Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
In Feindes Macht.

Der nächste Tag brachte Scharen von Flüchtlingen, auch einzelne Offiziere, jetzt verzagt und tief gedemütigt; sie alle drängten weiter, weil sie sich noch nicht sicher vor den sie verfolgenden Feinden fühlten; vor ihnen lag die große Festung, auf die sie alle ihre Hoffnung setzten.

Gegen Abend trafen die ersten Franzosen ein, die mit Ungestüm gute Verpflegung verlangten, aber zufrieden waren und höflicher wurden, wenn sie dieselbe erhielten. Bald war jedes Haus mit fremden Soldaten belegt, die zechten und schmausten, was die geängstigten Wirte nur herbeizuschleppen vermochten, und es sich dann in den weichen Federbetten behaglich machten, während jene in Angst und Unruhe kein Auge schlossen.

Die Kinder standen erst in tödlicher Sorge vor den Fremden in dem festen Glauben, sie seien Menschenfresser, denen alles Junge und Zarte, was auf zwei Beinen herumlaufe, unfehlbar verfallen müsse, und sie hielten sich daher in sicherer Entfernung. Doch merkten sie bald, daß es nicht so schlimm mit den Franzosen stand, die ihnen freundlich zunickten, wenn sich ein blondes oder braunes Köpfchen aus seinem Versteck hervorwagte, und in kurzer Zeit wurden sie zutraulich gegen die Eindringlinge, die sie freundlich liebkosten und nicht mit zornigen Worten und rohen Fäusten bedrohten, wie es die eigenen Soldaten an Stelle der Franzosen wohl gethan hätten.

Georg und Walter jedoch ließen sich nicht bethören, und obwohl sie die Feinde aufmerksam beobachteten, verweigerten sie jedes Eingehen auf deren freundliches Entgegenkommen. Dorchen Fisch verlebte einen schrecklichen Tag; sie saß in einem Hühnerkorbe, der ganz unter die Dachbalken versteckt war, und da sie vergessen hatte, sich in ihrem Gefängnis mit Proviant zu versehen, so würde sie Hunger und Durst genug erlitten haben, hätten ihr nicht die Knaben, die sie in ihrer Einsamkeit besuchten, etwas zugetragen. In der Zukunft mußte sie noch manchen Tag diese verborgene Stätte aufsuchen, sie versorgte sich aber für alle Fälle doch lieber selbst.

Einige Tage dauerten die Durchzüge; es war schwer, für so viele Tausende Quartier und Verpflegung zu beschaffen. Die Vorräte waren aufgezehrt; vom Lande kamen keine Zufuhren, denn die Dörfer waren von Flüchtlingen und Verfolgern ausgesogen und litten selbst Not; die Preise der Lebensmittel stiegen ins ungeheure, und doch waren sie nicht zu beschaffen; der Mangel stellte sich ein. Die Ungeduld der Soldaten wuchs in demselben Maße, sie verlangten mit Heftigkeit und Ungestüm, was doch nicht gewährt werden konnte, und die Angst der Einwohner erreichte den höchsten Grad. Oft vernahm man aus dem Innern der Häuser Jammergeschrei und wildes Fluchen, Kolbenstöße zerschmetterten die verschlossenen Schränke und Truhen; alles wurde durchwühlt; und genügte es den Beutegierigen nicht, so verwüsteten und zerstörten sie mutwillig das Eigentum der Bürger.

Die letzte Hoffnung schwand, als die Nachricht von dem Fall der großen Festung anlangte, die, mit Besatzung, Munition und Proviant reichlich versehen, wohl eine lange Belagerung zu ertragen vermocht hätte, nun aber durch feigen Verrat den Feinden ihre Thore öffnete. Tief entmutigt vernahmen die gerade auf dem Rathause versammelten Bürger die Schreckenskunde; denn der Stadtdirektor, der sonst so eifersüchtig jede Einmischung in sein Regiment abgewehrt, wurde jetzt nicht müde, die angesehensten Männer der Stadt zusammenzurufen und sie um ihre Meinung zu befragen. – Die Franzosen hatten Hohenstein eine starke Kontribution auferlegt, und es handelte sich darum, diese auf die Bürgerschaft zu verteilen, denn die öffentlichen Kassen waren schon in den ersten Tagen dem feindlichen General von dem Kämmerer ausgeliefert und damit das Vermögen der Gesamtheit vernichtet worden.

