F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Ja, ja, das wäre dir schon erwünscht,« entgegnete der Ordonnanzoffizier, »und dann brauchst du nicht mehr lange nach dem Glück zu greifen. Die Prinzessin will dir außerordentlich wohl.«

»Nicht außerordentlich; doch kennt sie meine Anhänglichkeit.«

»Das ist auch eine von den bösen Geschichten an diesem Hofe. Man weiß in der That nicht, zu wem man halten soll. Ist man dort zu freundlich, macht man sich hier mißliebig oder umgekehrt. Weißt du auch,« fuhr Herr von Fernow fort, indem er sich rasch umwandte, »was ich davon habe, daß ich als Ordonnanzoffizier im Vorzimmer Seiner Hoheit stehen darf?«

»Nun, was wirst du davon haben?«

»Davon habe ich, daß mich Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Elise, nicht allzu freundlich behandelt. – Nun, das wechselt und ließe sich am Ende noch ertragen; aber glaubst du wohl, Eduard, daß das auch auf mein Verhältnis zur – « der Kammerherr sah fragend und mit einem eigentümlichen Lächeln in die Höhe. – »Nun ja, Verhältnis sollte ich eigentlich nicht sagen; ich meine daß diese Ungnade auf meine Liebe zu Fräulein von Ripperda bedeutend influiert. – Schüttle nicht deinen blonden Kopf; – alle Teufel! ich weiß, was ich fühle und sehe. – Nicht wahr, der Oberstjägermeister wurde eigens zur Partie nach Eschenburg eingeladen, obgleich er nichts dabei verloren hätte. Ich habe eigentlich nicht nötig, es dir zu sagen, umsichtiger Kammerherr. Wenn man einen armen Ordonnanzoffizier protegieren will, so braucht man nur nach dem Frühstück ungefähr so zu sprechen: Sie werden doch auch mit uns reiten? – Hätte das die Prinzessin Elise gesagt, so wäre ich vor den Regenten hingetreten und hätte ihm zu verstehen gegeben, ich sei zur Partie befohlen worden.«

»Daran ist was Wahres; doch warst du vielleicht gegen die Prinzessin nicht liebenswürdig genug, oder hast dem Oberstjägermeister boudiert, oder gar zu süße Augen gegen Fräulein von Ripperda gemacht, das war vielleicht ein Augenblick des Glücks, den du versäumt.«

»Hol dich der Teufel mit deinen Augenblicken des Glücks!« entgegnete unmutig der Offizier; »wenn es so schwer ist, dasselbe zu fassen – so werde ich es niemals erlangen,« setzte er seufzend hinzu.

Der Kammerherr wackelte mit dem Kopfe hin und her, wie eine indische Pagode. »Hm, hm,« machte er, »ja, ja, freilich, freilich. Ich sage dir, Felix, in den merkwürdigen Verhältnissen, in denen wir uns gerade befinden, könnte das Glück wohl geneigt sein, sich diesem oder jenem völlig zudringlich zu nähern. Man muß nur klug sein und keine Fehltritte thun.«

»Was die Klugheit anbelangt, – da stehe ich dir allerdings nach.«

»O, du verstehst ja auch deinen Vorteil.«

»Nicht besonders. Soll ich dir wiederholen, was ich meinem Stande, meinen Jahren nach sein könnte, und was ich bin?«

Der andere zuckte mit den Achseln.

»Allerdings,« sagte er nach einer Pause, »aber warum,« setzte er mit leiser Stimme hinzu, »bist du nicht schon längst meinem Winke gefolgt und hast deine volle Ergebenheit der Herzogin zu Füßen gelegt?«

»Vor allen Dingen bin ich Soldat und Offizier,« antwortete Herr von Fernow verdrießlich, »und als solcher kann ich nur einen Herrn anerkennen.«

»Gott bewahre uns auch vor zweien!«

»Seine Hoheit, den Regenten, meinen Fürsten und General. – Wenn du aber deshalb glaubst,« fuhr der Offizier fort, indem er auf etwas verächtliche Art den Kopf zurückwarf, »ich mische mich aus diesem Grunde in eure Intriguen und sei zu diesem Zwecke bereit, für eine oder die andere Partei zu arbeiten, so irrst du dich ganz gewaltig. Ich thue meinen Dienst und lasse an mich kommen, was kommt.«

»Wenn ich als Freund zu dir sprechen darf, so wählst du auf diese Art die gefährlichste Stellung. Das Getreibe an einem Hofe gleicht einem Mühlwerke. Willst du nicht zerrieben werden, so mußt du selbst mitreiben. Um über den Parteien zu stehen, dazu sind wir zu unbedeutend; der Platz zwischen den Parteien ist, wie gesagt, zu gefährlich, also müssen wir uns selbst für eine Partei entscheiden.«

»In deinen Worten liegt ein Körnchen Wahrheit; aber wozu soll ich mich entscheiden? Wie ich dir schon gesagt, bin ich der Offizier des Regenten, und was die allerdings mächtige Partei der Prinzessin anbelangt, so – «

»Bietet sie dir nichts Lockendes?« fragte der Kammerherr mit einem lauernden Blicke.

