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15

Maria wagte nicht, sich zu rühren. Sie wagte nicht einmal zu atmen. Sie schloß die Lider nicht, aus bebender Furcht, es könnte zwischen Senken und Heben der Lider ein neuer Schrecken kommen und nach ihr greifen.

Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, seit sich die Hände Joh Fredersens um die Gurgel Rotwangs, des großen Erfinders, schlossen. Die beiden Männer hatten im Schatten gestanden; und dennoch schien es dem Mädchen, als wären die Umrisse ihrer beiden Gestalten gleich feurigen Linien in der Dunkelheit zurückgeblieben: die Wucht des Dastehens von Joh Fredersen, der seine Hände vorwarf wie zwei Klauen, der Körper Rotwangs, der in diesen Klauen hing und weggerissen wurde, fortgezerrt – durch das Loch einer Tür, die sich hinter den beiden schloß.

Was spielte sich hinter dieser Tür ab?

Sie hörte nichts. Sie horchte mit allen Sinnen, aber sie hörte nichts, nicht den leisesten Laut.

Minuten vergingen, endlose Minuten … Nichts war zu hören, weder Schritt noch Schrei.

Atmete sie Wand an Wand mit dem Mord?

Ob er tot war? Ob er hinter jener Tür in einem Winkel lag, das Gesicht auf den Rücken gedreht, mit zerbrochenem Genick und verglasten Augen?

Ob hinter jener Tür noch der Mörder stand?

Der Raum, der sie umschloß, schien sich plötzlich mit dem Geräusch eines dumpfen Pochens zu füllen. Das wurde immer lauter und heftiger. Es machte die Ohren taub und blieb doch dumpf … Allmählich begriff sie: Das war ihr eigener Herzschlag. Wäre ein Mensch zu ihr hereingekommen, sie hätte es nicht gehört, so schlug ihr das Herz.

Stammelnde Worte eines Kindergebetes gingen ihr durch das Hirn, verworren und sinnlos: Lieber Gott, ich bitte dich, bleib bei mir, hab acht auf mich, Amen! Sie dachte an Freder … Nein – nicht weinen, nicht weinen!

Lieber Gott, ich bitte dich …

Diese Stille war nicht mehr zu ertragen! Sie mußte sehen, mußte Gewißheit haben.

Aber sie wagte nicht, einen Schritt zu tun. Sie war aufgestanden und fand den Mut nicht, auf ihren alten Platz zurückzukehren. Sie war wie in einen schwarzen Sack genäht. Sie hielt die Arme dicht an den Leib gepreßt. Das Grauen stand ihr im Nacken und blies sie an.

Jetzt hörte sie – ja, jetzt hörte sie etwas! Doch der Laut kam nicht aus dem Haus, er kam von weit her. Dieser Laut durchdrang selbst die Mauern vom Hause Rotwangs, die sonst kein Laut durchdrang, woher er auch kam.

Es war die Stimme der großen Metropolis. Aber sie schrie, wie sie niemals geschrien hatte.

Sie schrie nicht nach Futter, sie schrie: Gefahr! Gefahr! Der Schrei nahm kein Ende. Er heulte unablässig. Wer hatte es gewagt, die Stimme der großen Metropolis zu entfesseln, die sonst keinem gehorsam war als Joh Fredersen? War Joh Fredersen nicht mehr in diesem Hause? Oder sollte ihn diese Stimme rufen, dieses wilde Brüllen? Welche Gefahr bedrohte Metropolis? Feuer konnte die Stadt nicht ängstigen, daß sie so wie im Irrsinn brüllen mußte. Keine Sturmflut bedrohte Metropolis. Die Elemente waren gebändigt und fromm.

Gefahr von Menschen? Aufruhr?

War es das?

Die Worte Rotwangs flackerten ihr durchs Gehirn. In der Totenstadt, was ging in der Totenstadt vor? Kam der Aufruhr aus der Stadt der Toten? Quoll das Verderben aus der Tiefe heraus?

Gefahr! Gefahr! schrie die Stimme der großen Stadt.

