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Noch war die Aufregung über den Vorfall, der das Verhältnis zwischen Bürgern und Offizieren sehr verschlimmerte, nicht vorüber, als alle persönlichen Erlebnisse verschwanden vor dem Rufe: »Es giebt Krieg!« Der König von Preußen hatte ihn endlich erklärt, er wollte selbst mit seinen Truppen ins Feld ziehen.
Ein reges Leben herrschte in Hohenstein; die Soldaten hatten Marschorder, die Bürger vergaßen alles Erduldete und dachten daran, daß sie nun das Vaterland beschützen sollten: sie brachten herbei, was ihnen von Nutzen sein konnte, und stopften Tornister und Taschen mit Proviant, wollenen Binden und Charpie voll. Die Offiziere wurden freundlicher gegrüßt; aber sie dankten kaum, schlugen herausfordernd an ihre Säbel und sprachen davon, daß sie erst den Trotz des Feindes, dann den Übermut der Bürger niedertreten würden, und so zogen sie hinaus, ohne daß den Einwohnern der Abschied schwer wurde. Die Herren achteten in ihrem Siegestaumel nicht darauf; die Soldaten gingen stumpf und ohne frohe Laune in den Kampf, für den sie kein Herz hatten, denn sie waren heimatlos, von ihrer Familie für immer getrennt und wußten nicht, wofür sie kämpften.
Nach dem Abzuge der Garnison wurde es still in der Stadt, doch gab es viele Truppendurchmärsche, denn die Zusammenziehung der Armee fand in nicht zu großer Ferne statt. Die Jugend erfreute sich vieler Ferientage, da es sich als unmöglich erwies, sie bei solchen Gelegenheiten in die Schulstube zu bannen, während sie es als ihr Recht betrachtete, den einrückenden Truppen entgegenzulaufen und die abziehenden hinauszubegleiten.
»Die Königin kommt!« hieß es dann. Schnell wurden Ehrenpforten erbaut auf Befehl des Stadtdirektors, der Mühe hatte, sie so eilig herzustellen, denn er fand wenige Hände willig zur Arbeit, da die Stadt noch immer grollte und man sich außerdem den königlichen Beamten gern unwillfährig zeigte, wo es nur irgend anging.
Die hohe Frau fuhr durch die Straßen, neigte sich in anmutiger Holdseligkeit den Grüßenden zu, und wo ihr Blick hinfiel, da erhellten sich die düsteren Mienen, da entblößten sich die trotzigen Häupter, da öffneten sich die festgeschlossenen Lippen zu freudigem Zuruf. Vor dem Rathause hielt der Wagen der Königin; es sollten andere Pferde vorgelegt werden, dort hatte der Stadtdirektor mit den anderen königlichen Beamten den Empfang veranstaltet. Aber sein Programm wurde nicht eingehalten, die lange und feierliche Rede, die er mühsam einstudiert, konnte er nicht vortragen, denn brausender Jubel schallte über den Platz; die bloße Erscheinung der anmutigen Frau hatte die Herzen gewonnen, und die Worte, welche sie zu denen sprach, die mit ihr in Berührung kamen, wurden weiter getragen von Mund zu Mund und erfreuten und erhoben die Menschen. Die Schulen waren aufgestellt; der Stadtdirektor hatte die vornehmsten Jungfrauen ausgewählt, damit sie bereit ständen, in weißen Gewändern der Königin Blumensträuße zu überreichen, und auch die anderen Aufmerksamkeiten, welche hohen Fürstlichkeiten erwiesen werden, waren vorhanden.
Die Schulzen aber stand, unaufgefordert und unerwartet, plötzlich unten auf dem Marktplatz, Lottchen auf dem Arm, die festlich geschmückt war und deren zarte Schönheit sie einem kleinen Engel ähnlich machte; in der Hand trug das Kind einen Strauß Kornblumen, von denen man wußte, daß sie die Königin besonders liebte, und welche die Kleine der vorgerückten Jahreszeit wegen nur mit großer Mühe gesammelt hatte. Lottchen hielt die Ärmchen lächelnd in die Höhe, als wollte sie durch stumme Bitte den Blick der hohen Frau auf sich lenken.
