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Walter und Georg standen bald mitten im Universitätsleben. Sie wohnten beide in derselben Straße, Georg vier Treppen hoch in einem Dachkämmerchen, das nur mit dem Notdürftigsten versehen war, das er aber so ordentlich und sauber hielt und mit seinen wenigen Habseligkeiten so hübsch auszuschmücken verstand, daß seine Wirtin ihn als das Muster eines Studenten lobte.
Walter hatte mehrere nette Zimmer, die mit allem Luxus der damaligen Zeit eingerichtet waren. Das Sofa und die Stühle hatten hübsche Sitzbezüge, der Spiegel über der Kommode zeigte allerdings viel Holz und wenig Glas; in einer Ecke stand ein Glasschrank, mit zwei gefleckten Porzellankatzen geschmückt, die sich der Arbeit des Pfötchensäuberns mit großem Eifer hingaben; an der Wand hatte der junge Student eine kriegerische Trophäe aus Schlägern und Pistolen angebracht, eine Menge Pfeifen mit riesigen Rohren standen auf dem Ecktischchen, an dem einen Fenster befand sich der mit Büchern und Papier bedeckte Schreibtisch, mit einem Bücherregal daneben; große Kanonenstiefel pflegten zu allen Zeiten in der Stube umherzuliegen; Pluto streckte sich behaglich vor dem ungeheuren, auf sechs hohen Beinen stehenden Kachelofen; dazu standen leere Bierhumpen auf der rot und weiß karrierten Tischdecke, und dicker Tabaksqualm erfüllte zu allen Zeiten die Luft. Walter behauptete, es könne kein schöneres Studentenquartier geben, die Schulzen aber würde die Hände über dem Kopfe ob der greulichen Verwilderung ihres Pfleglings zusammengeschlagen haben, der sich in solcher Höhle behaglich fühlen konnte.
Anton machte seinem Vertrauensposten alle Ehre, säuberte und bürstete den äußeren Menschen seines Herrn sorgfältigst, putzte die Stiefel spiegelblank, reinigte die Pfeifen, fütterte den Pluto und bedauerte nur, daß er so gar keine Gelegenheit hatte, die lustigen Streiche ausführen zu helfen, die man so allgemein den Herren Studenten zuschrieb. Aber Walter war von einem Lerneifer beseelt, der ihn alles übrige vergessen ließ. Von früh bis spät saß er über den Büchern, und Georg hatte oft Mühe, ihn zu bewegen, daß er sich eine Erholung gönnte. Einen solchen Fuchs hatte man so bald nicht gesehen, er wurde mehr als jeder andere geneckt, verstand aber bald sich in Respekt zu setzen, da er eine sehr gute Klinge führte.
Ernst und Hermann studierten bereits im zweiten Semester, sie wollten die alte Freundschaft fortsetzen, doch hielt sich Walter durchaus fern von ihnen und trat auch mit Georg einer anderen Verbindung bei. Es war ihm heiliger Ernst mit seinen Vorsätzen, und Georg bewunderte seine Energie in deren Durchführung; nur fürchtete er die Übertreibung, und er konnte sich nicht verhehlen, daß diese Abgeschlossenheit von Walter beobachtet wurde, weil er nicht frei von Mißtrauen gegen sich selbst war.
Zu Weihnachten reisten die beiden Freunde nach Hause, Georg mit einer großen Narbe über der Wange, die er bei einer Paukerei davongetragen hatte, und auf die er nicht wenig stolz war. Die Freude war groß in beiden Familien, und die Heimgekehrten bildeten den Mittelpunkt, um den sich alles drehte. Sogar der Bürgermeister verlor etwas von seinem Ernste und hörte lächelnd den Erzählungen der jungen Männer zu, teilte auch manches aus seiner eigenen Studentenzeit mit, und es that ihm im geheimen leid, daß sein Sohn nicht auch einen kleinen Schmiß aufzuweisen hatte. Frau Fisch hingegen war entsetzt über Georgs Unglück, wie sie es nannte, und die Schulzen mußte ihr erst den Standpunkt klar machen, daß das nicht anders ginge.