Wie unter der Gewalt eines Stoßes von innen her lief Maria jählings der Tür zu und riß sie auf. Der Raum, der vor ihr lag, empfing wie der, den sie verlassen hatte, sein einziges Licht – spärlich genug – durch das Fenster. Beim ersten Blick rundum schien er leer zu sein. Ein starker Lufthauch strömte heiß und gleichmäßig aus unsichtbarer Quelle durch den Raum und brachte verstärkt das Brüllen der Stadt herein.

Maria beugte sich vor. Sie erkannte den Raum. An diesen Wänden war sie entlanggelaufen auf der verzweifelten Suche nach einer Tür. Da war eine Tür, die hatte nicht Riegel noch Schloß. Im düsteren Holz glühte kupferrot das Siegel Salomonis, das Pentagramm. Dort, in der Mitte, befand sich das Viereck der Falltür, durch die sie vor einer Zeit, die sie nicht messen konnte, in das Haus des großen Erfinders gekommen war. Das helle Viereck des Fensters beschien das Viereck der Tür.

Eine Falle? dachte das Mädchen. Es drehte den Kopf herum …

Wollte die große Metropolis nie mehr aufhören zu brüllen?

Gefahr! Gefahr! brüllte die Stadt.

Maria tat einen Schritt und blieb wieder stehen.

Da lag etwas. Da lag etwas am Boden. Zwischen ihr und der Falltür lag etwas am Boden. Es war ein Klumpen Unkenntlichkeit. Es war etwas Dunkles und Regungsloses. Es konnte ein Mensch sein und war vielleicht nur ein Sack. Aber es lag da und mußte umgangen werden, wenn man zu der Falltür gelangen wollte.

Mit einem größeren Aufwand von Mut, als sie jemals im Leben nötig gehabt hatte, setzte Maria lautlos Fuß vor Fuß. Der Klumpen am Boden regte sich nicht. Sie stand, weit vorgebeugt, die Augen auf Kundschaft schickend, betäubt vom eigenen Herzschlag und dem Schreien der aufruhrkündenden Stadt.

Nun sah sie deutlich: Was da lag, war ein Mensch. Der Mensch lag auf dem Gesicht und hatte die Beine eng an den Leib gezogen, als hätte er sich aufraffen, hochstemmen wollen und dann nicht mehr die Kraft dazu gefunden. Die eine Hand lag über den Nacken geworfen, und ihre gekrümmten Finger sprachen beredter als der beredteste Mund von rasender Abwehr.

Aber die andere Hand des Menschenklumpens lag weit von ihm weggereckt auf dem Viereck der Falltür, als wollte sie diese Tür mit sich selbst verriegeln. Die Hand war nicht Fleisch und Bein. Die Hand war Metall, die Hand war das Meisterwerk Rotwangs, des großen Erfinders.

Maria warf einen Blick nach der Tür, an der das Siegel Salomonis glühte. Sie lief darauf zu, obwohl sie wußte, daß es sinnlos war, diese unerbittliche Tür um Freiheit anzuflehen. Sie spürte unter ihren Füßen, fern, ganz dumpf, stark und wesensmächtig, ein Schüttern wie von einem fernen Donner.

Die Stimme der großen Metropolis brüllte: Gefahr!

Maria faltete die Hände und hob sie vor den Mund. Sie lief auf die Falltür zu. Sie kniete nieder. Sie sah auf den Menschenklumpen, der am Rand der Falltür lag und dessen metallene Hand die Tür hartnäckig zu verteidigen schien. Die Finger der anderen Hand, über den Nacken des Mannes geworfen, war gegen sie gewendet, hoch aufgestellt, wie ein Tier vor dem Sprung.

Wieder das zitternde Schüttern – und jetzt schon stärker …

Maria griff nach dem Eisenriegel der Falltür. Sie schob ihn auf. Sie wollte die Tür hochzerren. Aber die Hand – die Hand, die darauf lag, hielt die Tür verklammert.

