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Zwölftes Kapitel.
Das Examen.

Walter hatte der Tod der Mutter, an der er mit unbegrenzter Liebe hing, tief erschüttert; die Selbstvorwürfe, die er sich zu machen hatte, vermehrten seinen Schmerz, und die traurige Verödung des Vaterhauses lastete schwer auf ihm. Er hatte am Totenbette der Mutter die ernstesten Vorsätze gefaßt, und bemühte sich, sie redlich zu halten; er hatte auch in dieser traurigen Zeit begreifen gelernt, was er in Georg besaß, und schloß sich ihm nun enger und fester denn je an. Die gefährlichen Bekanntschaften mied er sorgfältig und widmete sich dem Lernen mit besonderem Eifer, da er viel versäumt hatte, was nun nachgeholt werden mußte.

So verging ein stilles Jahr. Ernst und Hermann waren bereits zur Universität abgegangen, und die Zeit stand nun auch für die beiden Freunde nahe bevor, daß sie ihr Examen ablegen sollten. Das große Ereignis nahm alle ihre Gedanken in Anspruch, und ihre Angehörigen blickten ihm nicht minder mit stets wachsendem Interesse entgegen. Der Bürgermeister hegte stolze Erwartungen für seinen Sohn, der sich auszeichnen sollte, wie er selbst es einst gethan hatte. Der Lehrer war weniger sicher, er hielt es aber für klüger, seine Besorgnis für sich zu behalten, um dem Schüler nicht zu sehr das Selbstvertrauen zu rauben und um dem Vater nicht unruhige Stunden zu bereiten, die vielleicht unnötig waren.

Der gefürchtete Tag kam heran. Die Schulzen ließ es sich nicht nehmen, ihren früheren Pflegling selbst herauszuputzen und an ihm zu säubern und zu putzen, bis sogar ihr Auge nicht den geringsten Makel entdecken konnte. Der blaue Frack mit den langen Schößen, die gelbe Weste, die hohen Stiefel, alles war zu ihrer Zufriedenheit, und an der breiten Kravatte hatte Lottchen, die sich in diesem Dienst bei Vater und Bruder eine große Kunstfertigkeit erworben, heute ihr Meisterstück gemacht.

Der Hofrat wünschte dem Sohne mit erkünstelter Ruhe gutes Glück, als nähme er an, daß dies gar nicht anders sein könnte, während der arme Magister kaum weniger bleich als Walter war und nur mit Mühe einige Bissen beim Frühstück hinunterwürgte. Lottchen sagte nicht viel, aber ihr armes Herz pochte ängstlich; sie wußte, wie schwer es den Vater treffen würde, wenn Walter hinter seinen Erwartungen zurückbliebe, und doch konnte sie kein rechtes Vertrauen zu dessen Lorbeeren fassen. Sie ordnete seine Hefte, sorgte für ein großes Bündel Gänsekiele, die sie selbst mit vieler Aufmerksamkeit geschnitten hatte, holte Löschpapier und vergaß auch nicht die Frühstückspause; weiter vermochte sie nichts zu thun.

Der Vater war wieder in sein Arbeitszimmer gegangen, der Magister hatte bald dies, bald jenes im Homer oder Ovid seinem Zöglinge besonders ans Herz zu legen, fragte jetzt nach einer Jahreszahl, oder rief ihm eine grammatische Schwierigkeit ins Gedächtnis zurück, als könnte er ihm dadurch den Sieg sichern. Dann zog er sich in seine Studierstube zurück, als Walter auf die Uhr blickte und sich seufzend auf den Weg machte, um sich dort unter Griechen und Römern den Gleichmut und die Ruhe zu holen, die ihm so ganz fehlten, obgleich er deren so dringend bedurfte.

Lottchen und die Schulzen gaben dem Examen-Kandidaten das Geleit bis zur Hausthür; erstere drückte ihm nochmals die Hand. »Die Mutter ist gewiß um dich, Walter,« flüsterte sie und eilte davon, denn sie konnte die Thränen der Angst nicht zurückhalten.