»Gegen den Soldatenstand ist es nichts,« erklärte sie; »da wird einer in tausend Granatstücke zerhauen, so daß der Feldscher sich nachher halbtot suchen muß, ehe er alles findet, was er zusammenflicken soll; aber ein bißchen kriegen die Studenten auch ab, und auf eine halbe Nase oder ein Ohr weniger darf es ihnen nicht ankommen.«
»Daß Gott erbarm!« seufzte die arme Mutter händeringend.
»Zivilistenvolk!« murmelte die Schulzen halb verächtlich und zuckte mitleidig die Achseln. »Diesmal hat's Euren Georg getroffen,« fuhr sie fort; »unser Walter wird auch schon noch etwas erhalten, und wir freuen uns alle beide darauf, der Herr Hofrat und ich, denn es steht nichts so schön, als eine gehörige Narbe. Ein Duckmäuser darf unser Walter nicht werden!«
In Hohenstein hatte Walter den Verkehr mit Ernst und Hermann nicht vermeiden können, um so mehr, da diese ihr hochmütiges Betragen gegen Georg aufgegeben hatten. Die Zeit war so ernst und schwer, daß man gern auf Stunden seiner Not vergaß, auch hatte man gelernt, so anspruchslos zu sein, daß ein geselliges Vergnügen mit geringen Kosten herzustellen war. Da benutzten nun die Familien die Anwesenheit der Studenten, um der Jugend ein frohes Tänzchen zu bereiten, wobei sich auch die Alten am Zusehen ergötzten, und auf diese Weise ging es fröhlich und harmlos zu.
Georg war dadurch öfter von Hause fort, als ihm lieb war, doch ermutigten ihn Vater und Mutter, die Einladungen anzunehmen; sie hatten es sich ja von jeher klar gemacht, daß ihr Sohn durch die von ihnen erwählte Laufbahn mehr von ihnen losgetrennt sein werde als ihre anderen Kinder, und wenn er ihnen nur im Herzen verbunden blieb und sich nicht entfremden ließ, so waren sie ganz damit einverstanden, daß er in höhere Kreise eintrat.
Walter sah blaß und angegriffen aus, so daß ihn selbst sein Vater vor einem Übermaß des Fleißes warnte. Der Hofrat war ganz erstaunt über seinen Sohn; es war ihm erfreulich, daß sich dieser so durch Lerneifer hervorthat; aber er betonte ihm gegenüber auch wieder, daß er keineswegs wünsche, daß er sich den heiteren Seiten des Studentenlebens gänzlich fernhalte.
Dieses Besorgnis würde geschwunden sein, hätte er Walter nach der Rückkehr von den Ferien gesehen. Mit einer von den schnellen Wandlungen, wie sie sich bei ihm zu vollziehen pflegten, waren ihm plötzlich die Studien verleidet; er öffnete seine Bücher und Hefte oft tagelang nicht, schwänzte die Kollegien, war selten zu Hause, und traf ihn Georg dort an, so lag er auf dem Sofa, in eine Wolke von Tabaksqualm gehüllt, klagte über Kopfschmerzen und war mürrisch und verdrießlich. Georg war bekümmert und besorgt, denn er ahnte nur zu gut den Grund dieser Veränderung. Die Freundschaft mit Ernst und Hermann war von neuem angeknüpft und mit ihr der alte, unheilvolle Einfluß abermals wieder aufgelebt. Bald wurde kaum ein toller Streich ausgeführt, bei dem Walter nicht beteiligt war.
