F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Das begreif' ich nicht,« erwiderte das junge Mädchen, »du hast es ja mehrmals.«

»Ich möcht' es aber allein haben,« fuhr er mit tonloser Stimme fort, und es war ihm gerade, als müsse er an dem Satze ersticken; denn er stand jetzt hinter dem Stuhle Rosas und blickte deutlich in das weit offenstehende Fenster gegenüber mit dem verfluchten Fauteuil! Dahin also zielten ihre Blicke. Dorthin schaute sie sogar in Momenten, wo sie mit ihm sprach. Das war entsetzlich! Herr Heinrich Böhler war ein ruhiger und behaglicher Mensch, aber auch einem solchen können Sachen vorkommen, wo sich sein ganzes Naturell verkehrt. Er bezwang sich, wenn auch mühsam, und blieb anscheinend ruhig hinter ihrem Stuhle. Daß er totenbleich war, sah weder das junge Mädchen, noch die Mutter, die mit dem Kochofen zu thun hatte, worin das bescheidene Mittagessen der Familie dampfte.

»Willst du vielleicht heute mitessen?« fragte Rosa nach einer kleinen Pause.

»Ich danke dir, ich habe keinen sonderlichen Appetit,« antwortete der Photograph.

»Mir scheint in der That,« fuhr das junge Mädchen freundlich fort, indem sie ihren Kopf zurückbog, um den Mann anzusehen, »es hat dich verstimmt, daß du mein Porträt weggegeben. Sei doch nicht so kindisch. Wenn es mich auch einesteils freut, daß dir die Photographie so kostbar ist, so könnte es mich doch fast verdrießen, daß du etwas darin findest, sie jemand gegeben zu haben.«

Als sie das gesagt und den Kopf wieder weggewandt, bemerkte er, seitwärts hinlauschend, wie ihre Augen eine Sekunde an dem gegenüberliegenden Fenster hafteten, ehe sie wieder auf die Arbeit niedersanken.

»Wir haben heute Ihr Leibgericht, Heinrich, eine sehr gute Klößesuppe. Sie ist in der That vortrefflich, und ich rate Ihnen mitzuhalten.«

Bei dem Worte Klößesuppe dachte der Photograph an seine selige Großmama, und ihm fiel die Erzählung von dem Chantons, buvons, traleralera mit allen Folgen ein. Frau Witwe Weiher führte auch eine recht gewandte Hand, und er hatte Rosa in früheren Zeiten oft bedauert, wenn eins ihrer kleinen Ohren mit den dürren Fingern der Mama in Berührung gekommen war. Jetzt aber hatte er im Innersten der Seele den frevelhaften Wunsch, diese zehn Finger möchten als das Schwert des Damokles über dem Haupte Rosas schweben, eigentlich nicht um dreinzuschlagen, sondern nur um ihr die schönen Augen zuzuhalten, jedesmal, so oft sie einen so schlimmen Gebrauch davon machen wolle.

– – Doch sah er recht? An dem bewußten Fenster erschien ein Herr, und wenn ihn nicht alles trog, einer von den beiden, die er vorhin photographiert. Es war der kleine, lebhafte Herr, eben jener, dem er das Bild Rosas gegeben. Und dieses Bildnis! Rollt er es nicht soeben auseinander, ja beim Teufel, das that er, und zeigte es einem anderen, und dieser andere war niemand als die impertinente Gestalt, die vorhin im roten Schlafrock in dem Fauteuil gelegen. Hol' euch beide der – – Und Rosa? Sie knüpfte eifrig an ihrer Strohmasche. Ha! er mußte sehen, wie ihre Mienen waren, wenn sie hinüberblickte, deshalb trat er leise wieder einen Schritt seitwärts. – Endlich schaute sie auf, und daß sie erschrak, daran konnte niemand zweifeln, der sie anblickte. Sie ließ die Hände mit der Arbeit in den Schoß fallen und ihr Gesicht überzog sich mit einer tiefen Röte. Ihr Erschrecken war aber auch begreiflich, denn der im roten Schlafrock drüben hatte die Photographie erfaßt und betrachtete, nein, verschlang sie mit seinen Blicken und all den lächerlichen Zeichen eines höchst affektierten Enthusiasmus!

In diesem Augenblick war es sehr natürlich und verstand sich von selbst, daß der Photograph die Frage that:

»Was hast du denn, Rosa? Warum erschrickst du so mit einem Male? Ach!« fuhr er mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens fort, einem Erstaunen, das übrigens ebenso affektiert war wie drüben der Enthusiasmus, »was ist denn da drüben so Sonderbares?«

»Ich, erschrocken?« sagte das junge Mädchen mühsam lächelnd, »ja da kann man wohl erschrecken, wenn man sich in den Finger sticht, wie ich soeben. – Aber du siehst seltsam aus. Was bedeuten deine Blicke? Und was willst du mit deinem Da drüben?«

Heftig versetzte er: »Das ist doch so klar wie der Tag.«

»Was?« fragte sie trotzig.

