthun, wenn ich zur Betrachtung der Sätze und namentlich solcher Sätze, die man Axiome nennt, gelangen und zeigen werde, daß es auf einer Täuschung beruht, wenn man diese für die Grundlagen alles unseres Wissens und Beweisens hält.

§ 9. Die Demonstration ist nicht auf die Quantität beschränkt. – Es gilt allgemein für ausgemacht, daß es nur in der Mathematik eine demonstrative Gewißheit gebe; da es aber, wie ich glaube, kein ausschließliches Vorrecht der Zahl, Ausdehnung und Gestalt ist, solch eine intuitiv wahrnehmbare Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zu haben, so liegt es vielleicht nur an dem Mangel einer richtigen Methode und gehöriger Bemühung unsererseits, nicht aber einer hinlänglichen Beweisbarkeit der Dinge selbst, daß die Demonstration dafür gilt, mit anderen Wissensgebieten so wenig zu thun zu haben, und daß von anderen als Mathematikern mit ihr kaum ein Versuch gemacht worden ist. Denn bei allen unseren Ideen, wo der Geist die zwischen ihnen bestehende Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unmittelbar wahrnehmen kann, ist er der intuitiven Erkenntnis fähig, und wo er die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen von irgend einer Art durch intuitive Wahrnehmung ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit irgend welchen vermittelnden Ideen erkennen kann, da ist er für die Demonstration empfänglich, die sich nicht auf die Ideen der Ausdehnung, Gestalt, Zahl und deren Modi beschränkt.

§ 10. Warum man das geglaubt hat. – Der Grund, weshalb sie bei diesen allgemein erstrebt und für etwas ihnen Eigentümliches gehalten worden ist, liegt, wie ich glaube, nicht allein in der allgemeinen Nützlichkeit dieser Wissenschaften, sondern auch darin, daß die Modi der Zahlen bei der Untersuchung ihrer Gleichheit oder Ungleichheit selbst den kleinsten Unterschied sehr klar und deutlich erkennen lassen; und wenn das auch bei der Ausdehnung nicht in gleichem Maße der Fall ist, so hat doch der Verstand Mittel gefunden, die genaue Gleichheit zweier Winkel, Ausdehnungen oder Gestalten zu prüfen und demonstrativ zu entdecken, und diese beiden, d. h. Zahlen und Gestalten, können durch sichtbare und bleibende Zeichen auf dem Papier dargestellt werden, worin die zu betrachtenden Ideen vollkommen bestimmt angegeben sind, was in der Regel nicht der Fall ist, wenn nur Namen und Wörter als Zeichen für sie dienen.

§ 11. Bei anderen einfachen Ideen aber, deren Modi und Unterschiede nach Graden und nicht nach der Quantität gebildet und gezählt werden, haben wir keine so scharfe und genaue Unterscheidung ihrer Differenzen, daß wir Mittel wahrnehmen und auffinden könnten, um ihre genaue Gleichheit oder die geringsten Unterschiede auszumessen. Denn, da diese anderen einfachen Ideen die Erscheinungen von Sinneseindrücken sind, die in uns durch die Größe, Gestalt, Anzahl und Bewegung von kleinen einzeln unwahrnehmbaren Körperchen hervorgebracht werden, so beruhen auch ihre verschiedenen Grade auf der Veränderung einiger oder aller dieser Ursachen, und da wir diese an Stoffteilchen nicht beobachten können, wovon jedes zu fein ist, um wahrgenommen zu werden, so ist es für uns unmöglich, von den verschiedenen Graden dieser einfachen Ideen genaue Maße zu erhalten. Denn angenommen, der Sinneseindruck oder die Idee, die wir Weiße nennen, würde in uns durch eine gewisse Anzahl von Kügelchen hervorgebracht, die, während sie, sich um ihre eigenen Mittelpunkte drehten, mit einer gewissen Geschwindigkeit dieser Drehung sowohl wie einer fortschreitenden Bewegung auf die Netzhaut des Auges träfen, so würde sich daraus leicht folgern lassen, daß, je mehr die Oberflächenteile eines Körpers so angeordnet wären, daß sie eine größere Anzahl von Lichtkugeln reflektierten, und ihnen die geeignete Rotation gäben, um die Empfindung des Weißen