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XXVIII

Als Adam Scheithauer in die Mitte der Innbrücke gekommen war, blieb er stehen und rastete. Er nahm den Hut vom Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das silberne, biblisch gestrählte Haar. Eine ganz milde Sonne schien und erweckte Frühlingsgedanken in den Menschen. In der Tiefe brauste der Fluß und schleuderte zornig seine schmutziggelben Wellen gegen die steinernen Brückenpfeiler. »Soviel Kraft wie der müßte man haben!«, dachte der Greis und erinnerte sich seiner achtundsechzig Jahre.

Adam Scheithauer war in Wasserburg gewesen und hatte eingekauft. Aufschnitt, Süßigkeiten, Obst, ein paar Flaschen Wein, lauter Dinge, die zu einer richtigen Verlobung gehören. Jetzt befand er sich auf dem Heimweg. Er gedachte seiner Kinder, zu denen er neuerdings auch Hanni Delius rechnete, und machte ein zufriedenes Gesicht.

War nicht alles gut, nein, wunderbar hinausgegangen? War nicht eingetroffen, was er mit der Unerschütterlichkeit eines guten Christen immer geglaubt hatte? Nun zerbrachen sich die hohen Herren in München wohl den Kopf, wie sie ein himmelschreiendes Unrecht gutmachen und eine verfahrene Geschichte wieder einrenken könnten. Ihre Sache.

Er stopfte seine Holzpfeife, zündete sie an und drückte das Streichholz aus. Dann spuckte er in einem schönen Bogen geruhsam in den Inn.

Heute morgen war ein Brief von Hultschiner gekommen. Der Justizrat hatte Erfreuliches zu vermelden. Unter anderm, daß er – das Einverständnis seines Klienten vorausgesetzt – eine angemessene Schadenersatzsumme beantragt habe. Einen hervorragenden und allseitig geachteten Arzt sperre man nicht ungestraft drei Monate ein. – – –

Mit diesem Geld kann sich das junge Paar einrichten, überlegte der Alte und rätselte an der Höhe der Summe herum. Dann glitten seine Gedanken zu Hanni Delius, die er längst ins Herz geschlossen hatte. Der Bub hatte es gut getroffen! So ein Prachtmädel! Fürwahr, es lief alles nach Wunsch. Die Anna, die ältere seiner Töchter, heiratete in wenigen Wochen den Schallhammer Josef, einen braven, fleißigen Burschen, bei dem der Hof in die rechten Hände kam. Er selber konnte sich dann auf sein Altenteil zurückziehen und das Wirtschaften den Jungen überlassen. Mit fast Siebzig auf dem Rücken hatte man sich die Ruhe redlich verdient. Vielleicht wurde dann auch die Gesundheit besser, die man nicht recht loben konnte. Der Blutdruck wäre zu hoch, behauptete der Wasserburger Doktor und warnte vor Aufregung und Überanstrengung.

Adam Scheithauer verließ die Innbrücke und schlug die Straße nach Altenbuch ein. Plötzlich verkroch sich die Sonne hinter graue Regenwolken, und die Erde sah düster und glücklos drein. Finster und unheimlich starrten die hohen Felsen, durch die sich der Inn sein Bett gefressen hatte. Der alte Mann mochte eine Viertelstunde weit gewandert sein, als er hinter sich den Lärm eines nahenden Autos vernahm. Es war eine wertvolle, lackfunkelnde Limousine. Scheithauer ging dicht am Straßenrand, um nicht vollgespritzt zu werden. Der Wagen surrte immer näher. Schließlich hörte Scheithauer jemand fragen: »Geht's hier nach Altenbuch?«

Der Alte fuhr herum. Diese befehlsgewohnte, ein wenig spröde Stimme kannte er doch! Er starrte einer jungen Dame ins Gesicht, die ihren Kopf aus dem geöffneten Wagenfenster bog und das Auto zum Halten brachte.

Marion von Hesterberg!, dachte er und erschrak. Was wollte dieses Frauenzimmer hier? Er hatte blitzartig das Bewußtsein einer drohenden Gefahr.

