Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Wie vieles wird uns vorgelebt, wie viele Schicksale verfolgen wir, wie viele Belehrungen erfahren wir dadurch unbewußt. Das eigene Schicksal findet zunächst am wenigsten Beachtung bei uns selbst. Es einigermaßen genau zu sehen ist daher nur in späteren, reifen Jahren möglich. Die Schicksale andrer aber sind es, die uns von früh an belehren, bereichern und bilden.

Es ist vom Elisenhof schon die Rede gewesen, von Frau Enke, ihrem Hauslehrer, Diakonus Spahner, und ihren Söhnen. Wenn ich mich recht erinnere, waren es drei. Daß Frau Enke zu Fuß sich irgendwohin außerhalb ihres Hauses bewegt hätte, glaube ich nicht; dagegen gingen Diakonus Spahner sowie die Brüder Enke gemeinsam oder einzeln täglich unter unserm Fenster vorüber.

Im Elisenhof herrschte Verfall. Durch Beobachtungen und Gerüchte allgemeiner Art mußte sich diese Erkenntnis aufdrängen. Die heranwachsenden Zöglinge Spahners entzogen sich seiner Zucht, betrugen sich im Sinne des Familiengeistes abweisend und hochmütig, trieben sich aber zugleich mit dem eigenen Kutscher und Hausdiener in Bierlokalen herum, wo sie sich die Zeit um die Ohren schlugen und Geld durchbrachten.

 

An die offene Seite unseres Hofes grenzten Hof und Gebäude des Demuthguts. Die Besitzer waren zwei Brüder, junge Männer, die sich nicht mehr wie der verstorbene Vater bäuerisch trugen, sondern wie junge Landedelleute im grünen Habit, den Hut mit der Spielhahnfeder auf dem Kopf, meist eine Doppelflinte über der Schulter.

Ob die beiden nun in der Wirtschaft nicht zugriffen, weil es nutzlos war und das Gut keinesfalls rentieren konnte, oder ob es sich mehr und mehr verschuldete, weil die beiden nur auf Jagd gingen und in Wirtshäusern herumsaßen, wüßte ich nicht.

Jedenfalls tauchte in diesem Gut eines Tages ein Fremdling auf, der sich mit seiner Frau in einem der Gebäude festsetzte. Doktor Goular war Arzt und war aus Amerika zurückgekehrt, wohl weil ihn der zu erwartende allgemeine Aufschwung in das sieggekrönte Deutschland zurückgelockt hatte. Er war eine Abenteurernatur und mittellos, was er Jahre hindurch zu verschleiern wußte. Die Brüder Demuth, bei denen er sich nach und nach schmarotzerhaft einnistete, wurden mehr und mehr von ihm abhängig und verfielen, von ihm verführt, dem damals allgemein hervortretenden Gründergeist. Sie taten, wozu sich mein Vater nie entschließen konnte: sie ließen die Heilquellen, die auch auf ihrem Grundstück zutage traten, fassen, suchten Geld und erhielten es und führten schließlich eine Menge von Anlagen, Badehäusern und Inhaliersälen auf, die das fürstliche Bad überbieten sollten.

Es war amüsant zu sehen, wenn die Fürstin von Pleß offen mit dem tänzelnden Viererzug an den werdenden Bauten vorüberfuhr, sie beiläufig von oben herab, als würden da Maulwurfshäufchen aufgestoßen, lorgnettierend.

Polizeiverwalter Keßler, der mit meinem Vater in guten Beziehungen stand, hatte seine Frau durch den Tod verloren und bald zum zweiten Male geheiratet. Seine Tochter aus erster Ehe, Eveline, die im Alter Johannas war, litt schwer unter ihm und der Stiefmutter. Es schien, daß die amtliche Brutalität des Polizeiverwalters sich vollständig hinter die Auffassung seiner zweiten Frau stellte, wonach die Tochter aus erster Ehe verpflichtet war, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und darüber hinaus für die Stiefgeschwister aus zweiter Ehe zu arbeiten. Wie ein Sklavenvogt, hart und gnadenlos, war Keßler hinter Eveline her, die sich mit seinem Wissen eine Erholung nicht gönnen durfte. Ohne sein und der Stiefmutter Wissen kam sie zu uns und weinte sich aus.

