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Es war Nacht; die unglückliche Stadt lag im Schlafe, oder es hatte wenigstens den Anschein, als hätte dieser Beschwichtiger des Schreckens und der Angst seine Fittiche über die gequälten Menschenseelen ausgebreitet. Wie viele Seufzer aber in der Dunkelheit und Stille emporstiegen, wie viele Thränen niederperlten, wie viele gemarterte Herzen verzweiflungsvoll Gebete zum Himmel sandten, das zählte nur ein Auge, das über allen wachte und das die Saat des Kummers mit sorgendem Erbarmen behütete, um sie dereinst in eine Ernte des Segens zu verwandeln.
Die Straßen waren öde und still, die Einwohner hielten sich in den Häusern und wagten sich noch nicht hinaus; nur wenige Fenster waren erleuchtet, innen hörte man das Singen und Jauchzen der Soldaten, die sich noch nicht von ihrem Wein trennen mochten; Schildwachen auszustellen hatte man nicht für nötig gefunden, da kein Feind zu fürchten war.
Der Hofrat saß in seinem Zimmer, das sorgenvolle Haupt in die Hand gestützt. Die Seinen schlummerten; er selbst war erst von dem Lager seiner Gattin fortgeschlichen, als ihre furchtbare Erregung in sanften Schlaf überging und ihre Finger sich von seiner Hand lösten, die sie so lange angstvoll umklammert hielt. Er konnte keine Vergessenheit im Schlummer suchen; es wogte zu vieles in ihm, und wie er auch bangend um die Seinen sorgte, fast noch mehr bekümmerte ihn das Geschick der Stadt, das so schwachen, ungetreuen Händen übergeben war. Der heutige Tag hatte ihn um viele Tausende ärmer gemacht, und was stand noch alles zu befürchten! Aber er klagte und trauerte nicht um den eigenen Verlust, wenn er nur der geliebten Vaterstadt erhalten konnte, was sie so Unersetzbares besaß! Mit verbissener Wut dachte er an den Kämmerer und den Steuereinnehmer, die ohne Widerstand die von ihnen verwalteten Kassen dem Feinde überliefert hatten. Sie hatten nur gethan, was überall geschah, denn wer hielt jetzt Treue? Wer dachte daran, daß er für das ihm anvertraute Gut einstehen müsse?
Da klopfte es leise an die Scheiben und scheuchte den einsamen Mann aus seinem Sinnen empor. Die Zeit war nicht dazu angethan, einer solchen nächtlichen Anmeldung ohne Unruhe entgegen zu sehen; doch trat der Hofrat nach kurzem Besinnen an das Fenster.
Eine gedämpfte Stimme bat: »Öffnen Sie, es ist ein Freund.«
Das Fenster that sich auf; eine Gestalt stand davor, unkenntlich in der Dunkelheit. Im nächsten Moment hatte sie sich ins Zimmer geschwungen, und der Hofrat erkannte den Sergeanten, dessen Dazwischenkunft ihm heute günstig gewesen war.
»Ich muß Sie sprechen,« sagte der Mann, schloß das Fenster und zog die Vorhänge wieder zu. »Sie haben mich nicht erkannt?«
Der Hofrat verneinte.
»Wie wäre es auch möglich?« sagte der andere. »Sie kannten mich wohl kaum jemals persönlich, und doch werden Sie von meinem Namen und Schicksal gehört haben. Ich bin Karl Fisch, der Sohn Ihres Nachbars.«
Der Hofrat blickte ihn voll Erstaunen an. »Wie sonderbar; jetzt kommt Ihr als Feind in die Stadt zurück, der Ihr vor Jahren den Rücken kehrtet! Weiß es Euer Vater?«
»Nein; er soll es aber auch nicht erfahren,« versetzte der Sergeant.
»Warum geht Ihr nicht zu ihm?« fragte der Hofrat erstaunt. »Er hat sich um Euch sehr gegrämt und ist seitdem recht alt geworden.«
Karl seufzte schwer. »Soll ich vor ihn hintreten, wenn meine Kameraden, die Truppen, bei denen ich diene, schlimmer in der Stadt hausten als die Erbfeinde, die Franzosen?«
»Ihr habt Euch an der Plünderung nicht beteiligt, sondern gesteuert, wo Ihr nur konntet,« sagte der Hofrat begütigend.