in uns hervorzubringen, um so weißer dieser Körper erscheinen würde, der von einer gleich großen Fläche die größere Anzahl solcher Körperchen mit jener eigentümlichen Bewegungsweise auf die Netzhaut entsendete. Der Gradunterschied, den Locke hier im Auge hat, betrifft nicht die »Weiße«, sondern die Lichtstärke, bei deren Ab- oder Zunahme sich auf jeder farbigen Fläche dieselben Gradunterschiede zeigen würden, ohne daß man sie der Röte, Gelbe, Grüne, Bläue etc. zuschriebe. Ich behaupte nicht, daß die Natur des Lichtes in sehr kleinen runden Kügelchen bestehe, noch auch die der Weiße in solch einem Gewebe der Körperteile, daß die davon reflektierten Kügelchen eine bestimmte Notation erhielten, denn ich handle jetzt nicht physikalisch über das Licht oder die Farben. So viel indessen glaube ich sagen zu dürfen, daß ich nicht begreifen kann (und es würde mir lieb sein, wenn irgend jemand von sich das Gegenteil verständlich machte), wie außer uns befindliche Körper irgendwie auf unsere Sinne anders einzuwirken vermögen, als entweder durch unmittelbare Berührung der sichtbaren Körper selbst, wie beim Schmecken und Fühlen, oder durch den Stoß gewisser von ihnen herkommender unsichtbarer Statt sensible lies insensible; vgl. Zeile 9 und 12 dieses Paragraphen und Buch II, Kapitel 8, § 13. Teilchen, wie beim Sehen, Hören und Riechen, indem durch den verschiedenartigen Stoß dieser Teilchen, verursacht durch ihre verschiedene Größe, Gestalt und Bewegung, die Mannigfaltigkeit der Empfindungen in uns hervorgebracht wird.

§ 12. Mögen es denn Kügelchen sein oder nicht, und mögen sie eine Drehung um ihre eigenen Mittelpunkte haben, wodurch die Idee der Weiße in uns entsteht, oder nicht, Die Worte or not scheinen hier im englischen Texte ausgefallen zu sein. so viel ist gewiß, daß, je mehr Lichtteilchen von einem Körper reflektiert werden, der ihnen die eigentümliche Bewegung zu geben vermag, die in uns den Sinneseindruck des Weißen hervorbringt, und vielleicht auch je schneller jene eigentümliche Bewegung ist, um so weißer der Körper erscheint, von dem die größere Anzahl (von Lichtteilchen) reflektiert wird, wie an einem und demselben Stück Papier ersichtlich ist, wenn man es in den Sonnenschein, in den Schatten und in ein dunkles Loch legt, indem es an einem jeden dieser Plätze die Idee der Weiße in sehr verschiedenem Grade in uns hervorbringt.

§ 13. Da wir deshalb weder wissen, welche Anzahl von Partikeln noch auch welche Bewegung derselben einen bestimmten Grad der Weiße hervorzubringen vermögen, so können wir die genaue Gleichheit zweier Grade derselben nicht beweisen, weil wir zu ihrer Abmessung keinen festen Maßstab haben und keine Mittel, um auch die geringste tatsächliche Differenz zu unterscheiden – indem nur unsere Sinne uns hiebei behilflich sein könnten, diese aber den Dienst versagen. Wo aber die Differenz so groß ist, daß sie in unserem Bewußtsein unterschiedene Ideen klar hervorbringt, deren Verschiedenheiten vollkommen behalten werden können, da sind diese Ideen oder Farben, Hier zeigt sich noch deutlicher wie schon oben im § 11, daß Locke die Lichtstärke und den Farbenunterschied miteinander verwechselt. Allerdings thut das nichts zur Sache, denn einerseits kann unser Auge auch verschiedene Grade der Lichtstärke sehr gut voneinander unterscheiden, sobald ihr Abstand ein gewisses Maß überschreitet, andererseits gehen die Farben trotz ihrer qualitativen Verschiedenheit im prismatischen Spektrum so allmählich ineinander über, daß sich nirgends eine feste Grenze zwischen zweien ziehen läßt. wie wir an deren verschiedenen Arten, z. B. blau und rot, sehen, der Demonstration ebensogut fähig wie die Ideen der Zahl und der Ausdehnung. Was ich hier von der Weiße und den Farben gesagt habe, trifft, denke ich, für alle sekundären Eigenschaften und deren Modi zu.

