Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

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Zwölftes Kapitel

Meine Bude wurde nun auf lange Zeit für Hugo Schmidt, Puschmann und den Sohn meiner Wirtin, Max, der Versammlungsort. Hier wurde ganze Nachmittage lang bis in die Nacht hinein disputiert, wobei uns die Witwe Fleischer mit heißem Grog labte, zu dem wir den Rum für wenige Pfennige aus der nächsten Destille geholt hatten. Puschmann erzählte Boccacciogeschichten, die er als wandernder Photograph auf den schlesischen Gütern und Schlössern erlebt haben wollte. Manche Baronin, manche Gräfin hatte ihn, wenn er nicht log, zu sich bestellt und nachts durch ein Hinterpförtchen eingelassen.

Aber der junge Mensch und Makartkopist hatte wohl wirklich manches erlebt, da ihn bei allem Provinziellen ein unternehmendes Wesen auszeichnete.

Fleischer war Maler, aber Botanik war sein Steckenpferd. Sie ist es in späteren Jahren geblieben und hat ihm als Spezialisten für Tropenmoose einen Namen gemacht. Hier schlugen sich Brücken von Jena herüber.

Schmidt war unser Orakel in Kunstdingen. Sein Urteil, sein Geschmack wurden von uns als dem unseren überlegen anerkannt. Er führte den Namen Böcklin ständig im Munde. Und Arnold Böcklin, den er zuhöchst verehrte, hatte in diesen Wochen seinen Lehrer und Meister Bräuer persönlich besucht. Das konnte eine Mythe sein: die Wirkung war jedenfalls so, als wenn der Prophet Elias die Kunstschule am Augustaplatz mit seinem Besuche beehrt hätte. Böcklin habe sich, hieß es, an den Pappeln besonders erfreut, die sich vor der Kunstschule aufreihten. Er liebte den früher vielfach geschmähten Baum und brachte ihn gern auf seine Bilder.

Inzwischen war das schlesische Museum der bildenden Künste fertig geworden. Eine ziemlich zahlreiche Sammlung von Bildern war bereits an den Wänden aufgehängt. Daß wir es oft besuchten und bei unseren Zusammenkünften besprachen, versteht sich von selbst. Ich erinnere mich, daß mir trotz meiner hohen Weihen in der Dresdener Galerie hier mancherlei kleinere Geister einen recht erheblichen Eindruck machten. Man sprach damals noch von Historienmalerei. Mir gefiel das Bild, das Luther zeigt, wie er unter dem hellen Buchenlaub des Thüringer Waldes von vermummten Rittern überfallen wird, um auf das Wartburgversteck gebracht zu werden. Graf Harrach, ein Schlesier, hat es gemalt.

Anton von Werner mochten wir nicht.

Museumsdirektor war ein Professor Berg, ein bedeutender Graphiker, der lange in den Tropen gelebt hatte. Er hatte den Saal des Museums, in dem er direktoriale Geschäfte abwickelte, in einen bewundernswerten tropischen Hain umgewandelt. Viele Arten von Palmen, breitblätterige Bananen, Mimosen und Orchideen umgaben ihn. Diese Räumlichkeit mußte auch seinetwegen, nicht nur der Pflanzen wegen, bis zu tropischer Glut erwärmt werden. Man sah den Professor hinter Glas und empfand ihn selbst als eine Art Sehenswürdigkeit.

Dies alles und mehr wurde beim Grog der Mutter Fleischer durchgesprochen. Jedesmal abends nach neun, wenn der Zigarren- und Zigarettenqualm in meinem Zimmer schon, wie man sagt, mit Messern zu schneiden und unsere Illumination weit gediehen war, erhob sich ein wildes Geschieße aus dem Lobetheater, dem gegenüber die Fleischersche Wohnung lag. Man spielte dort seit Wochen »Die Reise um die Welt in achtzig Tagen«. Die Revolver- und Gewehrschüsse bedeuteten einen regelmäßig wiederkehrenden Überfall. So nahmen wir gleichsam teil an der Weltreise, wurden in die Weite geführt, wanderten in der Phantasie, ließen unsere Gedanken über alle Weltteile ausschwärmen.