»O, davon schweige mir!« rief heftig der junge Offizier; »um sie zu gewinnen, könnte ich mich am allerwenigsten dazu entschließen, ein Parteimann zu werden. Wenn auch die Liebe gern im Verborgenen wächst und blüht, so haßt sie doch alle Winkelzüge, nach meiner Ansicht nämlich. Ich werde nun noch eine kurze Zeit geduldig abwarten und dann schon erfahren, wie die Freundlichkeit, mit der Fräulein von Ripperda meine kleinen Bewerbungen aufnahm, gemeint war. Spricht ihr Herz nicht für mich, nun gut, was kann ich thun? – Ich muß vergessen. – – Etwas anderes wäre es freilich,« setzte er lebhafter hinzu, »wenn man von seiten Ihrer Durchlaucht, wie ich fast fürchte, gegen mich in dieser Angelegenheit zu wirken beschlösse. – Ist man mir sonst nicht gnädig gesinnt, was thut's? Ich diene, solange ich kann, und gehe – dann auf meine Güter.«

»Auf deine Güter?« fragte der Kammerherr mit einem eigentümlichen Lächeln.

»Kennst du denn nicht mein Landhaus auf Bergeshöhe mit den fruchtbaren Ländereien und prachtvollen Waldungen, die ich ringsumher, so weit das Auge reicht, übersehen kann? – Will man aber, um ernstlich zu reden, Gott weiß zu welchem Zwecke, das junge Mädchen bestimmen oder überreden, sich von mir abzuwenden, dann freilich – dann ...«

»Dann wärst du vielleicht doch im stande, dich einer Partei anzuschließen,« sagte der Kammerherr, und wenn auch in diesem Augenblicke das uns bekannte freundliche Lächeln seine Lippen umspielte, so warfen doch seine Augen einen so lauernden Blick herüber, der jedem anderen, welcher minder unbefangen gewesen als der junge Offizier, aufgefallen wäre.

»In dem Falle freilich,« entgegnete fest und bestimmt Herr von Fernow. »Ich sehe dein Lächeln und weiß, was es sagen will. Aber glaube mir, teuerster Kammerherr, habe ich einmal Partei ergriffen, so halte ich fest dazu, siege mit ihr oder gehe mit ihr zu Grunde.«

Nach diesen Worten warf er den Säbel in den Arm und ging einmal im Zimmer auf und ab. Als er wieder zu seinem Gefährten kam, faßte er leicht dessen Arm, nötigte ihn so, den Spaziergang mit ihm zu wiederholen, und sagte während des Auf- und Abschreitens in seinem gewöhnlichen freundlichen Tone:

»Siehst du, es taugt nicht einmal, über Parteiangelegenheiten zu reden. Da hätte bald unser Gespräch eine unverhoffte ernste Wendung genommen. Laß mich lieber noch einiges hören von deinen Ansichten über das Glück, das ist amüsanter, und man lernt vielleicht etwas dabei.«

Während beide so dahinschritten, kamen sie an einem kleinen Tischchen vorbei, das mitten im Zimmer stand, und auf welchem sich in einer reichen Vase ein überaus prachtvolles Bouquet von frischen, lebenden Blumen zeigte. So oft sie bei dem Tischchen vorüberkamen, neigte sich Herr von Fernow darüber hin, um etwas von dem köstlichen Dufte einzuatmen.

»Was hilft es mir, wenn ich dir auch meine Theorien vom Augenblicke des Glücks wiederhole? Du bist ein Ungläubiger, dem in diesem Punkte nicht zu helfen ist.«

»Möchte mich aber gar zu gern belehren lassen,« entgegnete Herr von Fernow lachend; »ich versichere dich, Eduard, du hast einen mächtigen Drang in mir erweckt, das umherschwebende Glück zu erhaschen. Ich werde jetzt rastlos um mich schauen und selbst im allergewöhnlichsten Gedränge meine zehn Finger immer zum unverhofften Händedruck parat halten, ich werde den Worten alter Staatsräte und noch älterer Hofdamen lauschen, ich werde Gräfinnen aus dem vorigen Jahrhundert zum Tanz auffordern, ich werde – –«

»Du willst über mich spotten,« sagte der Kammerherr mit seinem unvergleichlichen Lächeln, »und doch habe ich recht. Thue, wie du gesagt; ein würdiger Staatsrat, dem du vielleicht durch deine liebenswürdige Unterhaltung eine Viertelstunde tödlicher Langeweile verjagst, kann dich als einen der gebildetsten und geistreichsten Kavaliere dem Kriegsminister empfehlen; eine alte Gräfin, der du in ihren vorgerückten Jahren noch das Vergnügen eines Walzers verschaffst, kann mit dem Regenten, Gott weiß wie, zusammenhängen und ihm eines Tages sagen, es sei eine wahre Schande, daß man dich noch nicht zum Major habe anvancieren lassen. – In der That, was du im Scherz sagtest, glaube ich im Ernst. Die Hauptsache ist: nur den richtigen Augenblick nicht verpaßt, und du hast das Glück in deiner Hand. Es naht uns oft in gar sonderbaren Verkleidungen; ich habe einen Freund, der viel auf meine Theorien hielt, und der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, das Glück zu erfassen. Eines Tages sieht er vor irgend einer Kirche eine alte, schäbige Landkutsche in strömendem Regen stehen und bemerkte eine kleine Damenhand, die sich unter dem Leder hervor vergeblich bemüht, den Schlag zu öffnen. Er eilt hinzu, reißt die Wagenthür auf, eine junge Dame steigt aus, er begleitet sie unter seinem Regenschirm bis in die Kirche und nachher wieder an ihre alte Kalesche. Siehst du, Felix, in dem Augenblick, da er den Schlag öffnete, hatte er das Glück erfaßt. Das Mädchen war eine immense reiche Erbin und ist jetzt seine Frau.«


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