§ 14. Das sinnliche Wissen vom Dasein äußerer Dinge. – Diese beiden, die Intuition (Anschauung) und die Demonstration (durch Beweise), sind die Grade unseres Wissens. Was sich nicht auf eine von diesen stützen läßt, das ist, mit wie großer Zuversicht es auch angenommen werden möge, wenigstens soweit es allgemeine Wahrheiten betrifft, nur Glauben oder Meinung, aber nicht Wissen. Es giebt allerdings noch eine andere, auf die partikulare Existenz endlicher Wesen außer uns angewendete Wahrnehmung des Geistes, die, weil sie über die bloße Wahrscheinlichkeit hinausgeht, und doch nicht vollkommen an einen der beiden vorerwähnten Grade der Gewißheit hinanreicht, unter dem Namen »Wissen« mitbegriffen wird. Nichts kann gewisser sein, als daß die Idee, die wir von einem äußeren Heißt das von einem außerhalb unseres Gehirns oder von einem außerhalb unseres Bewußtseins befindlichen Objekt? Vgl. die Anmerkung zu Buch II, Kapitel 8, § 15. Objekt erhalten, sich in unserem Bewußtsein befindet; dies erkennen wir intuitiv. Ob es aber außer dieser bloß in unserem Bewußtsein vorhandenen Idee noch etwas mehr giebt, ob wir aus ihr mit Sicherheit auf das Dasein von etwas dieser Idee Entsprechendem außer uns Siehe die zweite Anmerkung auf Seite 188 schließen binnen, das läßt sich nach der Ansicht einiger Leute in Frage stellen, weil die Menschen solche Ideen in ihrem Bewußtsein haben können, auch ohne daß ein solches Ding existiert und ein solcher Gegenstand auf ihre Sinne einwirkt. Gleichwohl meine ich, daß uns hier ein Beweis zu Gebote steht, der uns über jeden Zweifel hinaushebt, denn ich frage jeden, ob er sich nicht unwidersprechlich einer verschiedenen Wahrnehmung bewußt ist, wenn er bei Tage in die Sonne sieht, und wenn er bei Nacht an sie denkt, wenn er thatsächlich Wermut schmeckt oder eine Rose riecht, und wenn er sich nur diesen Geschmack oder Geruch vorstellt? Den Unterschied zwischen einer durch unser Gedächtnis uns ins Bewußtsein zurückgerufenen Idee und einer, die durch unsere Sinne thatsächlich in dasselbe eintritt, Es sollte heißen »durch unsere Sinne in dasselbe einzutreten scheint«; vgl. die Anmerkungen zu Buch II, Kapitel 8, § 15, und Kapitel 10, § 2. erkennen wir ebenso deutlich wie den Unterschied zwischen irgend welchen zwei verschiedenen Ideen. Freilich, aber daraus folgt nicht, daß dem sinnlich wahrgenommenen Dinge ein außerhalb des Bewußtseins liegendes Ding (jedem Dinge-für-uns ein Ding-an-sich) entspräche. Wie sollte denn für diesen Schluß der Obersatz lauten, wenn die Verschiedenheit der sinnlichen Wahrnehmung von der reproduzierten Vorstellung den Untersatz abgäbe? Etwa dahin: »der reproduzierten Vorstellung entspricht kein außerhalb des Bewußtseins liegendes Ding?« Aber die Korrespondenz oder Nichtkorrespondenz mit einem außerbewußten (transcendenten) Dinge-an-sich ist doch nicht die einzig denkbare – geschweige denn die einzig wahrnehmbare – Verschiedenheit zwischen der sinnlichen Wahrnehmung und der reproduzierten Vorstellung eines Gegenstandes; wir kennen sehr gut andere Verschiedenheiten zwischen beiden (vgl. die Anmerkung zu Buch II, Kapitel 10, § 2), und können also daraus, daß sie überhaupt voneinander verschieden sind, in Verbindung mit dem eben angegebenen Obersatze nicht den Schluß ziehen, daß der sinnlichen Wahrnehmung eines Gegenstandes ein transcendentes Ding an sich entspreche. Wenn jemand sagt, ein Traum könne dasselbe bewirken, und alle diese Ideen könnten in uns ohne irgend welche äußere Gegenstände hervorgebracht werden, so möge er gefälligst träumen, daß ich ihm folgende Antwort gebe: 1. Daß nicht viel daran liegt, ob ich diesen Zweifel beseitige oder nicht; wo alles nur ein Traum ist, da sind Schlüsse und Gründe nutzlos, Wahrheit und Wissen nichtig. 