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XX

Mr. Goldwyn saß, in Decken gehüllt, in einem Fauteuil und blickte mit steinernem Gesicht durch das Fenster. Der Abend kroch von den Gipfeln des Piz Rosatsch und färbte die Firnkuppen schiefergrau. Nebelfahnen hingen über der Fuorcla Surlej und zerflatterten über dem dünnen Faden des Inn.

Cyrus Goldwyn fror, trotzdem die Dampfheizung des Hotelzimmers auf »sehr warm« stand. Er sah alt und verfallen aus. Seine Gesichtshaut war von einer ungesunden, schmutziggelben Farbe, und unter den Augen wulsteten sich violette Tränensäcke. Die häßliche Szene mit Marion, die Zweifel der letzten Tage und nicht zuletzt die besorgten Mienen der Ärzte hatten weder seine Laune noch seine Gesundheit gebessert. Was nützte eine Staatszimmerflucht und ein Troß von Dienern, wenn man wie ein Karthäuser leben mußte. Schlimmer noch; denn ein Karthäuser brauchte keinen Kummer mit seiner Frau zu haben.

Charley, der Kammerdiener, betrat geräuschlos das Zimmer.

»Hier ist der Domino, Mr. Goldwyn. Er ist nicht sehr schön. Denn es war der letzte, der überhaupt aufzutreiben war.«

»Gut, hängen Sie das Ding irgendwohin. Und jetzt suchen Sie herauszubringen, in welchen Kostümen meine Frau und der Vicomte erscheinen werden. Aber diskret, nicht wahr? Ich bereite nämlich eine kleine Überraschung vor«, log der Amerikaner.

Charley verschwand.

Goldwyn war wieder allein. Er grübelte. Es war klar, daß Marion ihn mit d'Esterel hinterging, während er durch seinen Zustand ans Zimmer gefesselt war! Nur der Beweis fehlte. Die Herrschaften waren nämlich schlau, unheimlich schlau. Da hatte man nun eine vergötterte Frau geheiratet, und sie betrog einen schon in den ersten Wochen. Pfui Teufel. Es ließ sich nicht länger verheimlichen, daß diese Ehe ein Mißgriff war. Josua Hamilton, der alte Gespensterseher, hatte recht behalten. Es war besser, Kakteen zu züchten als sich mit Weibern einzulassen.

Cyrus Goldwyn wurde traurig wie noch nie in seinem Leben. Gekränkte Eitelkeit zerfleischte sein Herz. Er bemühte sich, Marions Charakter zu analysieren. Schlimme Untugenden kamen da zutage. Marion war berechnend, unzuverlässig und verschwenderisch; sie liebelte mit anderen und war untreu. Dieses Letzte fühlte Goldwyn in jeder Fingerspitze mit dem wachen Argwohn des alternden Mannes. Irgend etwas mußte geschehen. Man konnte Detektive engagieren und das Paar überwachen lassen, gewiß. Aber dieses Mittel, das Goldwyn hundertmal im Leben angewendet hatte, schien ihm hier verfehlt und widerlich. Warum vor Fremden seine schmutzige Wäsche ausbreiten und sich im stillen verlachen lassen? Ein anderer Weg mußte gefunden werden … Nach reiflicher Überlegung faßte er den Entschluß, sich selbst zu überzeugen. Die Gelegenheit war günstig.

In drei, vielleicht in vier Stunden würde er Gewißheit haben.

*

In der großen Halle und in den anstoßenden Räumen des Grand Hotels war Bal masqué. Halb St. Moritz war erschienen. Solche Arrangements waren bei den Wintersportgästen sehr beliebt, da sie in das Einerlei der abendlichen Gesellschaften die erwünschte Abwechslung brachten. Der Trubel der übermütigen Masken und das Hämmern des Jazz-Orchesters drangen bis in die entlegensten Winkel des Hotels.

Als die Uhr in Mr. Goldwyns Schlafzimmer die zehnte Stunde schlug, dachte der Amerikaner: Es ist Zeit! Er schlüpfte in den Domino und band das schwarze Visier um. Während dieser Prozedur befiel ihn plötzlich eine so lähmende Mattigkeit, daß er einen Kognak trinken mußte. Das scharfe Getränk belebte ihn ein bißchen. Er bot seinen ganzen Willen auf, jene Schwäche, die seine Glieder wie ein beengendes Gewand fesselte, zu verscheuchen und trat mit leidlich sicherem Gang auf den Korridor hinaus. Während er die Treppe hinabschlich, mußte er daran denken, daß alle seine Bekannten, die eigene Frau und Doktor Salis, sein Arzt, ihn im Bett glaubten, dieweilen er auszog, Marion ihres Verbrechens zu überführen. War das nicht komisch? Im Parterre prüfte er vor einem der gewaltigen Kristallspiegel seine Vermummung. Dann ging er in die lichtüberflutete Halle, in der getanzt wurde. Lärm, Lachen und entfesselte Musik stürzten ihm entgegen. Ein leicht beschwipster Gentleman, der als Stierkämpfer verkleidet war, fiel ihm um den Hals und wirbelte mit ihm durch den Saal. Als sich Goldwyn endlich losgeeist hatte, flüchtete er in eine stille Ecke und verschnaufte. Seine Augen bohrten sich in das närrische Gewühl und suchten Marion und d'Esterel.