Maria hörte das Klirren ihrer Zähne. Sie schob sich auf den Knien hin zu dem regungslosen Menschenklumpen. Sie faßte mit unendlicher Vorsicht die Hand, die als stählerner Riegel über der Falltür lag. Sie spürte Kälte des Todes von dieser Hand ausgehen. Sie drückte die Zähne in ihre weißen Lippen. Als sie die Hand mit aller Kraft zurückschob, wälzte der Menschenklumpen sich auf die Seite, und das graue Gesicht erschien und starrte nach oben …

Maria riß die Falltür auf. Sie schwang sich in das schwarze Viereck hinab. Sie ließ sich nicht Zeit, die Tür über sich zu schließen. Vielleicht auch hatte sie nicht den Mut dazu, aus der gewonnenen Tiefe noch einmal aufzutauchen und das zu sehen, was oben am Rand der Falltür lag. Sie fühlte die Stufen unter ihren Füßen und fühlte rechts und links die feuchten Mauern. Sie lief in der Dunkelheit und dachte, nur halb bei Bewußtsein: Wenn du dich in der Totenstadt verirrst …

Die roten Schuhe des Magiers fielen ihr ein.

Sie zwang sich zum Stillstehen, zum Horchen.

Was war das für ein sonderbarer Laut, der aus den Gängen ringsum zu kommen schien? Es klang wie ein Gähnen, als gähnte der Stein … Es rieselte … Über ihrem Kopf wurde ein feines Knirschen hörbar, als löste sich vorsichtig Fuge von Fuge. Dann war für eine Weile alles still. Aber nicht lange. Dann hob das Knirschen wieder an …

Die Steine lebten. Ja – die Steine lebten … Die Steine der Totenstadt wurden lebendig.

Ein Stoß von unerhörter Heftigkeit erschütterte den Boden, auf dem Maria stand. Gepolter stürzender Steine, Verrieseln, Stille.

Maria war gegen die Steinwand getaumelt. Aber die Wand bewegte sich hinter ihr. Maria schrie auf. Sie schlug die Arme nach oben und rannte weiter. Sie stolperte über Steine, die ihr im Weg lagen, aber sie fiel nicht. Sie wußte nicht, was geschah, aber das Rauschen des Geheimnisses, das der Sturm vor sich hertreibt, die Verkündung eines großen Unheils hing in der Luft über ihr und jagte sie vorwärts.

Da – ein Licht vor ihr! Sie lief darauf zu … Ein Gruftgewölbe, große brennende Kerzen … Ja, sie kannte den Raum! Hier hatte sie oft gestanden und zu den Menschen gesprochen, die sie »Brüder« nannte. Wer außer ihr hatte das Recht, diese Kerzen anzuzünden? Wem hatten sie heute gebrannt?

In heftigem Luftzug wehten die Flammen seitwärts; das Wachs vertropfte.

Maria ergriff eine Kerze, lief damit weiter. Sie kam in den Hintergrund des Gruftgewölbes. Da lag ein Mantel am Boden. Solch einen Mantel trug keiner ihrer Brüder über der Blauleinentracht. Sie bückte sich. Sie sah im tausendjährigen Staub des Gruftgewölbes eine Fährte von dunklen Tropfen. Sie streckte die Hand aus und rührte einen der Tropfen an. Die Spitze ihres Fingers war rot gefärbt. Sie richtete sich auf und schloß die Augen. Sie taumelte ein wenig, und ein Lächeln ging über ihr Gesicht, als hoffe sie zu träumen.

Lieber Gott, ich bitte dich, bleib bei mir, hab acht auf mich. Amen …

Sie lehnte den Kopf an die Steinwand. Die Steinwand bebte. Maria sah in die Höhe. In der urschwarzen Wölbung der Steindecke über ihr klaffte, sich windend, ein Riß.

Was hieß das?

Was war da über ihr?

Da oben waren die Maulwurfsgänge der Tiefbahnen. Was geschah da? Es klang, als spielten dreitausend Riesen mit eisernen Bergkegeln, die sie johlend gegeneinander warfen.

