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Der junge d'Esterel saß auf einem der altmodischen Brokatsofas, die rings um die Wände des Spielzimmers liefen. Mit entschlossener Miene musterte er die Anwesenden und konstatierte durchwegs bekannte Gesichter: den Conte Franchetti, den Principe Giulo Sforza, den Marchese Colonna sowie etliche Herren befreundeter Botschaften. Die Bank hielt Geza von Totleben, ein in allen Spielhöllen des Erdballs bekannter Lebemann, den manche für einen Abenteurer, andere für einen unermeßlich begüterten Magnaten zu halten geneigt waren.
Der Vicomte selbst war durchaus keine Spielratte. Dennoch hatte er heute das Haus an der Piazza Farnese, in dem sich die Räumlichkeiten des römischen Rennklubs befanden, wie ein Fiebernder betreten. Denn er hatte vor, hier sein Glück zu machen oder unterzugehen.
d'Esterel hatte Frau Marion seit jener Fahrt in die Campagna nicht mehr gesehen. Aber die Worte, die die geliebte Frau in den Kallistus-Katakomben zu ihm gesprochen hatte, standen unverrückt in seiner Erinnerung und hatten eine völlige Wandlung in ihm vollzogen. Der junge Franzose, die heiterste und sorgloseste Natur, die man sich denken konnte, war nachdenklich und geldgierig geworden. Der Besitz einer Summe, hinreichend, um vor Marion hinzutreten, erschien ihm als der Gipfel des Erstrebenswerten. Er hatte alle Möglichkeiten erwogen: phantastische Wetten, waghalsige Spekulationen, tollkühne Rennen, ja sogar einen Rekordflug über den Ozean. Aber all das ging ihm zu langsam oder lag ihm nicht genug oder versprach nicht die benötigte Summe. Er kam schließlich zu dem Ergebnis, daß es für einen Edelmann, der außer seiner diplomatischen Karriere nur ein halbverfallenes Schloß in der Normandie besaß, nur eine einzige Chance gab, um mit einem Schlage reich zu werden – das Glücksspiel.
Dieser Erkenntnis opferte d'Esterel sein Reitpferd Titurel, seine silbernen Rennpreise und den Inhalt eines kleinen Sparbuches. Alles zusammen ergab den Betrag von 40 000 Lire, mit denen er das Glück zu erzwingen gedachte.
Der Vicomte erhob sich, strich die Weste glatt und setzte sich unter die Spieler. Dann baute er, ein wenig herzklopfend, aber dennoch zuversichtlich, seine Spielmarken vor sich auf. Er setzte vorsichtig, um sein Glück zu erproben, und gewann. Als er 10 000 Lire gewonnen hatte, dachte er: Wie lächerlich! Mit solchen Lappalien ist Marion niemals zu erringen.
Er spielte kühner. Mit Erfolg. Geza von Totlebens Spielmarkenhaufen wurde immer kleiner. Allmählich nahm d'Esterels Glück unwahrscheinliche Formen an. Dann kam der Augenblick, wo Totleben mit feuchter Stirn erklärte: »Die Bank hat nichts mehr. Ich gebe sie ab.«
Der Vicomte erbot sich, sie zu übernehmen; aber er fand niemand, der mit ihm spielen wollte. Man hielt es für aussichtslos, gegen einen Menschen anzukämpfen, der so im Dusel saß. Der Kreis der Glücksjäger zerflatterte.
»Ich bin selbstredend jederzeit bereit, Ihnen Revanche zu geben«, sagte d'Esterel höflich zu Herrn von Totleben. Dieser verbeugte sich schweigend, stürzte am Büfett ein Glas Sekt hinunter und schritt aus dem Zimmer.
»Totleben holt frischen Mammon«, lachte der Principe Sforza hinter dem Davongehenden drein.
»Täte er's doch!«, dachte d'Esterel inbrünstig und zählte seinen Gewinn. Dieser betrug 300 000 Lire. Konnte man mit dieser Summe vor Marion hintreten? Es schien d'Esterel zweifelhaft. Mutlos strich er das Geld ein. Es bereitete ihm keine Freude.
Herr von Totleben verlangte in der Garderobe seinen Mantel.
»Sie gehen schon?« fragte ihn jemand und schlug ihn von hinten auf die Schulter.
