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XXI

Hanni sah erstaunt von ihrer Schreibmaschine auf, als ihr Herr Löwenherz, der Bureauchef, mit leichtem Grinsen ein zierliches Brieflein übergab, das vorhin von einem fremden Herrn für sie abgegeben worden sei. Wer kann mir schreiben?, dachte sie achselzuckend, dankte ziemlich hochmütig und legte das kleine, weiße Kuvert mit betonter Geringschätzigkeit neben sich. Erst als Herr Löwenherz abgerufen wurde, öffnete sie es und suchte nach der Unterschrift.

Ah, von Goldwyn! Was konnte der von ihr wollen?

Sie überflog hastig die wenigen Zeilen, in denen der Amerikaner zum Ausdruck brachte, daß er um eine Unterredung bäte und sie nach Bureauschluß Ecke Karlstor erwarte. Den Kopf voll abenteuerlicher Gedanken, arbeitete Hanni mechanisch weiter, bis es acht Uhr schlug.

»Ich danke Ihnen sehr, Fräulein Delius«, empfing sie der Amerikaner an der bewußten Ecke. Die Läden wurden allenthalben geschlossen. Scharen von Angestellten verließen ihre Arbeitsstätten und strebten nach Hause.

»Ist es so wichtig, was Sie mir zu sagen haben? Wie erfuhren Sie denn meine Adresse, Mr. Goldwyn?«

»Durch Zufall, durch einen kleinen, hübschen Zufall«, log er. Manchmal führten krumme Wege rascher zum Ziel als gerade. Goldwyn hatte keineswegs die Absicht, Fräulein Delius in seine wahren Beweggründe einzuweihen.

Der Mann sieht übrigens miserabel aus, dachte Hanni, und es kamen ihr Zweifel, ob Goldwyns Ehe glücklich sei. Aber das ging sie schließlich nichts an.

Nun waren sie in der Nähe des Künstlerhauses.

»Wie geht es Doktor Scheithauer?« fragte der Amerikaner höflich.

»Offen gestanden – ich weiß es nicht. Wir haben uns auf der Heimreise getrennt, und ich habe ihn seither nicht mehr gesehen. Er lebt jetzt in der Nähe von Wasserburg bei seinem Vater.«

»Schade. Ich hätte ihm gern die Hand gedrückt«, erwiderte Goldwyn enttäuscht. »Sie schrieben mir damals, Sie wollten versuchen, seine Unschuld ans Licht zu bringen. Ist Ihnen das gelungen, Fräulein Delius?«

»Leider nicht. Aber warum fragen Sie?«, forschte Hanni mit leichtem Mißtrauen. War es nicht seltsam, daß der Gatte Marions sich so offenkundig für seinen Vorgänger interessierte?

»Weil ich Ihre Zweifel an Scheithauers Schuld allmählich zu teilen beginne.«

»Ich habe mir zuviel vorgenommen«, bekannte Hanni bedrückt und berichtete, wie nach anfänglichen Erfolgen der Karren nun seit Wochen festgefahren sei. Es tat ihr wohl, diesem Yankee ihr Herz ausschütten zu können. Er besaß ein vertrauenerweckendes Gesicht. Als sie fertig war, wiegte Goldwyn den Kopf:

»Allen Respekt vor Ihrem Mut, Fräulein Delius. Aber ich habe das Gefühl, als müßte man jetzt einen tüchtigen Detektiv mit der Fortführung der Angelegenheit betrauen. Was Ihre fernere Mitwirkung natürlich nicht ausschlösse. Wie denken Sie über diesen Vorschlag, Fräulein Delius?«

»Ein Detektiv kostet Geld. Wer soll das bezahlen?«

»Ich, wenn Sie gestatten.«

Sie sah ihn betroffen an und blieb mitten auf der Straße stehen.