Erstere sollte nach Charleys Erkundigungen als Mänade kostümiert sein; was der Vicomte trug, war nicht zu erfahren gewesen. Goldwyn, der Zeit seines Lebens mit Konserven und Zahlen, nicht aber mit griechischen Göttern zu tun gehabt hatte, besaß nur sehr dürftige Vorstellungen von dem Aussehen einer Mänade. Trotzdem hatte er seine Frau bald unter den Tänzerinnen herausgefunden, da sie sich durch ihr ausgelassenes Lachen verriet. Wenn Marion lachte, war es immer, als ob viele melodisch abgestimmte Schellchen erklängen. Ihr Kostüm war kurz und dünn und gab ihren schön gewachsenen Körper raffiniert preis. Sie tanzte mit mancherlei Masken, am häufigsten mit einer, die ein Leopardenfell über dem Trikot trug und wohl einen griechischen Gott vorstellte. Später erkannte der Amerikaner in ihr den Vicomte.

Eifersucht – oder war es ein anderes Gefühl? – verbrannte Cyrus Goldwyn bis auf die Knochen. Er kam sich kläglich, gedemütigt und an seiner Ehre besudelt vor. Lange Zeit drückte er sich an den Wänden herum, bis er das übermütige, griechische Paar in einer der künstlich geschaffenen Nischen Platz nehmen sah. d'Esterel bestellte Sekt und küßte Marion verschwenderisch auf den entblößten Arm. Goldwyn sah mit brennender Kehle zu. Er hatte sich in der Nähe niedergelassen und verlor kein Wort, keine Geste der Unterhaltung. Nach Ablauf einer halben Stunde stand es für ihn fest, daß seine Frau die Geliebte des Vicomte war. Die Vertraulichkeit, mit der d'Esterel den Arm um den Nacken Marions schlang, die Ungezügeltheit, mit der diese sich den Freiheiten des jungen Mannes überließ, gestattete keinen Zweifel mehr.

Von Fieber geschüttelt, goß der Amerikaner einige Gläser Sekt hinunter, dann verließ er den Saal, um die eigene Erniedrigung nicht länger mitansehen zu müssen. In seinem Zimmer schleuderte er den Domino angeekelt von sich und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. Er war ein vernichteter Mann. Er erkannte, daß er den verhängnisvollsten Irrtum seines Lebens begangen hatte, als er sein Geschick mit dem von Marion Scheithauer verknüpfte. Nun konnte es keine Gemeinschaft mehr zwischen ihnen geben. Seine Liebe zu Marion war tot; leergebrannt sein Herz. Er war von dem Gedanken, diese Ehe, die keine mehr war, zu lösen, wie besessen. Er zerbrach sich den Kopf, wie sich das ermöglichen ließe. Ein ferneres Hinleben neben dieser Frau war undenkbar! Also Scheidung – – –

Ein schweres Stück, wenn man die amerikanischen Gesetze, nach denen er getraut war, berücksichtigte. Das, was er da unten beobachtet hatte, würde kaum genügen. Richter verlangen keine gefühlsmäßigen, sondern juristische Beweise. Ohne weitere Überwachung durch Detektive würde die Sache wohl kaum zu machen sein. Wie ekelhaft, fremde, bezahlte Spitzel in seinem Privatleben herumschnüffeln lassen zu müssen. Gab es wirklich keinen anderen Ausweg?

Plötzlich fiel ihm der Brief von Fräulein Delius ein. Wollte nicht diese energische, junge Dame den Beweis von Scheithauers Unschuld erbringen? Ein Einfall durchzuckte ihn. Herr Gott, wenn das ginge! Auf alle Fälle mußte er sich bei Fräulein Delius erkundigen, wie weit die Sache gediehen war. Wenn sie ihr Ziel erreichte, war er gerettet. War Scheithauer unschuldig, dann war dessen Ehe zu unrecht geschieden worden, weil die Scheidungsgründe entfielen. Bestand aber jene Scheidung zu unrecht, dann war seine eigene Ehe mit Marion ungültig. Welch verlockende Aussicht! Es verlohnte sich immerhin, sich nach den Erfolgen dieser Delius zu erkundigen.

Goldwyn erhob sich, knipste das Licht an und drückte auf die Klingel, die zu Flappers Zimmer führte. Fünf Minuten später erschien der Sekretär mit schlaftrunkenem Gesicht. Goldwyn marschierte durch das Zimmer.