Der Hofrat war über alles Erwarten nachsichtig; er hielt eine gewisse Ausgelassenheit nicht für gefährlich und erwartete danach eine Klärung des Charakters. Natürlich erfuhr er nur einen kleinen Teil von Walters Übergriffen, was sich nicht verschweigen ließ, und er hatte keine Ahnung, wie Walter alles Maß überschritt. Besonders argwöhnte Georg, daß er sich von den gefährlichen Freunden zum Spiele verleiten ließ, doch fehlte es ihm an Gewißheit über diesen Punkt. Zu Ostern erklärte ihm Walter, daß er nicht nach Hause gehen würde; er habe manches nachzuholen und wolle mit Ernst und Hermann zusammen ein Repetitorium bei einem jungen Gelehrten durchmachen.
»Du hast ja kaum zu studieren angefangen,« sagte Georg, »dergleichen nimmt man doch erst gegen Ende der Studienzeit vor.«
»Ich finde es aber jetzt an der Zeit,« antwortete Walter scharf, »und halte mich für alt und klug genug, um mir selbst ein Urteil zu gestatten. Wenn mein Vater mit meinem Vorhaben einverstanden ist, so glaube ich deine Erlaubnis entbehren zu können.«
Georg war tief verletzt und unterdrückte mit Mühe eine heftige Entgegnung, doch die Erinnerung an sein der Hofrätin geleistetes Versprechen besänftigte ihn und er sagte ruhig und freundlich: »Verzeih, ich will dich gewiß nicht bevormunden, wie du jetzt schon öfter angedeutet hast; aber meine Freundschaft macht es mir zur Pflicht, dir meine Besorgnisse nicht zu verschweigen. Du wirst, wenn du mit jenen beiden hierbleibst, Ursache haben, deinen Entschluß zu bereuen; es bleibt nicht bei dem, was ihr euch vorgenommen habt.«
»Aber wenn ich weiter auch nichts beabsichtigte, als auf diese Art von meinem Mentor loszukommen, so wäre das Gewinns genug!« rief Walter heftig. »Ich glaube wohl, daß du mich aus deinem Netz nicht freilassen willst, habe aber lange genug die knabenhafte Gutmütigkeit besessen, mich von dir hofmeistern zu lassen. Es ist mir lieb, daß wir zum Aussprechen kommen. Ein- für allemal verbitte ich mir deine guten Ratschläge, und wenn du sie nicht für dich behalten kannst, so trennen sich unsere Wege.«
»Walter,« bat Georg, »besinne dich, wie ungerecht du gegen mich bist. Du hast dich aufhetzen lassen; von dir kommen diese feindseligen Gedanken nicht, und deshalb zürne ich dir nicht!«
»Sehr gütig!« rief Walter außer sich, denn ihm war in letzter Zeit so viel von Freiheit und Selbständigkeit zugeflüstert worden, daß ihn jede Andeutung, er könne sich durch andere bestimmen lassen, in heftigen Zorn versetzte. Er scheute Georgs klaren Blick und empfand seine Abwesenheit wie eine Erleichterung; er hatte ja auch ganz recht, wenn er den unausgesprochenen Argwohn hegte, daß das Studium nur ein Vorwand war, um sich ganz frei und ungebunden zu amüsieren, was im elterlichen Hause nicht in solchem Umfange möglich gewesen wäre. Wie alle schwachen Menschen haßte er den Anschein, als könnte er sich von jemand leiten lassen, und deshalb lag ihm jetzt gar nichts an Georgs Freundschaft, die von den anderen Gefährten Zudringlichkeit genannt wurde und so ließ er sich von seiner Heftigkeit über alle Grenzen fortreißen.