Die Königin gewahrte die Kleine und gebot, sie zu ihr zu bringen, ja, sie ließ sie zu sich in den Wagen heben, obwohl die Oberhofmeisterin, die neben ihr saß, dagegen als nicht schicklich protestierte. Sie nahm die Kleine sogar auf den Schoß, ließ sich die Blumen von ihr geben und küßte sie so herzlich und innig, wie es nur eine Mutter thun kann, die dabei an ihre eigenen, von ihr getrennten Kinder denkt.
Die Schulzen weinte vor Freude und Stolz; der Hofrat, der erst über die von ihr bewiesene Eigenmächtigkeit erschrocken und geärgert gewesen war, konnte ihr nun, da alles so gut ausgefallen war, nicht zürnen; seine Gattin aber schloß von jetzt an die Königin in ihr Gebet und flehte, daß Gott ihr die reichsten Mutterfreuden an ihren Kindern gewähren möchte.
Nach kurzem Aufenthalt setzte Königin Luise die Reise fort, um noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten den König aufzusuchen.
Erwartungsvolle Tage folgten; die französischen Heere waren im Anmarsch, eine große Schlacht mußte geschlagen werden. Jetzt sprach die Schulzen mehr als je von dem großen Könige und seinen Siegen; aber er lebte auch im Munde der anderen Leute, und wenn man sich gegenseitig bangend fragte, wie alles werden würde, dann vermied man eine direkte Meinung auszusprechen, sondern schöpfte aus der Erinnerung an die große Vergangenheit Mut für die Gegenwart.
Darauf kam scheu und düster eine Trauerkunde: Prinz Ludwig Ferdinand, der kühne Streiter, der Liebling des Heeres, lag tot auf blutiger Walstatt, und nicht als Sieger hatte er die Augen geschlossen. Es war ein böser Anfang; die Gesichter wurden bleicher, die Lippen stiller, mancher legte das Ohr auf den Erdboden, weil er den Schall des Kanonendonners zu vernehmen glaubte, und des Nachts spähte man am Himmel nach dem roten Schein, der eine grauenhafte Bedeutung haben mußte.
Endlich erscholl die furchtbare Post; niemand wußte, wer sie gebracht, aber sie war da, sie pflanzte sich von Mund zu Mund fort, sie erfüllte Häuser und Straßen mit Angst und Entsetzen. – Die große Schlacht war geschlagen, es waren sogar zwei gewesen; die Franzosen hatten gesiegt, die preußischen Heere waren vernichtet, der Anführer zum Tode verwundet, der König auf der Flucht, alles war verloren.
Der Stadtdirektor schritt bleich und händeringend im Sitzungssaale des Rathauses auf und ab; er erwartete die angesehensten Männer der Stadt, die er hatte zu sich entbieten lassen, um von ihnen Rat und Beistand zu erbitten, die er sonst hochmütig zurückgewiesen hatte.
»Wir sind verloren, meine Herren!« rief er verzweifelt den Versammelten entgegen. »In zwei, höchstens drei Tagen haben wir die Feinde hier, in ihrer ersten Wut, der wir zum Opfer fallen. Was sollen wir thun?«
»Es bleibt uns nur Unterwerfung,« sagte seufzend der Superintendent; »Gott hat uns gezüchtigt, wir müssen uns unter seine Hand beugen!«
»Das sage ich auch,« stimmte der Stadtdirektor bei; »nur Unterwerfung unter die Franzosen bleibt uns übrig. Wir müssen ihnen zuvorkommen, müssen gewähren, ehe sie fordern, vor allen Dingen uns selbst mit unserem Hab und Gut retten, solange wir es durch das Eigentum der Stadt vermögen.«
»Das wollte ich nicht sagen,« wehrte der Geistliche ab; »die Stadt muß bewahrt werden wie der einzelne, so gut es geht.«
»Es geht aber nicht, meine Herren,« jammerte der Stadtdirektor. »Wir erleben die gräßlichste Plünderung, wenn wir nicht vorbeugen. Ach, ich habe die Dummheit begangen, mir ein Haus zu kaufen! Bin ich doch schon gefährdet in meiner Stellung; auf mich richten sich zuerst die Augen der Feinde. Aber wir haben ja die öffentlichen Kassen! Der Herr Einnehmer ist bereit, die seinen den Franzosen auszuliefern, um das Vermögen der Bürger zu retten.«
»Unerhörte Feigheit!« rief der Hofrat zornig aus. – Die andern aber schwiegen; auch sie mißbilligten diese Handlungsweise, hielten sie jedoch für vortheilhaft und wollten vorsichtig alles den Beamten überlassen, die sich nachher verantworten mochten.
