Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

Mr. Cyrus Goldwyn saß in der Halle des Hotels Quirinal seinem Sekretär gegenüber.

Durch die von geschliffenem Glas und geputztem Messing funkelnde Drehtür drang gedämpft der Lärm der Via Nazionale und das Brüllen kleiner Zeitungsverkäufer, die den »Popolo Romano« und den »Tevere« feilboten. Gelangweilte Kellner und Pagen lehnten in den Ecken und bedachten Mr. Goldwyn mit achtungsvollen Blicken; denn der Amerikaner pflegte verschwenderische Trinkgelder zu geben.

Joe Flapper, noch im Reisedreß – denn er war soeben mit dem Direttissimo aus München zurückgekehrt –, öffnete seine Aktentasche und übergab seinem Herrn zwei kleine Photos: »Please, Mr. Goldwyn, das sind die beiden.«

Der Angeredete neigte sein breites, gesammeltes Amerikanergesicht über die Bilder und kniff die schmalen Lippen zusammen. Unter seinen kühlen, wasserfarbenen Augen hingen dunkle Tränensäcke, die von Krankheit zeugten.

»Ähnlich?«

»Sehr, Mr. Goldwyn«, beeilte sich der Sekretär zu versichern.

»Hm, Sie werden zugeben, Flapper, daß dieser Gentleman nicht wie ein Verbrecher aussieht. Das junge Mädchen hat ein sentimentales Dutzendgesicht.«

Der junge Sekretär machte eine unterwürfige Miene und wagte nicht zu widersprechen. Als der Amerikaner mit der Betrachtung der beiden Bilder fertig war, forderte er sein Gegenüber auf:

»Well, und nun berichten Sie. Oder noch besser – haben Sie Notizen? Schön, dann geben Sie her.«

Joe Flapper überreichte seinem Herrn einige mit sauberer Maschinenschrift bedeckte Blätter.

»Das sind die Auszüge aus den Gerichtsakten. Es war nicht ganz leicht, sie zu bekommen.«

Mr. Goldwyn rückte seine Hornbrille zurecht und las. Als er fertig war, drehte er seiner Gewohnheit gemäß das Papier zu einer Rolle zusammen und sagte nachdenklich:

»Ich werde aus dieser Skandalgeschichte nicht recht klug. Sie schreiben da: ›Die Zeugin Frieda Ackermann gibt an, sie habe Dr. Scheithauer am zweiten Juli wegen eines unbedeutenden Bronchialleidens konsultiert, sei während der Untersuchung von dem Herrn belästigt worden, habe sich gewehrt und losgerissen und so weiter.‹ Gestatten Sie, daß ich das nicht begreife. Wenn man ein angesehener Arzt ist, eine junge, schöne Frau hat und eine glänzende Praxis sein eigen nennt, macht man doch keine solchen Sachen. Das ist doch unlogisch, das tut höchstens ein Unzurechnungsfähiger. Dabei ist diese Ackermann nicht einmal besonders hübsch –«

»Der Herr ist geistig durchaus normal«, wendete Flapper ein.

»Das sagen Sie.«

»Nein, Mr. Goldwyn, das steht in den Akten, das ist das Gutachten des sachverständigen Gerichts-Psychiaters. Die Richter standen in diesem Fall selbst vor einem Rätsel, das um so schwieriger war, als sich der Vorgang unter vier Augen und hinter verschlossenen Türen abgespielt hat.«

»Und dennoch sind sie auf eine Verurteilung zugekommen?«

»Dennoch, Mr. Goldwyn. Es waren da einige Umstände, die den Doktor sehr belastet haben. Zum ersten wurde ihm verübelt, daß er sich in der letzten Zeit viel in Nachtlokalen zweifelhafter Güte herumtrieb. Er war wiederholt betrunken, wie ein Barmädchen aussagte. Er habe dann immer ›Augen gemacht, daß man sich fürchten konnte‹. Das Stubenmädchen bei Scheithauers hat gehört, wie der Doktor seiner Frau während einer besonders lebhaften Auseinandersetzung zurief: ›Du kannst einen Mann so weit bringen, daß er zu der nächstbesten andern läuft‹!«

»Kapitalverbrechen«, meinte Mr. Goldwyn spöttisch. »Erzählen Sie weiter, Flapper. Nach allem zu schließen scheint die Ehe also nicht sehr harmonisch gewesen zu sein, wie?«

»Ich glaube. Die beiden Gatten schwiegen sich bei der Verhandlung allerdings darüber aus. Aus begreiflichen Gründen, Gegen Scheithauer zeugten auch die vernarbten Kratzwunden, die ihm die Ackermann bei dem Geraufe beigebracht hatte. Die Köchin sah das junge Mädchen weinend und mit unordentlichen Kleidern aus dem Ordinationszimmer stürzen. Lauter gravierende Momente, die den Doktor tief in die Tinte geritten haben.«

Mr. Goldwyn betrachtete seine Fingernägel.

