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»Wo ist Georgi?« fragte Freder und ließ die Augen durch die drei Zimmer von Josaphat gleiten, die sich schön, mit etwas verwirrender Überfülle von Sesseln, Diwanen und Seidenkissen, mit Vorhängen, die das Licht goldig verdunkelten, vor ihm ausbreiteten.
»Wer?« fragte Josaphat unaufmerksam. Er hatte gewartet und nicht geschlafen, und die Augen standen ihm übergroß in dem mageren, fast weißen Gesicht. Seine Blicke, die nicht von Freder ließen, waren wie Hände, die sich erheben und anbeten.
»Georgi«, wiederholte Freder. Er lächelte glücklich mit seinem müden Mund.
»Wer ist das?« fragte Josaphat.
»Ich habe ihn zu Ihnen geschickt.«
»Es ist niemand gekommen.«
Freder sah ihn an, ohne zu antworten.
»Ich habe die ganze Nacht in diesem Stuhl gesessen«, fuhr Josaphat fort, das Schweigen Freders mißverstehend. »Ich habe nicht einen Augenblick lang geschlafen. Ich erwartete jede Sekunde, daß Sie kämen, oder daß ein Bote von Ihnen käme, oder daß Sie mich anrufen würden. Ich hatte auch die Wächter verständigt. Es ist niemand gekommen, Herr Freder.«
Freder schwieg noch immer. Langsam, beinahe stolpernd, trat er über die Schwelle in das Zimmer hinein, fuhr sich mit der rechten Hand nach dem Kopf, als wollte er den Hut abnehmen, und merkte, daß er die Kappe trug, die schwarze Kappe, die straff das Haar umspannte. Er streifte sie sich vom Kopf; sie fiel zu Boden. Seine Hand sank von der Stirn auf die Augen und blieb dort eine kleine Weile liegen. Dann gesellte sich die andere zu ihr, als wollte sie die Schwester trösten. Seine Gestalt glich einem jungen Baum, den ein starker Wind seitwärts drückt.
Josaphats Augen hingen an der Tracht, die Freder trug.
»Herr Freder«, begann er vorsichtig, »wie kommen Sie in diese Kleidung?«
Freder blieb von ihm abgewandt stehen. Er nahm die Hände von den Augen und drückte sie in sein Genick, als spüre er dort einen Schmerz.
»Georgi trug sie«, antwortete er. »Ich gab ihm meine.«
»Georgi ist also ein Arbeiter?«
»Ja. Ich fand ihn vor der Paternoster-Maschine. Ich nahm seinen Platz ein und schickte ihn zu Ihnen.«
»Vielleicht kommt er noch«, antwortete Josaphat.
Freder schüttelte den Kopf.
»Er müßte schon seit vielen Stunden hier sein. Hätte man ihn entdeckt, als er den Neuen Turm Babel verließ, dann wäre man auch zu mir gekommen, als ich vor der Maschine stand. Es ist sonderbar zu denken, doch man muß damit fertigwerden: Er ist nicht gekommen.«
»War viel Geld in dem Anzug, den Sie mit Georgi tauschten?« fragte Josaphat vorsichtig, wie man eine wunde Stelle entblößt.
»Dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß Georgi nicht gekommen ist«, meinte Josaphat. Aber der Ausdruck der Scham und des Gequältseins in Freders Gesicht ließ ihn nicht weitersprechen.
»Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Freder?« fragte er. »Oder sich niederlegen? Sie sehen so müde aus, daß es einem weh tut, Sie anzusehen.«
»Ich habe keine Zeit, mich niederzulegen, und habe auch keine Zeit, mich hinzusetzen«, antwortete Freder. Er ging durch das Zimmer, ziellos, sinnlos, stehenbleibend, wo ein Sessel, ein Tisch ihm Halt gebot. »Die Sache liegt so, Josaphat: Ich habe Georgi gesagt, daß er hierher gehen soll und hier auf mich warten – oder auf eine Botschaft von mir. Es ist tausend gegen eins zu wetten, daß der Schmale auf der Suche nach mir jetzt schon auf der Spur Georgis liegt, und es ist tausend gegen eins zu wetten, daß er aus ihm herausbekommt, wohin ich ihn bestellt habe.«
»Und Sie wollen nicht, daß der Schmale Sie findet?«
»Er darf mich nicht finden, Josaphat, um keinen Preis der Welt.«
Der andere schwieg, etwas ratlos. Freder sah ihn mit einem zitternden Lächeln an.
