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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Am Vaterherzen.

Sieg reihte sich an Sieg, eine frohe Kunde folgte der anderen. Wie horchte man in Hohenstein auf den Hufschlag des galoppierenden Pferdes, das den Kurier herbeiführte, der wieder neue Nachricht brachte, und wie schwer war es, daß doch stets Tage vergehen mußten, ehe man die letzten Ereignisse erfuhr. Alt und jung eilte dem Reiter entgegen, der sein keuchendes, schaumbedecktes Roß auf dem Marktplatz anhielt und dem Oberbürgermeister seine Depeschen überreichte, die dieser gleich auf offener Straße der lautlos harrenden Menge vorlas. Dann folgte ein nicht minder aufregender Moment; in der Ledertasche des Kuriers befanden sich auch Privatbriefe, die an Einzelne gerichtet waren und nun zur Verteilung gelangten; welchen Jubel, welches Leid erregte ihr Inhalt beim Empfänger!

Eben war wiederum ein Kurier angekommen; der Oberbürgermeister hatte den Sieg von Wartenburg verkündet, der mit stürmischem Jubel begrüßt wurde; danach erbrach und überflog er eine zweite Depesche und las dann laut, indem er sich besonders an Meister Fisch und die Seinen wandte, die in unmittelbarer Nähe standen: »Der König von Bayern hat sich den Verbündeten angeschlossen, seine braven Truppen sind schon aufgebrochen.«

»Gott sei gelobt!« sagte der Tischler und drückte warm die Hand des Nachbars, mit dem er jetzt in Leid und Freud so eng verbunden war; Frau Fisch und ihre Töchter fielen sich unter Weinen und Lachen in die Arme, und alle Anwesenden drängten sich heran, um ihre freudige Teilnahme auszusprechen. Das war auch ein Segen der schweren Zeit, daß man eine große Familie bildete, in der ein jeder des anderen Sorge mittrug und des anderen Glück fast wie ein eigenes empfand.

Eine Stunde später trat der Oberbürgermeister in das Nachbarhaus, einen Brief in der Hand. »Hier, lieber Nachbar, habe ich noch etwas für Euch,« sagte er mit kaum unterdrückter Bewegung, »das ich Euch nicht vor aller Welt übergeben konnte. Ich danke Gott, der uns dies erleben ließ.«

Er schüttelte dem Meister, den eine wunderbare Ahnung überkam, warm die Hand und ging schnell, ohne seine Begleitung anzunehmen.

»Was ist's denn?« fragte Frau Fisch, die eilend herankam, um die Ursache des seltenen Besuchs zu erfahren. »Ein Brief von den Jungen?«

»Von Karl,« sagte ihr Gatte, und dann erschütterte ein Schluchzen den starken Mann, er legte den Kopf auf den Tisch und weinte.

»Von Karl!« schrie die Mutter auf; im Nu hatte sie den Brief ergriffen, aber zu lesen vermochte sie ihn nicht, sie küßte ihn, preßte ihn an das Herz, besah die Buchstaben, welche die geliebte Hand niedergeschrieben hatte, dann fiel sie ihrem Manne um den Hals, sie hatten sich fest umschlungen, und ihre Thränen vermischten sich. Endlich faßten sie sich, sie lösten das Siegel, und dicht aneinander gedrückt, überflogen sie die Worte, in denen der geliebte Sohn seine Schuld bekannte, ihre Verzeihung anflehte, in denen er die langen Jahre der Reue und des Schmerzes schilderte, während er nicht mit dem Bekenntnis seiner Leiden und seines Kummers vor sie zu treten wagte.