»Hohenstein hat seinen berühmten Silberschatz,« begann der Stadtdirektor furchtsam: »der könnte uns jetzt retten. Der Kaiser Napoleon ist ein Liebhaber von Kunstwerken, überall hat er sie an sich genommen; er wird sicher auch seine Hände nach den Silbersachen der Stadt Hohenstein ausstrecken, und wir würden sie doch ohne Nutzen für uns verlieren. Deshalb meine ich, wir bieten dem Herrscher den Schatz als freiwilliges Geschenk; das wird ihn mild und gnädig für uns stimmen, und wir ersparen uns und unseren Familien vieles Leid.«
Es herrschte eine tiefe Stille in dem Saale. Der Schatz, von welchem der Stadtdirektor sprach, war der Stolz der Stadt; er bestand aus einer großen Menge Silbergeschirrs, von dem einiges ein tausendjähriges Alter hatte. Pokale und Trinkhörner, Schilder und Schüsseln, Kannen und Truhen befanden sich in der Sammlung; bei allen großen Ereignissen in der Vergangenheit der Stadt hatte der Schatz eine Rolle gespielt; mit Stolz hatte ihn dann der Rat jedesmal in die Öffentlichkeit gebracht. Manches Stück war die Gabe von Fürsten, ja selbst von Kaisern; anderes war für Feste, Reichstage, Friedensschlüsse, die in Hohenstein stattgefunden hatten, angefertigt worden. Außer dem materiellen Werte hatte der Silberschatz eine große historische und kulturgeschichtliche Bedeutung. Die Landesregierung war längst darauf aufmerksam geworden und hatte sich zum Ankauf der Kostbarkeiten erboten, um sie als Staatseigentum in einem Museum der Residenz dem Publikum mehr zugänglich zu machen; allein die Bürgerschaft Hohensteins hatte sich einstimmig widersetzt, und nun sollte der so hoch gehaltene Silberschatz dem Feinde zugewiesen werden, noch ehe dieser ihn zu begehren dachte!
»Nie und nimmermehr gebe ich meine Einwilligung zu solchem schmachvollen Verfahren!« rief der Hofrat glühend vor Zorn. »Jetzt ist es mehr denn je unsere Pflicht, den Schatz unseren Kindern und Enkeln zu bewahren, und wir dürfen kein Opfer dafür scheuen. Ich bin sicher, daß ich im Namen aller Anwesenden spreche.«
Die Zustimmung kam schwach und zögernd, aber sie erfolgte doch, und als erst der Bann gebrochen war, wuchs auch allen der Mut.
»Fürs erste ist der Schatz gar nicht einmal gefährdet,« fuhr der Hofrat fort; »es ist kaum anzunehmen, daß die Franzosen jetzt bei der Verfolgung seiner gedenken, wenn sie nicht durch Verräter daran erinnert werden, und es handelt sich also nur darum, die Sachen gut zu verbergen und Schweigen zu bewahren.«
Die Mienen hellten sich auf, man stimmte dem Sprechenden lebhaft zu, und der Stadtdirektor wagte nicht, sich den Vorschlägen zu widersetzen, welche die möglichst gesicherte Aufbewahrung des Schatzes bezweckten.
»Nur Fügsamkeit, meine Herren,« ermahnte der Stadtdirektor von neuem; »wir dürfen keine Minute vergessen, daß die Franzosen jetzt bei uns gebieten, daß der König uns nicht schützen kann.«
In diesem Augenblick sprengte ein Reiter auf schaumbedecktem Pferde auf den Marktplatz, verfolgt von einer Schar Neugieriger, die ihn umdrängte. Der Offizier achtete nicht der auf ihn einstürmenden Fragen, sondern fragte nach dem Stadtdirektor, warf einem nahestehenden Manne die Zügel seines Pferdes zu und stürmte die Treppe des Rathauses hinauf.