»Wie werden wir uns nun Geld verschaffen, Josaphat?«
»Das dürfte für den Sohn Joh Fredersens keine Schwierigkeiten haben.«
»Mehr als Sie glauben, Josaphat, denn ich bin nicht mehr Joh Fredersens Sohn.«
Josaphat hob den Kopf.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er nach einer Pause.
»Es ist gar nicht mißzuverstehen, Josaphat. Ich habe mich von meinem Vater gelöst und gehe meinen eigenen Weg.«
Der Mann, der Erster Sekretär des Herrn über die große Metropolis gewesen war, hielt den Atem in den Lungen zurück und gab ihn strömend frei.
»Darf ich Ihnen etwas sagen, Herr Freder?«
»Nun?«
»Von seinem Vater löst man sich nicht los. Er ist es, der bestimmt, ob man bei ihm bleibt oder von ihm fort muß. Es gibt keinen Menschen, der stärker wäre als Joh Fredersen. Er ist wie die Erde. Wir haben der Erde gegenüber auch keinen Willen. Ihre Gesetze halten uns ewig senkrecht zum Nabel der Erde, auch wenn wir uns auf den Kopf stellen. Wenn Joh Fredersen seinen Menschen losläßt, so bedeutet das ebensoviel, als wenn die Erde einem Menschen ihre Anziehungskraft entzöge. Es bedeutet, ins Nichts zu fallen. Joh Fredersen mag loslassen, wen er will; seinen Sohn läßt er nicht los.«
»Wie aber nun«, antwortete Freder und sprach wie im Fieber, »wenn ein Mensch die Gesetze der Erde überwindet?«
»Utopie, Herr Freder.«
»Es gibt für den Erfindungsgeist des Menschen keine Utopie; es gibt nur ein Noch-nicht. Ich bin entschlossen, den Weg zu wagen. Ich muß ihn gehen, ja, ich muß ihn gehen! Ich kenne den Weg noch nicht, aber ich werde ihn finden, weil ich ihn finden muß.«
»Wohin Sie wollen, Herr Freder, gehe ich mit Ihnen.«
»Danke!« sagte Freder und streckte die Hand aus. Er fühlte sie ergriffen und mit schraubendem Druck umklammert.
»Das wissen Sie, Herr Freder, nicht wahr«, sagte Josaphats erstickte Stimme, »daß Ihnen alles gehört, alles, was ich bin und habe. Es ist nicht viel, denn ich habe wie ein Verrückter gelebt. Aber für heute und morgen und übermorgen …«
Freder schüttelte den Kopf, ohne die Hand Josaphats loszulassen.
»Nein, nein!« sagte er, eine Sturzflut von Rot im Gesicht. »So fängt man neue Wege nicht an. Wir müssen schon andere Mittel suchen. Es wird nicht leicht sein. Der Schmale versteht sein Geschäft.«
»Vielleicht wäre der Schmale für Sie zu gewinnen«, meinte Josaphat zögernd. »Denn, so sonderbar es klingen mag: Er liebt Sie.«
»Der Schmale liebt alle seine Opfer. Was ihn nicht hindert, als der rücksichtsvollste und zärtlichste Henker sie meinem Vater vor die Füße zu legen. Er ist das geborene Werkzeug, aber das Werkzeug des Stärksten. Er würde sich nie zum Werkzeug des Schwächeren machen, weil er sich selbst damit erniedrigte. Und Sie haben mir eben gesagt, Josaphat, um wieviel mein Vater stärker ist als ich.«
»Wenn Sie sich nun einem Ihrer Freunde anvertrauen?«
»Ich habe keine Freunde, Josaphat.«
Josaphat wollte widersprechen, aber er schwieg. Freder wandte ihm die Augen zu. Er richtete sich auf und lächelte, noch immer die Hand des anderen in der seinen.