Wieder sprach der Stadtdirektor von dem Silberschatz, dessen Hergabe genügen würde, um die Kriegssteuer zu decken, und wieder kämpfte der Hofrat mutig gegen diesen Vorschlag.

»Wir bedecken uns den fernsten Nachkommen gegenüber mit Schmach!« rief er entrüstet aus. »Noch ist die Not nicht so hoch gestiegen, daß wir darin eine Entschuldigung finden. Der Schatz hat außerdem einen viel höheren Wert; wenn wir ihn jetzt hingeben, so verschleudern wir das uns von den Vätern Überlieferte auf schamlose Weise. Wer fremd in unsere Stadt kam und vielleicht von uns scheidet, ohne heimisch geworden zu sein, der kann nicht empfinden wie wir; aber von uns darf solch feiger Eigennutz nicht gebilligt werden.«

»Wenn der Hofrat so viel Wert auf sein altes Bürgertum den Beamten gegenüber legt, welche der König als seine Stellvertreter hersandte, so mag er auch seinen Opfermut durch die That beweisen,« sprach der Stadtdirektor, unfähig, seinen Zorn zu bemeistern. »Wer der erste ist im klugen Reden, der sollte auch im Handeln nicht zurückstehen.«

»Ich bin bereit dazu,« erwiderte der Hofrat in heftiger Erregung. »Meine Ansicht ist, daß unsere armen Mitbürger, die vielleicht schon ihr Letztes hingeben mußten, von der Steuer verschont bleiben sollten; durch freiwillige Beiträge müssen wir versuchen, sie zu erschwingen. Jeder mag sich selbst nach Ehre und Gewissen besteuern; was dann noch nicht gedeckt ist, muß von der ganzen Stadt nach dem Vermögen der einzelnen Bürger aufgebracht werden.« – Die Versammelten bewahrten ihr Schweigen; sie mochten nicht widersprechen, scheuten aber vor dem, was ihnen zugemutet wurde, zurück.

»Ich bin erbötig, den Anfang zu machen,« fuhr der Hofrat fort und nannte die Summe, welche er aus freien Stücken beitragen wollte; sie war so groß, daß sie alle Erwartungen, welche man von ihm hegen konnte, bei weitem übertraf. Das Beispiel wirkte. Es traten noch andere Männer auf und nannten den Betrag, den sie zu geben gedachten; viele zeigten sich opfermutig, andere kleinlich, einige wenige nur wagten sich ganz auszuschließen. Ein großer Teil der Kontribution war auf diese Weise gedeckt, für den Rest hatte die ganze Bürgerschaft aufzukommen; es mußte natürlich für jeden, zumal in jetziger Zeit, schwer, doch nicht mehr unerschwinglich sein.

Es dämmerte bereits, als die Männer den Heimweg antraten. Mit Mühe machten sie sich Bahn durch die überfüllten Straßen; soeben waren neue Truppen eingerückt, wie es den Anschein hatte, zahlreicher als die früheren und mit geringerer Manneszucht. Sie verteilten sich lärmend durch die Stadt, schlugen mit den Gewehrkolben an die verschlossenen Hausthüren und verlangten unter wildem Toben Einlaß. Die Flüche und Drohungen, welche sie ausstießen, waren in deutscher Sprache, die Uniformen nicht französische; die Soldaten der Rheinbundfürsten folgten ihren französischen Waffengefährten und vergaßen, daß sie als Deutsche unter Deutschen standen.

