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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die Heimkehr.

Freude und Jubel herrschte in Hohenstein; denn wie überall in deutschen Landen, so bereitete man sich auch hier zum festlichen Empfange der Sieger vor. Ehrenpforten waren errichtet; die Straßen prangten im Schmucke der Fahnen und Laubgewinde; die städtischen Behörden in ihrer Amtstracht, weißgekleidete Ehrenjungfrauen, die Schuljugend mit ihren Lehrern, die Handwerksgilden, die gesamte Bürgerschaft war bereit, ein jeder an der ihm zugewiesenen Stelle, die Heimkehrenden zu begrüßen und ihnen den Dank, mit dem man ihre Anstrengung anerkannte, zu beweisen. Alles war schön und festlich geordnet, und es fehlte auch nicht an gutem Willen, den aufgestellten Plan zu befolgen, aber es waren ja die Kinder der Stadt, die so feierlich begrüßt werden sollten, und so gern man die streitbaren Helden in ihnen ehrte, man erblickte doch noch mehr die Söhne, die Brüder, die Gatten in ihnen, und die Herzen klopften so laut, die Sehnsucht drängte so ungestüm, daß man kaum dem Verlangen widerstehen konnte, ihnen so weit wie möglich entgegen zu eilen und die feierliche Begrüßung ganz beiseite zu lassen.

Jetzt kamen sie in Sicht. Der Türmer verkündete den großen Moment durch einen Stoß in sein Horn, die Glocken begannen zu läuten, die auf dem Rathausturme aufgestellten Musikanten hielten ihre Instrumente fertig, um: »Heil dir im Siegerkranz« anzustimmen, die jungen Mädchen, an deren Spitze Lottchen stand, die in dem schweren Jahr zur Jungfrau herangereift war, hielten die Lorbeerkränze für die Einziehenden bereit, und ein freudiges Wogen und Brausen ging durch die versammelte Menge. Da kamen sie!

Plötzlich rief eine helle Kinderstimme: »Da ist der Vater!« und ein blondes Flachsköpfchen lief von der Mutter fort dem bärtigen Vater zu, der es jauchzend in die Höhe hob und immer von neuem küßte. Damit war der Bann gebrochen; dort hing eine Frau am Halse des Gatten, da lag die Mutter an des Sohnes Brust; selbst Minchen, die sonst schüchtern errötete, wenn sie von ihrem Schatze sprach, marschierte jetzt an seinem Arme in Reih und Glied, als müßte es so sein. Die beiden jungen Offiziere, jeder mit dem eisernen Kreuz geschmückt, waren längst vom Pferde gesprungen, und der Oberbürgermeister und Meister Fisch, jetzt Vorsteher der Stadtverordneten, standen vor ihnen und weinten und lachten, als wären sie nicht die ehrsamen Väter von Stadt und Bürgerschaft, bis auch Frau Fisch sich hervordrängte.

»Wo ist Fritz?« rief sie mitten in der freudigen Begrüßung voll Schrecken aus.

»Ängstigen Sie sich nicht, Frau Nachbarin,« beruhigte sie Walter, »er ist durch einen Schuß ins Bein etwas lahm geworden und kommt auf dem Bagagewagen nach.«

»Mein lieber, teurer Pate,« sagte Georg, den Altgesellen umarmend, »wie oft habe ich an Euch gedacht!«

»Na, also ein Herr Leutnant,« sagte dieser schmunzelnd und drehte den Liebling rings herum; »die Ehre hätte ich mir am Tauftage nicht träumen lassen! Und die furchtbaren Narben dazu!«

»Wie schön bist du geworden, liebes Lottchen,« sagte Walter mit freudigem Stolz; »ganz wie die Mutter siehst du aus.«

Georg sprach nicht, aber sein Blick hing mit Bewunderung an dem errötenden Mädchen, das ihm ihren Kranz überreichte.

»Wäre nur unser Karl dabei!« seufzte Frau Fisch.