»Das war natürlich, aber mein Herz wird dadurch nicht leichter. Als ich dem Elternhause entlief, reizte mich der Soldatenstand; ich hatte kein Heimatsgefühl, es war mir gleich, wem ich den Eid der Treue leistete. Ich fiel einem bayerischen Werber in die Hände. Unter den Fahnen ist es mir nicht schlecht ergangen; Sie sehen, Herr Hofrat, ich trage jetzt die Korporalsuniform. Ich lebte ohne Sehnsucht wie ohne Reue und war zufrieden. Jetzt stehe ich als Feind auf dem heimischen Boden, und ich empfinde tief, daß ich als Deutscher gegen Deutsche für die Fremden kämpfe, die uns verhaßt und feind sind. Aber ich kann nicht zurück; mein Eid bindet mich. Den schimpflichen Tod des fahnenflüchtigen Verräters scheue ich. – Mein Los ist entschieden; ich muß die Folgen meines Leichtsinns, meiner Übereilung tragen!«
Eine Thräne rollte über die gebräunte Wange des jungen Korporals; der Hofrat reichte ihm teilnehmend die Hand. »Euer Vater wird mit Euch fühlen und Euch entschuldigen,« sagte er.
Karl schüttelte den Kopf. »Ich kann und darf nach dem heutigen Tage nicht vor ihn treten; ich schäme mich der Uniform, die ich trage. Daß ich jetzt mit dem Verlangen, den Eltern zu Füßen zu sinken und ihre Verzeihung zu erflehen, mit der brennenden Sehnsucht nach dem Frieden des Vaterhauses ihnen dennoch fern bleibe, weil ich meine Unwürdigkeit empfinde, das ist meine gerechte Strafe. Allein ich möchte den Zorn des Vaters nicht mit mir ins Grab nehmen. Wo mich einst mein Schicksal ereilen wird, weiß ich nicht. Wir gehen neuen, blutigen Schlachten entgegen, und ich thue meine Schuldigkeit als Soldat. Trifft mich eine Kugel, so sterbe ich gern. Zu Ihnen, Herr Hofrat, bin ich gekommen, um Sie zu bitten, in diesem Falle meinen Eltern mitzuteilen, was ich Ihnen anvertraute. Werden Sie meinen Wunsch erfüllen?«
»Verlaßt Euch darauf,« sagte der Hoftat gerührt. »Ich werde auch erzählen, was ich von Euch selbst gesehen. Wann darf ich zu den Eltern sprechen?«
»Jetzt nicht,« entgegnete Karl; »ich denke, es wird mir möglich sein, die Kunde zu Ihnen gelangen zu lassen, wenn mir etwas zustößt. So lange ich in diesem Heer gegen mein Vaterland kämpfe, möchte ich nicht, daß meine Eltern von mir etwas erfahren. – Morgen verlassen wir die Stadt. Haben Sie, Herr Hofrat, den besten Dank für Ihre Teilnahme. Und noch eins. Bitte, nehmen Sie dieses Geld; es ist nicht erbeutet, sondern ehrlich erspart. Geben Sie es den armen Leuten, die heute das Ihre verloren haben: es wird mir eine Erleichterung sein, wenn ich Gutes, und sei es auch noch so wenig, thun kann!«
Als der Hofrat den Beutel, den ihm der Soldat hinreichte, in Empfang nahm, durchzuckte ihn ein Gedanke.
»Bleibt,« sagte er hastig zu dem jungen Manne, der sich zum Gehen anschickte; »Euch hat Gott zu mir gesendet. Seid Ihr bereit, mir in einem schweren Wagnis beizustehen, das zum Wohle der Stadt unternommen werden soll, uns beiden aber große Schande, sogar den Tod bringen kann?«
Karl sah ihn erstaunt an; er konnte den ehrenhaften Mann vor sich und den Begriff der Schande nicht zusammen denken; aber er antwortete: »Was Sie, Herr Hofrat, erdacht haben, kann nur gut sein, wie auch der Anschein dagegen sprechen mag. Kann ich Ihnen behilflich sein, so geschieht es gern, und es würde meine liebste Erinnerung werden, wenn ich meiner Vaterstadt zu dienen vermöchte!«
In fliegender Eile erzählte der Hofrat von dem Silberschatze der Stadt und der geringen Hoffnung, ihn dieser zu erhalten, wenn er dem Stadtdirektor zugänglich bliebe, der jetzt die Schlüssel zum Gewölbe in Verwahrung hatte.
»Aber was kann ich dabei thun?« fragte Karl verwundert.
»Wir wollen den Schatz stehlen,« sagte der Hofrat, während sein Besucher entsetzt zurückprallte.