Wildes Geschrei und verworrener Lärm herrschte überall. In den Häusern wurde es hell, die Soldaten drangen hinein und nahmen den Leuten das Letzte, was ihnen geblieben; eine wilde Plünderung begann. Die Herren eilten vom Rathause, so schnell sie nur vermochten ihren eigenen Wohnungen zu, wo ihre Gegenwart dringend not that. Sie drückten sich in dem Schatten und an den Seiten der Straßen entlang, um nicht den Soldaten in die Hände zu fallen; aber es gelang ihnen nicht immer, und sie hatten viel Hohn und rohen Spott zu ertragen.

Ein altes Mütterchen stürzte weinend und händeringend aus einem Hause. »Zu Hilfe! Man mordet meinen Sohn!« schrie sie mit gellender Angststimme. Aber niemand achtete ihrer; durch rohe Püffe wurde sie beiseite gestoßen. Da erblickte sie den Hofrat, der vor Entrüstung bebte, aber im Gefühl seiner Ohnmacht Schweigen bewahrte. Sie erkannte ihn und warf sich vor ihm nieder, seine Kniee umklammernd. »Erbarmen Sie sich, Herr Hofrat; helfen Sie, oder es ist um uns geschehen!« schrie sie verzweifelnd.

»Ich vermag leider nichts für Euch zu thun,« sagte der Hofrat finster. »Steht auf; ich bin leider gerade so machtlos wie Ihr.«

Aber die Alte, die in früheren Zeiten Gutes von ihm empfangen, konnte nicht an die Unfähigkeit des vornehmen Mannes, sie zu schützen, glauben; sie begann von neuem ihr Flehen, und er ließ sich von ihr fortreißen.

In dem kleinen Häuschen, in das sie ihn führte, bot sich ein Bild der Verwüstung dar: alles war umgestürzt, zerschlagen, zerbrochen; einige Kinder schrieen; am Boden lag eine Frau mit aufgelöstem Haar vor einem fremden Soldaten, flehend, die Hände ringend; ihr Mann blutete bereits aus einer Kopfwunde, und zwei Soldaten hielten den sich Sträubenden, die blanken Säbel in der Hand, und wollten eben von neuem auf ihn eindringen.

»Halt!« rief der Hofrat mit donnernder Stimme, fortgerissen von dem entsetzlichen Auftritt.

Die Soldaten ließen ihre Klingen sinken und wandten sich nach ihm um, vielleicht in der Meinung, einen Vorgesetzten in ihm zu finden; dann aber lachten sie höhnisch und drangen wieder auf den Mann ein, der die augenblickliche Befreiung benutzt hatte, um an die Wand zu springen und sich einen zertrümmerten Stuhl wie einen Schild vorzuhalten.

»Herr Hofrat, retten Sie uns!« schrie die Frau, die vor dem dritten Soldaten, einem Gefreiten, auf den Knieen gelegen hatte und jetzt aufgesprungen war.

Der Hofrat trat vor den Verwundeten. »Ihr seid Deutsche,« rief er den Soldaten zu, »und haust wie Mordbrenner! Was hat euch der Mensch gethan?«

»Er widersetzte sich und schlug nach uns,« erwidert einer der Soldaten. »Was geht Euch das an? Marsch, fort! Dankt Gott, wenn Ihr nicht selbst unsere Klinge zu kosten bekommt!«

»Gefreiter,« rief der Hofrat mit starker Stimme, »thut Eure Pflicht; duldet nicht solche Mordthaten! Verhaftet den Mann und laßt ihn richten, wenn er ein Unrecht beging, aber mißhandeln und morden dürft Ihr ihn nicht!«

»Er ist selbst nicht besser als dieser Halunke!« schrieen die Soldaten wütend. »Auf ihn!«

Sie wollten sich auf den Hofrat stürzen, als die Thür aufgerissen wurde und ein Korporal hereintrat. »Was geht hier vor?« fragte er streng.

Die Plünderer, die zu seiner Kompanie gehörten, ließen von dem Angriff ab und meldeten das Vorgefallene.