2. Daß ich glaube, er werde einen sehr fühlbaren Unterschied dazwischen zugeben, ob er sich im Feuer zu befinden träume, oder sich wirklich darin befinde. Den Unterschied der Traumbilder eines Schlafenden und der Sinneswahrnehmungen eines Wachenden wird kein Verständiger leugnen, aber er wird daraus bei gehörigem Nachdenken ebensowenig wie aus dem Unterschiede der letzteren von den reproduzierten Vorstellungen den Schluß ziehen, daß den im wachen Zustande wahrgenommenen Dingen Stück für Stück außerhalb seines Bewußtseins liegende Dinge-an-sich entsprächen, weil sich auch hier wieder kein Obersatz auffinden läßt, der in Verbindung mit der Verschiedenheit der Traumbilder und der wachen Sinneswahrnehmungen diesen Schluß zu begründen vermöchte. Daß wir für das Entstehen und zeitweilige Bestehen unseres Bewußtseins mit seinem ganzen objektiven Inhalt aus logischer Notwendigkeit überhaupt einen transcendenten Realgrund voraussetzen müssen (vgl. die Anmerkung zu Buch II, Kapitel 9, § 3), ist etwas anderes, als wenn wir meinen, aus der Verschiedenheit unserer Sinneswahrnehmungen und der reproduzierten Vorstellungen. oder der Träume die Existenz einer den Bestandteilen der objektiven Welt unseres Bewußtseins Stück für Stück korrelaten Welt von Dingen-an-sich außerhalb desselben empirisch erkennen zu können. Auf das Verhältnis jenes transcendenten Realgrundes zu der objektiven Welt unseres Bewußtseins dürfen wir die Kausalitätskategorie nicht anwenden, die nur innerhalb der objektiven Welt für das Verhältnis der in dieser wahrnehmbaren Veränderungen und Bewegungen zu einander gilt. Zu letzteren gehört auch die Kette von Ursachen und Wirkungen, die von jedem sinnlich wahrgenommenen Gegenstande zu unseren Sinnesorganen und durch diese bis in unser großes Gehirn verläuft, wo sie vermutlich in Nervenspannkraft umgesetzt wird, um später durch unser Wollen und Handeln in die objektive Welt außerhalb unseres Gehirns zurückzukehren. Diese Kette aber kann nirgends, insbesondere auch nicht im Gehirn, in unser Bewußtsein übergehen, weil sie mit allen ihren Gliedern vom ersten bis zum letzten schon innerhalb desselben liegt. In der objektiven Welt ist der Kausalzusammenhang ihrer Erscheinungen untereinander vorwärts wie rückwärts endlos, jede Wirkung wird wieder eine Ursache und jede Ursache war eine Wirkung; wollten wir nun die Kausalitätskategorie auf das Verhältnis des Bewußtseins und seiner objektiven Welt zu ihrem transcendenten Realgrunde anwenden – wie das geschieht, wenn man die von uns wahrgenommenen Dinge als Wirkungen von (ihnen einzeln korrespondierenden) Dingen-an-sich, oder diese als die Ursachen von jenen betrachtet – dann müßte man konsequenterweise auch hier die Kausalkette sich als endlos fortlaufend denken (gleichsam in die Tiefe oder aus der Tiefe her, während die Kausalketten der objektiven Welt in der Oberfläche verliefen); man müßte sich also hinter der ersten Schicht oder Ordnung von Dingen-an-sich eine zweite, dritte, vierte etc. vorstellen, von denen jede die in der Numerierung ihr voraufgehende bewirkt hätte, während sie selbst von der ihr nachfolgenden bewirkt wäre. Die Absurdität dieser Vorstellung leuchtet schon hieraus genügend ein, ohne daß es nötig wäre, dieser transcendenten rückwärts verlaufenden Kausalkette noch eine transcendentale vorwärts verlaufende anzuhängen. Ist er aber dennoch entschlossen, sich so skeptisch zu zeigen, daß er behauptet, was ich »wirklich im