»Das sagen Sie?« rief Karl endlich aus. »Das hätte ich nie erwartet! Zum Diebe soll ich werden an meiner Heimat? Nein, Herr Hofrat, kein Gewinn ist mir hoch genug, um solchen Frevel zu begehen! Leben Sie wohl! Sie haben sich in mir getäuscht, wie ich mich in Ihnen.«
»Sie Brausekopf!« sagte der Hofrat, trotz des schweren Ernstes der Lage lächelnd, und hielt den anderen, der sich schon zum Gehen wandte, gewaltsam zurück. »Hören Sie doch erst, und dann urteilen Sie. Wir wollen den Schatz für bessere Zeiten in Sicherheit bringen, er muß als gestohlen gelten; wir verbergen ihn, Sie, ich und mein alter Johann, den wir einweihen, sollen allein davon erfahren. Einer von uns wird doch bis dahin am Leben bleiben, oder wenigstens noch vor seinem Ende Zeit finden, das Geheimnis weiter zu vertrauen, bis bessere Tage kommen und der Schatz unversehrt der Stadt zurückgegeben werden kann.«
»Aber wie ist der Raub möglich?« fragte der Korporal.
Wenn wir dem Stadtdirektor die Schlüssel abnehmen und ihn von dem Diebstahl überzeugen können, haben wir gewonnen,« sagte der Hofrat. »Der Stadtdirektor ist ein Fremder, der von den Geheimnissen des alten Rathauses nichts weiß, ich kenne sie aber, denn viele meines Geschlechtes haben dort als Bürgermeister oder im Rat gewaltet. Ein geheimer Gang mit eben solcher Thür führt von dem Schatzgewölbe aus unter der Erde fort; oft ist er scheinbar zu Ende, und nur dem Eingeweihten ist es möglich, seine verborgene Fortsetzung aufzufinden. Am Ende des Ganges befindet sich ein unterirdisches Gewölbe, zur Aufbewahrung des Schatzes in Kriegszeiten oder zur Haft wichtiger Gefangenen in früheren Tagen gebraucht. Dort bergen wir das Silber. Auch in das Rathaus vermag ich leicht unbemerkt zu gelangen. Von dem Keller meines Hauses führt ein geheimer Gang in den Rathauskeller, dort eine verborgene Treppe in die inneren Gemächer.«
Karl Fisch horchte mit dem größten Erstaunen. »Wie aber sollen wir in das Schatzgewölbe gelangen?« fragte er.
»Das ist unmöglich, wenn wir nicht den Schlüssel haben,« versetzte der Hofrat. »Das Schloß ist so kunstreich gearbeitet, daß es tagelang den Bemühungen des geschicktesten Schlossers widerstehen würde, sobald nicht der rechte Schlüssel da ist. Diesen aber bewahrt der Stadtdirektor in seinem Hause. Er allein ist von jeder Einquartierung verschont geblieben – zum Dank für die Dienste, die er den Fremden geleistet,« schaltete er bitter ein. »Könnten wir von ihm die Schlüssel erlangen und ihm die Meinung beibringen, daß er ihn Marodeuren ausgeliefert, so wären wir am Ziele unserer Wünsche.«
»Ich will es versuchen,« sagte der Korporal nach kurzem Besinnen. »Sicher ist der Mann ein Feigling, der sich leicht einschüchtern läßt.«
»Das bezweifle ich nicht,« erwiderte der Hofrat, »überlegen Sie aber die eigene Gefahr. Macht man Sie ausfindig, so werden Sie vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt.«
»Das weiß ich,« antwortete Karl ruhig. »Ich würde dann aber nicht als Dieb, sondern für das Wohl meiner Vaterstadt sterben. Sie wagen dasselbe wie ich, Herr Hofrat.«
»In geringerem Maße,« sagte dieser; »aber ich kann Ihnen die Hauptrolle nicht abnehmen.«
»Nein, ich bin bereit und entschlossen,« sagte Karl; »wir wollen alle unsere Klugheit zusammennehmen, damit wir zum guten Ende gelangen, und man hängt ja die Leute nicht eher, als bis man sie hat,« fügte er mit seiner alten Munterkeit hinzu.
