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2

Die Hirnschale des Neuen Turms Babel war mit Zahlen bevölkert.

Aus einer unsichtbaren Quelle, von einer klaren, nicht lauten, unbewegten Stimme gesprochen, tropften die Zahlen rhythmisch durch die gekühlte Luft des großen Raumes, sammelten sich wie in einem Staubecken auf dem Tisch, an dem das große Hirn von Metropolis arbeitete, wurden gegenständlich unter den Bleifedern seiner Sekretäre. Acht junge Menschen glichen sich wie Brüder, die sie nicht waren. Obwohl sie wie Steinbilder saßen, an denen sich nur die schreibenden Finger der rechten Hand regten, schien jeder einzelne doch mit der schweißbedeckten Stirn und den offenstehenden Lippen eine Verkörperung der Atemlosigkeit zu sein.

Keiner hob den Kopf, als Freder eintrat. Auch sein Vater nicht.

Die Lampe unter dem dritten Lautsprecher glühte weiß-rot.

New York sprach.

Joh Fredersen verglich die Zahlen der Abendkurse mit den Tabellen, die vor ihm lagen. Einmal klang seine Stimme auf, schwingungslos: »Irrtum. Rückfrage.«

Der Erste Sekretär schrak zusammen, beugte sich tiefer, stand auf und entfernte sich auf unhörbaren Sohlen. Die linke Braue von Joh Fredersen hob sich etwas, als er dem Gehenden nachsah, nur so lange, als es ohne Kopfwendung möglich war.

Ein kleiner, knapper Bleistiftstrich fuhr durch einen Namen.

Das weiß-rote Licht glühte. Die Stimme sprach. Die Zahlen tropften in den großen Raum. In die Hirnschale von Metropolis.

Freder blieb unbeweglich neben der Tür stehen. Er war sich nicht klar darüber, ob sein Vater ihn nicht doch schon wahrgenommen hatte. Sooft er diesen Raum betrat, war er wieder ein Knabe von zehn Jahren und der Grundzug seines Wesens Unsicherheit – dieser großen, geschlossenen und allmächtigen Sicherheit gegenüber, die Joh Fredersen hieß und sein Vater war.

Der Erste Sekretär ging vorüber, stumm und ergeben grüßend. Er glich einem Kämpfer, der besiegt die Bahn verläßt. Das kalkige Gesicht des jungen Menschen stand einen Augenblick lang vor Freders Augen wie eine große Weißlack-Maske. Dann war es ausgelöscht.

Zahlen tropften in den Raum.

Ein Stuhl war leer. Auf sieben anderen saßen sieben und hetzten den Zahlen nach, die pausenlos aus dem Unsichtbaren sprangen.

Eine Lampe glühte weiß-rot.

New York sprach.

Eine Lampe strahlte auf: weiß-grün.

London begann zu sprechen.

Freder sah zu der Uhr hinauf, die, der Tür gegenüber, wie ein Riesenrad die ganze Wand beherrschte. Es war die gleiche Uhr, wie sie von der Höhe des Neuen Turms Babel, von Scheinwerfern gebadet, ihre Sekundenfunken über die große Metropolis verspritzte. Der Kopf Joh Fredersens ragte in sie hinein. Sie hing als ein zermalmender und doch ertragener Schein der Glorie über dem Hirn von Metropolis.

An den raumhohen, schmalen Fenstern vorüber tobten die Scheinwerfer im Delirium der Farbenschlacht. Lichtkaskaden schäumten gegen die Scheiben. Draußen, tief am Fuß des Neuen Turms Babel, kochte Metropolis. Aber in diesem Raum war kein Laut zu hören außer den unablässig tropfenden Zahlen.

Das Rotwangsche Verfahren hatte Mauern und Fenster schalldicht gemacht.

In diesem Raum, der zugleich unterjocht und gekrönt war von der gewalttätigen Zeitmesserin, der zahlenweisenden Uhr, hatte nichts Wichtigkeit außer Zahlen. Der Sohn des großen Herrn von Metropolis begriff, daß, solange die Zahlen aus dem Unsichtbaren tropften, ein Wort, das nicht Zahl war und aus sichtbarem Munde kam, keinen Anspruch auf Gehörtwerden hatte.