Feuer sich befinden« nenne, sei nichts als ein Traum, und wir könnten daraus nicht mit Sicherheit erkennen, daß solch ein Ding wie »Feuer« thatsächlich außer uns existiere, so antworte ich, daß, wenn wir sicher finden, daß Freude oder Schmerz der Anwendung gewisser Gegenstände auf uns folgen, deren Dasein wir durch unsere Sinne wahrnehmen oder wahrzunehmen träumen, diese Gewißheit ebenso groß ist, wie unser Glück oder Leid, und wir kein Interesse daran haben, hierüber hinaus etwas zu wissen oder zu sein. Sehr richtig! Freude und Schmerz, d. h. die Gemüts- oder Willensreaktionen auf das, was sich im Intellekte zeigt, sind ebenso unmittelbare Bewußtseinsthatsachen wie die sogen. Sinneseindrücke, sie führen uns aber ebensowenig wie diese über die Welt des Bewußtseins hinaus. Das unmittelbare Gegebensein dieser Thatsachen im Bewußtsein beweist nicht, daß sie von außen her in dasselbe hineingekommen seien. Wer das behauptet, der muß glauben, daß er ihre außerbewußte (transcendente) Ursprungsstätte irgendwie wahrnehmen könne. Darin aber läge ein Selbstwiderspruch, denn das Bewußtsein ist ja, sozusagen, der Behälter für alles, was wir wissen; nur was innerhalb desselben liegt, das Wissen wir, und, was wir wissen, liegt eben darum innerhalb desselben; das Transcendente ist für uns schlechthin unerkennbar, wenn auch seine Realität eine logisch notwendige Hypothese bildet. Somit denke ich, wir dürfen den beiden früher genannten Arten des Wissens noch das Wissen von dem Dasein einzelner äußeren Gegenstände hinzufügen, was auf unserer Wahrnehmung und unserem Bewußtsein des thatsächlichen Eintritts der von ihnen herkommenden Ideen beruht, und folgende drei Grade des Wissens annehmen: intuitives, demonstratives und sensitives, so daß es innerhalb eines jeden derselben verschiedene Abstufungen und Mittel der Überzeugung und Gewißheit giebt. in each of which there are different degrees and ways of evidence and certainty. Vielleicht ist der Ausdruck hier nachlässig, und Locke hat sagen wollen, jede der drei genannten Arten des Erkennens liefere durch die ihr eigentümlichen Mittel einen besonderen Grad der Gewißheit.

§ 15. Das Wissen ist nicht immer klar, auch wenn die Ideen es sind. – Da aber unser Wissen sich lediglich auf unsere Ideen gründet und nur mit ihnen zu thun hat, folgt nicht hieraus, daß es unseren Ideen entsprechen, und daß, wo unsere Ideen klar und deutlich oder dunkel und verworren sind, unser Wissen ebenso ausfallen muß? Darauf antworte ich mit Nein, denn, da unser Wissen in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von irgend welchen zwei Ideen besteht, so beruht seine Klarheit oder Dunkelheit auf der Klarheit oder Dunkelheit dieser Wahrnehmung und nicht auf der Klarheit oder Dunkelheit der Ideen selbst; z. B. jemand, der von den Winkeln eines Dreiecks und von der Gleichheit mit zwei rechten so klare Ideen hat wie irgend ein Mathematiker in der Welt, kann doch von ihrer Übereinstimmung nur eine sehr dunkle Wahrnehmung und darum auch nur ein sehr dunkles Wissen haben Dagegen können Ideen, die wegen ihrer Dunkelheit oder aus anderen Gründen verworren sind, kein klares und deutliches Wissen erzeugen, weil der Geist, soweit wie Ideen verworren sind, ebensoweit deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung nicht klar erkennen kann; oder, um dasselbe in einer weniger leicht mißverständlichen Weise auszudrücken, wer mit den von ihm gebrauchten Wörtern keine bestimmten Ideen verbindet, kann aus ihnen keine Sätze bilden, auf deren Wahrheit er sich verlassen kann.


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