Auch der Hofrat lächelte. »Wissen Sie, wo der Stadtdirektor wohnt?«
»Versteht sich; auch in seinem Hause weiß ich so ziemlich Bescheid,« versetzte Karl lachend. »Mit meinem Freund Fritz Schleben, dessen Vater Stadtmusikus war, bin ich als mutwilliger Knabe dort manchmal umhergeschlichen, wenn wir die große Pauke abholten, die bei den Ständchen gebraucht wurde, welche das Oberhaupt der Stadt bekam. Wir lebten mit der alten Köchin in Feindschaft, weil wir ihr eines Abends einen Korb mit Maikäfern in ihr offenes Kammerfenster geschüttet hatten; sie begoß uns dafür bei nächster Gelegenheit mit kaltem Wasser, und wir erschreckten sie dann wieder durch einen ausgehöhlten Kürbis, in den wir ein Gesicht geschnitten und ein brennendes Licht hineingesteckt hatten. Der wurde dann spät abends vor der Thür der Bodenkammer aufgestellt, wo sie allerlei Vorräte aufbewahrte. Durch den Sohn des Kutschers, der im Bunde der dritte war, fanden wir Einlaß und hatten einen Hauptspaß, als die Alte den Teufel vor sich zu sehen meinte und zeternd Reißaus nahm.«
»Die tollen Knabenstreiche hatten denn doch ihr Gutes.« sagte der Hofrat lächelnd.
»Es scheint so,« stimmte Karl bei, der alle Schwermut vergessen hatte und Feuer und Flamme war. »Haben Sie eine Larve bei der Hand, Herr Hofrat? Es wäre doch zu empfehlen, daß sich der Herr Stadtdirektor meine Züge nicht zu lebhaft einprägte. Nein? Nun, es schadet nichts; es ist sogar besser, ich ändere meine Visage so ein bißchen. Bitte um einen Kork; ich schwärze ihn hier am Licht. So! Einige Striche unter die Augen und auf die Lippen sind von guter Wirkung. Sie haben wohl einen Schafpelz, vielleicht auch einen Fußsack? Danke; ich muß ein wenig von dem schwarzen Fell abschneiden. Sehen Sie, das giebt einen famosen Bart; nicht wahr, ich sehe verändert genug aus? Und nun nehme ich noch meine Zuflucht zu meiner Kunst im Grimassenschneiden.«
Er zog die Unterlippe herab, die Augenbrauen in die Höhe, runzelte die Stirn fürchterlich und brachte eine solche Fratze zustande, daß es unmöglich war, ihn wiederzuerkennen.
»Leben Sie wohl für ein halbes Stündchen,« sagte Karl zum Hofrat, »und bereiten Sie alles vor, auch Säcke, um das Silber zu tragen; ich denke, lange wird meine Unterredung mit dem verehrten Herren nicht dauern.«
Er schwang sich aus dem Fenster, und der Hofrat lauschte seinen Schritten, bis sie allmählich verhallten. Dann suchte er den alten Johann auf, der in tiefer Erschöpfung eingeschlafen, aber auf den ersten Ruf bereit war und dem er alles Vorgefallene mitteilte. – In angstvoller Erwartung zählten beide Männer die Minuten bis zur Rückkehr des Korporals. Sie hatten das Licht ausgelöscht, um jeden Verdacht zu vermeiden, und horchten angstvoll in die Nacht hinaus. Einige Male näherten sich Tritte, aber es war nicht der Ersehnte. Die Zeit erschien ihnen endlos; es konnte ihm nicht gut ergangen sein, er war entdeckt, festgenommen, alles verloren! Der Hofrat machte sich die bittersten Vorwürfe, daß er den jungen Mann ins Verderben gestürzt habe; er wollte sich für ihn stellen, alles zu seiner Rettung aufbieten und sich als den Urheber des Ganzen nennen. – Da schlich leise und vorsichtig eine dunkle Gestalt heran, schwang sich in das Fenster, und lachend stand Karl vor dem Hofrat.
»Ging vortrefflich,« flüsterte er und hielt triumphierend den Schlüssel in die Höhe. »Seine Gnaden schliefen sanft und friedlich und schnarchten so kräftig wie ein Regiment Soldaten zusammen. Ich war gleich vom Garten aus in das erste Stockwerk gelangt; es ist ein Spalier am Hause, woran sehr alter Wein wächst, also eine Kleinigkeit hineinzukommen. Der gute Mann wachte erst auf, als ich mich über ihn beugte.
»Bitte, schreien Sie nicht, Liebwertester,« sagte ich, »ich müßte Ihnen sonst Ihren verehrten Schädel einschlagen,« und dabei ergriff ich den Stiefelknecht. – Er wimmerte leise.
»Noch stiller,« sagte ich, »ich möchte Ihre Stimme schonen. So, nun wird's gemütlicher, nun das Stöhnen aufhört. Ich möchte Sie ergebenst um den Schlüssel zur Schatzkammer ersuchen.« Er sträubte sich zuerst ein wenig.
