F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Du, ein Philosoph, ein Denker!« entgegnete lustig Herr von Fernow. »Wie kann ich, der nur so mit der ganzen Herde läuft, dir einen Rat geben!«

Der Kammerherr warf unruhig den Kopf auf die rechte Seite, dann sprach er: »Sei ein bißchen ehrlich, Fernow. Ich versichere dich, meine Krankheit ist mir rätselhaft. Wenn ich im gewöhnlichen Leben weiß, daß ich weder Austern noch Trüffeln vertragen kann, so esse ich nicht das eine, nicht das andere. Wenn mir der Champagner Beschwerden macht, so trinke ich keinen, wenn mir die Zugluft schadet, so ziehe ich mich warm an – aber was ich thun soll, um in den Augen des Regenten nicht krank zu werden, davon habe ich, auf meine Ehre, keinen Begriff.«

Herr von Fernow strich seinen schwarzen Bart und blickte, ohne zu antworten, an die Decke empor.

»Nochmals, Fernow, sei ehrlich,« fuhr Herr von Wenden fort, »sage, was du mir sagen kannst. Du weißt, daß ich wohl im stande bin, Andeutungen, wenn sie auch mit wenigen Worten gegeben sind, zu verstehen.«

»Was ich kann, will ich gerne thun,« antwortete der Major. »Laß uns einmal sehen, was könnte vielleicht auf deinen Fall passen?«

Er legte die Hand an die Stirn und schien in tiefes Nachdenken zu versinken. »Ja, ja, das wäre möglich,« sagte er nach einer Pause. »Weißt du, lieber Wenden, es gibt Leute, die den Geruch von Blumen nicht ertragen können, – denen er die Nerven angreift.«

»Ach, ich verstehe; – also doch! Namentlich sind mir vielleicht solche Blumen gefährlich, in denen Papierstreifen verborgen sind. Meinst du nicht auch?«

»Ob irgend ein Papierstreifen etwas dazu beiträgt, wage ich in der That nicht zu entscheiden. Aber du wirst mich verstehen.«

»O, vollkommen!«

»Vielleicht gibt es auch noch andere Dinge, die deiner Gesundheit nicht zuträglich sind.«

»So, noch andere Dinge?«

»Ich meine nur so. Ich selbst, der ich recht gesund bin, habe doch zuweilen erfahren, daß die meisten Säle des Schlosses, besonders spät des Abends, eine feuchte, widrige Luft enthalten, die einem, der dazu geeignet ist, die Lunge angreifen kann.«

»Und da werden vor allem die Säle sehr gefährlich sein,« ergriff der überraschte Kammerherr die Andeutung, »die zum Appartement Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise führen.«

»Ob die gerade mehr oder minder Krankheitsstoff zu gewissen Stunden enthalten, wage ich nicht zu entscheiden; genug – «

»Der Beweis ist geliefert,« fiel ihm der Kammerherr unmutig ins Wort. – »Fernow, Fernow, du bist in den wenigen Tagen ein ganz geriebener Patron geworden!«

»Das wird dich doch nicht wundern,« versetzte der Major, »nachdem ein Denker wie du sich die Mühe gab, mir einen langen Sonntagnachmittag seine kostbaren Theorien auseinander zu setzen.«

Der Kammerdiener meldete Seine Exzellenz, den Oberstjägermeister, Herrn Baron von Rigoll, und diese Exzellenz hüpfte freundlich durch das Vorzimmer, blieb aber unter der Eingangsthür zum Salon in einer affektierten Haltung stehen. Das heißt, Rigoll heuchelte den Ausdruck der Bestürzung und Besorgnis. Er warf den Oberkörper zurück und breitete beide Arme aus, indem er rief: »Ist das Ernst oder Scherz, bester Freund? Sie haben mich auf Krankensuppe eingeladen, auf Gerstenschleim, was weiß ich; auf Apfelkompott, Horreur! Ich hoffe nicht, daß es Ihnen Ernst damit war, sonst müßte ich in der That bedauern, hierhergekommen zu sein. Ich habe Ihretwegen sehr frühzeitig Fräulein von Ripperda, meine Braut, verlassen, – Teufel auch! In einem solchen Falle muß man wissen warum!«

»Beruhigen sich Euer Exzellenz nur,« lachte der Kammerherr, offenbar geschmeichelt durch den gnädigen Spaß. »Wenn ich auch bitten muß, mit der Küche eines Kranken Nachsicht zu haben, so wird sich doch wohl auch noch etwas für einen gesunden Appetit finden.«

Seine Exzellenz hatte ein kleines Paketchen in der Hand; es sah ungefähr aus wie ein Buch in groß Oktav, welches er dem Kammerdiener übergab und aufs sorgfältigste anempfahl. Dann erst schien er den Major zu bemerken, der, die Hände mit dem Hut auf dem Rücken, mit gespreizten Beinen seinem eigentümlichen Wesen zuschaute. »Ah, Herr von Fernow,« sagte Baron Rigoll, und das bekannte unangenehme Lächeln wetterleuchtete auf seinem Gesicht.