Mit kurzem Gruß trat er in den Sitzungssaal »Leutnant von Strehlau vom ersten Husaren-Regiment,« sagte er sich vorstellend, »Ihrer Majestät als Sauve-Garde beigegeben. Der Wagen Hochderselben wird in einer halben Stunde hier sein; ich bitte um neue Pferde, damit Ihre Majestät die Reise – die Flucht – ohne Aufenthalt fortsetzen kann.«
Ein peinliches Schweigen folgte; die Herren sahen sich verlegen an. Endlich begann der Stadtdirektor mit unsicherer Stimme: »Wir sind die treuen Diener Ihrer Majestät, doch wir müssen auch das Wohl der Stadt im Auge behalten. In einigen Stunden können die feindlichen Truppen bei uns einrücken, und es könnte die schlimmsten Folgen für uns haben, wenn wir uns jetzt zu loyal zeigten.«
»Daher würde es das beste sein,« fuhr der Steuereinnehmer fort, »wenn Sie der Königin entgegenritten und sie ersuchten, die Stadt nicht zu berühren. Auf den Dörfern in der Umgegend findet sie viel leichter Transportmittel, die hier schwer zu beschaffen sind.«
Der Offizier stieß seinen Säbel auf den Fußboden. »Schändlich!« rief er erzürnt. »Solchen Undank erfährt die Königin von ihren eigenen Unterthanen!«
»Wir sind ihr und dem Könige noch wenig zu Dank verpflichtet,« sagte einer der früheren Ratsherren trotzig. »Unterthanen Preußens sind wir noch nicht lange und bleiben's auch wohl kaum. Deshalb bin auch ich dafür, daß wir uns nicht in Ungelegenheiten bringen, die zu vermeiden sind.«
»Schämt Euch, Ihr Herren!« rief der Hofrat, der seine Entrüstung nicht länger bemeistern konnte. »Sollen unsere Nachkommen dereinst von uns sagen, daß wir uns gegen die unglückliche Königin – gegen eine Frau – so feige und niedrig in ihrer Not benommen haben? – Achten, Sie. nicht auf das, mein Herr,« fuhr er gegen den Leutenant gewendet fort, »was Sie hier vernommen haben und was nicht für Ihr Ohr bestimmt war. Die Pferde für die königlichen Equipagen werden bereit sein; meine eigenen – edle Tiere – stelle ich Ihrer Majestät persönlich zur Verfügung, und wenn Sie ihr entgegenreiten und ihr meine Bitte vortragen würden, in meinem Hause eine kurze Rast zu halten und einige Erfrischungen zu sich zu nehmen, so würde ich Ihnen sehr obligiert sein. Ich gehe, um sogleich die notwendigen Anordnungen zu treffen. Nennen Sie den Herren die Anzahl der erforderlichen Pferde, die sogleich beschafft werden sollen.«
Der Hofrat verließ mit ernster Verneigung den Saal, in welchem er die Anwesenden in ganz veränderter Stimmung zurückließ. Die wenigen ruhigen Mannesworte hatten den Fassungslosen die Besinnung, den Furchtsamen den Mut zurückgegeben, und sie bemühten sich, den Offizier durch doppelte Zuvorkommenheit ihr früheres Benehmen vergessen zu machen.
Draußen wogte die Menge unruhig hin und her; es litt niemand in den Häusern, ein jeder eilte auf die Straße, um dort im Austausch seiner Befürchtungen mit den anderen Erleichterung zu finden. Schon waren Flüchtlinge vom Heere eingetroffen, bleiche, abgehetzte Menschen in zerrissener, beschmutzter Montur, ohne Waffen, die sie von sich geworfen, um nur nicht in ihrer Flucht gehindert zu sein. Wie ein verfolgtes Tier seinen Schlupfwinkel, so suchten sie jetzt die alten Quartiere auf, in denen sie doch nicht bleiben konnten. Man umdrängte sie, bestürmte sie mit Fragen und Erkundigungen, um immer dieselbe trostlose Antwort zu vernehmen: »Alles verloren, das ganze Heer zerstreut, vernichtet; niemand weiß, wohin er die Flucht lenken soll, die Franzosen sind uns auf den Fersen!«
Lauter Jammer unterbrach die schreckliche Erzählung des Unglücks. Daneben regte sich das Mitleid; Lebensmittel und Getränke wurden herbeigeschafft, eine Wunde hier und da verbunden; dann aber mußten die Erschöpften weiter, denn sie selbst fühlten sich nicht sicher und erwarteten von der Flucht ihr einziges Heil.