»Sie thun ganz recht,« sagte ich zu ihm, »Sie wollen für Ihre Pflicht sterben. Draußen habe ich fünfundzwanzig Mann, die Haus und Garten besetzt halten; aber mit Ihnen werde ich allein fertig. Sehen Sie, mit dieser Hand halte ich Ihnen den Mund zu, damit Sie sich nicht durch unnützes Schreien anstrengen, und mit dieser stoße ich Ihnen den Degen in die Kehle.«
Ich hielt ihm den Mund wirklich zu und kitzelte ihn ein wenig mit der Säbelspitze. Es war ja bloß pro forma, denn ihm war es mit dem Widerstande gerade so wenig Ernst wie mir mit dem Ermorden.
»Haben Sie genug und wollen Sie die Schlüssel jetzt herausgeben?« fragte ich dann.
Er war zu allem erbötig und holte die Dinger unter dem Kopfkissen hervor. Ich bedankte mich und bat ihn, er möchte es nicht übel nehmen, wenn ich ihn ein wenig knebele und an Händen und Füßen binde; es sehe auch viel besser aus und zeuge von seinem heldenmütigen Widerstande, wenn man ihn am nächsten Morgen so finde. Er schien damit zufrieden zu sein, denn er ließ mich gewähren, und ich bin zum Dank für seine Gefälligkeit sehr glimpflich mit ihm verfahren und habe ihn nicht zu fest geschnürt. Nun aber weiter.«
Schon unter der Erzählung waren die Männer leise und unhörbar in den Keller hinabgestiegen; der geheime Gang that sich vor ihnen auf, als der Hofrat auf einen Stein drückte. Sie gelangten ohne weitere Gefahr in das Rathaus; das Gewölbe wurde mit dem Schlüssel geöffnet, das Silber in die mitgenommenen Körbe und Säcke verpackt und auf dem unterirdischen Gange in das verborgene Gewölbe gebracht, wo es sicher versteckt war. Dann beseitigten sie vorsichtig jede Spur ihrer Anwesenheit, schlossen die geheime Thür, die von der Mauer nicht zu unterscheiden war, und kehrten in das Haus des Hofrats zurück, ehe der Morgen dämmerte.
Mit einem Händedruck verabschiedete sich der Korporal, nachdem er die Mummerei von sich gethan hatte.
Eine Stunde später wurde Alarm geblasen und die Truppen marschierten ab; der Befehlshaber bemerkte mit Mißfallen und fand es sehr sonderbar, daß der Stadtdirektor, der am Tage zuvor sich in kriechender Dienstfertigkeit erschöpft hatte, heute nicht einmal die Höflichkeit besaß, sich, persönlich von den ungebetenen Gästen zu verabschieden.
Eine Stunde nach dem Abzuge der Soldaten verbreitete sich in der Stadt die Kunde von dem Überfall des Stadtdirektors und dem Raube des Schatzes. Man hatte den Herrn gebunden und geknebelt gefunden, halbtot von den ausgestandenen Leiden; wenigstens dreißig gräßlich aussehende Kerle, berichtete er jammernd, hätten ihm furchtbar zugesetzt und ihm nach heldenmütiger Gegenwehr den Schlüssel abgenommen, den er nur mit dem Leben habe lassen wollen, um ihn dann in diesem schrecklichen Zustande seinem weiteren Schicksale zu überlassen. Auf dem Rathause fand sich keine Spur von Unordnung oder Einbruch, aber das Gewölbe war leer und die Schlüssel steckten ruhig in der offenstehenden Thür.
Alle Nachforschungen nach dem geraubten Schatze blieben vergeblich; in der Bürgerschaft machte sich die Ansicht geltend, die von Mund zu Mund geflüstert wurde, daß der Stadtdirektor mit den Dieben im Einverständnis gestanden habe, daß seine Erzählung erdichtet und die Fesselung nur eine scheinbare gewesen sei, um seine Angaben glaubwürdiger zu machen, und man nahm allgemein an, daß ihn in Zukunft ein reiches Schmerzensgeld für die erduldeten Unbequemlichkeiten entschädigen werde. Die Erbitterung gegen ihn stieg natürlich und die Mißachtung war allgemein.
Auch die Anzeige bei dem bayerischen Kommandeur half dem armen Manne nichts, denn hier fand er ebensowenig Glauben; seine Phantasie übertrieb die Zahl der Angreifer und die überstandenen Qualen immer mehr, und dadurch klang die Erzählung nur um so unwahrscheinlicher. Die Offiziere machten kein Hehl daraus, daß sie in dem Direktor den Mithelfer der Diebe sahen, die seine guten Freunde gewesen seien und mit denen er den Raub teilen werde. Vergeblich suchte er durch allerlei Angebereien und Spionagen sich die Fremden günstig zu stimmen; er hatte bei Freund und Feind jedes Ansehen eingebüßt.