Es ist schwer zu sagen, wie es möglich war, daß ich, mit dem Wunder von Hohenhaus in der Seele, in diesem tappenden und tapsigen Kreise, in einer Atmosphäre von Enge und Ärmlichkeit wiederum ein so großes Behagen finden konnte: dieses Bett, auf dem wir herumsaßen, der Fusel, den wir hinunterschütteten, die schmutzigen Abenteuer eines Proleten mit Schlafstelle bei einer Bahnschaffnersfrau, unser großspuriges Reden von Kunst, wobei wir Abc-Schützen uns als große Künstler voraussetzten. Es war meine alte Doppelnatur.

Warum setzte ich keine Zweifel in mich?

Wieso konnte ich, da ich doch nicht den geringsten Beweis von wahrhaft hoher Begabung in Händen hielt, mit solchem Selbstvertrauen einherprunken? Wieso überschlich mich keine Scham und dachte ich nicht daran, daß die allgegenwärtigen Augen Marys mich sehen könnten und wie sich ihre reine und hohe Seele enttäuscht von meinem unbegreiflich niederen Wohlbefinden abwenden würde?

Was ich auf Hohenhaus erlebt hatte, machte eine äußere und innere Pause notwendig. Das, was vor dem Ereignis lag und davon unterbrochen wurde, mußte ich nachher im Sinne des Beharrungsvermögens mechanisch fortsetzen. Auch wäre es mir nicht möglich gewesen, schon jetzt etwas anderes an seine Stelle zu tun.

Noch war ein staunendes Schweigen in mir. Mein ganzes vergangenes Leben lag mit all seinen Stufen durch eine Verhüllung verborgen unter und hinter mir. Es mußte sich erst herausstellen, was auf die neue Ebene mitzunehmen war, um es weiterzutragen. Und übrigens hob mich das große Ereignis über den Sturm und Drang meines Wesens, dem ich noch lang anheimgegeben sein sollte, nicht hinaus. Glücks genug, daß es diesen ruhelosen Zustand einigermaßen lindern, seine Gefahren beschwören konnte.

Ich fragte mich manchmal, ob es nicht besser für uns gewesen wäre, wenn die doch so mutige Mary mich vom Fleck weg geheiratet hätte, und was uns eigentlich den Gedanken einer so langen Wartezeit bei örtlicher Trennung eingegeben hat? Mary schuldete niemand Rechenschaft. Hätten wir nicht Seite an Seite den Weg, der für mich noch zu gehen war, schneller, sicherer und vor allem freudevoller zurückgelegt, statt daß wir uns damit abquälten, jahrelang selbstgeschaffene Hindernisse hinwegzuräumen?

Lagen die goldenen Äpfel nicht auf dem Tisch? Warum wollten wir denn nicht zugreifen?

Die Kunstschule empfand ich bald sowohl als physisches wie als geistiges Hindernis; ich fühlte bereits, daß hier meines Bleibens nicht lange mehr sein würde. Ohne daß es mir immer bewußt wurde, lastete dieses ganze Breslauer Erlebnis wie eine tote Haut über mir, die ich, nach geschehener Häutung, noch mit mir schleppte.

Die Briefe, die ich mit Carl und Jena wechselte, zogen mich dorthin. Jene, die fast täglich zwischen mir und Mary hin- und hergingen, waren nicht nur mit den Sehnsüchten der Liebe, sondern auch mit allerhand Plänen für ihre und meine Zukunft angefüllt. Solche Briefwechsel sind befreiend, fördernd und bildend.

Schon daß ich so oft und so viel zu schreiben gezwungen war, förderte mich. Ich war diesem Muß nicht sogleich gewachsen. Bald aber warf ich fliegend hervorgestoßene Sätze in endlosen Reihen aufs Papier. Zeichen und große Anfangsbuchstaben ließ ich fort, weil sie den Strom meines Geschwätzes nur hinderten. Oder wollte ich aus der Not eine Tugend machen und meine Unbildung als philologischen Eigensinn aufputzen? Gott sei Dank, daß diese Briefe verloren sind, sie würden mir möglicherweise ein Grausen verursachen.