»Ich habe keine Freunde, Josaphat, und, was schwerer wiegt, ich habe keinen Freund. Ich hatte Spielkameraden, Spaßkameraden … Aber Freunde? Einen Freund? Nein, Josaphat! Kann man sich einem Menschen anvertrauen, von dem man nichts weiß, als wie sein Lachen klingt?«
Er sah die Augen des anderen auf sich gerichtet und erkannte die Inbrunst darin und den Schmerz und die Wahrheit.
»Ja«, sagte er mit einem gehetzten Lächeln, »dir möchte ich mich wohl anvertrauen. Ich muß mich dir anvertrauen, Josaphat. Ich muß ›du‹ zu dir sagen und ›Freund‹ und ›Bruder‹, weil ich einen Menschen brauche, der mit mir geht in Glauben und Zuversicht bis an der Welt Ende. Willst du der Mensch sein?«
»Ja.«
»Ja?« Er kam auf ihn zu und legte die Hände auf seine Schultern. Er sah ihm ganz nah ins Gesicht. Er rüttelte ihn. »Du sagst ja, aber weißt du, was das heißt – für dich und für mich? Was für ein letztes Senkblei-Werfen das ist, was für ein Verankern? Ich kenne dich kaum, ich wollte dir helfen – ich kann dir nicht einmal mehr helfen, weil ich in dieser Stunde ärmer bin als du – aber vielleicht ist das ganz gut. Den Sohn Joh Fredersens kann man vielleicht verraten, aber mich, Josaphat? Einen Menschen, der nichts hat als einen Willen und ein Ziel? Den zu verraten kann sich nicht lohnen, wie, Josaphat?«
»Gott soll mich erschlagen, wie man einen räudigen Hund erschlägt …«
»Es ist gut, es ist gut …« Freders Lächeln kam wieder und stand ihm klar und schön im müden Gesicht. »Ich gehe nun, Josaphat. Ich will zur Mutter meines Vaters gehen, um ihr etwas zu bringen, das mir sehr heilig ist. Ich bin vor Abend wieder da. Werde ich dich dann hier finden?«
»Ja, Herr Freder, ganz gewiß!«
Sie reichten sich die Hände. Hand hielt Hand umklammert. Sie sahen sich an. Blick hielt Blick umklammert. Dann lösten sie sich stumm, und Freder ging.
Eine kleine Weile später – Josaphat stand noch auf demselben Fleck, auf dem Freder ihn verlassen hatte –, klopfte es an die Tür.
Obwohl das Klopfen sanft war, so bescheiden wie das Klopfen eines Bittenden, war doch etwas in ihm, das einen Schauder über den Rücken Josaphats jagte. Er stand still und blickte gegen die Tür, unfähig ›Herein‹ zu rufen oder selbst zu öffnen.
Das Klopfen wiederholte sich und wurde um nichts lauter. Es kam zum dritten Male und war noch immer ebenso sanft. Aber gerade das verstärkte den Eindruck seiner Unentrinnbarkeit und daß es zwecklos sein würde, sich auf die Dauer taub zu stellen.
»Wer ist da?« fragte Josaphat heiser. Er wußte ganz genau, wer da draußen stand. Er fragte nur, um Zeit zu gewinnen, um Atem zu holen, was er sehr nötig hatte. Er erwartete keine Antwort und bekam sie auch nicht.
Die Tür ging auf.
In der Tür stand der Schmale.
Sie grüßten einander nicht; keiner grüßte. Josaphat: weil ihm der Schlund zu trocken war; der Schmale: weil seine Greifaugen in der Sekunde, da er auf die Schwelle trat, das Zimmer durchflogen und etwas gefunden hatten: eine schwarze Kappe, die am Boden lag.
Josaphat folgte dem Blick des Schmalen mit den Augen. Er regte sich nicht. Mit stillen Schritten ging der Schmale auf die Kappe zu, beugte sich und hob sie auf. Er drehte sie sacht hin und her, drehte sie um.
Im schweißgetränkten Futter der Kappe stand die Zahl: 11 811.