Der Fall enthüllte mir damals eine der düstersten Seiten der Menschennatur. Das schöne, liebenswerte, vielleicht ein wenig einfältige Mädchen war ganz hilfreiche Güte, Fügsamkeit und Schmiegsamkeit, was aber nur jene Folge hatte, daß man sie ohne jede Erkenntlichkeit gnadenlos überbürdete. Einmal wurde mein Vater deswegen bei Keßler vorstellig, was eine lange Verfeindung ergab. Ein andermal wäre der harte Mann, der vor Züchtigungen der erwachsenen Tochter nicht zurückschreckte, beinahe in ein gerichtliches Nachspiel verwickelt worden, als Eveline einen Selbstmordversuch gemacht hatte. Ich habe später auf einen besonderen Fall zurückzukommen, der seinen Sohn aus zweiter Ehe, Albrecht Keßler, betraf.

Fünfundfünfzig Jahre nach dieser Zeit sah ich Eveline überraschenderweise in Berlin, nachdem sie fast ebensolange meinem Gesichtskreis und meinem Gedächtnis entschwunden war. Der Schriftsteller Julius Bab schrieb mir, daß eine Weißnähterin bei ihm arbeite, die eine genaue Kenntnis meiner Person und meiner Familie aus Jugendtagen her behaupte. Es war erschütternd für mich, als Eveline, verwitwete Lippe, geborene Keßler, mir als Nähterin gegenübertrat und mit jedem Wort auf rührende und ehrenvollste Weise all der Stunden gedachte, die meines Vaters, meiner Mutter, meiner Schwester Johanna sie liebevoll umhegender Trost ihr gewährt hatte. In dieser bezaubernden, beinah jenseit-heiteren Frau, die einen Lebenskampf ohnegleichen mit einem schweigenden Heroismus durchgekämpft hatte, war ein Spiegel vorhanden, der den humanen Geist unserer Familie fast zu meiner Beschämung aufbewahrt hatte.

Mit zärtlicher Liebe sprach Frau Lippe von meiner Mutter, als ob es die eigene wäre, von Johanna als von ihrer Schwester, von Carl, von mir, den sie noch immer mit der Koseform des Vornamens nannte. Im goldenen Gemüt dieser Weißnähterin wurde das mehr als ein halbes Jahrhundert in der Vergangenheit Liegende volle Gegenwart, der auch ich, in einen Jungen verwandelt, auf einmal wieder anzugehören schien.

 

Antonie Brendel, die Brendeltoni, Tochter des alten Schullehrers, wie Eveline Freundin meiner Schwester und im gleichen Alter, wurde zwar nicht im Stile Keßler brutalisiert, aber überaus streng gehalten. Diese Strenge war mir entsetzenerregend. Niemals, wenn ich von meinen Geschwistern mit Autorisation meiner Mutter abgeschickt wurde, um das wenig hübsche, aber liebe und herzliche Mädchen zu uns ins Haus zu laden, habe ich Erfolg gehabt. Mit einem scheinbaren Ingrimm in den Zügen, wobei seltsamerweise immer Wasser in seine Augen trat, betonte Brendel jedesmal, Toni erfülle so wenig ihre Pflicht, habe deshalb so viel gutzumachen und nachzuholen, daß sie an Vergnügen nicht denken dürfe. Ließ ich mich dann nicht sogleich abweisen, so bewirkte das, mochte ich noch so herzlich und dringlich bitten, in Brendels abweisendem Diktum nicht die geringste Änderung. Kam mir am Mittwoch der Gedanke, Toni vielleicht für den kommenden Sonntagnachmittag frei zu bekommen, so wurde das mit der gleichen Miene ächzenden Ingrimms und der gleichen Träne im Auge abgelehnt. Toni schien in Ewigkeit zur Pönitenz verurteilt zu sein.