»Na,« sagte die Schulzen und gab ihm zum Abschied einen derben Schmatz, »das wird nun wohl für lange Zeit der letzte sein, denn wenn ich auch eine alte Frau bin, so würde es sich doch nicht für mich schicken, den angehenden Studenten abzuküssen. Aber nun den Kopf hoch, Walterchen! Siehst ja nicht besser wie ein Delinquent aus, der zum Galgen geführt wird. Du wirst dich doch vor den Bücherwürmern dort nicht fürchten.«

Zur selben Zeit mit Walter trat Georg aus dem Nachbarhause hinaus auf die Straße, gleichfalls im besten, ganz neuen Anzuge, zu dessen Beschaffung der letzte Inhalt der Sparkasse verwandt worden war, denn das arme Büchslein empfing in den schlechten Zeiten nur selten Beiträge und mußte sie meist bald wieder hergeben. Vater und Mutter sahen ihm aus dem Fenster nach, die Geschwister standen in der Hausthür, und Gottlieb schritt im Sonntagsrock neben ihm und sagte: »Ich hole dich wieder ab, Junge; gut machen wirst du deine Sache schon, mir ist nicht die Spur bange.«

Georg that diese Zuversicht wohl, obgleich er sehr ruhig und gesammelt war; Walter selbst wurde besser zu Mute, als er mit ihm zusammen den sauren Gang antrat.

»Es ist schändlich, daß einem gerade jetzt alle alten Sünden einfallen,« flüsterte er dem Leidensgefährten zu, »jede Stunde, die ich den Magister durch Unaufmerksamkeit geärgert, jede Arbeit, die ich versäumt habe, steht wie ein Gespenst vor mir.«

»Denke jetzt nicht daran,« rief Georg, »halte dir den Kopf kühl, es wird schon werden.«

»Du hast gut reden,« erwiderte Walter mürrisch; »wer wie du geochst hat, dem kann's nicht fehlen.«

»Na, man nicht den Mut verlieren,« tröstete Gottlieb; »wenn die Herren man ordentlich fragen, so werden Sie schon antworten, und die werden's doch wohl richtig machen.«

Sie standen nun vor dem Gymnasialgebäude, dessen Pforten sich gleich darauf hinter ihnen schlossen, und mit einem Seufzer, der von weniger Gemütsruhe zeugte als er erheuchelte, trat Gottlieb den Rückweg an.

Am Abend wartete er schon lange, ehe die beiden Examinanden erschienen; Georgs frische Miene bewies, daß bis jetzt alles gut gegangen war, Walter sah nicht besser als am Morgen aus.

Wieder wurde aus Morgen und Abend ein Tag; Gottlieb hatte sich auf einen Prellstein gesetzt, weil seine alten Beine vom langen Stehen müde wurden, aber seine Augen verließen die hell erleuchteten Fenster nicht, hinter denen, wie er meinte, die armen Jungen so schändlich gequält wurden.

Walter erschien jetzt, abgespannt und niedergeschlagen, von Georg war noch nichts zu sehen. Gottlieb erschrak. Hatten sie den armen Jungen gar krank gemacht mit ihrem Examen? Er hatte immer gesagt, ein Narr könne mehr fragen, als zehn Kluge zu beantworten vermochten. Nein, so was war unmöglich, und er stürzte auf Walter los, um von ihm etwas zu erfahren.

»Keine Not um ihn,« erwiderte dieser bitter, »er setzt die Professoren durch seine Weisheit in Erstaunen; der braucht gar nicht erst auf die Universität, um zu studieren.« – Gottliebs erschrockene Miene brachte den Aufgeregten zu sich. »Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen,« fügte er freundlicher hinzu, »es geht brillant mit Georg.«

»Gottlob!« rang es sich aus der treuen Brust. »Na, junger Herr, Sie sind doch noch früher fertig, warum freuen Sie sich denn nicht?«

»Morgen geht die Hetzerei von neuem los,« antwortete Walter verdrossen; »ich habe schon jetzt mehr als genug.«

»Verdenke ich Ihnen nicht, junger Herr,« stimmte Gottlieb zu, »aber es geht auch vorüber. Verlieren Sie die Zuversicht nicht.«

Walter ging langsam nach Hause; Lottchens Fragen ließ er unbeachtet, dem Vater antwortete er ausweichend. Der Schulzen wurde zu Mute, als wenn ihr Seliger von der schlimmen Schlacht bei Kunersdorf erzählte; aber es hieß ruhig abwarten.