»Bindet die Leute und führt sie in Arrest!« befahl der Sergeant, »aber thut ihnen weiter kein Leid.«

»Ich habe nichts gethan, was meine Verhaftung veranlassen könnte,« sagte der Hofrat ruhig. »Solch Verfahren gegen einen friedlichen Bürger, der eine Gewaltthat zu verhindern sucht, ist nicht gerechtfertigt. Ich fordere Sie zum Schutze dieses Mannes auf, Sergeant, da ich nichts für ihn vermag. Erhalte ich nicht meine Freiheit, so werde ich mich bei Ihrem General beschweren.«

Das Gesicht des Sergeanten färbte sich dunkelrot vor Zorn; aber im nächsten Moment ging eine Veränderung mit ihm vor. Er schrak zusammen und stieß einen Ruf des Erstaunens aus.

»Herr Hofrat! Jetzt erst erkenne ich Sie! Natürlich sind Sie frei!« rief er aus.

Der Hofrat betrachtete den Korporal mit großer Verwunderung.

»Sie kennen mich nicht, Herr Rat,« sagte dieser, »ich Sie aber um so besser. Kameraden,« fuhr er fort, »für diesen Mann stehe ich; es handelt sich um ein Mißverständnis. Einer von euch führt ihn unter sicherer Eskorte zu seinem Hause, damit ihm nichts Unangenehmes in den Straßen begegnet.«

»Ich verstehe Ihre Fürsorge für mich nicht,« sagte der Hofrat mit Entschiedenheit, »und ich gehe keinen Schritt, ehe ich nicht weiß, was aus diesem armen Manne wird.«

Er deutete auf den verwundeten Mann, der sich matt auf seine Frau stützte.

»Ich denke, wir lassen ihn frei,« sagte der Sergeant zu den Soldaten; »der Kerl hat eine Lehre bekommen; ihr seid aber wohl zu hart ans Werk gegangen? Morgen früh marschieren wir weiter, und es bleibt keine Zeit, um solcher Lappalien willen ein Kriegsgericht zu berufen.«

»Er hat uns geschlagen und wollte dem Berger das Seitengewehr entreißen, als dieser die Truhe aufsprengte,« murrten die Soldaten.

»Nicht gemuckst!« rief der Korporal, der bisher wie ein Kamerad gesprochen, jetzt im Tone des Befehls. »Ich nehme alles auf mich. Wollt ihr euch, beim Hauptmann beschweren, so thut es. Er wird euch die Schererei wenig danken. Jetzt marsch, fort! Ich sehe morgen früh selbst nach dem Manne hier, und wehe euch, wenn ihm ferner ein Haar gekrümmt wird! Jetzt hinaus!«

Die Soldaten gehorchten, innerlich murrend, aber ohne ein äußeres Zeichen des Widerstrebens zu wagen. Der eine von ihnen hatte sich bereits mit dem Hofrat entfernt, der unter dieser Bedeckung unbelästigt sein Haus erreichte. Er forderte seinen Begleiter zum Eintritt auf, was sich dieser nicht zweimal sagen ließ, da er darin eine Belohnung für seinen Schutz witterte.

Im Treppenhause schallte dem Hofrat wilder Gesang entgegen; im Speisesaal, der kahl und schmucklos genug aussah, da alles kostbare Gerät längst verborgen war, saßen die fremden Soldaten, und die Dienerschaft schleppte für sie herbei, was Küche und Keller vermochten. Johann bot seine ganze Beredsamkeit auf, um die Eindringlinge zu bewegen, sich auf diesen Raum zu beschränken.

»Die Herren Offiziere befinden sich im oberen Stock,« meldete er seinem Herrn und wandte sich dann wieder zu den Soldaten: »Da kommt der Herr Hofrat; er wird gewiß alles thun, um es den Herren in seinem Hause behaglich zu machen, wenn ihr nur im guten Einvernehmen mit ihm bleibt. Jetzt begrüßt er erst die Herren Offiziere.«

Leiser fügte Johann hinzu: »Es kommt ihm nicht auf einige Thaler an er wird es seinen Gästen auch an Barem nicht fehlen lassen; aber er giebt's nur gutwillig, wird er erst böse, so ist alles bei ihm vorbei. Trinken wir auf sein Wohl!« Mit Todesverachtung setzte er das Glas an seine vor Angst bleichen Lippen und fand eine begeisterte Aufnahme für seine Aufforderung.