»Nach Ihren Notizen, Flapper, stellt Scheithauer den Hergang der Dinge allerdings anders dar.«

»Stimmt, Mr. Goldwyn; er leugnete bis zum Schluß und warf der Ackermann vor, die Tatsachen auf den Kopf gestellt zu haben. Nicht er sie, sondern sie habe ihn angegriffen. Aber damit fand er wenig Glauben. Schließlich ist es das gute Recht jedes Angeklagten, daß er den Richtern Märchen erzählt. Nur in einem stimmen die Aussagen der beiden überein: sie wollen sich damals zum erstenmal im Leben gesehen haben.«

»Eine Möglichkeit, Flapper; kann das Frauenzimmer nicht verrückt sein?«

»Ausgeschlossen. Die Ackermann wurde von zwei Irrenärzten auf ihren Geisteszustand untersucht. Sie gilt bei ihren Bekannten als stilles, braves, allerdings ein wenig schwermütiges Mädchen, ein Urteil, dem sich ihr Chef und ihre früheren Erzieher unbedingt anschlossen. Sie hängt abgöttisch an ihrer kranken Mutter und führt ein zurückgezogenes, einwandfreies Leben. Überhaupt hat die beherrschte Ruhe der Zeugin einen besseren Eindruck auf das Gericht gemacht als das aufgeregte, verstörte Wesen des Angeklagten. Darum schob man auch der Ackermann unbedenklich den Eid zu, der Scheithauer das Genick gebrochen hat.«

Mr. Goldwyn ließ sich die Geschichte durch den Kopf gehen. Endlich sagte er:

»Die Richter werden gewußt haben, was sie tun. Warum auch soll ein geistig intaktes, unbescholtenes Mädchen einen wildfremden Menschen solcher Dinge bezichtigen, wenn nichts dahinter steckt? Es gibt seltsame Verirrungen. Ich danke Ihnen, Flapper. Vielleicht erledigen Sie nachher, wenn Sie sich ein wenig erfrischt haben, den Briefwechsel mit Walker in Sidney? Good bye.«

Als der junge Mensch gegangen war, ließ sich der Amerikaner einen Cocktail geben und versank in Nachdenken. Er war jetzt über drei Wochen in Rom und hatte bei irgendeiner Gelegenheit Frau Marion Scheithauer kennengelernt. Da er sich für die Dame interessierte, sehr interessierte, hatte er seinen Sekretär nach München geschickt, um Erkundigungen über den Fall ihres Gatten einzuziehen, da in Rom die tollsten Gerüchte in Umlauf waren. Die Rückkunft Flappers hatte diese zum größten Teil bestätigt. Arme Marion! Es war keine Kleinigkeit für eine Frau von Welt, mit dem Odium dieser trüben Geschichte beladen zu sein.

*

»Wissen Sie, Frau Marion, an was ich soeben gedacht habe?« fragte der junge d'Esterel.

»Wie soll ich das wissen, Vicomte?«

»Ich habe mir gedacht: der liebe Gott muß diesen wunderbaren Tag, den schönen Garten und die viele Sonne eigens für Sie gemacht haben, Frau Marion. Und man müßte ein Häuschen besitzen – irgendwo in der Bretagne oder an der ligurischen Küste –, mit Blumen und rauschenden Bäumen, um es Ihnen schenken zu dürfen«, erwiderte René d'Esterel schwärmerisch, und sein hübsches, braunes Knabengesicht leuchtete. Er saß zu Füßen der angebeteten Frau, hatte die Hände ums Knie geschlungen und sah einem steinernen Meergott zu, der aus geblähten Backen Wasser nach einer übermütigen Nymphe spie …

»Sie sind noch schrecklich jung, Vicomte«, entgegnete Marion spöttisch. Dabei blinzelte sie schläfrig nach der untergehenden Sonne, die durch die Palmenwedel des Palazzo Kukuli wie durch ein grünes Gitter fiel. Marion ruhte in einem bequemen Liegestuhl und hatte die nackten Arme lässig unter dem Kopf verschränkt. In dieser Stellung, in ihrem dünnen, aufreizenden Kleid, glich sie einer jener kostbaren Hetären des alten Rom, die ihre Wünsche zwischen goldenen Spangen und sehnigen Gladiatoren teilten.

