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XXVI

Hergotin saß in einem luxuriös eingerichteten Zimmer des Parkhotels Mr. Goldwyn gegenüber und erstattete Bericht über den Fall Ackermann. Zum Schlusse sagte er wohlgefällig:

»Den Herren vom Gericht liegt das Geständnis der Ackermann schwer im Magen. Ein Justizirrtum, brrr!«

»Sie haben gut gearbeitet, lieber Hergotin«, lobte der andere. »So rasch habe ich den Erfolg nicht erwartet. An Scheithauers Unschuld ist also nicht mehr zu zweifeln?«

»Seine Rehabilitierung ist nur eine Frage von Tagen.«

»Ausgezeichnet!« Cyrus Goldwyn war ein wenig benommen von soviel Glück. Er schloß die Schreibtischschublade auf, nahm das Scheckbuch heraus und kritzelte.

»Es war ein Vergnügen, mit Fräulein Delius zu arbeiten. Ich habe selten ein so vernünftiges Mädchen getroffen«, meinte der Detektiv.

»Sie sind ja regelrecht verschossen in sie, lieber Freund.«

»Bin ich auch.«

Der Yankee überreichte dem andern das ausgefüllte Scheckformular.

Hergotin überlas es flüchtig und sagte anerkennend:

»Sie sind wirklich sehr nobel, Mr. Goldwyn.«

Dann verabschiedete er sich.

Cyrus Goldwyn war allein. Er atmete tief auf. Denn er war am Ziel. Es hatte ihn ein Vermögen gekostet, aber das schadete nichts. Das Geld hätte nicht besser angelegt werden können. Er war frei! Er wurde Marion los! Dieser Gedanke machte ihn schwach vor Freude. Er wurde die Frau los, die ihm die schwerste Enttäuschung seines Lebens bereitet hatte. Welches Glück!

Komm, alter Cyrus, wir wollen ein bißchen leichtsinnig sein, dachte er und schritt nach dem Schränkchen, in dem sich die verbotenen Schnäpse befanden. Er schenkte sich ein Gläschen Chartreuse ein, die er gerne trank. Dann verschränkte er die Arme auf dem Rücken und wanderte durch das Zimmer. Er überlegte. Mochte Marion zu ihrer Mutter ziehen oder zu Scheithauer, der nach Recht und Gesetz ihr Gatte war. Man konnte nicht immer auf andere Rücksicht nehmen. Besonders, wenn man ein alter Mann war, der Ruhe brauchte. Die paar Jahre, die ihm das Schicksal noch vergönnte, wollte er in Frieden verbringen. Kürzlich hatte er ein kleines Landhaus in Garmisch gekauft, bei dem ein Garten, ein Forellenwasser und ein Stückchen Wald waren. Dahin wollte er sich jetzt zurückziehen auf seine alten Tage. Wie anspruchslos man wird!, dachte er und hatte Bitterkeit im Munde.

Er klingelte.

Flapper erschien.

Der Millionär war entschlossen, seinen pomphaften Haushalt aufzulösen und wie der nächste kleine Privatier zu leben. Er hatte seine Wünsche ans Leben heruntergeschraubt.

»Ich muß Sie leider entlassen, Flapper«, begann er mit undurchdringlichem Gesicht.

Der junge Mensch erschrak. Er hatte ein böses Gewissen wegen Mrs. Goldwyn.

»Verzeihen Sie, Mr. Goldwyn«, stammelte er.

»Was denn?«

»Daß ich Sie hintergangen habe.«

»Hintergangen? Heraus damit.«

Flapper beichtete, wie er zum Verräter geworden war.

Cyrus Goldwyn verzog keine Miene. Diese Frau konnte ihn nicht mehr verwunden. Sie war ihm fremder als der fremdeste Mensch. Aber es war Zeit, höchste Zeit, daß man diese Ehekomödie beendete. Mit dem jungen Menschen da fühlte er fast Mitleid. Warum sollte nicht am grünen Holze geschehen, was am dürren geschah. Auch Flapper war ein Opfer dieser Cirke, die Wonnen verhieß und Kummer ausstreute.

Goldwyn übergab seinem Sekretär das schon bereitgelegte Kuvert mit dem Vierteljahresgehalt und sagte:

»Leben Sie wohl, Flapper. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, hüten Sie sich vor den Frauen.«

Der junge Mensch beugte sich über Goldwyns Hand und schlich aus dem Zimmer.

Dann schellte der Amerikaner seinem Kammerdiener.

»Bitten Sie meine Frau herbei, Charley.«

»Sehr wohl, Mr. Goldwyn.«

Nach einer Minute kam der Diener zurück und meldete:

»Die gnädige Frau läßt sagen, sie könne jetzt nicht abkommen. Ihre Mutter sei bei ihr.«

»Es ist gut, Charley.«

Cyrus Goldwyn trat vor den Spiegel und prüfte den Sitz seiner Krawatte. Dabei dachte er: Wie lächerlich, daß man vor tragischen Wendungen im Leben sich immer kindisch benimmt! Dann schritt er nach dem Zimmer seiner Frau. Die Jungfer empfing ihn mit verblüfftem Gesicht. Hinter der Tür hörte er Stimmen. Er klopfte an.

»Ach, du bist es, Cyrus! Wir sind gerade bei der Anprobe neuer Mäntel. Wie gefällt dir dieser gestreifte?«

Goldwyn machte der Baronin von Hesterberg eine steife Verbeugung und sagte eisig:

»Ich bitte um eine kurze Unterredung.«

»Ist die Sache so eilig?«

»Ja; denn ich habe vor, noch heute zu verreisen.«

»Ich höre.« Marion setzte sich und überkreuzte die Beine. Aber ihre Ruhe war erkünstelt. Ihr Argwohn sagte ihr, daß irgendeine Gefahr im Anzug sei. Sollten der Detektiv und diese Delius etwas erreicht haben?

