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XVIII

Markus saß in Jägerjoppe und Schaftstiefeln auf dem runzligen Ledersofa, das vier Generationen von Scheithauern ausgehalten hatte, ohne in die Brüche zu gehen. Eine verräucherte Schwarzwälderuhr schnarchte. An den Wänden der Wohnstube hingen Geweihe, nachgedunkelte Öldrucke und lächerlich blasse Daguerreotypien, die noch aus der ersten Zeit der Lichtbildkunst stammten. In dem großen, grünen Kachelofen knisterten die Buchenscheite.

»Willst du noch Kaffee haben, Markus?« fragte seine Schwester Liese, ein hübsches, munteres Ding.

»Lieber nicht, Liese; ich habe genug von dem Gelabber.«

»Es ist Bohnenkaffee«, sagte sie gekränkt.

»Ich bin satt, Liese. Danke.«

»Du ißt wie ein Spatz, Markus«, mißbilligte sein Vater. »Vergiß nicht, daß Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhält. Das mit den Kalorien ist dummes, modisches Zeug. In zwei Jahren haben die Menschen einen anderen Vogel.«

Markus lächelte dünn. Was kümmerten ihn die Kalorien.

Adam Scheithauer fuhr fort: »Was hast du jetzt vor?«

»Nichts, Vater.«

»Dann könntest du nach dem Fuchs sehen, der uns am Morgen über die Hennen gekommen ist. Er hat seinen Bau unten an der Innleite, da wo unsere Wiese an den Wald stößt. Du hast heute schönes Büchsenlicht. Soll ich mitgehen?«

»Ich finde den Fuchs schon allein, Vater.«

»Wie du meinst, Markus.«

Der Sohn erhob sich, steckte Patronen ein und nahm das Gewehr vom Nagel. Im Hausflur schob ihm Anna, die ältere Schwester, ein Paketchen in die Tasche. »Damit du nicht verhungerst, Markus«, lächelte sie.

Er nickte und trat vor die Haustür. Ruß, der Kettenhund, begrüßte ihn mit Gebell. Vor dem niederen Bauernhaus lag dicker Schnee. Auf dem Staketenzaun, der den Hof einfriedigte, hockten mürrische Dohlen, mit denen Ruß einen ewigen und aussichtslosen Kampf führte.

Markus schritt auf den Fluß zu. Mit der Fuchsfährte war es nichts. Er mußte sich schon auf Glück und Instinkt verlassen. Er durchquerte ein Fichtengehölz und war, als er heraustrat, dicht am Inn. Eine Weile starrte er gedankenvoll in das Wasser, das geschäftig und graugrün an ihm vorübereilte. Den Fuchs hatte er vergessen. Dann setzte er sich in den weichen Schnee und schlang die Hände ums Knie. Eisschollen trieben vorbei. Die Wellen glucksten einschläfernd. Sie kamen aus jener Gegend, in der Marion weilte. Aber Markus wußte das nicht.

Markus überlegte. Es war ein guter Einfall gewesen, nach Altenbuch zum Vater zu gehen. Hier quälte ihn niemand mit unnützen Fragen und Ratschlägen. Mit einer wundersamen Zartheit vermieden seine Angehörigen alle Punkte, die heikel und verfänglich waren und alte Wunden aufreißen konnten. Große Dankbarkeit erfüllte sein Herz. Manchmal dünkte es ihn, als sei er nie von Altenbuch fortgewesen. Die Studienjahre, die Münchener Zeit, sogar seine Heirat erschienen ihm dann wie ein höchst unwahrscheinlicher Traum, den man belächelt. Nie fiel ein Wort über seine Zukunft. Vater und Schwestern waren froh, daß sie ihn wieder hatten. Ob drei oder vier am Tische mitaßen, es war gleich. Aber Markus ließ sich nichts schenken. Er besaß starke Fäuste und griff überall zu. Neugierige Besucher und Störenfriede gab es nicht. Denn der väterliche Hof lag eine halbe Stunde von der nächsten Niederlassung entfernt. Altenbuch war ein vergessener Winkel in der großen, übrigen Welt.

Von einer nahen Eiche flog ein großer, aufgestöberter Vogel und ruderte mit breiten Schwingen in den stahlblauen Himmel. Markus blickte ihm sinnend nach.

Schade, daß es mit dem »Bäumefällen« nichts war. Der Vater hatte unbegreiflicherweise den schönen, alten Wald verkauft, an dem sein Herz hing. Er war überhaupt nicht mehr so recht auf der Höhe, der alte Mann. Er schlief schlecht und litt viel unter Kopfschmerzen und Kongestionen. Es schien, als sei ein neuer Schlaganfall im Anzug. Dann fiel Markus der Brief von Hultschiner ein, der gestern geschrieben hatte. Er zog das Papier aus der Joppe und las noch einmal: »– – – dieses Fräulein Delius, allen Respekt! Hat das Mädel Schneid! Will die Ackermann entlarven. Aber ich erzähle Ihnen da olle Kamellen. Verzeihen Sie einem alten Mann. – – –« Hm. Was der Justizrat da als bekannt voraussetzte, war Markus durchaus neu. Schade, daß die Delius auf keine bessere Idee verfallen war. Das gute Fräulein stand auf einem verlorenen Posten; denn es gab leider nichts zu entlarven. Aber dieses Eintreten für ihn war dennoch rührend. Dieses Mädchen hätte sicher eine blendende Frau abgegeben, wenn – – –

Damit geriet er in eine neue Richtung, auf seine eigene Person.

Neue Symptome seiner Krankheit waren nicht hinzugekommen. Vermutlich machte das die Ruhe, die ihn hier umgab. Galgenfrist! Mehr als einmal hatte er den Gedanken erwogen, einen Psychiater zu konsultieren. Aber immer wieder war er davon abgekommen. Aus Angst vor der letzten Gewißheit. Aus Feigheit, auch noch jenen kärglichen Funken Hoffnung zu verlieren, den selbst der Schwerstkranke in seinem Innern hegt. Was nützte es, wenn ihm von autoritativer Seite bescheinigt wurde, was er so schon wußte? Der einzige Trost war, daß jene Krankheit oft jahrelang stillstand, ehe sie zum grauenvollen Ende weiterschritt. Das beste war, nicht daran zu denken und zu arbeiten, bis man abend todmüd ins Bett fiel. Vielleicht meldete sich das letzte Stadium so still und barmherzig, daß es einem gar nicht zum Bewußtsein kam. Zum Glück ahnten seine Angehörigen nichts von diesen neuen Qualen, die ihm das Schicksal aufgebürdet hatte.

Nebel kroch über die weißen Hänge des jenseitigen Ufers. Eine verdorrte Weide knarrte im Wind. Der Inn gluckste, lockte und sah ihn aus vielen, abgründiggrünen Augen spöttisch an.

Wer sich dem anvertraut, hat Ruhe für immer, dachte Markus und fröstelte. Dann riß er sich gewaltsam los und stürmte heim über die verschneiten, klingenden Felder, als wollte er der teuflischen Lockung des Wassers entfliehen.


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