»Sie müssen mit dem nächsten Zug nach München, Flapper. Sie sollen in Erfahrung bringen, wo Fräulein Delius sich aufhält. Das dürfte nicht schwer sein; wozu gibt es denn eine polizeiliche Meldepflicht. Gleichzeitig bestellen Sie Zimmer für uns im Parkhotel.«

»Sehr wohl, Mr. Goldwyn.«

Der Yankee gab seinem Sekretär noch verschiedene Einzelheiten bekannt, dann sagte er: »Sie können sich wieder schlafen legen, Flapper. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Mr. Goldwyn.«

Als der junge Sekretär gegangen war, setzte sich Cyrus Goldwyn an seinen Schreibtisch.

*

Als Frau Marion am späten Vormittag mit gelinden Kopfschmerzen erwachte, brachte ihr die Jungfer einen Brief ans Bett.

Marion rieb sich die Augen und dachte verblüfft: Was hat mir Cyrus mitzuteilen? Denn sie kannte die Briefumschläge ihres Mannes und seine Schrift. Ein wenig zögernd, ein wenig unangenehm berührt, öffnete sie das Schreiben, das ihre Adresse trug, und las mit wachsendem Erstaunen:

»Wir reisen heute abend sechs Uhr nach München ab. Die Jungfer hat von mir Auftrag, deine Koffer zu packen. Beiliegendes Kärtchen bitte ich, an den Vicomte d'Esterel weiterzuleiten, dessen Anschrift dir ja bekannt ist. Cyrus Goldwyn.«

Hoppla!, dachte Marion und verfärbte sich. Sonderbar, wie energisch dieser gute Cyrus mit einem Male wurde. Sie begriff nicht gleich, was dieser plötzliche, fluchtartige Aufbruch bedeuten sollte. Zugegeben, sie hatte Cyrus in der letzten Zeit schlecht behandelt; aber durfte deshalb ein Gentleman derart über sie verfügen? Zornig kramte sie in dem kleinen Kuvert, das an den Vicomte adressiert war, und entnahm ihm eine Visitenkarte Goldwyns, auf deren Rückseite zu lesen war:

»Ich habe Anlaß, Herr Vicomte, Sie zu ersuchen, unsere Nähe künftig zu meiden. Sollten Sie diesen wohlgemeinten Rat nicht befolgen, so würde ich mich gezwungen sehen, Sie wie einen tollen Hund niederzuschießen. Cyrus Goldwyn.«

Marion grub die Zähne in die Unterlippe, bis Blut kam. Es war selbstverständlich, daß nur die Eifersucht Cyrus diese Zeilen diktiert haben konnte. Die Frage war nun: Wieviel wußte Cyrus? Darauf kam alles an.

Sie dachte angestrengt nach und entschloß sich, dem jungen Franzosen das ominöse Brieflein alsbald zustellen zu lassen. d'Esterel wohnte im Kulmhotel. Es konnte nicht schaden, wenn der unbedachte Junge erfuhr, woran er war. Zugleich erschien ihr die Drohung Goldwyns als willkommener Vorwand, das Verhältnis mit René zu lösen, das sie bereits zu langweilen begann. Vor dem Wiedersehen mit ihrem Gatten war ihr nicht allzu bange. Sie würde sich schon irgendwie herauslügen können. Es war das klügste, diesmal nachzugeben und sich über die blamable Abreise nicht weiter aufzuregen. Es stand zuviel für sie auf dem Spiel.

*

Als René d'Esterel das Schreiben des Amerikaners erhielt, war er im ersten Moment wie vor den Kopf geschlagen. Donnerwetter, ging dieser alte Yankee forsch ins Zeug! Am meisten bedrückte den jungen Menschen, daß er gleichzeitig von Marion einen kurzen Abschiedsbrief bekommen hatte, in dem sie ihre Abreise anzeigte und sehr sachlich bat, René möge sie vergessen.

d'Esterel war eine Viertelstunde lang wie betäubt. Dann schuf er mühsam Klarheit in sich, wie die Dinge eigentlich lägen. Schließlich versuchte er, die ganze Angelegenheit ohne übermäßige Sentimentalität zu betrachten …

Marion war niedlich und aufreizend, gewiß. Aber es ließ sich nicht leugnen, daß sie ihn in vielen Beziehungen enttäuscht hatte. Sie entsprach nicht den Vorstellungen, die er sich früher von ihr gemacht hatte. Es war eine Torheit gewesen, sich ihretwillen das Leben nehmen zu wollen. Man durfte nicht zuviel von den Frauen erwarten.

Er fand, daß es das beste sei, nach Rom zurückzukehren und unter das Abenteuer mit Marion einen Strich zu machen. Einige Stunden später saß er bereits im Zug.


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