Goldwyn blieb in der Nähe der Tür stehen, räusperte sich und sagte kurz:

»Ich möchte dir nur mitteilen, daß sich die Unschuld Doktor Scheithauers jetzt herausgestellt hat.«

»Ist das wahr?« stieß Marion hervor.

»Ja.«

Marion mußte gegen einen leichten Schwindel ankämpfen. Dann meinte sie, mühsam beherrscht:

»Freut mich. Aber was geht das mich an, lieber Cyrus?«

»Sehr viel«, erwiderte er, und seine Stimme war heiser vor Haß. Die Stunde der Abrechnung war da. »Gestatte, daß ich dir die Sache zergliedere. Sobald Scheithauer nämlich unschuldig ist, ergibt sich die interessante Tatsache, daß euere Ehe zu Unrecht geschieden wurde. Damit ist natürlich unsere eigene Ehe ungültig; denn eine Frau kann nicht zwei Männer haben. Sie sind frei, Madame. Kein Cyrus wird Ihnen mehr in Ihre galanten Abenteuer hineinreden. Freuen Sie sich«, höhnte er.

»Du hättest Märchenerzähler werden sollen«, lächelte sie mit verzerrtem Mund. Sie empfand mit entsetzlicher Deutlichkeit, wie folgerichtig seine Worte waren.

»Es steht in Ihrem Belieben, sich an meinen Rechtsanwalt zu wenden, der Ihnen die juristische Seite der Angelegenheit gerne auseinandersetzen wird. Sie kennen ja Dr. Morener.«

Marion schloß die Augen. Er gibt mir den Laufpaß, dieser Schuft, dachte sie erbittert und wünschte Cyrus Goldwyn den Tod. Nun war alles aus! Umsonst hatte sie sich zusammengenommen und wie ein Zögling von Sacré Cœur gelebt, um diesem alten Narren keinen Anlaß zu neuen Klagen zu geben. Niemand dankte es ihr. Alles war vergeblich. Eine fürchterliche Wut befiel sie.

Als sie aufsah, war Goldwyn verschwunden.

»Das sind ja nette Geschichten«, stöhnte die Baronin, die wie vom Blitz gerührt in ihrem Sessel hockte. Marion berichtete ihr nach und nach die Geschehnisse der letzten Wochen. Sie beschönigte dabei nach Möglichkeit ihre eigene Handlungsweise und stellte Goldwyn als einen unausstehlichen Tyrannen hin. Es flossen viel Tränen während dieser Erzählung.

»Du bist ein mißratenes Kind«, schluchzte die Baronin und dachte mit Schrecken daran, daß sie nun wieder einer unsicheren, entbehrungsvollen Zukunft preisgegeben waren. »Das kommt von deinen unmöglichen Affären. Kein Mann läßt sich so etwas bieten. Nur an dir liegt die Schuld, daß alles so gekommen ist. Hättest du Cyrus keinen Grund zur Eifersucht gegeben, er hätte nicht im Schlaf daran gedacht, sich für Scheithauer so ins Zeug zu legen.«

»Was soll man jetzt tun, Mama?«, fragte Marion verzagt.

»Zu diesem Morener gehen. Vielleicht ist die Sache doch nicht so schlimm«, erwiderte resolut die Baronin.

Der Rechtsanwalt, der die Interessen von Cyrus Goldwyn vertrat, setzte den Damen mit sachlicher Kühle auseinander, daß der Amerikaner durchaus die Wahrheit gesprochen habe und daß bereits Schritte getan seien, die zweite Ehe Marions für nichtig erklären zu lassen. An dem Ausgang der Sache sei nicht zu zweifeln; es liege der Sachverhalt ja klar zutage. Wenn den Damen seine Auffassung nicht genüge, würde er raten, sich bei einem Kollegen zu erkundigen.

Ob Cyrus Goldwyn für sie beide eine finanzielle Subvention ausgeworfen habe?, fragte die Baronin.

Dr. Morener versetzte:

»Davon ist mir nichts bekannt, meine Damen. Ich möchte es sogar ernstlich bezweifeln, da mir die Gesinnung meines Mandanten in dieser Hinsicht kein Geheimnis ist. Mr. Goldwyn wünscht, alle Beziehungen zu den Damen abzubrechen. Meines Erachtens ist derselbe zu irgendwelchen Entschädigungen auch nicht verpflichtet, da die eheliche Gemeinschaft ja zu Unrecht bestanden hat.«

Die Baronin und ihre Tochter verließen die Kanzlei, blaß vor Zorn.

»Wenn der Mensch da droben recht hat, bin ich eine Bettlerin«, stöhnte Marion, als sie auf der Straße standen.

»Noch nicht, mein Kind«, tröstete ihre Mutter. »Du vergißt auf Markus. Ich bin überzeugt, daß er nach seiner Rehabilitierung einen Bombenzulauf als Arzt bekommt. Wie die Dinge liegen, hast du gar keine andere Möglichkeit, als zu Markus zurückzukehren und dich mit ihm auszusöhnen.«

Marion überlegte und fand, daß ihre Mutter recht habe. Dazwischen fiel ihr Fräulein Delius ein, über deren Verhältnis zu Markus sie keine klaren Vorstellungen hatte.

»Wir wollen eine Tasse Kaffee trinken, Marion«, schlug die Baronin vor. »Dabei können wir in Ruhe die nächsten Schritte besprechen.«

Marions Gedanken waren weit weg.

Ist es nicht seltsam, dachte sie, daß ich jetzt wieder Frau Doktor Scheithauer bin, als wäre nie etwas dazwischen gewesen?


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