Der Schmale wog die Mütze in fast zärtlichen Händen. Er richtete die wie von Müdigkeit verschleierten Augen auf Josaphat und fragte, nur halblaut sprechend: »Wo ist Freder, Josaphat?«
»Ich weiß es nicht.«
Der Schmale lächelte schläfrig. Er streichelte die schwarze Kappe. Josaphats heisere Stimme fuhr fort: »Aber wenn ich es wüßte, so würden Sie es nicht aus mir herausbekommen …«
Der Schmale sah Josaphat an, noch immer lächelnd, noch immer die schwarze Kappe streichelnd.
»Sie haben recht«, sagte er höflich. »Verzeihen Sie! Es war eine müßige Frage. Natürlich werden Sie mir nicht sagen, wo Herr Freder ist. Das ist auch gar nicht nötig. Es handelt sich um etwas ganz anderes.«
Er steckte die Kappe ein, sie sorglich zusammenrollend, und sah sich im Zimmer um. Er ging auf einen Sessel zu, der an einem schwarzblanken, niedrigen Tische stand.
»Sie erlauben?« sagte er höflich, indem er sich setzte.
Josaphat machte eine Kopfbewegung; aber das »Bitte!« verdorrte ihm in der Kehle. Er rührte sich nicht vom Fleck.
»Sie wohnen schön hier«, sagte der Schmale, sich zurücklehnend und mit weiter Kopfbewegung die Räume überschauend. »Alles ist auf Weichheit und Halbdunkel gestimmt. Die Atmosphäre über diesen Kissen ist ein lauer Duft. Ich kann es begreifen, daß es Ihnen schwerfallen wird, diese Wohnung aufzugeben.«
»Ich habe auch gar nicht die Absicht«, sagte Josaphat. Er schluckte.
Der Schmale drückte die Lider zu, als wollte er schlafen.
»Nein, noch nicht. Aber bald.«
»Ich denke ja gar nicht daran«, antwortete Josaphat. Seine Augen röteten sich, und er sah den Schmalen mit Blicken an, in denen der Haß schwelte.
»Nein, noch nicht. Aber bald.«
Josaphat stand ganz still; doch plötzlich schlug er mit der Faust durch die Luft, als tobe er gegen eine unsichtbare Tür.
»Was wollen Sie eigentlich?« fragte er keuchend. »Was soll das heißen?«
Es hatte zunächst den Anschein, als hätte der Schmale das Fragen nicht gehört. Schläfrig, mit geschlossenen Lidern, saß er da und atmete unhörbar. Aber als das Leder einer Sessellehne unter dem Griff Josaphats kreischte, sagte der Schmale sehr langsam, aber sehr klar: »Ich will von Ihnen den Preis dafür wissen, daß Sie diese Wohnung aufgeben, Josaphat.«
»Wann?«
»Sofort.«
»Was heißt das: sofort?«
Der Schmale schlug die Augen auf, sie waren kalt und blank wie Kiesel in einem Bach.
»Sofort heißt: binnen einer Stunde. Sofort heißt: lange vor heute abend.«
Über den Rücken Josaphats ging ein Zittern. Langsam zogen sich die Hände an seinen hängenden Armen zu Fäusten zusammen.
