F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Das ist allerdings ein schönes und lehrreiches Beispiel.«

»O, ich weiß noch viel interessantere, wahrhaft erschreckende. In dem königlichen Schlosse zu C. stand gegen das Ende eines Balles ein junger Kammerjunker, der sehr viel getanzt hatte und müde war, ausruhend in einer Fenstervertiefung. Er wäre gern nach Hause gefahren, eigene Equipage hatte er keine, und ich kann dir auch wohl gestehen, daß es ihn einigermaßen in Verlegenheit gebracht hätte, sich eine Voiture de remise anzuschaffen, ja es wäre ihm das im damaligen Augenblicke fast unmöglich gewesen. Da die Fensternische, in der er stand, sehr tief, auch niemand von Bedeutung in der Nähe war, so öffnete er behutsam eine bewegliche Scheibe in dem großen Fensterflügel und streckte die Hand hinaus, um sich zu überzeugen, ob es noch regne. Allerdings fühlte er auch schwere Tropfen auf seine Hand fallen, als er aber diese eben wieder hereinziehen wollte, fühlte er noch etwas ganz anderes; ein Stückchen kalten Metalls berührte seine Finger, und als er diese schloß, hielt er einen Schlüssel, an den mit einem kleinen seidenen Bande ein Papier gebunden war. – Wie gefällt dir das?«

Bei diesen Worten blieb der Kammerherr stehen, schmunzelte vergnügt und stieß mit dem ausgestreckten Zeigefinger den jungen Offizier leicht auf die Brust.

»Nicht so übel,« sagte dieser.

»Was du in dem Falle gethan hättest, weiß ich nicht,« fuhr Herr von Wenden fort; »der Kammerjunker, der ein entschlossener junger Mann war, bedachte sich nur eine Sekunde, zog den Schlüssel sachte an sich, löste die Schnur und bemerkte noch, wie diese alsdann langsam in die Höhe gezogen wurde.«

»Ein Augenblick des Glücks!« meinte lachend der Ordonnanzoffizier.

»Ein kolossaler Augenblick! Was auf dem Papier, das den Schlüssel umgab, eigentlich stand, hat man nicht recht erfahren; genug, der Kammerjunker wurde in kurzer Zeit Kammerherr, kam in die diplomatische Karriere, heiratete nicht lange darauf eine vornehme, wenn auch etwas ältere Dame und ist jetzt, Gott weiß wo, Gesandter. Verstehst du die Moral meiner Geschichte?«

»O, ich verstehe die Moral vollkommen und werde jetzt nach Beendigung jedes Hofballs, oder wo es nur sonst passend erscheint, meine Hand zu irgend einem Fenster hinausstrecken.«

Er hatte das mit einem leichte Anflug von Ironie gesagt, den der andere wohl verstand, und als sie gerade bei dem kleinen Tischchen waren, auf dem der kostbare Blumenstrauß stand, blieb der Kammerherr stehen, schüttelte leicht den Kopf und sagte:

»Trotz aller meiner schönen Lehren bist du unverbesserlich.«

»Nein, nein, in der That!« antwortete der Ordonnanzoffizier, »du thust mir Unrecht. Ich fange an, deinen Theorien zu glauben. Nur hast du mir ja schon früher zugegeben, daß Glück dazu gehört, das Glück zu erfassen. Ich glaube, ich könnte meine Hände ausstrecken nach den Wagenthüren aller schäbigen Landkutschen, zum Fenster hinaus, so oft ich wollte, mir würde nichts in die Hand fallen.«

»Bis der richtige Augenblick des Glücks erscheint,« entgegnete der Kammerherr mit aufgehobener Hand. »Ist der aber gekommen, so genügt dem Glück der allerunschuldigste Gegenstand, um dir, wenn auch verborgen, entgegenzutreten. Ich gestehe dir, es liegt was Ängstliches, etwas geisterhaft Unheimliches in dem Glauben an meine Theorie; aber ich halte ihn fest und unerschütterlich und hege die vollkommenste Überzeugung, daß ich, wenn einmal der richtige Augenblick gekommen ist, das Glück erfassen werde, sei es bei einer alten Landkutsche, sei es, daß ich meine Hand zum Fenster hinausstrecke, sei es, indem ich mit meinen Fingern, wie ich jetzt thue, in dieses Blumenbouquet fasse, – – Wie gesagt, ist der rechte Moment gekommen, so ist dort mein Glück verborgen, und – – ich – halte – es.« – –

Der Ordonnanzoffizier hatte seinen Gefährten lächelnd angeschaut, als dieser in einer wahren Ekstase den eben erwähnten Satz sprach bis zu den letzten Worten. Als er aber das »Ich halte es« mit so plötzlich verändertem Tone sagte, langsam, kaum vernehmlich, da konnte Fernow nicht umhin, jenem verwundert in das Gesicht zu blicken, denn die ohnedies blassen Wangen des Kammerherrn wurden fast erschreckend bleich, als er die Hand in das Blumenbouquet hineindrückte, und darauf flammte eine tiefe Röte bis zu seinen Augen empor.