Goldwyn erläuterte freundlich: »Die Gründe sind naheliegend. Ich fühle mich dem Doktor noch immer verpflichtet. Denn durch meine Nachlässigkeit ist er damals unter die Räder gekommen. Es war ungeschickt von mir, ihm Geld anzubieten. Aber jetzt sehe ich eine Chance, meine Schuld abzutragen, die Scheithauer nicht verletzen kann. Zumal, wenn er nichts davon erfährt. Sagen Sie ja, Fräulein Delius.«

Hanni überlegte. War sie berechtigt, dieses wunderbare Angebot zurückzuweisen? Nein. Man mußte nach jedem Strohhalm greifen. Es galt die Seelenruhe, das Leben des geliebten Mannes.

»Ich habe nicht das Recht, nein zu sagen,« erklärte sie mit pochendem Herzen.

»Dann ist die Sache abgemacht. Lassen Sie das Weitere nur meine Sorge sein, Fräulein Delius. Ich schicke Ihnen den besten Mann, der aufzutreiben ist. Mit ihm können Sie sich beraten. Ich bewundere Sie übrigens. Sie haben eine Menge erreicht. Der Kontakt mit der Ackermann ist hergestellt, die Geschichte ist eingefädelt; das ist immerhin schon etwas. Bei jedem Unternehmen gibt es einen toten Punkt; grämen Sie sich nicht darüber. Zum Schluß noch eine Frage, eine überflüssige, törichte Frage vielleicht: Sind Sie von Scheithauers Unschuld auch heute noch fest überzeugt? Hat diese wochenlange Beobachtung der Ackermann Ihre Ansichten nicht geändert?«

»Nicht im geringsten. Nur rätselhafter geworden ist mir alles.«

»Dann ist es gut.«

Sie waren inzwischen an den Odeonsplatz gekommen. Hier kehrten sie um. Dabei kamen sie nochmals am Parkhotel vorüber, in dem der Yankee Wohnung bezogen hatte. Nach einigen höflichen Redensarten verabschiedete sich Goldwyn. Er verglich dieses frische, ursprüngliche Geschöpf mit seiner Frau, und Haß vergiftete sein Blut. Als er in sein Arbeitszimmer trat, erhob sich Flapper.

»Von Hymans Brothers ist vorhin ein Angebot eingelaufen. Sie wollen für das Pittsburger Eisenwalzwerk acht Millionen Dollars geben.«

»Kabeln Sie die Zusage, Flapper. Wir wollen nicht kleinlich sein und auf einer Viertelmillion herumreiten. Ich bin froh, wenn diese Feilscherei zu Ende ist. Bis zum Hals heraus hängt mir das Zeug. Etwas anderes, ich brauche einen Detektiv. Erstklassig, hören Sie?«

Flapper zückte ein Notizbuch und fragte:

»Darf ich wissen, was der Mann zu tun hat?«

»Er soll das junge Mädchen überwachen, das Doktor Scheithauer ins Gefängnis gebracht hat.«

»Die Ackermann?«

»Ganz richtig, die Ackermann. Geld spielt keine Rolle.«

»Dann würde ich Fred Magirus vorschlagen, Mr. Goldwyn.«

»Keinen von drüben, das dauert zu lange. Sehen Sie zu, daß Sie hier jemand bekommen.«

»Wie Sie wünschen, Mr. Goldwyn.« – – –

Am nächsten Vormittag war die Sache erledigt. Der Mann saß im Vorzimmer und hieß Hergotin. »Er ist der geschickteste Privatdetektiv Münchens und betreibt seinen Beruf mehr zum Vergnügen als zum Broterwerb«, flüsterte Flapper seinem Herrn zu und bat ihn, Hergotin jetzt zu empfangen.

Goldwyn nickte.

Nach einigen Sekunden kam der Sekretär mit einem großen, schlanken Herrn zurück, der mit der Akkuratesse eines italienischen Herzogs gekleidet war und dreißig Jahre zählen mochte.

»Herr Hergotin?«

»Hergotin. Bitte, wollen Sie mir erzählen, um was es sich handelt, Mr. Goldwyn?«

»Sie sollen eine junge Verkäuferin beobachten und entlarven, wenn das möglich ist. Ich weiß nicht, ob Sie von dem Skandal Scheithauer contra Ackermann gehört haben?«

»Habe ich. Paragraph 176, Ziffer 1 und 43. Drei Monate, wenn ich nicht irre?«

»Ich sehe, Sie sind im Bilde«, sagte der Amerikaner erfreut.