Breiter klaffte der Riß, die Luft war von Staub erfüllt. Aber das war nicht Staub. Das war gemahlener Stein.

Das Gefüge der Totenstadt erbebte bis zum Mittelpunkt der Erde hinab. Plötzlich war es, als ob eine ungeheure Faust eine Schleuse hochgezogen hätte – doch statt des Wassers stürzte ein Mahlstrom von Steinen aus dem gestauten Bett, so prasselten vom Gewölbe Quadern, Mörtel, Schutt, Steinsplitter, Trümmer herunter – ein Vorhang von Steinen, ein Hagelwetter von Steinen. Und über dem Sturz und Schlag war die Gewalt eines Donners, der lang nachhaltend durch die Vernichtung dröhnte.

Ein Luftdruck von schmetternder Unwiderstehlichkeit fegte das Mädchen beiseite wie einen Strohhalm. Aus den Nischen hoben sich die Gerippe; Knochen hoben sich steil, und Schädel rollten. Für die tausendjährige Totenstadt schien der Jüngste Tag hereinzubrechen …

Aber über der großen Metropolis heulte und heulte noch immer die Urtier-Stimme.

Rot stand der Morgen über dem Steinmeer der Stadt. Der rote Morgen sah in dem Steinmeer der Stadt, breit sich heranwälzend, einen endlosen Strom.

Zwölf Glieder breit war der Strom. Die gingen im gleichen Schritt. Männer, Männer, Männer – alle in gleicher Tracht: vom Hals bis zu den Knöcheln in dunkelblauem Leinen, die nackten Füße in gleichen, harten Schuhen, fest die Haare umschließend die gleichen, schwarzen Kappen. Und sie alle hatten die gleichen Gesichter. Wilde Gesichter mit Augen wie Feuerbrände. Und sie alle sangen das gleiche Lied, Lied ohne Melodie, aber Schwur – Sturmgelöbnis:

»Wir haben den Maschinen das Urteil gesprochen!
Wir haben die Maschinen zum Tode verurteilt!
Die Maschinen müssen sterben, zur Hölle mit ihnen!
Tod! Tod! Tod den Maschinen!«

 

Vor der strömenden, grölenden Masse her tanzte ein Mädchen.

Es führte die Masse an. Es führte die trottende Masse gegen das Herz der Maschinenstadt Metropolis.

Es sagte: »Kommt! Kommt! Ich will euch führen! Ich will den Tanz des Todes vor euch tanzen! Ich will den Tanz der Mörder vor euch tanzen!«

»Zerstören – zerstören – zerstören!« johlte die Masse.

Sie handelten planlos und doch nach einem Gesetz. Zerstörung hieß das Gesetz; dem gehorchten sie.

Die Masse teilte sich. Ein breiter Strom goß sich brodelnd hinab in die Gänge der Tiefbahn. Auf allen Gleisen standen die Züge bereit. Scheinwerfer keilten sich in die Dunkelheit, die in den Schächten hockte, über den Schienen.

Die Masse johlte. Hier war ein Spielzeug für Riesen! Waren sie denn nicht stark wie dreitausend Riesen? Sie zerrten die Führer aus den Führerständen. Sie hetzten die Züge los und ließen sie laufen, einen hinter dem anderen – vorwärts – vorwärts!

Die Schienen dröhnten. Die donnernden Wagenschlangen, gleißend erhellt, von ihrer Leere geschleudert, rasten hinein in die bräunliche Finsternis. Zwei, drei, vier Fahrer wehrten sich wie Besessene. Aber die Masse saugte sie in sich hinein. Wollt ihr das Maul halten, ihr Hunde! Wir sind die Herren! Wir wollen spielen! Wir wollen die Riesen spielen!

Sie heulten das Lied, das Lied ihres tötenden Hasses:

»Wir haben den Maschinen das Urteil gesprochen!
Wir haben die Maschinen zum Tode verurteilt!«

Sie zählten die Sekunden: »Neunundfünfzig – sechzig – einundsechzig – zweiundsechzig – nun? ööööööh!«

Irgendwo in den Tiefen der Schächte ein Krachen, als splittere der Erdball.

