F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Der arme Major erschrak fast, als er den Regenten so reden hörte; er warf einen Blick auf Fräulein von Ripperda, die aber ihre Stellung durchaus nicht veränderte und etwas außerordentlich Interessantes auf dem Schloßplatze zu betrachten schien.

»Nun, wenn Sie nicht fragen wollen,« fuhr Seine Hoheit lachend fort, »so lesen Sie das Schreiben des Barons Rigoll.«

Herr von Fernow öffnete das Papier mit einer immer wachsenden Spannung. Er durchflog den Inhalt, und als er ihn übersehen, tanzten die Worte fast vor seinen Augen herum. Nachdem er sich einen Augenblick gesammelt, stürzte er auf den Regenten zu, ergriff dessen Hand und drückte sie trotz allem Widerstreben an seine Lippen. Er war außer sich; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gaukelten in glänzenden Bildern vor seiner entzückten Seele; er vergaß sich soweit, daß er sich stürmisch Helene näherte, die zusammenschreckte bei dem Ton seiner Stimme, als er ihr die Frage that, die ihm der Herzog befohlen.

Um den geneigten Leser nicht im Ungewissen zu lassen, was den jungen Offizier so außer sich brachte, wollen wir nicht verschweigen, daß das Schreiben Seiner Exzellenz des Oberstjägermeisters, Baron von Rigoll, ein Entlassungsgesuch enthielt, und daß der Herzog auf den Rand geschrieben hatte: »Angenommen, und wird das Oberstjägermeisteramt provisorisch dem Major von Fernow übertragen.«

Welch süße Augenblicke des Glücks!

Achtzehntes Kapitel

beschließt vielleicht langweilig.

Wir könnten nun, teurer und geneigter Leser, noch viele merkwürdige und interessante Dinge erzählen, von unerhörten Festlichkeiten, die bei Hofe vor sich gingen, von glänzenden Vermählungen, von Feuerwerken und Illuminationen. Doch sei es ferne von uns, deine Geduld mit Sachen zu ermüden, die in der jetzigen so sehr bewegten Zeit zu den Alltäglichkeiten gehören. Da wir von Vermählungen in der Mehrzahl sprechen, so ist selbstredend auch die des Herrn von Fernow mit Fräulein von Ripperda darunter begriffen, wodurch die Befürchtung, als habe das Duell des Majors mit dem Baron Rigoll ein blutiges Resultat geliefert, in sich selbst zerfällt. Indem wir dieses Duell, welches wirklich stattfand, nicht erzählen, entgeht uns allerdings der Vorwurf einer pikanten Schilderung: wir hätten den Wahrheit gemäß sagen können, daß gegen sieben Uhr an dem bezeichneten Abend Baron Rigoll an der Seite des Grafen Hohenberg wohlbehalten die Residenz verließ, und hätten dadurch den geneigten Leser in Schrecken versetzen können, als sei Herr von Fernow vielleicht gefährlich verwundet zurückgeblieben. Da es uns aber nie darum zu thun war, das Interesse auf unnatürliche oder künstliche Art zu erregen, so sagen wir nur der Wahrheit gemäß, daß, als ein paar Kugeln ohne Erfolg gewechselt waren, Baron Rigoll unter vollständiger Zurücknahme seiner beleidigenden Ausdrücke die Hand zur Versöhnung bot.

Es war ein schöner prachtvoller Frühlingsabend, als der provisorische Chef des Oberstjägermeisteramtes mit dem nunmehrigen Legationsrat von Wenden nach dem stattgehabten Renkontre zur Stadt zurückritt. Nicht nur Bäume, Sträucher und Blumen, sondern auch Erde und Luft dufteten ordentlich vor Wonne, unter so klarem, schönen Himmel leben, ruhen und wehen zu können. Vor dem Thore der Residenz fanden die beiden Reiter eine Equipage, den Reisewagen des Barons, der für alle möglichen Fälle dorthin beordert war; glücklicherweise aber hatte er keine Verwundeten aufzunehmen, weshalb dann nur der Baron Wenden, bei dem kleinen Wirtshause angekommen, wo der Wagen hielt, fröhlich aus dem Sattel sprang, seinem Freunde die Hand reichte, der ihm herzlich dankte, und sich dann von seinem Bedienten den warmen Mantel umgeben ließ, ehe er in den Wagen stieg.

»Wenn wir alles vom richtigen Standpunkte betrachten,« sprach hierauf Herr von Wenden lachend zum Schlage hinaus, »so bin ich doch eigentlich an deinem ganzen Glück schuld, und wenn einiges Dankbarkeitsgefühl in dir wohnt, so hast du nichts Schleunigeres zu thun, als für Kinder und Kindeskinder jene Scene malen zu lassen, wo ich dir – es ist noch nicht so lange her – meine Theorie vom Augenblick des Glücks auseinandersetzte.«

»Ja, ja,« rief Major Fernow fröhlich, »und als Pendant der andere Augenblick des Glücks, wo ich beinahe in die Notwendigkeit versetzt worden wäre, dich im großen Audienzsaale des Schlosses zu verhaften – alles Augenblicke des Glücks.«

»Nun, es hat besser geendet, als ich gehofft, wenn meine Mission vollkommen gelingt,« setzte er mit großer Wichtigkeit hinzu, »und –«