»Er ist über alle irdische Freude erhaben,« antwortete ihr Mann leise, »und unser Schmerz über ihn ist ohne Stachel.«

Unterdes hatten sich die hochgehenden Wogen der Erregung einigermaßen beruhigt, der Oberbürgermeister hatte sich längst gefaßt und bemühte sich, die Ordnung wieder eintreten zu lassen, der Oberst stellte durch sein Kommando die Disziplin wieder her, die Zuschauer wichen zurück, und die Truppen marschierten dem Marktplatz zu, wo ein Altar errichtet war, an dem die Geistlichkeit der Stadt sie erwartete, um dort den Dankgottesdienst, nach dem sich alle Herzen sehnten, abzuhalten.

Zum Beschluß des Zuges kam ein Marketenderwagen, die Schulzen, freundlich grüßend, stramm und rüstig wie sie ausgefahren, neben ihr Anton, der den Buzesel mit Meisterschaft lenkte und mit Selbstbewußtsein an dem keimenden Bärtchen zupfte, das ihm im Felde gewachsen war und das seinen größten Stolz bildete.

Von der Straße wurde nun die Feier in die Häuser verlegt, überall scharte man sich um die Heimgekehrten, in jeder Familie wurde ein Fest gefeiert, das der Wiedervereinigung galt. Es kam Meister Fisch und seiner Frau jetzt fast selbstverständlich vor, daß sie mit dem Nachbar auch heute zusammenhielten und daß eine gemeinsame Tafelrunde sie alle in dessen kostbarem Speisesaale vereinigte. Sogar Johann ließ das Unerhörte über sich ergehen, daß er mit daran saß am untersten Ende, seinen Enkel an der Seite; aber er konnte nur mit Mühe durch diesen verhindert werden, daß er nicht jede Minute aufsprang, um die Schüsseln selbst hinzureichen.

Die Schulzen wurde vom Oberbürgermeister zu Tisch geführt und mußte den Ehrenplatz an seiner Seite einnehmen. – So ließen denn alle sich die guten Sachen schmecken, an denen kein Mangel war, und die Schulzen nickte zuweilen Lottchen und Minchen zufrieden zu, deren Leistungen sie mit kritischen Blicken prüfte. Aber das war richtig, Lottchen verstand sich darauf, die Hausfrau zu spielen, und Minchen hatte den Kopf oben behalten und war auf dem Posten, trotzdem ihr Schatz neben ihr saß.

Georg war so in seine Unterhaltung mit Lottchen, die seine Nachbarin war, vertieft, daß er für die Gesamtheit wenig vorhanden war; Wilhelm und Fritz, der zum Schrecken der Eltern eine Krücke zu Hilfe nehmen mußte, waren doch befangen und erzählten kaum, wie sie das eiserne Kreuz errungen hatten, aber die Schulzen und Walter waren um so munterer und führten zusammen das große Wort.

»Schade, daß wir die Schulzen jetzt nicht in ihrer Kriegsglorie sehen,« neckte Walter, »ich mußte immer an die Jungfrau von Orleans denken, wenn sie mit ihrem Buzefel angezogen kam.«

»Ich habe mir den Vergleich mit dem französischen Frauenzimmer schon mal verbeten,« erklärte die Schulzen ärgerlich; »eine preußische Korporalswitwe versteckt sich nicht hinter eine solche Person.«

»Nun, Walter hat kein schlechtes Beispiel von Patriotismus und Heldenmut gewählt, Schulzen,« begütigte sie der Bürgermeister.

»Freut mich,« sagte diese mißtrauisch; »man kann nie wissen, was er im Schilde führt; ich verstehe mich auf die gelehrten Mamsells nicht.«

»Die Schulzen ist verdrießlich seit unserem Einzuge in Paris,« erklärte Walter; »es ist nicht alles nach ihrem Kopfe dabei gegangen. Die Franzosen sind zu glimpflich behandelt worden.«

»Das ist nicht zu ändern,« beschwichtigte sie der Oberbürgermeister. »Erzählen Sie uns lieber von Ihrem eigenen Erlebnis mit dem König, so ausführlich wissen wir es doch noch nicht.«