»Gott hat mir Barmherzigkeit erwiesen,« schrieb er, »größer als ich zu hoffen vermochte; ich bin nicht mehr der Verräter an König und Vaterland oder der Eidbrüchige, der ich so lange sein mußte, ich darf für mein Land, für mein Volk, für meine Eltern kämpfen. Versagt mir nun nicht euren Segen!«

»Unseren Segen versagen!« schluchzte die Mutter; »der hat ihn stets begleitet, es war ihm alles längst verziehen.«

»Gewiß,« stimmte ihr Mann bei, »ich habe nie eine Stunde gehabt, in der ich nicht an ihn dachte, ich habe nie ein Gebet gesprochen, in dem ich nicht für ihn flehte.«

»Nun müssen's auch die anderen wissen,« jubelte die Mutter, »dann schreiben wir ihm ohne Verzug, damit er sich nicht länger grämt, sondern weiß, wie es um seine Eltern steht.«

»Wohin nur?« fragte der Meister; »die bayerischen Truppen werden jetzt tüchtig marschieren müssen.«

»Das soll uns die Schulzen schon besorgen,« entschied Frau Fisch, »die hat Bekanntschaften, die ihr den Brief richtig befördern.«

Sie öffnete die Thür und rief nach Gottlieb und Dorchen, denn das einst so volle Haus zählte jetzt gar wenig Bewohner, nun wurde der Brief mit wahrer Andacht nochmals gelesen, es gab neue Freude, dann mußte er zu Minchen, und zum Herrn Nachbar und Lottchen, ohne deren Anteilnahme man jetzt nichts mehr erlebte, und dann wurden die Federn gerührt, daß am Abend ein dickes Schriftstück fertig war.

In zehn Tagen kam schon Antwort von der Schulzen. »Der Brief ist jetzt bei Karl, liebe und getreue Nachbarn,« schrieb sie, »wenn ihr dieses lest; ich habe alles unserem Obersten erzählt, und dieser Herr wird dafür sorgen. Ist das eine Freude! Ich kriege ihn hoffentlich bald zu sehen, denn die Bayern sind unterwegs auf uns zu, wir marschieren alle nach Sachsen. Es soll eine große Schlacht geben, man munkelt so allerlei, aber man darf nicht alles sagen, was man hört, und noch weniger schreiben. Na, wir haben uns nun schon ans Siegen gewöhnt, es ist gar nicht so schwer, nur der Anfang mußte erst gemacht werden. Ich halte mich 'ran, suche immer in der Avantgarde zu sein, denn ich will doch bei der Hand sein, wenn's nun losgeht. Und damit Gott befohlen!«

Der Donner der Leipziger Schlacht war verhallt, die Völker hatten miteinander gerungen, und die letzte Entscheidung war gefallen. In wilder Flucht eilten die Fremden ihrem eigenen Lande zu, Deutschland war frei und es galt nun die völlige Niederwerfung und Fesselung des übermütigen Tyrannen, den man bis in sein Reich verfolgte. Aber schwer war der Sieg erkauft, Tausende und aber Tausende hatten den Tod auf blutiger Walstatt gefunden, Tausende und aber Tausende seufzten verwundet in Schmerz und Jammer, die Not, das Elend waren unermeßlich; die ungeheure Menschenmenge, die hier zusammengedrängt war, brauchte Ungeheures an Lebensmitteln; dies war nicht zu beschaffen, und am meisten litten die Kranken und Verwundeten, denen es an allem mangelte.

Wie peinvoll und furchtbar waren die Tage, wie endlos die Nächte für die Leidenden und Sterbenden, und kaum minder für Eltern und Geschwister, Frauen und Kinder daheim, die nicht wußten, durften sie für ein teures Leben hoffen oder fürchten, oder war gar alles zu Ende? Wie lange dauerte es, bis Gewißheit kam, wie langsam gingen die Briefe, wie ungeordnet waren die Einrichtungen, wie unsicher die Beförderung der Nachrichten! Endlich langte ein Brief von der Schulzen an; aber die Buchstaben waren unsicher, als hätte die Hand gezittert, die Schrift oft verwischt, wie von Thränen.