Gottlieb mußte noch eine lange Viertelstunde aushalten, bis Georg erschien. Es bedurfte keiner Frage, sein Gesicht sagte alles, und der Altgesell nickte zufrieden.

»Hab' ich's nicht gesagt?« rief er jubelnd, »es mußte ja glücken.«

»Über alle Erwartung gut ist's gegangen,« berichtete Georg freudestrahlend; »unsere Angst ist zu Ende, die schriftlichen Arbeiten waren gut, mir ist das mündliche Examen erlassen.«

Gottlieb sah ihn erst mit offenem Munde an, dann vergaß der ehrsame Altgesell sich so ganz, daß er mit einem lauten Juchhe! die Mütze in die Luft warf und Georg auf offener Straße umarmte.

»Na, nun haben wir's, alter Junge,« sagte er, »ich wußte wohl, daß ich noch einmal stolz auf mein Patenkind sein würde. Na, die Freude, wenn ich erst den Schreibtisch für den zukünftigen Herrn Rat mache! Er soll extrafein werden, ich sehe mich jetzt schon nach dem besten Holze um, das je in einem Walde gewachsen ist.«

»Da habt Ihr Zeit genug zum Auswählen,« sagte Georg lachend, »mancher Berg liegt noch dazwischen. Wenn nur Walter erst so weit wie ich wäre,« fügte er seufzend hinzu.

Gottlieb that einen leisen Pfiff. »Wie man's treibt, so geht's,« sagte er. »Wer ein ordentlicher Tischler werden will, muß mit Hobel und Säge tüchtig hantieren und darf sich nicht mit allerlei Allotria befassen, und beim gelehrten Handwerk wird's wohl auch so sein. Der junge Mosjeh war gar zu sehr zu anderen Dingen aufgelegt als zum Lernen.«

»Ich kann mich nicht eher freuen, als bis Walter glücklich durch ist,« sagte Georg kleinlaut. »Ich mag nicht einmal zu ihm gehen, es könnte ihn in Verlegenheit bringen.«

»Ja, der Herr Bürgermeister werden wohl nicht allzu erbaut sein, daß du ihm den Rang abläufst,« meinte Gottlieb bedenklich.

Zu Hause empfingen die Eltern den Sohn mit großer, aber stiller Freude; sie hatten kaum an einem guten Resultat gezweifelt, es traten nun aber so viele neue und doch schon oft im stillen erwogene Sorgen an sie heran, daß dies ihren frohen Mut über die Auszeichnung, welche Georg errungen hatte, dämpfte. Sie mochten sein Glück und die stolze Freude der Geschwister nicht stören, so schwiegen sie und erwogen erst ihre Bedenken, als sie in der Schlafkammer allein waren.

»Ich gehe morgen zum Bürgermeister und bitte ihn, daß er sich um ein Stipendium für Georg verwendet,« sagte der Tischler entschlossen; »leicht wird mir der Gang nicht, aber wenn ein so einflußreicher Mann sein Fürwort abgiebt, läßt sich wohl eins erlangen, und ich sehe sonst keinen Weg, um dem Jungen das Studieren zu ermöglichen.«

»Ja wohl, thue das,« stimmte die Frau bei; »ich denke, der Hofrat kann seine Fürsprache nicht verweigern; er hat uns ja dazu bewogen, nicht unser Ehrgeiz, daß wir für unseren Sohn so hoch hinauswollen. Aber warte lieber noch, bis Walter glücklich durch ist; so lange wollen wir beide auch gegen Georg schweigen, damit er doch wenigstens eine kurze Zeit sein Glück ohne Sorgen genießt.«

Es waren schwere, gewitterschwüle Tage im Hause des Hofrats; dieser sprach fast nichts, Walter war blaß und mutlos, und selbst die Schulzen wußte kaum, wo sie Trost für ihren Liebling und das arme bangende Lottchen hernehmen sollte.