Das Geheimnis des Werdens ist das des Lebens, und eine seiner Wesenheiten ist Unergründlichkeit. Ich besaß damals nicht die Fähigkeit, auch nur das geringste davon auszusprechen. Der Rausch, der mir die Worte in den Mund legte: »Aus dem ganzen Gebirge von Carrara will ich ein Monument meiner Größe meißeln!«, hatte mich noch nicht dazu geführt, den ersten Meißel an ein Stück Marmor zu setzen. Ebensowenig mochte ich mir aus meinen poetischen Scheinerfolgen echte Erfolge einreden. Hier wirkte Mary, wirkte das Wunder von Hohenhaus noch keineswegs schöpferisch.

So mußte man wieder geduldig zuwarten, dem anderen, zweiten, vielleicht größeren Wunder des Werdens entgegensehen, wo sich den halbbewußten Säftegärungen des Innern das reife Kunstwerk als Frucht entbindet und, allen sichtbar, zutage tritt. Und hier mußte eigenes und fremdes Vertrauen, eigener und fremder Glaube das Beste tun.

 

Schon meine Briefe an Mary wiederholten oft die Worte: Vertraue mir, glaube an mich! Wenn du mir vertraust und mir glaubst, so tust du die Arbeit der besten Gärtnerin . . . und so immer fort.

Carl schwankte nie, er zweifelte nie daran, ich würde in nicht allzulanger Zeit die sicher erwartete Frucht hervorbringen. Er schrieb mir das. Er hielt seinen Kommilitonen Vorträge über mich. Er stärkte den Glauben meiner Geliebten, nachdem er sich mit der Tatsache unserer Verlobung ausgesöhnt hatte.

Ich habe der Wahrheit gemäß festzustellen, daß Carl damals mehr als je mein Freund, mein Mentor war. Hatte er mir Gustav Jägers »Deutsches Tierleben« nach Lederose gesandt, so versorgte er mich auch jetzt mit lehrreichen Büchern. Wenn ich das seltsame Motto des Buches »Werden und Vergehen« von Carus Sterne wie ein befreiendes und beglückendes Wort ergriff, mußte ein ihm verwandter Zustand in meiner Seele trotz allen irdischen Wollens, Ringens, Mißlingens und Gelingens darauf als auf seine Bestätigung gewartet haben:

Ist einer Welt Besitz für dich gewonnen,
sei nicht erfreut darüber: es ist nichts.
Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen,
sei nicht im Leid darüber: es ist nichts.
Vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen!
Geh an der Welt vorüber: sie ist nichts!

Und so wurde die große und furchtbare Wahrheit mit ihrem kategorischen Imperativ am Schluß aus den Tiefen meiner Seele mit einem feierlich großen, erschütternden Echo beantwortet. Und überall war es die hochgestimmte Seele Carls, die aus der Ferne magisch in mich herüberwirkte. Ich zeigte noch immer enthusiastisch seine Photographie herum, stolz auf mein ihm verwandtes Blut und in der Gewißheit, es werde nur noch wenige Zeit vergehen, bis er die Welt mit dem Glanze seiner Gaben in Erstaunen versetzen würde.

Seine Verlobung und meine hatten unsere Seelenverbundenheit nur vorübergehend zu betäuben vermocht. Unser brüderliches Verhältnis blieb so eng, daß es die eine der Bräute, Martha, allmählich beunruhigte.

Auch der Verkehr mit Alfred Ploetz lebte wiederum auf. Er war natürlich binnen kurzem, ebenso wie Fleischer und Schmidt, in die große Veränderung meiner Umstände eingeweiht: wann hätte ein Liebender nicht Vertraute gebraucht?

Übrigens hatte ich Ploetz enttäuscht. In unseren pangermanischen Satzungen, denen wir durch die Blutsbrüderschaft auf der nächtlichen Ohlewiese Treue gelobt hatten, war die Verpflichtung aufgenommen, dereinst nur ein blondes, blaugeäugtes Mädchen zu heiraten. Mary, dieser dunkle, exotische Typ, machte mich zum Verräter. Immerhin zeigte der Freund sich nachsichtig: Mary könne recht wohl germanischen Blutes sein, da es auf blond und blau nicht ankäme. Hauptsache sei die Schädelform. Er werde sie messen, sobald sich dazu Gelegenheit fände.