»Wenn du dich um dich selber bekümmern und mich verschonen wolltest, so würde ich dir sehr dankbar sein,« rief er aus. »Ich sehe nicht ein, daß dich der Umstand, daß wir Nachbarskinder sind und du durch die Güte meiner Eltern in unserem Hause geduldet wurdest, zu dem Anspruch berechtigt, mir mein ganzes Leben lang deine Freundschaft aufzudringen. Ich für mein Teil verzichte darauf und suche mir lieber bei meinen Standesgenossen einen Umgang, der die Forderungen des guten Tones kennt, und den ich nicht beständig in seine Schranken zurückzuweisen genötigt bin.«
»Halt ein, Walter,« rief Georg, der vor Zorn erblaßt war; »du hast mehr als genug gesagt. Hat unsere treue Jugendfreundschaft für dich allen Wert verloren auf deiner neuen Bahn, so will ich dir wünschen, daß du deine jetzigen Freunde nie von anderer Seite kennen lernst. Ich habe dich unendlich lieb gehabt, und mit tausend Schmerzen sage ich mich von dir los! In Dankbarkeit und Verehrung war ich deinen Eltern ergeben, ich handelte so gegen dich, wie es diese Gefühle mir zur Pflicht machten; du hast sie zurückgewiesen. Lebe wohl!«
Georgs Stimme bebte, er wandte sich um und verließ das Zimmer. Walter, dessen Zorn verraucht war, erschrak über den von ihm herbeigeführten Bruch; er empfand plötzlich tiefe Reue und nur das einzige Verlangen, sich in Georgs Arme zu werfen, ihn um Verzeihung zu bitten und wieder alles mit ihm zu beraten.
»Georg,« rief er ihm nach, »bleibe doch nur; es war ja nicht so gemeint!« Aber seine Worte verhallten im Dröhnen der heftig zugeschlagenen Thür, und als er ans Fenster stürzte, um den Forteilenden von hier aus zurückzurufen, wurde er von Hermann Feldheim, der eben eintrat, am Arm ergriffen.
»Was hast du nur?« fragte dieser lachend. »Willst du aus dem Fenster springen?«
»Laß mich,« wehrte ihn Walter ab; »ich will Georg rufen.«
»Der ist schon über alle Berge,« erwiderte Hermann; »er sah wie die heilige Feme aus, zum Fürchten, als ich ihm auf der Treppe begegnete, kaum daß er meinen Gruß erwiderte.«
»Ich habe ihn beleidigt, aber ich muß ihn wieder versöhnen,« sagte Walter, nach seiner Mütze greifend.
»Ihn um Verzeihung bitten, wie allerliebst!« lachte sein Besucher. »Du bist trotz deiner Länge ein guter, kleiner Junge geblieben. Also so war's. Ritter Georg hat dich abgekanzelt, und als du dir das nicht gefallen lassen wolltest und du ihm zu verstehen gabst, daß du der Rute entwachsen seiest, fuhr es ihm in die Krone. Aber natürlich wirst du nicht so unartig bleiben; jetzt hinterher, Abbitte geleistet – auf den Knieen wird er sie ja wohl nicht verlangen – du hörst eine Stunde lang seiner Strafpredigt zu und unterfängst dich nie wieder, einen eigenen Willen zu haben.«
»Das wird nicht geschehen,« erwiderte Walter ärgerlich; »aber ich habe mich gegen Georg vergessen, und so ist es nur in der Ordnung, daß ich ihn wieder zu versöhnen suche. Mein Schaden war es übrigens nie, wenn ich ihm gefolgt bin.«
»Bravo!« lachte Hermann, »thue nach deinem Gefallen; dort kommt Ernst, ich nehme ihn gleich mit, damit er dich nicht in deinen guten Vorsätzen stört.«
»Was habt ihr vor?« fragte Ernst, der soeben eintrat.