»Ich habe immer gesagt, Offizier muß er werden,« brummte sie halb vor sich, halb zu Johann, »zum Federfuchser taugt er einmal nicht; aber nein – da muß sich das arme Kind sein ganzes Leben lang quälen mit dem schauderhaften Zeug, das in hundert Büchern steht, und am Ende ist er nur dumm geworden von dem vielen Lernen. Ich habe genug dagegen gesprochen, als es noch Zeit war, aber auf mich wollte ja niemand hören!«

»Ja, Sie mag wohl nicht unrecht haben,« meinte Johann unentschieden; »aber in unserer Familie ist doch nun einmal das gelehrte Wesen zu Hause. Der Herr Urgroßvater waren Hofrat, und der Herr Großvater Kammerrat, und alle unsere Vorfahren haben der heiligen Jurisprudenz gedient. Sie kann das allerdings nicht wissen, Schulzen, Sie ist noch nicht lange bei uns, und meine Vorfahren« – er wagte es, ordentlich stolz auf die Schulzen herabzublicken, die sonst mit hohem Respekt von ihm behandelt wurde – »haben schon seit vier Generationen, wie der Herr Bürgermeister es auszudrücken belieben, als Major Memussen – er meinte Majordomus damit – hier geschaltet.«

Dieser Versuch, seiner alten Gefährtin imponieren zu wollen, bekam dem unglücklichen Johann aber schlecht. »Bleibe Er mir mit Seinem Kauderwelsch nur vom Leibe,« fuhr sie ihn an; »ich nehme es mit Ihm und all Seinen Generationen auf! Wenn Er hören will, was ich von Ihm denke –« Sie freute sich bereits, ihrem bedrückten Herzen gegen ein Schlachtopfer Luft machen zu können, aber Johann sah das Unwetter kommen und flüchtete schleunig.

Natürlich blieb es dem Bürgermeister nicht verborgen, daß Georg das Examen so glänzend bestanden hatte. Das vermehrte seinen Zorn und seine Bitterkeit noch, die sich nun auch gegen diesen wandte; zuerst erwartete er grollend sein Kommen, bereit, darin einen frechen Triumph zu erblicken; jetzt reizte ihn sein Fernbleiben.

»Wenn nur die Frau Mama noch lebte,« seufzte die Schulzen zu Lottchen, »die würde den Herrn schon wieder zur Ruhe sprechen; jetzt verschluckt er all seine Aufregung und seinen Grimm, und das kann ihm nicht bekommen. Ja, mein Seliger hat immer gesagt, vor den Kanonen war's nicht schlimm, aber schrecklich kam's ihm an vor den Kindern, wenn sie ein schweres Wort nicht buchstabieren konnten, und mit ihm ging's auch nicht recht. Ach Gott, wozu ist das alles auf der Welt! Ich halte von der heiligen Jurisprudenz – wie der Esel, der Johann, es nennt – überhaupt nicht viel; eine tüchtige Tracht Prügel zur rechten Zeit und am rechten Ort ist besser als alle Rechtssprüche der Welt, und das hat der liebe Gott schon so eingerichtet, daß man die mit kräftigen Fäusten und einem guten Knüppel austeilen kann, ohne es vorher gelernt zu haben.«

Endlich gingen noch zwei Leidenstage vorüber, für Georg kaum weniger schlimm als für Walter. Er konnte nun den Freund, auf dessen Heraustritt er jeden Abend vor dem Gymnasium gewartet hatte, nach Hause begleiten, voller Freude, daß er nun auch erlöst war. Daß er mit der niedrigsten Nummer, manchem »kaum genügend« bestanden, war allerdings schlimm, und Georgs Nummer Eins sah ihn ordentlich vorwurfsvoll an. »Aber,« sagte die Schulzen, »wenn man nicht hoch zu Roß über die Hecke setzen kann, so steigt man ab und kriecht durch. Durch ist durch – bloß nicht davor liegen bleiben!«