Darum stand er still und blickte unablässig auf den dunklen Schädel seines Vaters und sah, wie der ungeheure Zeiger der Uhr, unaufhaltsam vorwärtsschreitend, gleich einer Sichel, einer mähenden Sense, durch den Schädel seines Vaters ging und ihn doch nicht verletzte, sich wieder hinaufschob an der zahlenumbauschten Rundung, die Höhe überkroch und sich abermals senkte, um den vergeblichen Sensenschlag zu wiederholen.

Endlich erlosch das weiß-rote Licht. Eine Stimme verstummte.

Dann erlosch auch Weiß-Grün.

Stille.

Die Hände der Schreibenden stockten, und für die Dauer weniger Augenblicke saßen sie wie Gelähmte, erschlafft und ausgeschöpft. Dann sagte die Stimme Joh Fredersens mit einer trocknen Sanftheit: »Danke. Auf morgen.«

Und, ohne sich umzusehen: »Was willst du, mein Junge?«

Die sieben Fremden verließen den stumm gewordenen Raum. Freder trat neben seinen Vater; dessen Blick überspülten die Tabellen mit den aufgefangenen Zahlentropfen. Freders Augen hingen an der blauen Metallplatte, neben der rechten Hand seines Vaters.

»Woher wußtest du, daß ich da war?« fragte er leise.

Joh Fredersen sah ihn nicht an. Obwohl sein Gesicht mit der ersten Frage, die der Sohn an ihn richtete, einen Ausdruck von Geduld und Stolz gewonnen hatte, war ihm doch nichts von seiner Wachsamkeit verlorengegangen. Er blickte zu der Uhr auf. Seine Finger glitten über geschmeidige Tastsender des Tisches. Lautlos zuckten Befehle zu wartenden Menschen.

»Die Tür ging auf. Niemand wurde gemeldet. Es kommt niemand unangemeldet zu mir. Nur mein Sohn.«

Ein Licht unter Glas – eine Frage. Joh Fredersen ließ das Licht erlöschen. Der Erste Sekretär trat ein und neben den großen Herrn der großen Metropolis.

»Sie hatten recht. Es war ein Irrtum. Er ist berichtigt«, meldete er tonlos.

»Danke.« Kein Blick. Keine Handbewegung. »Die G-Bank ist angewiesen, Ihnen Ihr Gehalt auszuzahlen. Guten Abend.«

Der junge Mensch stand unbeweglich. Drei, vier, fünf, sechs Sekunden versprühten sich an der riesenhaften Zeitmesserin. In dem kalkigen Gesicht des jungen Menschen brannten zwei leere Augen und drückten das Brandmal ihrer Angst in Freders Blick.

Eine Schulter Joh Fredersens rührte sich träge.

»Guten Abend«, sagte der junge Mensch erwürgt.

Er ging.

»Warum hast du ihn entlassen, Vater?« fragte der Sohn.

»Ich konnte ihn nicht brauchen«, sagte Joh Fredersen, und noch immer hatte er den Sohn nicht angesehen.

»Warum nicht, Vater?«

»Ich kann Menschen nicht brauchen, die zusammenfahren, wenn man sie anspricht«, sagte der Herr über Metropolis.

»Vielleicht fühlte er sich krank … Vielleicht hatte er Kummer um jemand, den er lieb hat …«

»Möglich. Vielleicht auch war er noch betäubt von der zu langen Nacht in Yoshiwara … Hüte dich, Freder, Menschen, nur weil sie leiden, für gut, schuldlos und Opfer zu halten. Wer leidet, ist schuldig geworden; an sich – an andern.«

»Du leidest nicht, Vater?«

»Nein.«

»Du bist ganz schuldlos?«

»Die Zeit der Schuld und des Leidens liegt hinter mir, Freder.«

»Und wenn jetzt dieser Mensch … Ich habe es noch nie gesehen, aber ich glaube: so wie er gehen Menschen aus einem Raum, die entschlossen sind, ihrem Leben ein Ende zu machen …«

»Vielleicht.«

»Und wenn du morgen früh erführest, daß er tot sei, das würde dich gar nicht berühren?«

»Nein.«

Freder schwieg.