»Liebes Lottchen,« schrieb sie, »sei jetzt ein verständiges Mädchen und benimm dich gefaßt, denn ich habe Schlimmes zu melden. Erschrick dich nur nicht, einmal müssen wir alle d'ran, und wen es trifft, der muß es tragen. Aber es ist doch gut, wenn man vorbereitet wird, und deshalb schreibe ich an dich. Walter thut es auch sehr leid, aber weil er einen Schuß durch die rechte Hand erhalten hat, kann er damit nicht viel anfangen; sonst ist er ganz gesund, Wilhelm und Fritz sind auch gut davongekommen, und daß Georg den Hieb über die Wange hat, ist eigentlich ein Glück, nun muß er für einige Wochen ins Lazarett – d. h. wenn eins da wäre – und da kann er seinen armen Bruder pflegen, denn er selbst ist ziemlich munter, und nach kurzer Zeit wird die Wunde vernarbt sein; es hätte aber das Auge kosten können. Doch wer fragt jetzt nach Auge oder Ohr, selbst nach Arm oder Bein; so lange man den Kopf noch hat, ist man zufrieden. Aber wenn man einen Schuß in die Lunge kriegt, wie der arme Karl, so ist man auch geliefert. Er hat gekämpft wie ein Löwe, und als sie alle um die Fahne fielen, hat er sie ergriffen, bis er endlich auf sie gefallen ist und sie noch mit seinem Leibe zugedeckt hat. Als sie ihn fanden, lag er noch so, das Fahnentuch ganz rot von Blut; es war tapferes Soldatenblut und wird ein Ehrenschmuck für die Fahne bleiben. Sie dachten erst, er wäre tot. Ach, es lagen so schrecklich viele da, man konnte sie nicht alle aufheben; wie mancher hat da tagelang nach Beistand geschrieen oder nach Wasser gelechzt, oder um einen Bissen Brot gejammert, aber niemand ist zu Hilfe gekommen und so ist er elend und allein gestorben. Der Herr im Himmel wird's allen vergelten, denn sie haben für eine gute Sache gelitten. Karl ging's nicht so schlimm, Gott sei Dank! Die Soldaten von seiner Kompanie suchten ihn nach der Schlacht, die ließen sich für ihren Korporal totschlagen, und als sie noch einen Funken Leben in ihm fanden, brachten sie ihn zu den Doktoren, und die schickten ihn ins Lazarett. Das ist nun nicht viel besser wie der Tod, es ist zu schwer, für eine solche Menschenmenge zu sorgen, und ich will lieber zehn Schlachtfelder als ein Lazarett sehen. Ich hatte genug zu thun, Georg mußte ich verbinden, zu so 'was hatten die Doktors keine Zeit, Walter ebenfalls. Zuerst hatte Georg Fieber, da packte ich ihn in meinen Wagen, da lag er gut; dann wollten sie alle zu trinken haben, und Anton und ich hätten an hundert Händen nicht zu viel gehabt. Na, wir fragen nach den Bayern. Vorzüglich, sagen die Herren Offiziere. Wir nennen das Regiment. Sehr tapfer, aber große Verluste, heißt's nun. So kommen wir immer näher. Endlich verspricht mir unser Oberst genaue Erkundigungen, und ich erfahre alles. Im Lazarett sollte er nicht bleiben, denn da sterben sie wie die Fliegen. Wir kriegen auch die Erlaubnis, holen ihn 'raus mit meinem Wagen, mit Georg ging's schon besser, und haben ihn in ein Haus in einem Dorfe gebracht, das auch früher einem Tischler gehört hat; es ist sehr zusammengeschossen, aber es hat doch ein Dach und vier Wände und Stroh fand sich auch. Ich lasse ihnen an Vorräten da, was ich nur hergeben konnte; Georg bekam auf drei Wochen Urlaub und pflegte ihn, wir anderen mußten weiter. Er hatte seine Besinnung noch nicht wieder, die Lunge pfeift schrecklich, es kann nicht mehr lange dauern. Sage du es den armen Eltern oder schicke den Herrn Pappa hin, Gott tröste sie! Er ist doch für sein Vaterland gefallen, und unser Marschall Vorwärts, der von seiner Bravour gehört hat, hat ihm das eiserne Kreuz geschickt; und er hält's in der abgezehrten Hand fest, als wüßte er, was das bedeutet. Wir müssen weiter nach Frankreich, da haben wir noch mit Napoleon zu sprechen, Georg soll uns nachkommen, aber was wird dann aus dem armen Karl werden, wenn er noch am Leben ist?«

Der Oberbürgermeister stand vor den armen Eltern, die wie zerschmettert die Trauerkunde hinnahmen; was sollte, was konnte er ihnen sagen, zu trösten vermochte sie nur Gott. Es war sehr still im Zimmer, die Mädchen schluchzten leise, Vater und Mutter hatten noch kein Wort gesprochen.