Der Bürgermeister teilte diese milde Auffassung nicht; er nahm das Zeugnis seines Sohnes mit einem Gesicht, das zu Stein erstarrt zu sein schien, las es dem Delinquenten laut und feierlich vor und legte es dann beiseite, indem er sagte: »Das ist das erste Mal, daß ein Märtens solche Prädikate errungen hat. Ich wünsche dir Glück zu deinen Lorbeeren!«

Georg stand dabei, nicht minder blaß und zitternd wie sein Freund, und überreichte dem gestrengen Herrn sein Zeugnis mit einer Miene, als hätte es statt der glänzenden Prädikate nur die Artikel seiner Verurteilung enthalten.

Der Bürgermeister überflog das Papier, ohne daß seine strenge Miene sich milderte, und sagte nur: »Ich beneide deinen Vater!«

Zu beneiden war nun Meister Fisch trotz der Nummer Eins seines Sohnes nicht, denn er hatte wieder eine schlaflose Nacht gehabt, die ihm trotz alles Grübelns nichts weiter gezeigt hatte, als seine eigene Unfähigkeit, dem Sohne fortzuhelfen. Die hatte er allerdings seit Jahren gekannt, allein solange die Hofrätin lebte, hatte er auf ihre Vermittelung gebaut, die sie ihm oft mit ihrem guten, freundlichen Lächeln zugesagt, wenn er sorgenvoll vor ihr stand. Nun hatte er im stillen immer gehofft, es würde eine Anfrage von dem vielvermögenden Nachbar kommen, wie es mit Georgs Aussichten stehe, und ein Anerbieten, seinen Einfluß ihm dienstbar zu machen; aber er harrte vergebens.

Georg war nicht minder beklommen zu Mute; es herrschte eine schlimme Stimmung nebenan, er wußte selbst nicht, sollte er sich zeigen, sollte er fortbleiben; es kam ihm vor, als hätte er sich nicht schlechter und undankbarer benehmen können, als durch sein gutes Zeugnis geschehen war, während der Sohn des Hauses solch Unglück gehabt. Die kurze Freude war vorüber, er kannte nun des Vaters Sorge und blickte trübe im die Zukunft.

»Der Herr Oberbürgermeister werden natürlich erwarten, daß ich ihn um seine Verwendung angehe,« sagte der Tischler zu seiner Frau, um sich Mut zu machen, konnte aber einen schweren Seufzer nicht unterdrücken, als er seinen Staatsrock anzog; er erschien sich wie ein Bettler.

Der Empfang des Bürgermeisters war nicht ermutigend; er hörte mit starrer Ruhe die Dankesworte des Meisters an, wünschte ihm eiskalt Glück zu Georgs glänzendem Zeugnis und blieb stumm, ohne seine Erwartung zu verbergen, daß der Besuch sich nun zurückziehen möge.

Der Meister faßte sich nun endlich ein Herz und sprach von dem Rückgange seiner Verhältnisse, die der Krieg herbeigeführt und der ihn außer stand setzte, den, Sohn auf die Universität zu schicken, wie er gehofft und wozu der Herr Hofrat ihn selbst ermutigt hatte, als er ihm das Anerbieten des gemeinsamen Unterrichts gemacht.

»Wollen Sie mir dadurch eine weitere Verpflichtung, aufzwingen?« fragte der Bürgermeister rauh. »Ich erkenne keine solche an.«

»Das sei fern von mir,« erwiderte der Meister, dem die Röte des Unwillens in die Stirn stieg; »aber ich hegte die Hoffnung, daß ich durch die Befürwortung des Herrn Oberbürgermeisters leichter ein Stipendium für meinen Sohn erhalten könnte, zu dem ich sonst wenig Aussicht habe.«

»Ich lasse mich auf keine Betteleien ein,« sagte der Hofrat herbe.