 

Unter den Freundinnen meiner Schwester war Helene, die Tochter des Maurermeisters Schmidt, ein hübsches, ja schönes Mädchen, das gleich wie ihr einziger Bruder den Mitteln des reichgewordenen Vaters entsprechend gehalten wurde. Man erfuhr eines Tages, daß Schmidt dem Orden der Freimaurer beigetreten war, und es wurde dann allgemein gemißbilligt, daß er sein neugebautes pompöses Wohnhaus nach der Loge Zum flammenden Stern nannte.

Nur ein sehr kühles Verhältnis bestand zwischen dem Gasthof zur Preußischen Krone und dem Flammenden Stern. Zwischen dem neugebackenen Freimaurer und meinem Vater hatte bis zu dem Augenblick ein freundschaftliches Verhältnis bestanden, als die Saalbauten Blauer, Großer und Kleiner Saal unter Leitung des Maurermeisters fertiggestellt und die Rechnungen vorgelegt worden waren. Der Bauherr erklärte sie mit Recht oder Unrecht für ungenau.

Es war eine kühle Atmosphäre im Flammenden Stern, die ich als gelegentlicher Spielkamerad des Haussöhnchens kennenlernte. Alles, wovon man hier umgeben war, konnte man als kalte Pracht bezeichnen. Ich habe mich unter den kostbaren Spielsachen meines kleinen Kameraden und überhaupt im Flammenden Stern weder wohl noch unwohl gefühlt. Irgend etwas, das mit gemütischer Wärme verwandt gewesen wäre, gab es in seinen gleichsam unbewohnten Räumen nicht. Und wo nichts war, wo nur Leere war, konnte sich auch nur der Eindruck von Leere mitteilen, wie denn auch nichts andres als das von meinem Gedächtnis festgehalten worden ist.

 

Der Name Nixdorf, Dorf der Nixen, kam in Ober-Salzbrunn mehrmals vor. So hieß nicht nur der Dorfpolizist, der ein Lamm an Güte mit einem Teufelsantlitz war, sondern auch eine wohlgeborene Bürgerfamilie, Vater, Mutter, Tochter und Sohn, die ein altertümliches, hübsches Haus bewohnten. Herr Nixdorf hatte sich der Kunst des Photographierens zugewandt und später auf seinem Anwesen ein Atelier eröffnet, endlich ein anderes in der nahen Kreisstadt Waldenburg. Bei Nixdorf bin ich unbewußt auf dem Arm meiner Amme photographiert worden und dann bewußt in einem Alter, als ich groß genug war, um, neben meinem sitzenden Vater stehend, meine Ärmchen auf seine Knie zu stützen.

Diese Aufnahme anlangend, erinnere ich mich eines Kniffs, den der Photograph anwandte, um mich im entscheidenden Augenblick bewegungslos vor dem Apparat zu haben. Er werde die Hülse von einer gewissen messingnen Tube nehmen, und ein Eichhörnchen werde sogleich herausspringen. Ich erwähne den Scherz nicht um seiner selbst willen, da er ja keineswegs ungewöhnlich ist, sondern nur deshalb, weil mich die Unbegreiflichkeit dieser Behauptung starr machte. Während der Zeit, in der ich still hielt, suchte ich meinen festen Glauben an die Wahrhaftigkeit des Erwachsenen mit der Unmöglichkeit der Behauptung – aber ganz vergeblich – in Einklang zu bringen. Eine Bemühung, die mir noch heut gleich einer unauslöschlichen Prägung im Geiste gegenwärtig ist.

Ich spielte gern mit den Nixdorfkindern, soweit mein antibürgerlicher Betätigungsdrang es zuließ.