Hergotin lächelte geschmeichelt.

Goldwyn berichtete, was er wußte, und schloß: »Im übrigen müssen Sie sich an Fräulein Delius selber wenden. Pfandhausgasse 5, bitte. Wenn Sie Erfolg haben, können Sie sich auf meine Kosten ein Schloß an der Riviera bauen.«

»Ich schätze die Riviera nicht besonders«, erwiderte Hergotin seelenruhig.

*

Frau Marion lag gedankenverloren auf dem Ruhebett ihres Schlafzimmers. Auch hier in München bewohnte das Ehepaar ein halbes Stockwerk, das jede Woche ein kleines Vermögen verschlang. Marion hatte die Augen geschlossen und grübelte.

Seit jener überstürzten Abreise aus St. Moritz lag etwas Unheimliches in der Luft, das sie weder zu greifen noch abzuwehren vermochte. Es war ihr nicht gelungen, das Vertrauen ihres Gatten zurückzugewinnen. Sie begriff, daß Goldwyn um ihren Handel mit d'Esterel wußte, und daß sich hinter seiner kühlen Korrektheit eine Gefahr verbarg, die den Bestand ihrer Ehe bedrohte. Sie besaß einen guten Instinkt für derlei Dinge. Seit gestern kam ein Ereignis hinzu, das sie ziemlich beunruhigte. Sie war gegen Abend, es mochte nach acht Uhr sein, am Fenster gestanden und hatte zufällig auf das gegenüberliegende Trottoir geblickt. Da war ihr Gatte neben einer jungen, hübschen Dame unten vorbeigegangen, auf die er mit nicht zu verstehender Ernsthaftigkeit einredete. Ihr Mißtrauen war sofort geweckt. Sie eilte auf die Straße und folgte den beiden. Später ergab sich, daß die junge Dame Johanna Delius hieß und bei einer Witwe Ackermann wohnte. Marion war nämlich dem beunruhigenden Fräulein in ihre Wohnung gefolgt. Das Weitere war aus zwei Visitenkarten an der Flurtür ersichtlich gewesen. Als Marion das Haus in der Pfandhausgasse wieder verließ, fiel ihr ein, daß ein Fräulein Delius die Begleiterin Scheithauers in Rom gewesen war. Der Name Ackermann war ihr aus dem Prozeß gegen Markus geläufig.

Welche Zusammenhänge bestanden nun zwischen Goldwyn, der Ackermann und diesem Fräulein Delius? Es war nicht zu enträtseln. Dennoch hatte sie das dunkle Gefühl, daß Cyrus irgendwelche Pläne gegen sie schmiedete. Mißmutig sprang sie auf, betupfte ihr Gesicht mit Kölnischem Wasser und schellte der Jungfer. Diese erschien.

»Wieviel Uhr haben wir, Angiolina?«

»Fünf Uhr, gnädige Frau.«

»Wo ist mein Mann?«

»Ausgegangen.«

»Und Flapper?«

»Arbeitet noch.«

»Rufen Sie ihn. Führen Sie ihn ins Boudoir. Er soll dort auf mich warten.«

»Es ist recht, gnädige Frau.«

Zehn Minuten später betrat sie den kokett eingerichteten Raum, dessen helle Birnbaummöbel zärtlich dufteten. Ein Ührchen tickte. Kostbare Vorhänge dämpften das einfallende Licht.

Der Sekretär sprang bei ihrem Eintritt ehrerbietig in die Höhe. Sein Gruß war schüchtern und demütig. Wie immer, fühlte er sich unfrei in der Nähe dieser Frau, die seine Sinne entzündete. Marion trug ein neckisches Kleidchen, das ihre hübschen Knie frei ließ. Sie sagte mit bestrickendem Lächeln:

»Mußten Sie warten, Sie Ärmster? Behalten Sie doch Platz. Ich möchte ein paar Worte mit Ihnen reden, Flapper.«

Sie setzte sich und überkreuzte ungeniert ihre seideglitzernden Beine.