Der Meister, der bisher in gebeugter, unsicherer Haltung dagestanden, richtete sich plötzlich auf. Das Wort machte allem ein Ende. »Herr Oberbürgermeister,« sagte er, »die Bemühung um ein Stipendium, wie es zur Förderung wenig begüterter, strebsamer Geister von edeldenkenden Menschen ausgesetzt worden ist, erscheint mir keine Erniedrigung, denn ich weiß, daß mein Sohn solcher Unterstützung keine Schande machen würde. Als einfacher Handwerker habe ich bei einer Bewerbung kaum Aussicht auf Berücksichtigung, und einflußreiche Gönner besitze ich nicht. Daß ich Sie daher um Ihre Fürsprache bat, finde ich nur natürlich. Sie konnten dieselbe verweigern; aber die Art, in der Sie dies thaten, beschimpft nicht mich, sondern fällt nur auf Sie zurück. Leben Sie wohl, Herr Oberbürgermeister!«

Der einfache Mann hatte mit solcher Würde gesprochen, daß der Bürgermeister keine Erwiderung fand und ihn auch nicht unterbrach. Er war gegangen, und man hörte nur noch, wie er im Vorsaal nach Georg rief, der ihn dort erwartete.

Der Bürgermeister war an diesem Tage für niemand sichtbar, außer in der Amtsstube auf dem Rathause; er ließ sich die Mahlzeiten auf sein Zimmer bringen, schickte sie aber unberührt wieder fort. Walter erfuhr, wenn auch nicht die Einzelheiten, so doch das Resultat der Unterredung von Georg, der in ruhiger Fassung sein Urteil hinnahm.

»Ich muß nun Tischler werden,« sagte er, »und muß mich bemühen, das Gelernte zu vergessen, damit ich mit Leib und Seele beim Handwerk bleibe. Ich bin ein alter Lehrling,« fügte er mit traurigem Lächeln hinzu, »andere sind in den Jahren fertig, in denen ich anfange.«

»Wird es dir schwer?« fragte Walter.

»Davon darf nicht die Rede sein,« antwortete Georg; »mit thun nur meine Eltern leid; sie erleben so selten etwas Freudiges. Außerdem ist Wilhelm schon Tischler und bekommt dereinst die Werkstatt; da wird es dem Vater viele Sorgen machen, wo ich später ein Unterkommen finde, denn das Handwerk hat keinen goldenen Boden mehr. Nun, Gottlieb hat auch sein ganzes Leben als Altgeselle hingebracht, und er ist doch ein so braver Kerl, besser als ich; an dem will ich mir ein Vorbild nehmen.«

Walter war in seinem Empfinden geteilt; die Trennung von dem Freunde that ihm leid, und doch – wie viel freier würde er ohne diesen auf der Universität sein, unter dessen Einfluß er stets geriet, so sehr er auch innerlich dagegen rebellierte. Er freute sich schon so sehr auf die nun bald eintretende fröhliche Studentenzeit, die dem ungemütlichen Leben im Vaterhause ein Ende machen sollte. Er wollte ganz sicher ein flotter Bursche werden; natürlich mußte er tüchtig studieren, alles Versäumte sollte nachgeholt werden, er wollte die Scharte des Abiturientenexamens durch eine glänzende Staatsprüfung auswetzen, aber das hatte alles noch Zeit, zuerst mußte er einmal genießen, daß er frei, vom Zügel los war; nachher in späteren Semestern wollte er ein Musterstudent werden.

Lottchen war außer sich, als sie von Georgs Entsagung erfuhr; sie drang in Walter, mit ihr einen Sturm beim Vater zu wagen, und als dieser sich weigerte, faßte sie sich ein Herz, ging allein zu ihm und bat sehr dringend, aber doch stockend und ängstlich.

»Schickt dich Georg oder gar sein Vater?« fragte er mit derselben unbewegten Miene.

»O nein, Herr Vater, Georg und Meister Fisch wissen von nichts,« erwiderte sie und sah ihn mit den sanften Augen der Mutter an; »Georg ist ganz zufrieden, nächsten Montag will er das Schurzfell umbinden und als Lehrling in die Werkstatt eintreten.«

»So?« sagte der Bürgermeister, zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn; aber er war so seltsam, wie abwesend, sie wagte nichts mehr zu sagen und schlich still und traurig von dannen.


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