»Wie heißt das Dorf?« fragte endlich der Tischler.

Der Oberbürgermeister nannte den Namen.

»Mutter, packe mein Ränzel,« sagte der Meister, »in einer Stunde mache ich mich auf den Weg.«

»Nimm mich mit,« bat die arme Frau.

»Es geht nicht,« entschied ihr Mann nach kurzer Überlegung, »der Weg ist zu weit und beschwerlich, deine Kräfte reichen nicht aus.«

»Mir ist nichts zu schwer für meinen Karl, wenn ich ihn nur wiedersehen und ihn pflegen kann,« bat die Mutter.

»Sie würden unterwegs krank werden, Frau Nachbarin,« sagte der Oberbürgermeister, »es ist zu viel für Sie; dann gelangt keiner zu dem Kranken.«

»Das ist wahr,« sagte die Frau einfach. »Karl soll nicht darunter leiden, wie wehe es mir auch thut.«

»Darf ich nicht mit, Meister?« fragte Gottlieb.

»Nein, Ihr steht den Frauen bei,« sagte dieser; »was sollte auch aus der Werkstatt werden?«

Der Altgesell sah das ein und fügte sich ohne ein weiteres Wort. Mit wunderbarer Ruhe trafen die Eltern alle Vorbereitungen.

»Zum Weinen bleibt später Zeit,« sagte Frau Fisch zu ihren Töchtern, »jetzt muß der Vater erst hin zu ihm.«

Sie brachte einen Topf mit Eingemachtem und fragte: »Wird er dir nicht zu schwer werden, Vater?« Dieser packte ihn schweigend in sein Felleisen, ebenso den Wein, den Lottchen herbeiholte.

Der Oberbürgermeister hatte sich schweigend entfernt und kehrte jetzt zurück, er brachte einen Paß und eine gefüllte Börse. »Nehmt,« sagte er, als der Meister Einwendungen erheben wollte, »das kann Euch schneller vorwärts bringen und kommt vielleicht Eurem Sohn zu gute.«

Der Tischler steckte nun mit einfachem Dank beide zu sich.

»Die Stiefel sind gut und fest und werden nicht drücken, wir haben einen Fuß,« sagte Gottlieb und schnallte sein bestes Paar als Reserve auf den Ranzen. Der Meister hängte diesen um, ebenso eine Tasche mit Lebensmitteln, nahm den Stock in die Hand und wanderte fort, nachdem er dem Oberbürgermeister und Gottlieb die Hand geschüttelt, seine Frau umarmt und seine Töchter geküßt hatte. Er ging bis tief in die Nacht, dann fand er Obdach bei guten Leuten, die jede Entschädigung zurückwiesen, als sie vernahmen, daß er zu seinem totwunden Sohne ging. Mit Sonnenaufgang wanderte er weiter. Mittags rastete er einige Stunden.

»Ich darf meine Kräfte nicht verbrauchen,« sagte er zu sich selbst, »denn die gehören ihm, wenn er noch lebt.«

So wanderte er vier Tage. Dann kam er an das Schlachtfeld, das noch immer einen grausigen Anblick bot; er ging durch die vielfach verwüstete Stadt, denn das Dorf lag auf der anderen Seite. Auch dort hatte der Kampf getobt, wenige Häuser standen noch, die meisten waren zusammen geschossen oder vom Feuer vernichtet, in den Ruinen lagen Verwundete und Kranke. Ihr Stöhnen und Wimmern zerschnitt dem Suchenden das Herz.

Endlich fand er die rechte Behausung; ein bleicher, kummervoller Mann, der Eigentümer, stand davor, erwiderte seinen Gruß und bejahte seine Frage. Er schickte ihn hinein, um Georg zu rufen, damit sein plötzlicher Anblick den Kranken nicht aufrege. Gleich darauf stand Georg vor ihm. Ein Blick der Liebe und Angst in sein Antlitz, über das eine breite, brennend rote Narbe ging, die unter dem Verband zum Vorschein kam; aber er sah nicht krank aus; nach dem anderen wagte der Vater nicht zu fragen.