Der kleine, schwarze Attaché drehte den Kopf und starrte verzückt auf den Mund der Frau, der einer aufgebrochenen, roten Frucht glich.

»Warum werfen Sie mir meine Jugend vor, Frau Marion? Ist Jugend nicht etwas Herrliches, Unwiederholbares? Soll ich etwa wie dieser ehrwürdige, steife Cyrus sein, der beim Sprechen die Lippen kaum auseinanderbringt, der von Weisheit und Erfahrung trieft, dem man sein vieles Geld förmlich ansieht? Gott behüte mich.«

»Sie werden unhöflich, Vicomte. Was hat Ihnen Mr. Goldwyn getan?«

»Er liebt Sie. Das ist Grund genug für mich, den Mann zu hassen«, sagte d' Esterel erbittert.

»Puh, wie tragisch!«

»Sie wissen genau, Frau Marion, daß ich nicht tragisch sein will«, erwiderte er traurig. »Aber ich kann nicht länger mitansehen, wie Sie ihm zulächeln, wie Sie ihm schöntun. Das geht über meine Kraft, und es geschieht etwas, wenn –.«

»Still, man kommt.«

Aus dem Dunkel der Säulengänge, die den Garten rings umgaben, trat Gräfin Kukuli, die Hausfrau, mit Mr. Goldwyn. Eleonore Kukuli, im selben Zürcher Pensionat wie Marion erzogen, hatte sofort nach Bekanntwerden jener mißlichen Affäre ihre Freundin eingeladen, die nächsten Monate bei ihr in Rom zu verbringen, und Marion war ohne Zögern dieser willkommenen Anregung gefolgt.

d' Esterel sprang artig auf, küßte der Gräfin die Hand und tauschte mit dem Yankee einen feierlichen Händedruck. Ehe er sich versah, hatte ihn die Dame des Hauses in ein Gespräch über den neu entdeckten Fra Filippo Lippi verstrickt und auf einen der Spaziergänge entführt, die strahlenförmig den berühmten Palmengarten der Kukulis durchzogen. Eleonore Kukuli, die reiche, unabhängige Witwe, war nämlich in den Vicomte verliebt, was auf diesen jedoch nicht den mindesten Eindruck machte. Eleonore war nicht sein Typ, und damit war die Sache für den jungen Franzosen erledigt.

»Wird es Ihnen nicht zu kühl, Mrs. Scheithauer?« forschte der Amerikaner besorgt und stolperte über den Namen, der ihm seit heute morgen verhaßt war.

Marion lachte mit blanken Zähnen.

»O nein, Mr. Goldwyn. Ich bin nicht so verzärtelt, wie Sie glauben. Ist es nicht sonderbar, daß man bei uns im Norden jetzt die Pelzmäntel aus der Mottenkiste holt, während wir hier bis zum Abend im Freien sitzen?«

Goldwyn ließ sich Marion gegenüber in einem der Baststühle nieder und zupfte seine tadellos gebügelten Beinkleider hoch.

»Ich bin wegen meines neuen Wagens gekommen. Er ist gestern aus Mailand eingetroffen. Achtzylinder, Pullmanlimousine, mit allen Bequemlichkeiten. Der Chauffeur ist zuverlässig, fährt jedes Tempo und spricht sogar ein bißchen Deutsch. Darf ich Ihnen das Auto für die Zeit Ihres Hierseins zur Verfügung stellen, Mrs. Scheithauer?«

»Sie dürfen«, lächelte Marion und warf ihm einen verführerischen Blick zu.

»Sie machen mich sehr glücklich«, stammelte Mr. Goldwyn verwirrt und betrachtete mit heftigem Wohlgefallen die seideschillernden Beine Marions, die untadelig und schlank wie gedrechselte Säulchen nebeneinander lagen. Die Nähe dieser betörenden, jungen Frau entzündete immer wieder seine Leidenschaft. Wie kann man diesem herrlichen Geschöpf so etwas antun? fragte er sich empört und haßte Markus Scheithauer inbrünstig.

Marion streckte ihm die Hand hin, eine kleine Hand mit rosigen, gepflegten Nägeln.

»Ich danke Ihnen, Mr. Goldwyn. Sie sind sehr gut zu mir«, sagte sie leise und mit einem Augenaufschlag, der einen Trappisten erschüttert hätte.

»Ich werde nie aufhören, Ihr Freund zu sein, wenn Sie es gestatten, Mrs. Scheithauer«, erwiderte er demütig.

»Das ist nett von Ihnen, Mr. Goldwyn.«


 << zurück weiter >>