»Die Kopien einiger der Sterne, die dort eben am Abendhimmel sichtbar werden, auf deinem Fracke glänzen, so wirst du mir zurückkommend sagen: Das Gefühl, von einer schweren Krankheit zu genesen, ist ein außerordentlich angenehmes.«

»Aber eine solche Krankheit selbst!« seufzte der Kammerherr, während sein Postillon in den Sattel kletterte, »die kann oftmals traurige Folgen haben.«

»Du erschreckst mich!« rief Herr von Fernow in einigermaßen ironischem Tone und mit einem fast spöttischen Lächeln, denn er wußte, was kommen würde. »Solltest du wirklich – «

»Ich nicht, aber ich befürchte, jenes arme junge Mädchen hat in ihrer Zuneigung für mich die Sache ernsthafter genommen, als mir lieb ist.«

»Darüber kannst du dich vollkommen beruhigen,« entgegnete der Major, indem er sich Mühe gab, nicht laut hinauszulachen. »Aus der allerbesten Quelle weiß ich, daß sie sich über deinen Verlust vollkommen getröstet und im Begriff steht, sich mit einer älteren Liebe zu verheiraten. Ich kann dich auch versichern, daß ich mich der jungen Leute annehmen und alles mögliche zu ihrem ferneren Fortkommen thun werde.«

Dieses Versprechen schien dem neuen Legationsrat eine Zentnerlast vom Herzen zu nehmen, und es war in der That komisch anzusehen, wie er mit einer affektierten Rührung seine beiden Hände zum Wagenschlag hinausstreckte, um die Rechte des Freundes nochmals zu drücken.

»Nun aber mache, daß du fortkommst!« rief dieser, »du solltest schon um sieben Uhr abreisen, ich will deine Freundschaft für mich nicht mißbrauchen. – Leb wohl!«

»Leb wohl, lieber Fernow! und denke mein bei deinem nächsten Augenblick des Glücks.«

Dahin rollte der Wagen; der Major blickte ihm ein paar Minuten lang nach, dann wandte er sein Pferd, nicht, um nach der Stadt zurückzukehren, sondern um in einem animierten Jagdgalopp die Straße nach Eschenburg zu verfolgen.

Was mochte er dort suchen? – Ah! gewiß jene Equipagen, die ihm nach einer kleinen halben Stunde entgegenrollten. Er ließ den Wagen des Regenten, worin dieser mit der Prinzessin Elise saß, ehrfurchtsvoll vorbeipassieren und zwang sein unruhig gewordenes Pferd alsdann dicht an den Schlag der nachfolgenden Kalesche hinan, aus dem sich ihm eine kleine Hand entgegenstreckte, die mit raschem ängstlichem Druck seine Finger umspannte.

»So ist es wahr?« fragte Helene von Ripperda mit zitternder Stimme, »Sie haben sich geschlagen? Sind Sie verwundet?«

»Weder das eine noch das andere,« entgegnete lachend Herr von Fernow. »Seine Exzellenz der Oberstjägermeister, Baron von Rigoll und ich, wir trennten uns unter einigen Freudenschüssen, welche die vortreffliche Wirkung hatten, daß wir ohne Groll voneinander schieden, und daß künftig keiner mehr den anderen um seine Augenblicke des Glücks beneiden wird. – Und an Augenblicken des Glücks,« setzte er mit sanfter Stimme hinzu, indem er sich gegen die Kalesche hinabbeugte, »soll es uns doch wahrlich nicht fehlen. Nicht wahr, meine geliebte Helene?«

Sie antwortete nicht, aber er fühlte den leichten Druck ihrer Finger, mit denen sie seine Hand umschlossen hielt.

Und so zogen die beiden glücklichen Menschen dahin am würzigen Frühlingsabend unter Sterngeflimmer, Blütenschnee und Nachtigallenschlag. Waren das nicht schon wieder Augenblicke des Glücks?

Ja, Herr von Fernow war glücklich und gedachte gern derer, die es minder waren; deshalb vergaß er auch später nicht jenes Mannes, den er abends auf der Terrasse des Schloßgartens gefunden, und mit welchem er sich über Leuchtkäfer unterhalten. Er verschaffte dem wackeren Künstler die gute Stelle eines Aufsehers des herzoglichen Kupferstichkabinetts, und als dies Heinrich Böhler seiner Mutter mitteilte, und beide hierauf zur Witwe Weiher hinabstiegen, um sie von diesem Glück in Kenntnis zu setzen, da machte Frau Weiher dem ehemaligen Photographen zum erstenmal einen tiefen Knix. Rosa aber warf sich an die Brust ihres Bräutigams und sagte ihm unter vielen anderen Dingen: »Weißt du noch, Heinrich, wie du an jenem Abend mit kummervollem Herzen in den Schloßgarten liefest und jenen Herren trafst, von dem du mir sagtest, er sei so freundlich gegen dich gewesen, und dem wir jetzt alles verdanken? Ja, das war ein segensreicher Augenblick,« fuhr das junge Mädchen fort, indem sie innig und herzlich in die Augen des Mannes schaute, den sie liebte. »Es war jener Augenblick, von dem wir nimmer geglaubt, daß er auch uns einmal erscheinen werde, und von dem deine Mutter doch oftmals gesagt, daß er wenigstens einmal in jedem Menschenleben einträte, der Augenblick des Glücks!«


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