Einmal – und noch einmal …

Die Masse heulte: »Die Maschinen müssen sterben, zur Hölle mit ihnen! Tod! Tod! Tod den Maschinen!«

Da! Was war da? Aus einem der Schächte brach wie ein Feuerpferd, mit sprühenden Lichtern, führerlos, in reißender Schnelligkeit einer der Züge hervor – galoppierender Tod. Wo kam dieses Höllenpferd her? Wo steckten die Riesen, die dem Riesenspiel der Masse hier Antwort gaben? Kreischend verschwand der Zug – und Sekunden später kam der zerreißende Krach aus der Tiefe des Schachtes. Und schon jagte der zweite Zug, von unbekannten Händen entsendet, heran.

Unter den Füßen der Masse schlotterten die Steine. Rauch quoll aus dem Schacht. Jäh loschen die Lichter aus. Nur die Uhren, die weißlich schimmernden Uhren hingen als Leuchtflecken in einer Dunkelheit, die sich mit trübe ziehenden Schwaden füllte.

Die Masse drängte den Treppen zu und hinauf. Hinter ihnen, entfesselte Dämonen, rasten die losgelassenen Zugmaschinen, ihre taumelnden Wagen hinter sich herziehend, aufeinander los und verbissen sich flammend.

Metropolis hatte ein Hirn. Metropolis hatte ein Herz.

Das Herz der Maschinenstadt Metropolis wohnte in einem weißen, domhaften Saal. Das Herz der Maschinenstadt Metropolis wurde von einem einzigen Mann gehütet.

Der Mann hieß Grot, und er liebte seine Maschine.

Diese Maschine war ein Universum für sich. Über den tiefen Mysterien ihrer zarten Gelenke stand wie die Sonnenscheibe, wie der Strahlenschein einer Gottheit das silbern-sausende Rad, dessen Speichen im Wirbel der Drehung wie eine einzige, gleißende Scheibe erschienen. Diese Scheibe füllte die Rückwand des Saales mit ihrer ganzen Breite und Höhe aus.

Keine Maschine in ganz Metropolis, die nicht von diesem Herzen die Kraft empfing.

Ein einziger Hebel regierte dies stählerne Wunder. Alle Schätze der Welt, vor ihm aufgehäuft, hätten Grot diese seine Maschine nicht aufgewogen.

Als Grot um die rote Stunde des Sonnenaufgangs die Stimme der großen Metropolis brüllen hörte, blickte er nach der Uhr an der Stirn der Türwand und dachte: Das ist wider Natur und Richtigkeit.

Als Grot um die rote Stunde des Sonnenaufgangs den Strom der Masse sich heranwälzen sah, zwölf Glieder breit, von einem Mädchen geführt, das nach dem Takt der johlenden Masse tanzte, stellte er den Maschinenhebel auf »Sicherung«, schloß die Saaltür sorgfältig und wartete ab.

Die Masse donnerte gegen seine Tür.

Oh, klopft ihr nur! dachte Grot. Die Tür hält was aus.

Er sah die Maschine an. Das Rad lief langsam. Die schönen Speichen spielten deutlich erkennbar. Grot nickte seiner schönen Maschine zu.

Die werden uns nicht lange ärgern, dachte er. Er wartete auf ein Zeichen vom Neuen Turm Babel. Auf ein Wort von Joh Fredersen. Das Wort blieb aus.

Er weiß, dachte Grot, er kann sich auf mich verlassen …

Die Tür erbebte wie eine Riesentrommel. Ein lebender Sturmbock, warf sich die Masse dagegen.

Es sind ein bißchen viele, wie mir scheint, dachte Grot. Er sah auf die Tür. Die zitterte, aber sie hielt. Und es hatte den Anschein, als würde sie noch sehr lang halten.