 

Der Januar brachte eine neue Erleichterung. Tante Mathilde Jaschke und Schwester Johanna hatten sich in ein Hotel garni am Freiburger Bahnhof für einige Monate einlogiert. Johanna wollte sich im Klavierspiel vervollkommnen. Daß dies aber der einzige Grund der Anwesenheit Mathildes war, glaube ich nicht. Da gab es noch Gründe und Hintergründe. Drei Brüder waren nun mit drei Schwestern verbunden: ein seltener Fall, der an Vorherbestimmung denken ließ. Wenn eine solche wirksam war, so war Mathilde Jaschke aus ihr nicht hinwegzudenken. Hatte sie ein Stückchen Vorsehung gleichsam selber gespielt, so wünschte sie auch bis zum dreieinigen Ende, bis zu dem Tage, wo vor dem Altar unter zwei Familien das dritte Ringpaar gewechselt wurde, auszuharren.

Es war ein großes Glück für mich, mein oft übervolles Herz vor Schwester Johanna und ihrer Freundin ausschütten zu können, und ich machte reichlich Gebrauch davon. Immer wenn ich anklopfte, es mochte meist morgens im Finstern zwischen sieben und acht Uhr sein, wurde mir aufgetan, und ich durfte das behaglich servierte Frühstück mit den Damen einnehmen. Die frühen Besuche hingen mit meiner Neigung zu Frühspaziergängen zusammen. Ich schüttete dann den Damen jedesmal einen Sack voll kleiner, romantisch gefärbter Beobachtungen auf den Tisch, was sie belebte und amüsierte.

Mitunter muß mein Zustand leicht überspannt gewesen sein. Als ich eines Abends mit Alfred Ploetz, nach einem gemütlichen Abendbrot bei den Damen, nach Hause ging, gab ich zum Beispiel der Neigung nach, vor ihm eine Geistesstörung zu simulieren. Ich hatte die Sache sehr behutsam und nicht ohne Raffinement angelegt. Ich verlegte mit Hilfe meiner Phantasie Ort und Zeit, sprach, als ob wir auf einem Aussichtspunkte des Zobtenberges stünden, wobei ich meine Erlebnisse von der Fahrt mit Kunstschlossermeister Mehnert verwendete. Das kalte, nächtliche Schmutzwetter war mir wie nicht vorhanden, und ich spielte mit Bescheidenheit den beglückten Studenten der Sommerferien.

Ploetz hörte mir zu und ging, wie ich merkte, auf alles ein, um ein volles Bild meines vermeintlichen Irrsinns zu erhalten, was mich, als der Spaß nach meiner Meinung lange genug gedauert hatte, veranlaßte, meine Maske fallen zu lassen und ihm lachend zu erklären, ich hätte mir nur einen schlechten Scherz erlaubt.

Ploetz ging nun aber auch darauf ein, nicht so, wie man eine platzende Seifenblase belacht, sondern, was ich deutlich merkte, wie man einen Kranken behandelt, den man nicht aufregen will. Es entstand darauf eine nicht ungefährliche Verwicklung, die mich manchmal bis an den Rand der Geistesverwirrung brachte und mir einen Vorgeschmack jenes gräßlichen Zustandes gab, in den ein Gesunder gerät, wenn ein festes ärztliches Vorurteil ihn für unzurechnungsfähig hält.

Alle meine Beteuerungen, ich hätte einen bewußten Ulk simuliert, fanden bei Ploetz durchaus keinen Boden. Ich fühlte genau, er glaubte mir nicht, auch wenn er so tat und mich dann immer wieder bat, ich möge mich doch zunächst beruhigen. Aber gerade das konnte ich im Gefühl meiner jähen Entmündigung nicht. Ich wurde deutlich, ich wurde grob, ich erklärte meinerseits Ploetz für verrückt, und endlich lief ich rasend fort, um mich zu sammeln und nicht wirklich verzweifelten Unsinn zu reden.