»Gehen Sie, Herr …« sagte er lautlos. »Machen Sie, daß Sie hinauskommen! Augenblicklich! Sofort!«
»Die Wohnung ist schön«, sagte der Schmale. »Sie geben sie ungern her. Sie hat Liebhaberwert. Auch bleibt Ihnen nicht genügend Zeit, große Koffer zu packen. Sie können nur mitnehmen, was Sie in vierundzwanzig Stunden brauchen. Die Reise, Neuanschaffungen, Aufenthalt eines Jahres – das alles im Preis einbezogen: Was kostet Ihre Wohnung, Josaphat?«
»Ich werde Sie auf die Straße schmeißen«, stammelte Josaphats fiebernder Mund. »Ich werde Sie sieben Stockwerke tief auf die Straße hinunterschmeißen, durchs Fenster, Herr! Durch das geschlossene Fenster, wenn Sie nicht augenblicklich machen, daß Sie hinauskommen …«
»Sie lieben eine Frau. Die Frau liebt Sie nicht. Frauen, die nicht lieben, sind kostspielig. Sie wollen diese Frau kaufen. Gut. Das verdreifacht den Preis der Wohnung. Das Leben an der Adria, in Rom, auf Teneriffa, auf einem schönen Schiff rund um die Erde – mit einer Frau, die täglich neu gekauft sein will … Begreiflich, Josaphat, daß Wohnung teuer wird. Aber, um die Wahrheit zu sagen, ich muß sie haben, also muß ich sie bezahlen.«
Er griff in die Tasche und holte ein Bündel Banknoten heraus. Er schob es Josaphat hin, über den schwarzblanken, spiegelnden Tisch. Josaphat krallte danach, daß seine Nägel Spuren auf der Tischplatte hinterließen, und warf es dem Schmalen nach dem Gesicht. Der fing es ab, mit einer ganz kleinen, gedankenschnellen Bewegung, und legte es sacht auf den Tisch zurück. Er legte ein zweites daneben.
»Genügt das?« fragte er schläfrig.
»Nein!« schrie Josaphat.
»Vernünftig!« sagte der Schmale. »Sehr vernünftig! Warum sollen Sie Ihren Vorteil nicht ausnützen? Eine Gelegenheit wie diese, Ihr ganzes Leben um hundert Stufen zu erhöhen, unabhängig, glücklich, frei zu werden, die Erfüllung aller Wünsche, die Befriedigung jeder Laune – der eigenen und einer schönen Frau – vor sich zu haben, bietet sich Ihnen im Leben nur einmal und niemals wieder. Greifen Sie zu, Josaphat, wenn Sie kein Narr sind! Im Vertrauen gesagt: Die schöne Frau, von der wir vorhin sprachen, ist schon verständigt und erwartet Sie neben dem Flugzeug, das bereitsteht … Dreifachen Preis, Josaphat, wenn Sie die schöne Frau nicht warten lassen!«
Er legte das dritte Paket mit Banknoten auf den Tisch. Er sah Josaphat an. Josaphats gerötete Augen fraßen sich in die seinen. Josaphats Hände faßten blind zutappend nach den drei braunen Bündeln. Die Zähne standen weiß unter seinen Lippen, während seine Finger die Scheine zerfetzten, als bissen sie sie zu Tode.
Der Schmale schüttelte den Kopf. »Das tut nichts«, sagte er friedlich. »Ich habe hier ein Bankbuch, das auf etlichen Blättern die Blanko-Unterschrift Joh Fredersens trägt. Wir setzen eine Summe auf dieses erste Blatt, eine Summe, die das Doppelte des bisherigen Betrages ausmacht. Nun, Josaphat?«
»Ich will nicht!« sagte der andere, von Kopf bis Fuß geschüttelt.
Der Schmale lächelte.
»Nein«, sagte er. »Noch nicht. Aber bald.«
Josaphat antwortete nicht. Er stierte auf das weiße, bedruckte und beschriebene Blatt Papier, das vor ihm auf dem schwarzblanken Tisch lag. Er sah nicht die Zahl, die darauf stand. Er sah nur den Namen, der darauf stand: Joh Fredersen. Wie mit der Schneide einer Axt geschrieben …
Josaphat drehte den Kopf hin und her, als spüre er die Schneide dieser Art im Genick.
»Noch nicht genug?« fragte der Schmale.
Josaphats Kopf fiel zur Seite. Der Schweiß lief über seine Schläfen.
»Doch!« sagte er lallend. »Doch! Es ist genug.«
Der Schmale erhob sich. Etwas glitt von seinen Knien herunter, das er mit den Banknotenbündeln aus der Tasche gezogen hatte, ohne es zu merken. Josaphats Augen fielen darauf.
Es war eine schwarze Kappe, wie sie die Arbeiter in den Werken Joh Fredersens trugen.
Josaphat heulte auf. Er warf sich auf beide Knie. Er griff mit beiden Händen nach der schwarzen Kappe. Er riß sie an seinen Mund. Er stierte den Schmalen an. Er schnellte sich auf. Er sprang wie ein Hirsch vor der Meute, um die Tür zu gewinnen.