»Ei, ei, was sehe ich? Das ist ja Papa Scheithauer«, rief Marion erstaunt aus. Sie hatte ihren früheren Schwiegervater sofort erkannt. »Ich komme unverhofft, wie? Markus ist hoffentlich in Altenbuch?«

Der alte Mann angelte verzweifelt nach Worten. Seine Stimmbänder gehorchten nicht gleich. Endlich brachte er heraus:

»Ich kann mir nicht recht denken, was Sie von meinem Sohne wollen?«

»Steigen Sie ein, Papa Scheithauer; ich werde es Ihnen im Fahren erzählen. Mit zwei Worten läßt sich das nicht sagen. Wie geht's, wie steht's?« plauderte sie.

Der Greis gehorchte willenlos. Betäubt sah er zu, wie seine Begleiterin die Kuppelung trat und die Gänge einschaltete. Der Motor knurrte wie ein übelgelauntes, gefesseltes Tier. Draußen vor den Fenstern schwankte die Gegend vorüber. Es begann zu tröpfeln. Scheithauer starrte ratlos auf die in grauem Wildleder steckenden Hände Marions, die lässig auf dem großen Lenkrad lagen. Die Frau fuhr weiter:

»Nun ist Markus doch unschuldig. Ich habe mich sehr gefreut, als ich es hörte. Ich gebe gern zu, daß ich früher daran gezweifelt habe. Das kann mir niemand verdenken, nicht wahr? Ich bin eigens gekommen, um ihn zu beglückwünschen, Papa Scheithauer.«

»Das können Sie sich sparen«, erwiderte der alte Mann gehässig. »Markus will nichts von Ihnen wissen.« Er stierte mit feindseligen Augen durch die Windschutzscheibe.

Marion lachte leichtfertig.

»Sie sind ein alter Gradan, lieber Schwiegerpapa. Natürlich kann ich mir denken, daß Markus nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen ist. Aber das gibt sich wieder. Wetten, daß ich Markus um den Finger wickle, wenn ich will?«

»Haben Sie denn gar kein bißchen Selbstachtung«, polterte der Alte los. »Wer war es denn, der das Band zerrissen hat? Sie, wenn ich nicht irre. Was wollen Sie also noch bei uns?«

»Ich sagte es schon. Außerdem möchte ich einen kleinen Irrtum korrigieren, falls Sie nicht selbst schon darauf gekommen sind«, entgegnete sie höhnisch. Dieser ungehobelte Grobian ging ihr allmählich auf die Nerven.

»Welchen Irrtum?«

»Den mit der Scheidung. Markus und ich sind, nachdem die Tatsache seiner Unschuld jetzt erwiesen ist, zu Unrecht geschieden. Denn mit seiner Rehabilitierung entfallen die Gründe für das Scheidungsurteil. Es sind bereits Schritte getan, dieses Urteil aufzuheben.«

»Ja, sind Sie denn nicht mit einem Amerikaner namens Goldwyn verheiratet?«, stotterte der Alte fassungslos.

»Wenn Sie ›waren‹ sagen, stimmt es. Diese zweite Ehe ist nämlich ungültig. Ich habe Ihnen ja auseinandergesetzt, wie sich die Sache verhält.«

Adam Scheithauer hatte das Gefühl, als habe ihn jemand mit einem Hammer auf den Schädel geschlagen.

»Das heißt, Sie wollen – Sie machen –?«

»Erraten! Ich mache meine Ansprüche als gesetzmäßige Gattin Ihres Sohnes geltend und bin deshalb auf der Fahrt in dieses entsetzliche Altenbuch, wo sich die Füchse Gutenacht sagen. Ist denn keines von euch auf diesen naheliegenden Gedanken gekommen?«

Adam Scheithauer fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Wie gelähmt klebte er in seiner Ecke, ohne einen Muskel bewegen zu können. In seinem Hirn balgten sich die Gedanken. Großer Gott, an jene Möglichkeit hatten weder er, noch Markus, noch Hanni gedacht … Wie furchtbar, daß gleichsam aus dem Nichts geschneit dieses Weib auftauchte und alle Hoffnungen, alle Pläne über den Haufen warf! Ein rettender Einfall kam ihm. Er erwiderte mit zitternder Stimme:

»Lassen Sie sich erzählen, Frau Marion. Markus war sehr krank, viele Wochen lang. Nerven und so. Sie wissen ja, wieviel Unglück über den Jungen gekommen ist. Er hat sich die ganze Geschichte schrecklich zu Herzen genommen. Wenn Sie ihn nun plötzlich mit dieser Nachricht überfallen, gibt es einen Rückfall. Das können Sie nicht wollen. Haben Sie Erbarmen mit uns. Sind wir nicht genug gestraft?«