Grot nickte tief zufrieden vor sich hin. Er hätte sich gern eine Pfeife angesteckt, wenn das Rauchen hier nicht verboten gewesen wäre. Er hörte das Johlen der Menge und Prall um Prall gegen die summende Tür mit behaglichem Grimm. Er liebte die Tür. Sie war seine Bundesgenossin. Er drehte sich um und sah die Maschine an. Er nickte ihr zärtlich zu: Wir beide – was? Was sagst du zu den besoffenen Narren, Maschine!

Der Sturm vor der Tür schraubte sich zum Taifun hinauf. Darin war hechelnde Wut über so langen Widerstand.

»Aufmachen!« hechelte die Wut. »Aufmachen, Halunke!«

Das könnte euch so passen, dachte Grot. Wie brav sich die Tür hielt. Seine wackere Tür!

Was sangen die besoffenen Affen da draußen?

»Wir haben den Maschinen das Urteil gesprochen!
Wir haben die Maschinen zum Tode verurteilt!«

 

Hohohoh! Er konnte auch singen, er konnte herrlich besoffene Lieder singen! Er schlug mit den Absätzen gegen den Unterbau der Maschine, auf dem er saß. Er schob die schwarze Mütze tiefer ins Genick. Er hatte die roten Fäuste im Schoß liegen und sang aus voller Kehle, den Mund aufreißend, die kleinen, wilden Augen zur Tür gerichtet:

»Kommt heran, ihr versoffenes Pack, wenn ihr euch traut! Kommt, wenn ihr Prügel haben wollt, ihr lausigen Affen! Eure Mütter haben vergessen, euch die Hosen strammzuziehen, als ihr klein wart, ihr Rotzjungen! Zum Schweinefutter seid ihr nicht gut genug! In der großen Kurve seid ihr vom Müllwagen gefallen! Und jetzt steht ihr vor der Tür, vor meiner wackeren Tür und plärrt: Aufmachen! Aufmachen! Ihr Hühnerläuse!«

Der Unterbau der Maschine dröhnte unter dem Trommeltakt seiner Stiefelabsätze.

Aber plötzlich verstummte beides: Trommeln und Gesang. Ein sehr starkes, sehr weißes Licht flammte dreimal unter der Kuppel des Saales auf. Ein Lautzeichen, sanft und durchdringend wie der Gongschlag einer Tempelglocke, wurde hörbar und meisterte jeden Lärm.

»Ja!« sagte Grot, der Wächter der Herz-Maschine. Er sprang auf die Füße. Er hob das breite Gesicht, das in der freudigen Gier des Gehorsams glänzte. »Ja, da bin ich!«

Eine Stimme sagte, langsam und deutlich: »Öffne die Tür und gib die Maschine preis!«

Grot stand unbeweglich. An seinen Armen hingen die Fäuste herab wie plumpe Hämmer. Er zwinkerte krampfhaft. Er schluckte. Aber er schwieg.

»Befehl wiederholen«, sagte die ruhige Stimme.

Der Wächter der Herz-Maschine schlenkerte seinen Kopf wie ein lästiges Bündel heftig hin und her.

»Ich … Ich hab' nicht verstanden«, sagte er keuchend.

Die ruhige Stimme sprach mit verstärktem Ton: »Öffne die Tür und gib die Maschine preis!«

Aber der Mann schwieg noch immer und glotzte blöde nach oben.

»Befehl wiederholen!« sagte die ruhige Stimme.

Der Wächter der Herz-Maschine sog viel Luft ein.

»Wer spricht da?« fragte er. »Was für ein krummer Hund spricht da?«

»Öffne die Tür, Grot.«

»Den Teufel werde ich tun!«

»Und gib die Maschine preis!«

»Die Maschine?« fragte Grot. »Meine Maschine?«

»Ja«, sagte die ruhige Stimme.

Der Wächter der Herz-Maschine begann zu schlottern. Er hatte ein blaues Gesicht, in dem die Augen wie weißliche Kugeln standen. Die Masse, die sich als Prellbock gegen die summende Tür warf, johlte, heiser vom Johlen: »Die Maschinen müssen sterben, zur Hölle mit ihnen! Tod! Tod! Tod den Maschinen!«

»Wer spricht dort?« fragte der Mann so laut, daß er kreischte.