Hermann erklärte lachend: »Wir spielen Kinderstube; der Kleine hier ist ungehorsam gewesen, nun hat er Angst und will seine Kindermuhme um Verzeihung bitten.«
»Die Kinderfrau heißt wohl Georg Fisch?« fragte Ernst spöttisch. »Na, dann wollen wir uns nur empfehlen. Schade, daß du eine solche Wetterfahne bist, Walter. Wie hübsch hätten wir hier die Ferien verleben können, frei von jedem Zwange, und unsere Alten zu Hause hätten noch dem Himmel für so strebsame Söhne gedankt und uns in zärtlichen Briefen gebeten, daß wir uns nur nicht zu sehr anstrengen möchten. Na, amüsiere dich gut; der heilige Georg ist hoffentlich nicht zu strenge; aber straffer wird er die Zügel wohl ziehen, du warst zu nahe am Entweichen.«
Walter wurde blaß und rot und sagte: »Ihr übertreibt die Sache; ich denke nicht daran, unseren Plan aufzugeben.«
»Und doch willst du deinem Georg wieder nachlaufen,« höhnte Ernst. »Höre, Sohn, niemand kann zween Herren dienen. Georg ist der Philister, wie er im Buche steht; willst du dein Leben als flotter Bursche genießen, so sei froh, daß du ihn los bist!«
»Weshalb willst du dem Tischlerburschen nachlaufen?« fuhr Hermann fort. »Habt ihr euch gekabbelt, so mag er pater peccavi sagen, dann nimmst du ihn vielleicht wieder zu Gnaden an. Er wird sich nicht so leicht abdanken lassen. Der kommt schon wieder.«
»Hermann hat recht,« sagte Ernst; »du mußt endlich das richtige Verhältnis zwischen euch herstellen. Hast du ihn durch langjährige Gewohnheit lieb gewonnen, so will ich dagegen nichts sagen; man attachiert sich ja auch an Haustiere oder Bediente; aber der Mensch muß einsehen, daß du nicht seinesgleichen bist. Ihr habt ihn zu sehr verwöhnt. Laßt ihn jetzt einige Zeit beiseite liegen, dann wird er schon zu Kreuze kriechen.«
Das glaubte Walter zwar nicht, aber seine Reue war indes verflogen und Trotz gegen Georg an ihre Stelle getreten. Wozu sollte er sich alles von ihm gefallen lassen, er konnte neue und bequemere Freunde finden.
»Der Magistrat schnaubt Rache wegen der Laternen, die wir neulich nachts ausgehängt und vor das Haus des Bürgermeisters getragen haben,« erzählte Ernst jetzt. »Es ist sogar ein Anschlag am schwarzen Brett vom Senat, worin die Studenten verwarnt werden, sich an solcher Ausgelassenheit zu beteiligen. Wir müssen uns etwas Besseres ausdenken, einen Streich, der noch nach Jahr und Tag von sich reden macht.«
»Das wäre ganz nach meinem Sinn,« stimmte Walter ein, »aber was denn? Mir fällt nichts ein.«
»Kommt Zeit, kommt Rat, Bruderherz,« tröstete Ernst. »Solche Ideen stellen sich auch nicht am hellen Tageslicht ein, wenn man nüchtern ist wie ein Dachs, der vom Winterschlafe kommt. Beim gefüllten Glase, nach Mitternacht, wenn der Kopf für andere Gedanken zu schwer ist, da erwachen diese.«
»Komm jetzt mit uns,« sagte Hermann. »Unsere Verbindung ist beisammen, wir führen dich ein. Schade, daß du nicht dazu gehörst, bei unseren Alemannen ist ein ganz anderer Zug. Du weißt noch gar nicht, was Studentenleben ist.«
»Ich möchte doch lieber in unsere Kneipe,« sagte Walter. »Georg reist morgen früh, im Bösen möchte ich nicht von ihm scheiden.«
»Da haben wir's!« lachten die beiden anderen. »Er kann nicht los von seinem Mentor! Geh nur, sei fein demütig und laß dich weiter von ihm schuhriegeln.«
»Ihr kommt stets auf die alten Neckereien zurück,« sagte Walter ärgerlich. »Wie oft soll ich euch denn wiederholen, daß ich mir von niemand Vorschriften machen lasse. Meinetwegen will ich erst mit euch gehen und dann zu Georg.«