Frau Marion zuckte die Schultern. Warum dieses lächerliche Getue mit Markus? Ein Mann, wie er, würde schon nicht umfallen, wenn man ihm Dinge eröffnete, die ihm im ersten Augenblick gegen den Strich gingen. Er mußte sich eben an die neue Situation gewöhnen. Ach was! Sie unterdrückte eine spöttische Antwort und trat fester auf den Gashebel. Der Wagen rumpelte auf dem holperigen Weg wie besessen dahin.

Adam Scheithauer lief es siedendheiß über den Rücken. Er zermarterte sein Gehirn nach einem neuen Argument, mit dem er das steinerne Herz dieser Frau rühren könnte. Immer näher brauste die Unglücksfuhre dem Hause zu, in dem arglose, gute Menschen ihn erwarteten. Gab es denn nichts, womit man diese Frau umstimmen konnte? Natürlich gab es etwas. Daß ihm das nicht eher eingefallen war!

»Ich muß Ihnen noch eines sagen, Marion«, begann er in bittendem Ton. »Markus hat sich gestern verlobt. Bringen Sie es übers Herz, zwei Menschen, die sich gernhaben und zusammenpassen, plötzlich auseinanderzureißen?«

Marion kehrte ihm schroff das Gesicht zu. Sie sagte mit jäh aufflammendem Verdacht:

»Ei, wie interessant! Markus verlobt sich! Wer ist denn die Glückliche?«

»Ein Fräulein Delius«, entgegnete der alte Mann demütig.

Marion stieß einen Zischlaut aus. Also die! Diese Person, die im Grunde genommen an allem schuld war! Haß verzerrte ihr Gesicht, als sie erwiderte:

»Der gute Markus wird sich diese Dame wohl aus dem Kopf schlagen müssen. Oder meinen Sie, ich habe Lust, wegen dieses Frauenzimmers, das er schon in Italien mit sich herumgeschleppt hat, auf der Straße zu liegen? Nein, jetzt erst recht. Und nun Schluß mit diesen albernen Tiraden!«

»Bitte, bitte, kehren Sie um; es gibt sonst ein Unglück«, flehte der Greis mit verlöschender Stimme. Ströme von Blut brausten durch sein Gehirn. Rote Kreise, rote Nebel wogten vor seinen Augen. Sein Kopf war schwer und dumpf, als ob er bersten wollte.

Marion warf eine höhnisch gellende Lache hin. Was kümmerten sie dieser alte, lächerliche Mann und seine senilen Winseleien. Dort hinter dem Wiesenhang sah man schon den Kamin des Scheithauer-Hofes hervorgrüßen. Kein Teufel konnte Markus und seiner Herzallerliebsten mehr helfen –

Plötzlich legte sich eine schwere, knöcherne Bauernhand auf das Lenkrad und drehte daran.

»Sie sollen die Zwei in Ruhe lassen, sag' ich – – oder es passiert etwas –«

»Sind Sie verrückt –!«

»Umkehren – umkehren –!«

»Lassen Sie los – sehen Sie denn nicht –«, kreischte Marion, und eine eisige Faust umkrallte ihr Herz.

»Um – kehr – en –«, röchelte Adam Scheithauer und drehte mit letzter Kraft das Lenkrad zur Seite. Dann erlosch sein Bewußtsein. Er taumelte noch einmal in die Höhe, schnappte nach Luft und krachte wie ein gefällter Baumstamm in seine Ecke zurück. Der Schlag hatte ihn getroffen.

Marion versuchte vergeblich unter Aufbietung aller Kräfte, den aus der Bahn geschleuderten Wagen in die Gerade zurückzureißen. Das Auto war bereits über die Straßenböschung gehüpft, rollte eine nasse, glitschige Wiese hinunter und – –

Marion schloß vor Todesfurcht die Augen, zerrte an der Handbremse – – zu spät.

Der Wagen durchbrach das morsche Holzgeländer, das die Wiese gegen den Abgrund zu einfriedigte, schoß in die Luft, überschlug sich und stürzte mit dumpfem Gepolter in das reißende Wasser des Inn.


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