Bei den Offizieren ging es kaum weniger geräuschvoll zu. Sie hatten die Waffen abgelegt und machten es sich auf den schwellenden Polstern bequem. Einer von ihnen hatte die Degenkoppel auf die Konsole des Spiegels werfen wollen und hatte diesen selbst getroffen, so daß er in tausend Scherben zersplitterte; ein Ausbruch rohen Gelächters folgte dem Klirren des kostbaren venetianischen Glases.

»Wir handeln in Ihrem Interesse, Herr Wirt,« rief ein Hauptmann dem Hofrat entgegen, der in diesem Augenblick eintrat und keine Miene bei dem angerichteten Unheil verzog; »zerbrochenes Glas bringt Glück!«

Der Hofrat verneigte sich und erkundigte sich artig, ob es auch den Gästen während seiner Abwesenheit an nichts gefehlt habe; er hoffe, sie würden es sich bei ihm behaglich machen.

»Ihr scheint ein vernünftiger Mann,« lachte einer der Herren; »setzt Euch zu uns und thut uns in Eurem guten Tokayer Bescheid, Euer Haus ist stark mit Einquartierung belegt; Ihr könnt Euch dafür bei Eurem Stadtdirektor bedanken, der angab, daß hier noch viel zu haben sei. Aber Ihr versteht es, auch ungebetene Gäste willkommen zu heißen!«

»Gebetene sind mir lieber,« sagte der Hofrat lächelnd: »doch möchte ich sonst keinen Unterschied in der Gastfreundschaft machen.«

»Gut gesprochen,« sagte der Rittmeister zustimmend; »solche Gesinnung ist zu loben. Stellt einen Posten an die Thür, Leutenant von Twiel, damit wir hier ungestört bleiben; das Haus vermag nicht mehr Leute zu fassen, wenn es nicht ungemütlich werden soll. Man muß auch etwas für seinen Wirt thun.«

»Trinken Sie auf die Gesundheit unseres großen Kaisers,« sagte ein anderer Offizier, indem er dem Hofrat einen gefüllten Becher reichte. » Vive l'empereur!«

Der Hofrat wich zurück. »Den Bescheid auf diesen Trinkspruch muß ich verweigern, meine Herren,« sagte er fest. »Als Ehrenmänner können Sie ihn unter den jetzigen Verhältnissen nicht von mir verlangen.«

»Oho, was ist das!« schrieen die Offiziere durcheinander und griffen nach ihren Säbeln. »Der Halunke verweigert auf die Gesundheit des Kaisers zu trinken? Er ist ein Verräter! Nieder mit ihm! In Arrest! Vor ein Kriegsgericht!«

Die Offiziere waren in höchster Erregung, aber der Hofrat stand unbeweglich und furchtlos da, und das rettete ihn; den einzelnen unbewaffneten Mann anzugreifen, schien den Offizieren doch zu feige, jeder scheute davor zurück.

»Laßt ihn verhaften!« befahl der Rittmeister.

Da stürzte die Hofrätin totenbleich in das Zimmer, die kleine Charlotte an der Hand und Walter ihr voraus. Sie umschlang ihren Gatten, und die Kinder klammerten sich an ihn.

»Um Gotteswillen! Erbarmen, meine Herren!« flehte sie. »Was wollen Sie meinem Gatten zufügen! Er ist kein Verräter, er ist der treueste Mann in Deutschland!«

»Beruhige dich, Natalie,« sagte der Hofrat liebevoll zu seiner Frau; »es wird mir kein Leid geschehen. Aber hier ist nicht der Ort für dich; geh wieder auf dein Zimmer.«

»Ich weiche nicht von deiner Seite,« sagte sie entschieden. »Wenn sie dich verhaften, gehe ich mit dir!«

»Ich lasse meinen Vater nicht fortführen!« rief Walter trotzig. »Ich will für ihn kämpfen. Sie dürfen unserem Vater nichts thun. Unser König leidet es auch nicht; er wird schon wieder siegen!«

Die Offiziere, die durch die Angst der Mutter und die Zärtlichkeit der Kinder gerührt waren, lachten spöttisch bei dieser unglücklichen Äußerung.