»Er lebt,« flüsterte Georg, »aber es geht zu Ende; er kennt niemand. Komm zu ihm.«

Gleich darauf kniete der Vater vor dem Lager, auf dem der bleiche, abgezehrte Mann lag, der als blühender Jüngling von ihm gegangen, er bedeckte sein Gesicht und seine Hände mit Küssen und flüsterte leise seinen Namen.

Der Kranke schlug die Augen auf und hauchte: »Vater!«

»Ich bin zu dir geeilt, mein lieber, lieber Sohn,« sagte der Vater.

»Gott sei Dank!« kam es von den bleichen Lippen und die fieberheißen Finger schlossen sich fest um die Hand des Vaters, als fürchteten sie seine Entfernung.

»Ich bleibe bei dir, mein Sohn,« beruhigte ihn dieser; »die Mutter schickt dir viele tausend Grüße; sie konnte den weiten Weg nicht machen, aber sie verlangte sehr nach dir. Dies schickt sie dir; sie hat es für dich abgeschnitten.«

Er holte aus dem Felleisen eine Flechte von grauem Haar. Das Antlitz des Kranken verklärte ein glückliches Lächeln; er führte die Haarflechte mit Anstrengung an seine Lippen.

»Legt sie mir unter den Kopf, wenn ich tot bin,« sagte er leise.

»Du wirst leben,« sagte der Vater zärtlich, »es wird alles besser werden. Nimm hiervon; die Mutter hat den Fruchtsaft eingekocht, und der Wein ist von unserem Oberbürgermeister. Er, die Schwestern und Gottlieb, sie alle wünschen nur dich zu sehen, die ganze Stadt hat dich lieb, und dein Name steht auf dem Ehrenpokal.«

Ein schwaches Lächeln trat auf die bleichen Lippen. »Gott hat sich mir gnädig erwiesen,« sagte er, »mehr als ich verdiente. Ich durfte das Kreuz gewinnen.«

»O, nun wirst du auch genesen,« ermutigte ihn der arme Vater, selbst ohne Hoffnung.

»Nein, Vater,« antwortete der Kranke fest, »ich sterbe, aber ich bin glücklich. Das Verlangen meines Herzens ist gefüllt, ich durfte mit meinen Brüdern für das Vaterland kämpfen, ihr habt mir verziehen, und du hältst mich in deinen Armen. Jetzt fürchte ich die letzte Stunde nicht mehr.«

Er schloß die Augen, die Anstrengung hatte ihn überwältigt. Georg drang vergebens in den Vater, sich Ruhe zu gönnen und für einige Stunden Schlaf zu suchen.

»Die kurze Zeit, die ihm bleibt, weiche ich nicht von ihm,« sagte dieser; »so lange halte ich es noch aus.«

Die Nacht senkte sich herab, der Leidende atmete ruhig und sanft, ein Lächeln spielte um seine Lippen; wenn er die Augen öffnete, ruhten sie mit einem glücklichen Ausdruck auf dem Antlitz des Vaters; zuweilen reichte ihm dieser einen Löffel von dem Fruchtsaft, den ihm die Mutter geschickt hatte; die Haarflechte und das Kreuz lagen vor ihm auf der Decke, manchmal griff er danach und küßte beides. Gegen Mitternacht wurden die Atemzüge langsamer, der Puls war kaum noch zu fühlen.

»Vater – Mutter –« stammelte er, »behaltet mich lieb! Grüßt alle – die Fahne ist gerettet – das Vaterland ist frei. Gott sei Dank!«

Das waren seine letzten Worte; der Vater hielt eine Leiche im Arm. Er küßte ihn auf die Stirn und legte ihn sanft zurück. Sie blieben beide bei ihm sitzen, er sah so friedlich und still aus, als ob er schlummere; die erstarrten Hände umklammerten noch Kreuz und Haarflechte. Endlich kniete der Vater nieder, Georg that dasselbe an seiner Seite, und sie beteten laut ein Vaterunser; dann deckten sie ihn zu und betteten sich in seiner Nähe auf die Erde, um in den Schlaf der Erschöpfung zu sinken.

Als der Meister erwachte, sagte er zu Georg: »Nun will ich ihm sein letztes Bett machen, wie dereinst sein erstes.«

Am zweiten Tage war der Sarg fertig, und mit Georgs Hilfe bettete er ihn in die kühle Erde.


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