Die Hand seines Vaters glitt über einen Hebel, drückte ihn nieder. In allen Räumen, die der Hirnschale des Neuen Turms Babel vorgelagert waren, erloschen die weißen Lampen. Der Herr über Metropolis hatte der Ringwelt um sich her zu verstehen gegeben, daß er ohne zwingenden Grund nicht gestört sein wollte.

»Ich kann es nicht dulden«, fuhr er fort, »daß ein Mensch, der neben meiner rechten Hand in Gemeinschaft mit mir an Metropolis arbeitet, sich der einzigen Größe begibt, die er vor der Maschine voraus hat.«

»Und was ist das, Vater?«

»Arbeit als Lust zu empfinden«, sagte der Herr über Metropolis.

Freders Hand fuhr über sein Haar und blieb auf dem reinen Blond liegen. Er öffnete die Lippen, als ob er etwas sagen wollte; aber er blieb stumm.

»Meinst du«, fuhr Joh Fredersen fort, »ich brauchte die Bleifedern meiner Sekretäre, um amerikanische Börsenmeldungen zu kontrollieren? Die Schrifttabellen in den Übersee-Drommeten Rotwangs sind hundertmal zuverlässiger und schneller als Schreibergehirne und -hände. Aber an der Präzision der Maschine kann ich die Präzision der Menschen messen – am Atem der Maschine die Lunge der Menschen, die mit ihr um die Wette laufen.«

»Und der Mann, den du eben entlassen hast und der ein Gerichteter ist (denn von dir entlassen sein, Vater, das heißt: Hinunter! Hinunter!), der hat den Atem verloren, nicht wahr?«

»Ja.«

»Weil er ein Mensch und keine Maschine war …«

»Weil er sein Menschtum verleugnete vor der Maschine.«

Freder hob den Kopf und die sehr verstörten Augen.

»Nun kann ich dir nicht mehr folgen, Vater«, sagte er gequält.

In Joh Fredersens Gesicht vertiefte sich der Ausdruck der Geduld.

»Der Mann«, sagte er still, »war mein Erster Sekretär. Er bezog das achtfache Gehalt des letzten. Das war gleichbedeutend mit der Verpflichtung, das Achtfache zu leisten. Mir. Nicht sich. Morgen wird der Fünfte Sekretär an seiner Stelle sein. In einer Woche wird er vier der anderen überflüssig gemacht haben. Den Mann kann ich brauchen.«

»Weil er vier andere erspart …«

»Nein, Freder. Weil er die Arbeit von vier anderen als Lust empfindet. Weil er sich in die Arbeit verkrampft – lustvoll verkrampft wie in ein Weib.«

Freder schwieg. Joh Fredersen sah seinen Sohn an. Aufmerksam sah er ihn an.

»Du hast etwas erlebt?« fragte er.

Die Augen des Jungen, schön und traurig, glitten über ihn fort ins Leere. Wildes, weißes Licht [gischtete] gegen die Fenster und ließ im Erlöschen den Himmel über Metropolis als sammetschwarzes Tuch zurück.

»Ich habe nichts anderes erlebt«, sagte Freder stockend, »als daß ich glaube, zum erstenmal in meinem Leben das Wesen der Maschine begriffen zu haben …«

»Das würde sehr viel bedeuten«, entgegnete der Herr über Metropolis. »Aber wahrscheinlich bist du im Irrtum, Freder. Hättest du das Wesen der Maschine wirklich begriffen, dann wärest du nicht so verstört.«

Langsam wandte ihm der Sohn die Augen zu und die Hilflosigkeit seines Nichtbegreifens.

»Wie kann man anders als verstört sein«, sagte er, »wenn man, wie ich, den Weg zu dir durch die Maschinensäle nimmt, durch die herrlichen Säle deiner herrlichen Maschinen, und die Geschöpfe sieht, die an sie gekettet sind durch Gesetze ewiger Wachsamkeit, lidlose Augen …«

Er stockte, seine Lippen waren dürr wie Staub.