Und sollte man es glauben: schon am folgenden Tage hatte Ploetz aus besorgtem Herzen den Vorfall in seiner Beleuchtung Mathilde Jaschke und Johanna mitgeteilt.

Die täglichen Briefe an Mary, Sehnsuchtsschreie eines Darbenden, eines Morphinisten ohne Morphium, das gespannte Erwarten ihrer Antworten, das unerträglich wurde, wenn ihr Brief sich um vierundzwanzig Stunden verzögerte, mußten Zustände der Erschöpfung zurücklassen. Die wilden Phantasien der Eifersucht, darin der Liebende seinen geliebten Gegenstand in die unwahrscheinlichsten Gefahren versetzt, höhlten mich aus. In dieser Verfassung hängt man sich dann mit endlosen Fragen wie »Glaubst du, daß sie . . .? Meinst du, sie könnte . . .? Wenn sie nun aber . . .!« an eine vertraute Seele an. Man wünscht beruhigt, getröstet zu sein. Und wenn man dann auf die sehr verbreiteten Jago-Naturen trifft, so können sie einen mit leichter Mühe in die untersten Höllenbulgen hinabstoßen.

 

Aber nun hatte sich Mary für eine Woche zu Besuch angesagt. Die Heimlichkeit, die sie über unsere Beziehung aus guten Gründen noch bewahrte, stellte die Reise nach Breslau als einen Ausflug dar; Mary wollte als Dritte im Bunde mit Johanna und Mathilde Jaschke Land und Leute kennenlernen. Und hier, meine ich, hatten die beiden hilfreichen Menschen vorausgesehen und vorausgedacht.

Mehr als drei Monate waren dahingegangen, seit ich Mary zuletzt gesehen hatte.

Drei Monate sind eine lange Zeit. Ich hatte quälende Zustände, wenn ich Mary mir nicht mehr vorstellen konnte. Ich suchte das wahre Bild von ihr, das schließlich selbst die Photographie nicht mehr geben konnte. In all den verflossenen Tagen und Nächten hatte sie als Schemen um mich und in mir gelebt, und es schien ihrem Wesen Unwirklichkeit anzuhaften, während Wirklichkeit ihm beinah widersprach.

So war die Erwartung des Wirklichen nun in jeder Beziehung aufwühlend. Ein raumverdrängendes Gebilde, das man noch mehr ein traumverdrängendes nennen kann, würde als Mary, die in Wahrheit fast Vergessene, vor mich hintreten.

Ich zitterte vor dem Augenblick.

Würde ich vor dem neuen Wesen, in der neuen Umgebung noch derselbe sein, der Mary in dem herbstlichen Park von Hohenhaus unter rostrot fallenden Blättern an sich gepreßt hatte? Oder würde mich schüchterne Fremdheit überfallen, was bei meiner reizbaren und veränderlichen Seelenverfassung ebenfalls möglich war?

Und wenn ich nun gar in den schmutzigen Nebeln dieser kalten, unerfreulichen Winterzeit, in der feucht-kalten Finsternis bei ihrem vermummten Anblick einem unvorhergesehenen Schauder der Abneigung unterlag und mir vielleicht nicht möglich wurde, im Gefühl dort anzuknüpfen, wo Mary, mit dem Zebrajäckchen angetan, mir von der Mauer unter dem Goldrausch des Parkes nachwinkte? Dann würde ich mit einem Schlage aus vermeintlichem Glück in tiefes Unglück gestoßen sein.

Es konnte sein, daß unser Wiedersehen eine Enttäuschung für mich war. Mir blieb dann übrig, mein Leben zu opfern, es auf eine Lüge zu bauen oder andere zu enttäuschen.

Die Enttäuschung konnte jedoch auch bei Mary eintreten. Das mehr als Bescheidene, das geradezu Kümmerliche meiner Existenz konnte die umgekehrte Wirkung ausüben als jene des Hohenhauser Glanzes auf mich. Dann fiel ein Turmbau von Illusionen ein, den ich bereits errichtet hatte, und indem seine Trümmer über mich stürzten, konnte recht wohl wahr werden, was Ploetz für meinen Geisteszustand gefürchtet hatte.

 


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