»Zum Teufel, was gibt es denn?« fragte bei diesem Anblick Herr von Fernow. »Hast du dich beim Ausüben deiner Theorie an einem Dorn geritzt, oder was ist geschehen?«

Herr von Wenden hatte unterdessen die Hand aus dem Bouquet wieder hervorgezogen und sagte, indem er mühsam lächelte: »Wer weiß, ob ich nicht im stande bin, diese meine Theorie an mir selbst zu beweisen!«

»So hast du das Glück erfaßt?« rief lachend der Offizier.

»Wer weiß? Vorderhand nur ein kleines Papier, sorgfältig zusammengerollt, und nicht ohne Absicht am Stiele einer Rose verborgen.«

»Bah! Ein Papier! Ich fürchte, du wirst mir deinen Beweis schuldig bleiben. Das ist wahrscheinlich ganz absichtslos da hineingekommen.«

»Bei Hofe geschieht dergleichen nie absichtslos,« entgegnete der Kammerherr, indem er sich bemühte, den Streifen aufzuwickeln. »Sehen wir erst, ob etwas darauf geschrieben ist.«

»Natürlich! Das ist die Hauptsache. – Nun?«

»– – – – Keine Silbe!«

»Das ist ein schönes Glück!«

Das Papier, ein kleiner, kaum fingerlanger und ebenso breiter Streifen, war in der That unbeschrieben. Herr von Fernow und vielleicht mancher andere hätte ihn für eine Phantasie des Gärtners gehalten und unbeachtet auf die Seite geworfen; der umsichtige Kammerherr aber gab das vermeintliche Glück nicht so leicht aus der Hand. Er drehte den Papierstreifen nach allen Seiten, betrachtete seine Ränder, ob sich dort nicht vielleicht Einschnitte befänden, die etwas zu bedeuten hätten, und als sich gar nichts dergleichen zeigte, hielt er ihn zum letzten Versuch ausgespannt gegen das Tageslicht.

»Nun, findest du nichts?« fragte der Ordonnanzoffizier, und da er in diesem Augenblick an dem Fenster stand, so betrachtete er von seiner Seite den kleinen Papierstreifen ebenso genau. Hätte er seine Augen nicht so fest darauf gerichtet gehabt, so würde er vielleicht bemerkt haben, wie über die Züge seines Gefährten etwas wie ein helles Licht fuhr, etwas wie ein Blitz, wie ein freudiger Glanz, das aber ebenso schnell verschwand, wie es gekommen, und nur eine, wenn auch affektierte Gleichgültigkeit auf den Zügen zurückließ.

»Wie gesagt, nicht die Spur,« sagte der Kammerherr nach einem augenblicklichen Stillschweigen; »es ist in der That möglich, daß ich mich geirrt habe.«

»In dem Papier?«

»Ich glaube wahrhaftig, du hattest recht. Irgend eine Spielerei des Gärtners.«

Darauf nahm er das Papier leicht zwischen die Finger und rollte es sorgfältiger wieder zusammen, als – die Spielerei eines Gärtnerburschen vielleicht verdient hätte. Das mochte auch der Ordonnanzoffizier denken; doch hielt er es mit einmal für besser, er wußte selbst nicht warum, diesem Gedanken keine Worte zu leihen, sondern warf nur leicht hin:

»Und willst du es wieder an seinem früheren Platz zwischen die Blumen verbergen?«

»Warum nicht?« sagte der Kammerherr mit einem leichten Achselzucken; »entweder ist es, wie schon gesagt, die Spielerei eines Gärtnerburschen, oder es ist vielleicht auch ein unschuldiges Zeichen für jemand anders, das uns durchaus nichts angeht. Man muß niemand seine Freude verderben.«

»Ja, man muß niemand seine Freude verderben,« wiederholte Herr von Fernow, und dabei sah er lächelnd und anscheinend ganz gleichgültig zu, wie der Kammerherr aufs sorgfältigste das zusammengerollte Papier wieder an den früheren Platz brachte.


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