»Joh Fredersen spricht.«

»Ich will das Kennwort haben!«

»Das Kennwort ist Tausend und drei. Die Maschine läuft Halbkraft. Du hast den Hebel auf ›Sicherung‹ gestellt.«

Der Wächter der Herz-Maschine stand wie ein Klotz. Dann drehte der Klotz sich schwerfällig um sich selbst, torkelte auf die Tür zu und riß an den Riegeln.

Die Masse hörte es. Sie johlte Triumph. Die Tür flog auf, und die Masse schwemmte den Menschen, der ihr auf der Schwelle entgegentrat, beiseite. Die Masse wälzte sich gegen die Maschine vor. Die Masse wollte sich an der Maschine vergreifen. Ein tanzendes Mädchen führte die Masse an.

»Seht!« schrie sie. »Seht! Das schlagende Herz von Metropolis! Was soll mit dem Herzen von Metropolis geschehen?

Wir haben den Maschinen das Urteil gesprochen!
Wir haben die Maschinen zum Tode verurteilt!
Die Maschinen müssen sterben, zur Hölle mit ihnen!«

Aber die Masse nahm das Lied des Mädchens nicht auf. Die Masse starrte die Maschine an, das schlagende Herz der großen Maschinenstadt, die Metropolis hieß und die sie gefüttert hatten. Sie schob sich langsam, als ein einziger Körper, auf die Maschine vor, die wie Silber gleißte. Im Gesicht der Masse stand der Haß. Im Gesicht der Masse stand abergläubische Furcht. Wille zur letzten Vernichtung stand im Gesicht der Masse.

Aber bevor er Ausdruck gewinnen konnte, warf sich Grot, der Wächter, vor seine Maschine. Es gab kein Wort des Unflats, das er nicht aufhob, um es der Masse ins Gesicht zu schmeißen. Das schmutzigste Schimpfwort war ihm nicht schmutzig genug, um die Masse damit bei Namen zu nennen. Die Masse wandte die roten Augen auf ihn. Die Masse stierte ihn an. Die Masse begriff: Der Mann da vor ihr beschimpfte sie, er beschimpfte sie im Namen der Maschine. Mann und Maschine verschmolzen für sie in eins. Mann und Maschine verdienten den gleichen Haß. Sie schob sich gegen Mann und Maschine vor. Sie brüllte ihn nieder. Sie stampfte ihn unter sich. Sie zerrte ihn hin und her und zur Tür hinaus. Sie vergaß die Maschine, denn sie hatte den Mann, hatte den Wächter des Herzschlags aller Maschinen – glaubte, als sie den Mann von der Herz-Maschine wegriß, sie risse der großen Maschinenstadt, die Metropolis hieß, das Herz aus der Brust.

Was sollte mit dem Herzen von Metropolis geschehen?

Es sollte von den Füßen der Masse zertreten werden!

»Tod!« johlte die sieghafte Masse. »Tod den Maschinen!«

Sie merkte nicht, daß sie keinen Führer mehr hatte. Sie merkte nicht, daß das Mädchen im Zuge fehlte.

Das Mädchen stand vor der Herz-Maschine der Stadt. Es faßte mit seiner Hand, die zarter als Glas war, den wuchtigen Hebel, der auf »Sicherung« stand. Es drückte den Hebel herum und ging mit leichten, irren Schritten hinaus.

Hinter ihm begann die Maschine zu sausen. Über den tiefen Mysterien ihrer zarten Gelenke stand wie die Sonnenscheibe – wie der Strahlenschein einer Gottheit – das silbern-sausende Rad, dessen Speichen im Wirbel der Drehung wie eine einzige, kreisende Scheibe erschien.

Das Herz von Metropolis, Joh Fredersens großer Stadt, begann zu fiebern, von tödlicher Krankheit befallen …


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