»Ja, das war der größte Ehrentag meines Lebens,« berichtete die Schulzen schmunzelnd. »Die drei Majestäten waren in Paris eingeritten und ich hielt mich natürlich mit meinem Buzefel so nahe wie möglich. Als nun der Haupttrubel vorbei ist, kriegt mich der Marschall Vorwärts zu sehen und winkt mich heran und sagt zum König: »Majestät, hier muß ich Ihnen eine brave Frau vorstellen, die uns oft erquickt hat.« Na, ich verliere die contenance nicht so leicht, aber den Moment denke ich doch, ich sinke in den Grund, denn es ist keine Kleinigkeit, vor solchen Herrschaften zu stehen. Die Kniee brachen schier unter mir zusammen, aber es machte sich so natürlich, daß ein schöner Knicks daraus wurde und unterdes kriegt ich mich schon wieder in die Gewalt und kam in die Höhe. Majestät lächelten und baten sich auch einen Schluck aus. Ach, es war fast zu viel Ehre; ich stammelte auch so was zurecht, und unserem Anton versetzte ich ganz in der Stille einen Puff in die Seite, daß er sich nur wieder rührte, denn er stand wie eine wirkliche Salzsäule daneben. Na, und dann faßte ich mich, denn der liebe Gott verläßt keinen Deutschen, und ich kriegte die richtige Eingebung. Ich schenkte die Gläser voll, die Anton brachte, den sein Rippenstoß kuriert hatte, und sagte: Auf das Wohl von Ew. Majestäten und auf alles Glück und Gute in der Zukunft. Da lachten sie und tranken, und dem alten Blücher mußte ich auf das Geheiß Seiner Majestät auch eins reichen, und das Glas, woraus unser König getrunken hat, habe ich zum Andenken aufgehoben. Seine Majestät haben dabei gesagt: »Auf das Wohl einer braven Frau!«

»Wir wollen jetzt dasselbe thun wie Majestät,« sagte der Oberbürgermeister, als die Schulzen endlich schwieg und sich die Thränen der Rührung abtrocknete, »unsere brave Schulzen soll leben!«

Sie bedankte sich gerührt. »Nun sehen's der Herr Hofrat doch ein,« sagte sie dann, »daß ich immer recht hatte, wenn ich unseren Walter zum Kriegsmann bestimmte.«

»Wir bekommen jetzt keinen Krieg wieder,« sagte Gottlieb zuversichtlich, »die beiden Kaiser und unser König haben sich ewige Freundschaft geschworen, und der frühere Kaiser Napoleon sitzt wohlverwahrt auf Elba.«

»Gottlob, wenn wir endlich Frieden behalten,« seufzte der Meister, »wie froh will ich sein, wenn Wilhelm uns wieder in der Werkstatt hilft, nicht wahr, Gottlieb?«

»Ja, und wir haben erst wieder tüchtig Bestellungen,« meinte dieser schmunzelnd, »und die Leute bezahlen auch, was sie haben wollen, weil wieder Geld da ist.«

»Mach nicht solch trauriges Gesicht, Fritz,« tröstete die Schulzen diesen, »so ein Schuß ins Bein ist nicht so schlimm; denke nur, daß mein Seliger überhaupt nur eins hatte. Kannst deshalb doch ein tüchtiger Meister werden, und es setzt dich nur in Respekt bei den Leuten, daß du so viel für das Vaterland hingegeben hast.«

»Wenn ich nur noch hätte drunter schlagen können!« seufzte Anton. »Einmal müßt's noch losgehen, damit ich auch 'ran käme.«

»Das verhüte Gott!« sagte der Oberbürgermeister ernst. »Wir haben alle viel zu schwer gelitten, nun wollen wir als ruhige Bürger dem wieder aufgerichteten Staat dienen. Noch haben wir das Gefühl nicht, ihm mit Freuden anzugehören. Erst grollten wir dem Geschick, das uns unter Preußens Adler führte; dann lernten wir darin unser Vaterland sehen; erst durch die Opfer und Leiden der schweren Zeit kamen wir zu dieser Erkenntnis. Unsere Kinder haben ihr Blut für die Wiederaufrichtung des preußischen Staates vergossen, und mit frischer Jugendkraft strebt er immer größeren Zielen entgegen. Wir aber fühlen uns mit Stolz als seine Angehörige. Deshalb laßt uns jetzt das Glas leeren auf das Wohl von König und Vaterland!«


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