»Das wollen wir abwarten, mein Bürschchen,« sagte der Rittmeister; »wer so gut laufen kann wie euer König, denkt schwerlich ans Siegen.«

Walter ballte die Fäuste, »Wär ich nur groß!« rief er unter Thränen.

»Was würdest du dann thun?« fragte einer der Offiziere spöttisch.

»Ich schösse Sie nieder, einen nach dem anderen!« rief Walter leidenschaftlich.

»Walter, du Unglückskind!« schrie die Mutter entsetzt auf.

»Beruhigen Sie sich, Madame,« sagte der Rittmeister höflich; »wir führen nicht Krieg mit Kindern.«

»Bitte, bitte, lieber Mann,« mischte sich das weinende Lottchen plötzlich in das Gespräch, »thun Sie dem Papa doch nichts zuleide; sperren Sie mich lieber ein, ich will auch gar nicht weinen!«

Sie umfaßte den Vater mit dem einen Arm und streckte die andere nach dem Rittmeister bittend aus, so lieblich und kindlich, daß der Zorn der Herren entwich.

»Der Vater weigert sich in seinem eigenen Hause uns Bescheid zu thun,« sagte einer der Offiziere finster.

»Nicht bei jedem Trinkspruch,« sagte der Hofrat begütigend.

»Ah bah, meine Herren,« rief der Rittmeister, der selbst ein kleines Mädchen daheim hatte, »was liegt dem Kaiser an einem erzwungenen Wohl! Besser ein ehrlicher Feind als ein unwahrer Freund! Wechseln wir den Trinkspruch: Was wir lieben, Ihr Herren! Darf ich bitten, gnädige Frau?«

Die Hofrätin nahm den gefüllten Becher noch mit zitternden Händen, aber mit beglücktem Lächeln, denn sie verstand, daß die Gefahr vorüber war. Die Offiziere stimmten bereitwillig in den Trinkspruch und stießen mit dem Hofrat und seiner Gemahlin an; auch Lottchen zeigte sich bereit, nur Walter wandte sich ab und sagte fest: »Ich liebe Sie aber alle nicht,« und die Herren lachten jetzt in veränderter Laune über ihn und begleiteten dann die Familie bis zur Thür, als es dieser möglich war, sich in guter Form zurückzuziehen.

Beim Meister Fisch hatten die schlimmen Gäste keinen gefüllten Keller und keine besetzte Tafel gefunden; sie hausten arg, zerwarfen das Geschirr, stürzten den Tisch um, zerschlugen die Geräte, endlich schlitzten sie die Betten auf und schütteten die Federn zum Fenster hinaus.

Weinend stand die Meisterin dabei, mit verbissenem Grimm ihr Mann – die Töchter waren in sicherem Versteck –, aber sie durften nichts von ihrem Zorn laut werden lassen, als sie das, was sie mühsam im Laufe der Jahre erworben hatten, dem frechen Übermut zum Opfer fallen sahen.

Die Soldaten hatten inzwischen die Ställe durchsucht; die arme Ziege verriet sich durch ihr Meckern, und in wenigen Augenblicken war sie hervorgezogen und geschlachtet, ihr das Fell abgezogen, und dann mußte die arme Frau Fisch das gute Tier, das sie so getreulich mit Milch versorgt hatte, das so zahm und zutraulich gewesen war und fast ein Mitglied des Haushalts gebildet hatte, selbst zubereiten! Mochten die Unholde nun auch die Hühner fangen und schlachten, ihr war es gleich, denn in solcher Not stumpft sich der Schmerz ab; sie nahm den Hahn, dessen bunte Farbenpracht ihr Stolz gewesen, in seinem gerupften Zustande jetzt eben so ruhig in Empfang wie ihr bestes Legehuhn und bereitete alles für die Soldaten, während Georg laut weinend dabei stand und mit den beiden Lehrlingen Kartoffeln schälte – auch für die Feinde.


 << zurück weiter >>