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XIV

Als Cyrus Goldwyn das Speisezimmer in der Villa Malta betrat, saß seine Frau bereits beim Lunch. Marion trug ein beigefarbenes, kostbares Kleidchen aus herrlich rieselnder Seide und fütterte eben ein putziges Chinesenhündchen, das kläffend an ihr emporsprang.

»So, nun ist es genug. Marsch fort«, befahl Frau Marion, worauf sich Mimi gekränkt zurückzog.

Mr. Goldwyn begrüßte seine junge Frau so zärtlich, als habe er sie viele Wochen nicht gesehen. Dann ließ er sich ihr gegenüber in einem der Stühle nieder, die mit taubengrauem Damast bespannt waren. Auf dem Tische leuchtete Silber. In zartgetönten Vasen dufteten bunte Treibhausblumen.

»Warum so spät, lieber Cyrus?« schmollte Frau Marion.

»Ich wurde aufgehalten, meine Teure«, entgegnete er zerknirscht.

»Eigentlich sollte man Männer, die ihre Gattin schon am zweiten Tag vernachlässigen, mit Entziehung des Lunches bestrafen«, lächelte sie und goß ihm Tee ein.

Mr. Goldwyn zerteilte umständlich eine Ölsardine auf seinem Teller und sagte:

»Eigentlich sollte man das. Aber es gibt Abhaltungsgründe, gegen die selbst der liebevollste Ehemann machtlos ist.«

»Glaubst du?«

»Wenn man beispielsweise das Pech hat, einen Menschen zu überfahren, kann man sich nicht gut den daraus entstehenden Weiterungen entziehen, meine Liebe.«

»Wie, du hast jemand überfahren?«

»Leider.«

»Ist die Sache schlimm?«

»Das kann man noch nicht sagen.«

»Wer war denn der Unglücksvogel?«

»Ein Herr, den ich am allerwenigsten in Rom vermutet hätte. Erschrick nicht, liebe Marion – Doktor Scheithauer.«

»Waas?!«, stieß sie betroffen hervor.

Goldwyn nickte betrübt.

»Es ist leider so, wie ich sagte.«

Frau Marion war wie aus den Wolken gefallen. Markus in Rom! Die Tatsache des Unfalles peinigte sie weniger als die Frage, was ihr früherer Gatte hier zu suchen habe. Ihr Gewissen war nicht ganz rein. Das Geld, das sie damals von der Münchener Bank abgehoben hatte, fiel ihr ein. War Markus vielleicht gekommen, um sie zur Rede zu stellen? Oder trug er sich mit Rachegedanken? Es war durchaus unwahrscheinlich, daß er als bloßer Vergnügungsreisender hierher gefahren war.

»Erzähle doch!« drängte sie und verging vor Ungeduld.

Goldwyn erstattete Bericht.

Als er zu Ende war, atmete sie erleichtert auf. Ein Mann, der mit einer schweren Gehirnerschütterung zu Bette lag, tat ihr vorläufig nichts. Bis er genesen war, konnte sie über alle Berge sein.

»Wie sieht dieses Fräulein Delius aus?« fragte sie sinnend.

»Jung, blond und sehr selbstsicher.«

»Ist sie hübsch?«

»Ich glaube, man kann sie hübsch nennen, liebe Marion.«

»Ist sie seine Geliebte?«

Goldwyn faßte alle Eindrücke, die er von Fräulein Delius empfangen hatte, zusammen und entschied:

»Das möchte ich nicht behaupten.«

Marion nagte an ihrer Lippe. Wie kam Markus dazu, dieses Fräulein mit nach Italien zu nehmen? Woher hatte er das Geld, sich eine Stenotypistin leisten zu können? Natürlich war das junge Mädchen seine Geliebte. Die Männer hatten für so etwas nicht den rechten Blick. Cyrus schon gar nicht. Gegen diese Vermutung sprach allerdings die Tatsache, daß Markus für ein leichtes Verhältnis viel zu schwerfällig, viel zu gewissenhaft war. Sie stieß ihr Urteil um und sagte:

»Offen gestanden, teile ich deine Ansicht, lieber Cyrus. Es gibt keinen korrekteren Menschen als Markus Scheithauer.«

»Hm, diese Charakteristik paßt schlecht zu seiner Aufführung in München«, wendete Goldwyn ein.

»Gott, wer kennt sich in den Männern aus. Jeder von euch hat eine pathologische Komponente.«

Cyrus Goldwyn überlegte, daß Scheithauer nicht wie ein Missetäter aussah. Eher wie ein Mann, der unter der Bürde des auf ihn gehäuften Unrechts zusammengebrochen war. Dann verscheuchte er diese Erwägungen, die zu nichts führten, und schlürfte mit kleinen, vorsichtigen Schlucken seinen Tee. Die Aufregung der letzten Stunden hatte sein Gesicht gelb und alt gemacht.

»Wir wollen abreisen, Cyrus«, sagte plötzlich Frau Marion, von bohrender Unruhe befallen.

»Wie du willst, mein Herz.«

»Es muß nicht gleich sein. Aber vielleicht in acht, in zehn Tagen.«

»Wir können jeden Tag wegfahren, wenn dir Rom mißfällt. Ich brauche nur die Schiffskarten zu bestellen, Liebste.«

Marion verspürte mit einem Male Widerwillen gegen Ägypten. Dort war es heiß, und Hitze schadete ihrem Teint.

»Könnten wir nicht ins Engadin, lieber Cyrus? Ich habe das Engadin noch nie gesehen; es muß wundervoll sein jetzt im Winter, in der Hochsaison.«

»Gewiß können wir das«, meinte Goldwyn nachgiebig, obwohl er sich darüber klar war, daß die Kälte seiner Gesundheit nicht zuträglich war. Nicht umsonst hatte ihm Dr. Arbuthnot, sein Arzt, das milde Klima Heluans verordnet.

»Ich danke dir«, sagte Frau Marion und schmiegte sich an ihren Gatten.

»Du weißt, daß ich dir jeden Wunsch erfülle, mein Herz. Seit ich dich besitze, bin ich ein anderer Mensch. Früher habe ich nur vegetiert und war ein Sklave des Dollars. In welchen Verhältnissen lebt Doktor Scheithauer eigentlich?«

»Sein Vater hat irgendwo im Oberbayrischen ein kleines Bauernanwesen. Er selber dürfte zur Zeit mittellos sein; denn sein Prozeß hat viel Geld gekostet. Warum fragst du?«

»Ich habe schon daran gedacht, Scheithauer eine Summe Geldes zukommen zu lassen. Als Schmerzensgeld gewissermaßen. Denn letzten Endes trifft mich die Schuld an jenem Unfall. Ich habe nämlich das Hupenzeichen vergessen. Werden 10 000 Dollar genügen?«

»Oh, das ist zuviel. Vielzuviel. Sagen wir 3000 Dollar«, erwiderte sie. Ungefähr denselben Betrag hatte sie damals in München abgehoben.

»Wie du denkst, liebe Marion«, versetzte er und streichelte zärtlich ihre Hand.


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