Joh Fredersen lehnte sich zurück. Er hatte den Blick nicht von dem Sohn gelassen und hielt ihn jetzt noch fest.

»Warum nahmst du den Weg zu mir durch die Maschinensäle?« fragte er ruhig. »Es ist weder der kürzeste noch der bequemste.«

»Ich wollte«, sagte sein Sohn, die Worte weither suchend, »einmal den Menschen in die Gesichter sehen, deren kleine Kinder meine Brüder, meine Schwestern sind.«

Er machte eine Bewegung, als wollte er die Worte, kaum ausgesprochen, in der Luft noch haschen und zurückholen. Aber sie waren gesprochen. Joh Fredersen rührte sich nicht. »Hm«, machte er mit sehr geschlossenem Munde. Eine Bleifeder, die er zwischen den Fingern hielt, klopfte sacht mit einem trockenen Klang zweimal, dreimal gegen die Tischkante. Joh Fredersens Augen wanderten von dem Sohn zu den zuckenden Blitzen der Sekunden an der Uhr, senkten sich wieder zu ihm.

»Und was hast du gefunden?« fragte er.

Sekunden der Stille. Dann war es, als würfe sich der Sohn, sein ganzes Ich entwurzelnd und losreißend, mit einer Gebärde sich völligen Preisgebens dem Vater hin, und er stand doch still, mit nur wenig gebeugtem Kopf, und sprach so leise, als ersticke jedes Wort zwischen seinen Lippen.

»Vater! Hilf den Menschen, die an deinen Maschinen leben!«

»Ich kann ihnen nicht helfen«, sagte das Hirn von Metropolis. »Niemand kann ihnen helfen. Sie sind, wo sie sein müssen. Sie sind, was sie sein müssen. Zu anderem und mehr sind sie untauglich.«

»Ich weiß nicht, wozu sie tauglich sind«, sagte Freder tonlos; der Kopf fiel ihm auf die Brust wie halb abgemäht. »Ich weiß nur, was ich sah – und daß es furchtbar anzusehen war. Ich ging durch Maschinensäle, die waren wie Tempel. Alle großen Götter wohnten in weißen Tempeln. Baal und Moloch sah ich und Huitzilopochtli und Durgha; manche furchtbar gesellig, manche grauenhaft einsam. Ich habe den Götterwagen von Dschaggernaut gesehen und die Türme des Schweigens, das Sichelschwert Mohammeds und die Kreuze von Golgatha. Und alles Maschinen, Maschinen, Maschinen, die, an ihre Postamente gebannt wie die Gottheiten an ihre Tempelthrone, von den Lagern her, auf denen sie lasteten, ihr gottähnliches Dasein lebten: augenlos, aber alles sehend, ohrenlos, aber alles hörend, ohne Sprache und ganz sich selber verkündender Mund, nicht Mann, nicht Weib und doch zeugend, empfangend, gebärend, leblos und doch die Luft ihrer Tempel erschütternd mit dem niemals ersterbenden Atem ihrer Lebendigkeit. Und neben den Gott-Maschinen die Sklaven der Gott-Maschinen: die Menschen, die wie gemalmt sind zwischen Maschinen-Geselltheit, Maschinen-Einsamkeit. Sie haben nicht Lasten zu schleppen: die Lasten schleppt die Maschine. Sie müssen nichts heben noch stemmen, es hebt und stemmt die Maschine. Sie haben nichts anderes zu tun als ewig das eine und gleiche, ein jeder an seinem Platz, ein jeder an seiner Maschine. Nach schmalen Sekunden gemessen immer den gleichen Griff auf die gleiche Sekunde, auf die gleiche Sekunde. Sie haben Augen, aber sie sind wie blind außer für eines: die Skalen der Manometer. Sie haben Ohren, aber sie sind wie taub außer für eines: das Sausen ihrer Maschine. Sie wachen und wachen und haben kein Denken mehr außer dem einen: Wenn ihre Wachsamkeit nachläßt, wacht die Maschine auf aus dem geheuchelten Schlaf und fängt zu rasen an und rast sich selber in Stücke. Und die Maschine, die nicht Kopf noch Hirn hat, saugt und saugt mit der Spannung der Wachsamkeit – ewiger Wachsamkeit – das Hirn ihres Wächters aus dem gelähmten Schädel und läßt nicht nach und saugt und läßt nicht nach, bis an dem ausgesaugten Schädel ein Wesen hängt – nicht Mensch mehr und noch nicht Maschine, leergepumpt, ausgehöhlt, verbraucht. Und die Maschine, die das Rückenmark und Hirn des Menschen geschlürft und aufgefressen hat, die ihm die Schädelhöhle ausgewischt hat mit der langen, weichen Zunge ihres langen, weichen Sausens, die Maschine gleißt in ihrem Sammetsilberglanz, mit Salböl überschüttet, schön und unfehlbar – Baal und Moloch, Huitzilopochtli und Durgha. Und du, Vater, du legst den Fingerdruck auf die kleine, blaue Metallplatte neben deiner rechten Hand, und deine große, herrliche, fürchterliche Stadt Metropolis brüllt auf und verkündet, daß sie Hunger hat nach neuem Menschenmark und Menschenhirn, und das lebendige Futter wälzt sich wie ein Strom in die Maschinensäle, die Tempeln gleichen, und die Verbrauchten werden ausgespien …«