Plötzlich schied der kleine, freundliche Max Nixdorf, Nixdorfmaxel genannt, aus dem Kreis der Gespielen für immer aus. Man hatte den Knaben eine Zeitlang vermißt, und alles war nach ihm auf der Suche. Auch wir, meine Rotte Korah von Dorfschlingeln und ich, beteiligten uns daran, indem wir natürlich die Sache zu einem Spiel machten und mit Pfadfindertricks und dergleichen verbanden. Man fand den Vermißten nicht fern dem Hause im ortsbekannten, wohlkultivierten Nixdorfschen Gemüsegarten, wo er irgend etwas auf dem Grund einer Regentonne hatte fischen wollen, sich dabei zu weit über ihren Rand gebeugt, das Übergewicht bekommen hatte und so kläglich ertrunken war.

Wie vieles wird uns vorgelebt, wie viele Schicksale verfolgen wir, sagte ich zu Anfang des Kapitels, und ich füge hinzu: wie viele Schicksale überleben wir! Ich verfolgte noch immer alles in den näher und ferner gelegenen konzentrischen Kreisen meines Wirkungs- und Gesichtsfeldes mit großer Aufmerksamkeit.

Noch immer reihte sich in den Akten, die ich unwillkürlich über jede menschliche Einzelerscheinung oder Familie führte, Zug an Zug, Beobachtung an Beobachtung, wodurch sich der immanente Besitz an Erfahrungen fortwährend bereicherte.

Um jene Zeit begann bereits eine Verletzlichkeit mich zu quälen wegen der herablassenden Geringschätzung, die man im allgemeinen einem Knaben von zehn Jahren entgegenbringt. Zehn Jahre Lebens und das darin Errungene an Erfahrungen und Kenntnissen sind durchaus keine Kleinigkeit. Ich darf mir auch keineswegs schmeicheln, einen erheblichen Teil davon mit meinem bisherigen Bemühen erfaßt zu haben. Der Besitz des Gewonnenen belastete mich indes noch nicht. Es war, als wäre ich frei davon und hätte ihn irgendwo aufgehoben.

Mein Leben im großen ganzen sowie im besonderen setzte sich gewohnheitsmäßig fort. In der Brendel-Schule gab es allerdings eine Neuerung. Der alte Schultyrann sammelte einen kleinen, auserwählten Kreis, darunter Carl und mich, zur Lateinstunde. ›Mensa, mensae, mensae, mensam‹ wurde dekliniert, und ich fand Gefallen daran. Der Erfolg, stellte sich später heraus, war geringfügig.

Vielleicht war er es aber nur im Sinne meiner späteren Nurlateinlehrer, denn es wurde dabei doch manches Neue von dem über seinen Rahmen hinaus sich bewegenden alten Lehrer zur Sprache gebracht. Man fühlte ihm an, daß hier eine Liebhaberei im Spiele war, der er gerne frönte, weil sie ihn über sich selber hob.

»Dieses Latein«, erklärte er uns, »einst von den alten Römern gesprochen, blieb die allgemeine Kirchen- und Gelehrtensprache bis zu Luthers Zeit. Dann trat die Kirchenspaltung ein. Aber während die Protestanten aller Länder fortan in ihren Landessprachen den Gottesdienst abhielten, wurde das im übrigen degradierte Latein von der katholischen Kirche und ihrem obersten Priester, dem Papst zu Rom, festgehalten.«

Man dürfe aber Latein nicht vernachlässigen, fuhr Brendel fort, und ebensowenig die griechische Sprache. Nicht nur weil die Bibel in dieser auf uns gekommen sei, sondern weil in ihr sowie in Latein unerreichbar große Dichter, Philosophen und Schriftsteller sich ausgedrückt hätten. Es gebe da einen Schatz von Literatur, der, obgleich nur ein traurig verbliebener Rest, immer noch solche Schätze enthalte, daß nichts in der neueren Zeit dagegen aufkomme.