»Ganz richtig, ich gehe, Mr. Goldwyn«, erwiderte er zerstreut. »Ich habe heute kein Glück. Denken Sie, ich habe im Verlauf einer Stunde über eine Viertelmillion Lire verloren. Ist das nicht haarsträubend?«
»Wer war denn der Glückspilz?«
»Der Vicomte d'Esterel. Der Junge hat sich an mir gesund gemacht.«
Mr. Goldwyn machte ein Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. Er mißgönnte diese Summe – so klein sie, an seinem eigenen Reichtum gemessen, war – dem jungen Franzosen heftig. Wenn d'Esterel zu Geld kam, wurde er gefährlich. Es war nicht von der Hand zu weisen, daß sein Nebenbuhler damit einen Schritt vorwärts getan hatte. Der Betrag war natürlich zu gering, um Mrs. Scheithauer zu imponieren; aber d'Esterel konnte ja damit weiterspielen. Eifersucht verbrannte Mr. Goldwyns Blut. Er raunte mit schmalen Lippen:
»Warum warfen Sie die Flinte ins Korn, Totleben? Sie hätten weiterspielen müssen.«
Der Ungar lachte heiser.
»Mit was, bitte? Kann man mit Nichts weiterspielen? Ich bin abgebrannt, Mr. Goldwyn.«
Der Amerikaner überlegte ein paar Herzschläge lang.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Totleben. Sie spielen weiter – für mich. Dafür erhalten Sie zehn Prozent von der Gewinnsumme.«
»Und wenn ich verliere«, forschte der andere vorsichtig.
»Geht es auf mein Konto. Aber das kommt gar nicht in Frage. Denn wenn Sie nach meinem System spielen, müssen Sie gewinnen.«
»Auf dieses System bin ich neugierig«, grinste Totleben.
»Die Sache ist denkbar einfach. Sie brauchen nur immer den letzten Einsatz zu verdoppeln. Verstehen Sie mich?«
»Ein feines Plänchen. Aber Nerven gehören her und – Reserven. Wie hoch wollen Sie gehen? Ich meine, bis zu welcher Summe soll ich dem anderen Paroli bieten?«
»Unbegrenzt.«
»Uff! Sie sind großzügig. Der arme d'Esterel kann mir leid tun. Haben Sie was gegen den Jungen?«
Statt einer Antwort zückte der Yankee sein Scheckbuch und kritzelte eine phantastische Summe hinein. »So, das wird fürs erste genügen, hoffe ich.« Dann riß er das Blatt heraus und überreichte es dem Ungar, der es ehrfürchtig in Empfang nahm. Totleben deponierte den Scheck unten in der Klubkasse und erhielt dafür eine erdrückende Anzahl hoher Chips. Totleben war sich darüber klar, daß der Amerikaner dem Vicomte eins auswischen wollte. Nach den Gründen zerbrach er sich nicht lange den Kopf. Er rettete einen Teil seines verlorenen Geldes, das war ihm genug. Als er in das Spielzimmer zurückkam, steckte sich d'Esterel eben eine Zigarette an. Totleben ging auf ihn zu und sagte laut:
»Ich nehme Sie beim Wort, Vicomte. Ich bitte um Revanche.«
d'Esterel wurde rot vor Freude.
»Mit Vergnügen, Herr von Totleben. Ich nehme an, Sie werden sich nicht mit Kleinigkeiten abgeben wollen?«
»Allerdings nicht«, lachte dieser. »Sie werden staunen, was ich Ihnen für Töne angebe. Es kann losgehen. Haben Sie Ihre Chips noch?«
Der Vicomte mischte die Karten und gab aus. Die Anwesenden gruppierten sich neugierig um die beiden Spieler.
»Wieviel setzen Sie?« fragte d'Esterel. Man spielte Vingt-et-un.
»200 000 Lire.«
Selbst abgebrühten Spielern lief es kalt über den Rücken.
»Noch eine Karte, bitte. Danke.«
Als d'Esterel seine eigenen Karten aufhob, hatte er zwei Zehner. Er hatte gewonnen. Der andere hatte nur Neunzehn.
Sieg, Sieg! jubelte d'Esterels Herz. Er besaß nunmehr über eine halbe Million Lire und hätte am liebsten aufgehört. Aber das wäre gegen jede Sitte gewesen. Mr. Goldwyn, der hinter ihm stand, nagte an seiner Unterlippe.