Aber der Schmale kam ihm dennoch zuvor. Mit weitem Satz flog er über den Tisch, den Diwan, prallte gegen die Tür, stand vor Josaphat. Für den Bruchteil eines Augenzwinkerns starrten sie sich in die Gesichter. Dann fuhren Josaphats Hände dem Schmalen an die Gurgel. Der Schmale senkte den Kopf. Er warf die Arme vor wie Fangarme eines Polypen. Sie hielten sich gepackt und rangen miteinander, glühend und eiskalt, rasend und überlegen, zähnekirschend und lautlos, Brust an Brust.
Sie rissen sich los und stürmten gegeneinander. Sie stürzten und rangen, sich über den Boden wälzend. Josaphat zwang seinen Gegner unter sich. Sie stemmten sich kämpfend aneinander hoch. Sie stolperten und rollten über Sessel und Diwan. Der schöne Raum, in Wüstheit verwandelt, erschien zu klein für die beiden verflochtenen Körper, die sich wie Fische schnellten, wie Stiere stampften, wie kämpfende Bären nacheinander schlugen.
Aber der unerschütterlichen, grausigen Kälte des Schmalen hielt der weißglühende Wahnsinn seines Gegners nicht stand. Plötzlich, als hätte ihm einer die Kniegelenke durchschlagen, sackte Josaphat unter den Händen des Schmalen zusammen, fiel in die Knie und lag, mit glasigen Augen nach oben starrend, da.
Der Schmale löste die Hände. Er sah auf ihn nieder.
»Genug jetzt?« fragte er und lächelte schläfrig.
Josaphat gab keine Antwort. Er bewegte die rechte Hand. In aller Wut des Kampfes hatte er doch die schwarze Kappe nicht losgelassen, die Freder getragen hatte, als er zu ihm kam.
Er hob die Kappe mühsam auf seinen Schoß, als sei sie ein Zentnergewicht. Er drehte sie zwischen den Fingern. Er streichelte sie.
»Kommen Sie, Josaphat, stehen Sie auf!« sagte der Schmale. Er sprach sehr ernst und sanft und ein wenig traurig. »Darf ich Ihnen helfen? Geben Sie mir die Hände! Nein, nein, ich nehme Ihnen die Kappe nicht weg. Ich glaube, ich habe Ihnen sehr weh tun müssen. Das ist nicht gern geschehen. Aber Sie haben mich dazu gezwungen.«
Er ließ den nun Aufrechtstehenden los und sah sich mit trübem Lächeln um.
»Gut, daß wir uns vorher über den Preis geeinigt hatten«, meinte er. »Jetzt wäre die Wohnung erheblich billiger.«
Er seufzte ein wenig und blickte Josaphat an.
»Wann sind Sie bereit zum Gehen?«
»Jetzt«, sagte Josaphat.
»Sie nehmen nichts mit?«
»Nein.«
»Sie wollen gehen, so wie Sie sind – mit allen Spuren des Kampfes, zerfetzt und zerrissen?«
»Ja.«
»Ist das höflich gegen die Frau, die auf Sie wartet?«
In Josaphats Augen kam der Blick zurück. Mit roten Augen starrte er auf den Schmalen.
»Wenn Sie nicht wollen, daß ich an der Frau den Mord begehe, der mir an Ihnen nicht geglückt ist, dann schicken Sie sie weg, bevor ich komme«, sagte er lautlos.
Der Schmale schwieg. Er wandte sich zum Gehen. Er nahm den Bankschein, faltete ihn zusammen und steckte ihn in Josaphats Tasche.
Josaphat leistete keinen Widerstand.
Er ging vor dem Schmalen her zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen und sah sich um.
Er schwenkte die Mütze, die Freder getragen hatte, zum Abschied gegen das Zimmer und brach in ein Gelächter aus, das kein Ende nehmen wollte. Er schlug mit der Schulter gegen den Türpfosten …
Dann ging er hinaus. Der Schmale folgte ihm.