Die Stimme versagte ihm. Er schlug die Knöchel der Hände hart gegeneinander und sah seinen Vater an. »Und sind doch Menschen, Vater!«

»Leider. Ja.«

Die Stimme des Vaters klang an das Ohr des Sohnes, als spräche sie hinter sieben verschlossenen Türen.

»Daß sich die Menschen an den Maschinen so rasch verbrauchen, Freder, ist kein Beweis für die Gefräßigkeit der Maschinen, sondern für die Mangelhaftigkeit des Menschenmaterials. Menschen sind Zufallsprodukte, Freder. Ein-für-allemal-Wesen. Wenn sie einen Gußfehler haben, kann man sie nicht in den Schmelzofen zurückschicken. Man ist gezwungen, sie zu verbrauchen, wie sie sind. Wobei es statistisch erwiesen ist, daß die Leistungsfähigkeit der ungeistigen Arbeiter von Monat zu Monat geringer wird …«

Freder lachte. Das Lachen kam so trocken, so verdorrt aus seinem Munde, daß Joh Fredersen mit einem Ruck den Kopf hob und den Sohn aus schmalen Lidern betrachtete. Langsam schob sich seine Braue hoch.

»Fürchtest du nicht, Vater – gesetzt den Fall, daß die Statistik recht hat und der Verschleiß an Menschen immer eiliger fortschreitet –, daß eines schönen Tages kein Futter mehr da ist für die menschenfressenden Gott-Maschinen und daß der Moloch aus Glas, Gummi und Stahl, die Durgha aus Aluminium mit den Platin-Venen jämmerlich verhungern müssen?«

»Der Fall ist denkbar«, sagte das Hirn von Metropolis.

»Und was dann?«

»Dann«, sagte das Hirn von Metropolis, »muß man bereits Ersatz für den Menschen geschaffen haben.«

»Den verbesserten Menschen, nicht wahr? Den Maschinenmenschen?«

»Vielleicht«, sagte das Hirn von Metropolis.

Freder strich sich das feuchte Haar aus der Stirn. Er beugte sich vor, daß sein Atem den Vater berührte.