»Ihnen ist heute schwer beizukommen«, sagte der Ungar gleichmütig und legte neue Spielmarken auf den Tisch.
»Wünschen Sie weiterzuspielen, Herr von Totleben?«
»Aber natürlich, Vicomte. Ich fange ja erst an«, grinste jener.
»Wieviel?«
»Was in der Bank ist.«
d'Esterel zitterte ein wenig. Saß ihm ein Verrückter gegenüber? Er sagte: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, Totleben, daß in der Bank jetzt 480 000 Lire sind.«
»Wenn schon«, erwiderte dieser seelenruhig. Als er die zweite Karte erhielt, strahlte sein Gesicht. Er hatte Zwanzig.
d'Esterel geriet in Unruhe und deckte zögernd die eigenen Karten auf. Ein Neuner, ein Siebener. Herrgott, mit Sechzehn konnte man doch nicht passen, wenn der andere so voller Triumph war! Er nahm noch eine Karte und kam sich wie ein Verdammter vor. Es war ein Zehner; er hatte verloren.
Sein Pulsschlag setzte aus. Die Ungeheuerlichkeit der verlorenen Summe benahm ihm den Atem. Wie weit war das Ziel mit einem Male wieder entfernt. Marions schönes Antlitz, das er bis jetzt vor sich gesehen hatte, versank. Er besaß nun nur noch 60 000 Lire; es war zum Heulen.
Der Conte Franchetti löste sich als erster aus der allgemeinen Erstarrung und mischte sich ein:
»Meine Herren, ich stelle fest, daß solche Summen bei uns nicht üblich sind. Das grenzt an –«
»Wollen Sie mir verbieten, mein Geld wiederzugewinnen, Conte, nachdem man mich hier ausgeräubert hat?« unterbrach den alten Herrn Geza von Totleben scharf.
Man schwieg betroffen. Da Franchetti auf ein Pistolenduell keinen Wert legte, zog er sich wortlos zurück. Ihm folgten die Angehörigen der fremden Botschaften, die in einen Skandal verwickelt zu werden fürchteten.
d'Esterel spielte mit dem ihm verbliebenen Gelde wie ein Betrunkener weiter, bis er auch dieses verloren hatte. Nun nannte er keinen lumpigen Centesimi mehr sein eigen. Er war arm wie zuvor. Ärmer noch; denn auch Titurel, das kleine Sparkassenbuch und die silbernen Rennpreise waren beim Teufel.
d'Esterel ließ den Kopf hängen wie einer, dem man das Todesurteil gesprochen hat. Er hatte Marion verloren. Damit war alles gesagt. Wer Marion verloren hatte, war reif für den Tod. Ein Leben ohne sie war kein Leben.
d'Esterel strich mit einer müden Handbewegung sein Haar zurück und erhob sich. Er machte gegen die Zurückbleibenden eine kleine, korrekte Verbeugung und schritt aufrecht aus dem Zimmer. In der Vorhalle verließ ihn seine Kraft. Er stolperte ohne Hut und Mantel ins Freie und wälzte nur einen Gedanken in seinem Gehirn: dieser verhaßte Yankee wird triumphieren! René d'Esterel lief wie ein Betäubter durch die Straßen. Es war Nacht. Irgendwo in der Tiefe rauschte ein Wasser. Aha, der Tiber! Am Lungo Tevere Tebaldi schöpfte er Atem und lehnte sich an die Kaimauer, die zärtliche Kälte aushauchte. Auf dem Monte Garibaldi flammte höhnisch ein Blinklicht. Grün – weiß – rot; grün – weiß – rot … Plötzlich vernahm er Schritte hinter sich und wendete sich um.
Unter einer Laterne stand Mr. Goldwyns breites, glattes Amerikanergesicht. Der Yankee redete beruhigend auf ihn ein.
»Gehen Sie zum Teufel!« schrie d'Esterel und vergaß alle Höflichkeit. Als sein Zorn verflogen war, sah er sich allein. Feindselige Dunkelheit fiel über ihn her, als er weiterschritt.
Mit einem Antlitz, das grau war vor Verzweiflung, tastete der junge Mensch sich an der Kaimauer entlang.