Der junge Mensch war beglückt und dachte beschämt daran, daß er diese Frau einmal an ihren Mann verraten hatte. Aller Haß, den er noch vorhin gegen sie zu empfinden glaubte, war mit einem Schlage ausgetilgt in ihm.

»Wollen Sie mir eine Gefälligkeit erweisen, Mr. Flapper?«

»Mit Vergnügen«, stammelte er freudig.

»Ich halte Sie für einen Gentleman, Flapper. Sie werden über diese Unterredung schweigen, nicht wahr?«

»Wie das Grab«, beteuerte er und starrte mit brennenden Augen auf Marions niedliche Lackschuhe.

»Geben Sie mir Ihre Hand. So, nun sind wir Verbündete«, lächelte sie.

Flapper fühlte plötzlich weiche, zärtliche Finger sich um die seinen schlingen. Er erschauerte.

»Ist Ihnen der Name Delius bekannt?« fragte Marion.

»Sie meinen Fräulein Johanna Delius, Mrs. Goldwyn?«

»Stimmt.«

»Mr. Goldwyn beauftragte mich in St. Moritz, den Aufenthalt dieser Dame zu erkunden.«

»Oh, können Sie sich denken, was mein Mann damit bezweckt?«

»Allerdings. Aber ich weiß nicht, ob es Mr. Goldwyn recht ist, wenn ich über diese Sache spreche«, stotterte der Sekretär verlegen.

»Mein Mann wird keine Silbe von dem erfahren, was Sie mir hier erzählen. Also keine Sorge«, ermutigte Marion.

Joe Flapper kämpfte mit sich. Ich bin ein armer Hund, der von den Brosamen der Reichen lebt, dachte er. Wenn Goldwyn erfährt, daß ich plaudere, bin ich die längste Zeit sein Sekretär gewesen. Plötzlich fühlte er wieder jene samtweichen Finger, und eine betrübte Stimme bettelte:

»Helfen Sie einer unglücklichen Frau, Flapper. Seien Sie gut zu ihr. Seien Sie mein Freund!«

Das entschied.

»Ich will alles tun, was Sie wünschen, Mrs. Goldwyn«, preßte er heiser hervor.

»Ich werde Ihnen das nie vergessen, lieber Flapper. Sie sollen sehen, wie dankbar ich sein kann«, hauchte Frau Marion vielsagend.

Der junge Mensch war betäubt vor Glück.

»Die Sache ist so, Mrs. Goldwyn: Dieses Fräulein Delius hat sich vorgenommen, die Unschuld Doktor Scheithauers ans Licht zu bringen. Vielleicht liebt sie ihn. Um ihr Ziel zu erreichen, muß sie natürlich beweisen, daß jene Verkäuferin in der Verhandlung gelogen hat. Mr. Goldwyn scheint sie in diesem Vorhaben zu unterstützen; denn er hat ihr einen Detektiv zur Verfügung gestellt.«

»Welches Interesse kann mein Mann an der Unschuld Scheithauers haben?« murmelte Marion vor sich hin.

»Ich weiß es nicht, Mrs. Goldwyn.«

»Es ist gut. Ich danke Ihnen, Flapper. Würden Sie mich jetzt allein lassen?«

Der junge Mann schlich hinaus, von leisen Gewissensbissen gefoltert.

Marion ließ ihren Kopf auf die Lehne des Sessels fallen und überlegte. Sie stellte Kombinationen auf und verwarf sie. Endlich glaubte sie, die Zusammenhänge zu durchschauen. Cyrus wollte sie los sein! – Das war es. Ihr hübscher Mund verzerrte sich vor Wut.

»Aber ich werde den Herrschaften einen kleinen Strich durch die Rechnung machen«, lachte sie höhnisch.

Sie erhob sich kurz entschlossen, trat an den Schreibtisch und griff nach Feder und Papier. Es galt, die Ackermann zu warnen, anonym natürlich. Das Mädchen durfte, falls sie wirklich gelogen hatte, den andern nicht ins Garn laufen. Einmal gewarnt, würde die Ackermann doppelt vorsichtig sein.


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