»Dann laß dir nur eines sagen, Vater«, raunte er; blau züngelten ihm die Adern über die Schläfen. »Dann sorge dafür, daß die Maschinenmenschen keinen Kopf bekommen, oder wenigstens kein Gesicht. Oder gib ihnen ein Gesicht, das immer lächelt. Oder Hanswurst-Gesichter. Oder geschlossene Visiere. Daß man sich nicht entsetzt, wenn man sie ansieht! Denn als ich heute durch die Maschinensäle ging, da sah ich die Männer, die deine Maschinen bewachten. Und sie kennen mich doch, und ich grüßte sie, einen nach dem anderen. Aber nicht einer gab mir den Gruß zurück. Allzu eifrig waren die Maschinen dabei, ihre Nervenstränge aufzuhaspeln. Und als ich sie ansah, Vater, ganz nahe – so nahe, wie ich dich jetzt sehe –, da sah ich mir selber ins eigene Gesicht. Jeder einzelne Mensch, Vater, der an deinen Maschinen front, hat mein Gesicht – hat das Gesicht deines Sohnes …«

»Dann auch das meine, Freder, denn wir sehen uns ähnlich«, sagte der Herr über die große Metropolis. Er sah auf die Uhr und streckte die Hand aus. In allen Räumen, die der Hirnschale des Neuen Turms Babel vorgelagert waren, flammten die weißen Lampen auf.

»Und dir graut nicht davor«, fragte der Sohn, »so viele Schatten, so viele Gespenster deiner selbst am Werk deines Werkes zu wissen?«

»Die Zeit des Grauens liegt hinter mir, Freder.«

Da wandte sich Freder um und ging, wie ein blinder Mensch mit tappender Hand zuerst die Tür verfehlend, endlich findend. Sie tat sich vor ihm auf, und er ging hinaus. Sie tat sich hinter ihm zu, und er stand still, in einem Raum, der ihm fremd und eisig erschien.

Aus Stühlen, auf denen sie wartend gesessen hatten, erhoben sich Gestalten, verbeugten sich tief vor dem Sohn Joh Fredersens, Herrn über Metropolis.

Freder erkannte nur einen; das war der Schmale.

Er dankte den Grüßenden und stand noch immer, unweit der Tür, und schien den Weg nicht zu wissen. In seinem Rücken drückte sich schmal der Schmale zu Joh Fredersen, der ihn befohlen hatte.

Der Herr über Metropolis stand am Fenster, der Tür den Rücken kehrend.

»Warten!« sagte der dunkle, breiteckige Rücken.

Der Schmale regte sich nicht. Unhörbar ging sein Atem. Mit gesenkten Lidern schien er im Stehen zu schlafen. Aber sein Mund mit der unerhörten Anspannung der Muskeln machte ihn zur Verkörperung des Lauschens.

Joh Fredersen ließ seine Augen über die große Metropolis gehen, die ein ruhelos brausendes Meer war mit einer Brandung von Licht. Unter dem Zucken und Wogen, dem Sturze der Licht-Niagaras, unter dem Farbenspiel um sich selbst geschwungener Türme aus Glast und Glanz schien die große Metropolis durchsichtig geworden zu sein. In Kegel und Würfel zerlegt von den mähenden Sensen der Scheinwerfer, glühten die Häuser, schwebend getürmt, und Licht floß an ihren Flanken hinab wie Regen. Die Straßen leckten das glühende Leuchten auf und leuchteten selbst, und was auf ihnen hinglitt in unablässigem Strom, warf Lichtkegel vor sich her.

Nur der Dom, der die sternengekrönte Jungfrau auf seiner Turmspitze trug, lag breit in die Stadt hineingelagert, als läge ein schwarzer Riese in magischem Schlaf.

Joh Fredersen drehte sich langsam um. Er sah den Schmalen an der Tür stehen. Der Schmale grüßte. Joh Fredersen kam auf ihn zu. Die ganze Weite des Raumes durchmaß er schweigend; langsam ging er, bis er den Mann erreichte. Vor ihm stehend, sah er ihn an, als schäle er mit dem Blick dem Mann das Körperliche herunter vom innersten Innern.

Der Schmale hielt dem schälenden Blicke stand.

Joh Fredersen sagte, ziemlich leise sprechend: »Von jetzt an wünsche ich, über die Wege meines Sohnes genau unterrichtet zu werden.«

Der Schmale verbeugte sich, wartete, grüßte und ging.

Aber er fand den Sohn seines großen Herrn nicht mehr, wo er ihn verlassen hatte. Und es war ihm auch nicht bestimmt, ihn wiederzufinden.


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