»Siehst du drüben ein Fenster, das offen steht?«

»Welches?«

»Welches! Das ist schön gefragt. Nun das, wo sich jetzt die beiden Herren befinden. Die siehst du doch? Oder soll ich dir vielleicht auch noch sagen, welche Herren?«

Sie zuckte mit den Achseln, wie junge Mädchen das zu thun pflegen, sobald sie unrecht haben, und wodurch sie das Gefühl gekränkter Unschuld ausdrücken wollen.

»Du brauchst dich wahrhaftig nicht in den Finger gestochen zu haben, um zu erschrecken,« fuhr Herr Böhler in sehr bestimmtem Tone fort, »obendrein, wenn ich dir sage, daß der kleine der beiden Herren dem anderen gerade dein Porträt zeigt.«

Obgleich Frau Weiher eifrig mit ihrer Klößesuppe beschäftigt war, so wurde sie doch aufmerksam bei dem lauten Gespräch der beiden und fragte: »Was gibt's denn?«

»Ich begreife den Heinrich wahrhaftig nicht,« erwiderte Rosa beleidigt. »Denk dir nur, er macht mir Augen und führt Reden, die ich gar nicht verstehe.«

»Die sie nicht verstehen will,« versetzte der Photograph, »die ihr aber wohl noch verständlich werden sollen, und recht verständlich, fürchte ich. Blicken Sie selbst hinab,« fuhr er gegen Frau Weiher gewendet fort, »dem einen der Herren hab' ich vorhin das Bild Rosas abtreten müssen, und nun bringt er es dem anderen, der da gegenüber wohnt. Ist das nicht, um sich die Haare auszureißen?«

»Das finde ich nicht,« entgegnete die alte Frau in sehr ruhigem Tone, »das hat nichts auf sich. Der da drüben ist oft genug am Fenster; er kann sich Rosa in Person genau genug ansehen. Was wird er sich groß für ihre Photographie interessieren?«

»So, Frau Weiher, Sie finden nichts darin? Ich aber sehr viel. Sie wissen, wie ich mit Rosa stehe, und so kann es mir nicht gleichgültig sein, wenn ihr Porträt und noch weniger, wenn sie selber von fremden Herren angegafft wird.«

»Daran ist noch niemand gestorben,« sagte die alte Frau gleichgültig, und schickte sich an, mit dem Rührlöffel ihre Klößesuppe zu versuchen. »Wie kann man sich nur mit solchen Kleinigkeiten abgeben?«

»Er will mich nur ärgern,« bemerkte das junge Mädchen, indem sie ihren Kopf erzürnt emporwarf. »Was sind das für Anklagen! Am Ende werde ich dich noch um Erlaubnis zu fragen haben, ob ich zum Fenster hinaussehen darf oder nicht.«

Der Photograph strich sich mit der Hand über die heiße Stirn. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er nichts gesagt hätte. Vielleicht war es wirklich zufällig geschehen, daß sie vorhin am Fenster stand, und er bildete sich nur ein, sie habe ein Zeichen hinüber gegeben. Vielleicht hatte sie sich wirklich in den Finger gestochen, vielleicht wußte sie in der That nichts von dem gegenüberliegenden Fenster. Unmöglich! So blind war er auch nicht. Und wenn er recht hatte, wenn sie sich schuldig fühlte und es dann wagte, so mit ihm zu sprechen, so war es ihm wohl zu verzeihen, wenn in ihm die Vermutung aufstieg, alles, alles verloren zu haben. Aber das hätte er nicht ertragen. Nein, das konnte er nicht ertragen. Er liebte sie leidenschaftlich. Sie war sein Alles. Sie füllte sein ganzes Denken aus. Er konnte sich nicht die Stadt, worin er lebte, nicht die Spaziergänge, wo er sie gesehen, nicht die Kirche, die er Sonntags besuchte, nicht das Haus, wo er wohnte, ohne Rosa denken. Wie sie nicht mehr sein war, so war die ganze Welt öde, ausgestorben und leer für ihn. O Gott!

Drüben hatten sich die Herren vom Fenster zurückgezogen, das heißt, sie spazierten im Zimmer auf und ab, und so oft der im roten Schlafrock dabei zum Vorschein kam, warf er einen Blick herüber. Freilich schaute Rosa gerade jetzt nicht zum Fenster hinaus, sie hatte sich abgewandt und schien eifrig mit ihrer Stroharbeit beschäftigt.


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