Einige Wagen fuhren durch das Stadtthor, die Pferde abgetrieben, dem Stürzen nahe, die Räder mit Kot bedeckt, die Insassen bleich und verstört. In dem ersten Wagen, neben dem ein Offizier ritt, saß die Königin; das schöne Antlitz zeigte die Spuren der vergossenen Thränen und der erduldeten Angst. So groß war die Majestät des Unglücks, daß sich ihr alles beugte; jeder vergaß sein eigenes Leid im Hinblick auf die königliche Dulderin, die diesmal kein Hochrufen und Zujauchzen empfing, sondern tiefes, ehrfurchtvolles Schweigen, zuweilen durch das Schluchzen und Weinen der Frauen unterbrochen. Die Königin sah ernst und trübe aus und neigte zuweilen das Haupt als Gegengruß für die ehrerbietig entblößten Köpfe.
Vor der Thür ihres Hauses empfingen der Hofrat und seine Gattin den hohen Gast mit dem begleitenden Gefolge. Die Königin sprach einige Dankesworte mit ihrem holden Lächeln und sank dann in einen Sessel nieder, kaum fähig, von den dargebotenen Erfrischungen zu genießen. Als ihr Blick auf Walter und Lottchen fiel, von denen die letztere ihr zögernd und verschämt einen Blumenstrauß entgegenstreckte, erinnerte sie sich der Kornblumen, welche ihr die Kleine vor kurzem unter so ganz anderen Umständen dargeboten hatte. Thränen traten ihr in die Augen, und sie sagte mit bebender Stimme zu der Hofrätin: »Sie sind glücklich, denn Sie haben Ihre Kinder bei sich; ich weiß nicht, wo und wie ich die meinen Wiedersehen werde!«
Aber nur für einen Moment gab sich die hohe Frau der Schwäche hin; im nächsten fügte sie gefaßter hinzu: »Alles ist Gottes Wille; wir beugen uns ihm in Demut. Er lasse Sie Freude an Ihren Kindern erleben! – Bewahre dies zum Andenken an die schwere Heimsuchung einer Königin, du liebe Kleine!« Und sie küßte Lottchen, indem sie ihr einen Ring ansteckte, den sie von ihrer eigenen Hand gezogen hatte.
Nach einigen freundlichen Dankesworten erhob sich die Königin und ging, geleitet von ihren Wirten, zu ihrem Wagen. Die feurigen Pferde des Hofrats harrten bereits voll Ungeduld und konnten kaum von der sicheren Hand des Kutschers gezügelt werden; sie zogen an und führten den Wagen der Königin pfeilschnell davon, so daß die anderen kaum zu folgen vermochten. Wie ein Traumbild verschwand der Zug der flüchtigen Königin, und fast ebenso schnell wandten sich die Gedanken der Leute von ihr und dem eigenen Schicksal zu, an dem ein jeder so schwer zu tragen hatte.
Die Straßen leerten sich, die Menschen fluteten in die Häuser zurück, in denen ein stilles, geheimnisvolles Treiben begann. Jeder scheute die beobachtenden Blicke des Nachbars; die Thüren wurden verschlossen, die Fenster verhangen, aber dahinter bewegten sich ruhelose Schatten; Lichter glitten an allen Fenstern vorbei, die Bodenluken und die Kellerlöcher zeigten den verdächtigen Schimmer, und manch einer schlich mit Spaten und Blendlaterne in Hof, Garten oder Stall, um dort ein Versteck für die Kostbarkeiten des Hauses zu finden, den die Wohnungen nicht sicher genug gewährten.
Der Hofrat saß in ernster Überlegung mit seiner Gattin. »Auch ich halte den Schatz für äußerst gefährdet,« sagte er; »die Franzosen werden ihn früher oder später begehren, und der Stadtdirektor ist nicht der Mann, ihnen zu widerstehen. Wäre bares Geld jetzt aufzutreiben, so würde ich mich erbieten, wenigstens die schönsten Stücke zu kaufen, um sie der Stadt für bessere Zeiten zu erhalten. Aber wie ist das jetzt möglich?«
In der Sorge für das Allgemeine vergaß der Hofrat ganz sich selbst und die Seinen, und Johann und die Schulzen mußten sich ein Herz fassen, die Herrschaften zu stören, denn es galt, den Feinden zu verbergen, was ihnen zu sehr gefallen konnte.