Brendel zeigte sich in seinen ungezwungenen Vorträgen auch erfüllt von dem großen historischen Augenblick. Dr. Martin Luther, sagte er, würde sein innigstes deutsches Wünschen und Wollen heut durch die Einigung des Reiches erfüllt sehen, sie sei aber keine Freude für den Papst und den Geist von Rom. Und nun ging er auf die Gründung des Altkatholizismus unter Führung Döllingers ein, der sich wie jeder denkende Mensch über die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes, die jüngst dekretiert worden sei, empört habe. Diese Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes sei von unsrer Regierung, der preußischen, abgelehnt, und am 19. Juni des vorigen Jahres, 1872, habe man beschlossen, den Jesuitenorden aus dem Lande zu weisen. Damit sei ein heftiger Kampf entbrannt, der alte Kampf, der sich leider seit einem Jahrtausend und länger, zuletzt im Dreißigjährigen Kriege, immer wieder auf dem deutschen Boden abgespielt habe.

Solche Eröffnungen, die ich immerhin hungrig aufschnappte, waren wohl mehr für meinen Bruder und einen noch älteren Knaben bestimmt, die binnen kurzem in höhere Schulen zu Waldenburg und zu Breslau abwandern sollten. Solchen jungen Menschen deutsche Gesinnung einzuprägen, war wohl die Lehrerschaft ganz allgemein beauftragt worden.

 

Ich hatte in der Frage, ob Christus Gottes Sohn, sei, weder die Partei Carls noch die Georgs genommen.

Alle schönen Berichte des Neuen und einige des Alten Testaments hatten die Schule und eine Anzahl Kirchgänge mir einverleibt, nur daß ich sie nicht mit irgendwelchen dogmatischen Spitzfindigkeiten, die mir fernlagen, in Verbindung brachte. Ich nahm die Dinge ähnlich wie Grimms Märchen hin, wenn ich auch hier an der Wirklichkeit des Geschehens nicht zweifelte. Der zwölfjährige Jesus im Tempel, die Rettung der Jünger auf dem See Genezareth, die Speisung der Fünftausend mit fünf Broten und zwei Fischen, die Auferweckung des Jünglings zu Nain, der Tochter Jairi und des Lazarus von den Toten hatten sich meinem gläubig beglückten Kindergemüt eingeprägt und mein Verhältnis zur Drohung des Todes tröstlich gemildert. Gethsemane, der Judasverrat, Geißelung, Kreuztragung und Kreuzigung fanden ein weniger offenes Ohr. Ich mochte ja auch Donner und Blitz, Wolken und Wetter nicht, die meinen Jugendhimmel verdüsterten. Ebensowenig zog mich die Auferstehungsgeschichte an, der zerrissene Tempelvorhang und das Erdbeben, weil ich ein Verständnis dafür nicht suchte. Schließlich war ich doch ein Kind und hatte das Recht, nur das zu begreifen, was der lebende Gottesmensch Jesus, der die Kinder liebte und gesagt hat: »Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich«, ebendiesen Kindern eröffnet hatte. Ich bin gewiß, von seinem kommenden Kreuz und Leiden erfuhren sie nichts. Er hätte ihr Himmelreich nie damit verdüstert.

Es war bukolische Schönheit des Griechentums, die mich zum erstenmal in der Geschichte Jesu, vor dem Beginn seines Leidens, anwehte. Die Hirtengestalt des Heilands – »Ich bin ein guter Hirte« – hatte in all ihrer sanften Schönheit Wohnung genommen in mir. Ich hatte vielfach Umgang mit ihr, obgleich ich, so oder so wie jeder Knabe allfältig mißverstanden, weder Eltern, Geschwistern noch sonst irgend jemand davon redete. Aber was hätte die Entscheidung der Frage, ob dieser mein treuer Kinderfreund und älterer Bruder einen Gott oder einen Menschen zum Vater, ja überhaupt einen Vater hatte, meiner Liebe und meinem tiefen Vertrauen zu ihm noch hinzusetzen sollen?

War mein Verhältnis zu Jesu nun doch vielleicht Religion, dann gehörte es in den tiefgeheimen, esoterischen Teil derselben. Eine Verbindung mit dem Aberglauben, von dem ich sprach, hatte sich – sage ich: glücklicherweise? – noch nicht angebahnt.

In den Lateinstunden Brendels lag für mich etwas Festliches, das mit einem großen und allgemeinen Fortschrittsgefühl zusammenhing.

 


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