Die beiden anderen waren es zufrieden, denn ihr Sieg war ihnen jetzt gewiß, und wirklich hatte Walter bald im Kreise der Kommilitonen seine Vorsätze in betreff Georgs vergessen. Die Alemannen waren in ihrer Stammkneipe fast vollzählig versammelt, meist kräftige Gestalten mit fröhlichen, jugendfrischen Gesichtern; aber bei manchen verriet auch das matte Auge, das gedunsene Aussehen und die fahle Blässe, daß sie die Jugendkraft verloren hatten, und zwar nicht bei der Studierlampe, sondern durch übermäßiges Zechen und häufige Gelage. Die Verbindung galt für eine sehr flotte auf dem Fechtboden, in der Kneipe und im Tanzsaal, aber auf den Bänken der Hörsäle war sie selten vertreten. Es lag den Alemannen viel daran, reiche, junge Leute an sich heranzuziehen, die hohe Beiträge zahlen konnten, da sie durch den Glanz ihres Auftretens alle anderen Verbindungen zu übertreffen suchten. Walter fand daher die freundlichste Aufnahme; bald fühlte er sich so behaglich, daß er an kein Fortgehen mehr dachte, und im Laufe des Abends trank er sogar mit den meisten Brüderschaft. Als die Becher kreisten, die Zungen kühner wurden, fiel manch freies Wort, wie man es sonst nicht wagte, und patriotische Lieder gaben von der Stimmung Zeugnis, die durch die jetzigen Verhältnisse wieder mächtig angeregt wurde. Der Zusammenstoß zwischen Frankreich und Rußland konnte nur noch eine Frage der Zeit sein; die beiden mächtigen Herrscher, einst so befreundet, standen sich in schwerem Groll gegenüber. Auch Preußen rüstete, denn zwischen den beiden Länderkolossen liegend, mußte es in ihren Kampf verwickelt werden. Aus tausend Wunden blutend, hatte das preußische Volk doch die Hoffnung auf endliche Befreiung nicht aufgegeben, obwohl diese schon mehrmals so traurig gescheitert war. Schill mit seinen Treuen büßte den kühnen Versuch mit dem Tode, und der Herzog von Braunschweig irrte als verbannter Flüchtling in der Fremde.
Napoleon, der Preußen beständig mit mißtrauischem Haß beobachtete, hatte bereits gebieterisch nach der Ursache der Rüstungen anfragen lassen, und eine Gesandtschaft war nach Paris abgegangen, um ihm die Antwort zu überbringen. Vielleicht lag dort die Entscheidung bereit, vielleicht würde nun doch die Stunde schlagen, in welcher der König sein opferfreudiges, todesmutiges Volk zum Entscheidungskampfe aufrief.
Die Humpen wurden schneller geleert, den Franzosen wurde manches Pereat gebracht; man hielt feurige Reden, sang patriotische Lieder und beachtete nicht die Bitten des geängstigten Wirtes um Vorsicht. Aber allmählich wurden die Zungen schwerer, die Ansprachen phantastischer, nur der Jubel wuchs, bis einer nach dem anderen schwankend den Heimweg antrat oder das müde Haupt auf den Tisch legte und nur noch durch Schnarchen seine Gegenwart verriet. Walter gehörte dieser Klasse an; er war kaum zu ermuntern, als Ernst und Hermann ihn beim Morgengrauen aus dem Schlummer rüttelten, um ihn Arm in Arm seiner Wohnung zuzuführen; dort angekommen sank er sogleich auf sein Lager und erwachte erst mit schmerzendem Kopf, als die Abendsonne ins Zimmer schien.
Es dauerte lange, ehe er sich der Vorgänge des gestrigen Tages erinnerte; der Abend mit den patriotischen Alemannen mißfiel ihm nicht, der Streit mit Georg war in nebelhafte Ferne gerückt; dieser mußte jetzt längst auf der Heimreise sein, nach seiner Rückkehr konnte alles ausgeglichen werden.