»Ich hatte schon die Ehre, Euer Exzellenz mein Kompliment zu machen,« entgegnete der Major, »und erlaube mir nun, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«

»Vortrefflich, danke schön. Außerordentlich gut. Es muß mir ja ausgezeichnet gehen. Darüber wird keiner der Herren im Zweifel sein.«

»Wenigstens sind Euer Exzellenz beneidenswert,« entgegnete Herr von Fernow mit der größten Ruhe von der Welt.

Der Kammerdiener meldete noch drei Freunde des Hausherrn und ebenfalls genaue Bekannte der Anwesenden. Man trat ein, man reichte sich die Hände, man stülpte die Hüte auf irgend einen Fauteuil oder einen Diwan, man fand das Aussehen des Kammerherrn für einen Kranken unbegreiflich gut, man sprach über das Wetter, man erzählte von einem Ritt, von einer Soiree, man warf einen verstohlenen Blick in den Spiegel, man war zufrieden mit sich selber, und als nun der Kammerdiener eintrat und mit leiser Stimme ankündigte, daß serviert sei, ging man ins Speisezimmer, setzte sich um den vortrefflich arrangierten Tisch und das Diner nahm seinen Anfang, verlief zwischen Lachen und Scherzen, unter vortrefflichen Schüsseln, ausgezeichnetem Sauterne, Bordeaux und Rheinwein, und endete, wie gewöhnlich, mit einem Fruchtaufsatz von Gefrorenem, mit Champagner und Tokayer.

Obgleich das Frühjahr schon angebrochen war, konnte man doch abends im Zimmer noch ein leichtes Feuer ertragen, und die ganze Tischgesellschaft fand es außerordentlich komfortabel, als sie der Kammerherr in sein kleines Arbeitslokal führte, wo ein Kaminfeuer loderte, um welches sechs niedrige kleine Fauteuils standen, die so leicht auf ihren Rollfüßen liefen, daß sie der geringsten Bewegung nach rechts oder links nachgaben und so die Konversation außerordentlich erleichterten.

Der behagliche Aufenthalt, das muntere Gespräch, welches sich bei dem Dufte des Kaffees und dem Rauch der Zigarren entwickelte, hielt die Gesellschaft länger als sonst beisammen. Zu vorgerückter Stunde erst trennten sich die Gäste, mit Ausnahme der Exzellenz, von ihrem Wirte.

Als der Kammerherr aus dem Vorzimmer, wohin er seine Freunde begleitet, zurückkehrte, fand er den Oberstjägermeister mit einem Buch in der Hand an dem Tische stehend; wenn er aber auch dieses aufgeschlagen vor sich hielt, so sah er doch nicht hinein, vielmehr starrten seine Blicke, wie in tiefen Gedanken, weit darüber hinaus. Auch war von seinem Gesichte der Ausdruck der heiteren, sarkastischen Laune, den er während des Diners und auch nachher so sorgfältig bewahrt, gänzlich entschwunden; auf seiner Stirn lag eine Wolke trüber Sorge, er hatte die Lippen zusammengekniffen, und das fast unvertilgbare Lächeln seiner Mundwinkel sah trotzig und höhnisch aus.

Er warf das Buch auf den Tisch, als er die Schritte des Zurückkommenden hörte, wandte sich gegen den Kammerherrn und sagte: »So wären wir endlich allein.« Dann setzte er in einem beinahe heftigen Tone hinzu: »Baron, ich bewundere Sie. Mit Ihrer Gewandtheit kann es Ihnen nicht fehlen, eine große Carriere zu machen.«

Herr von Wenden sah ihn einigermaßen erstaunt an, und so war auch der Ton seiner Stimme, als er entgegnete: »Ich begreife in der That Euer Exzellenz nicht besonders. Sie sind so freundlich, von meiner Gewandtheit zu sprechen, – ich bitte Sie um Gotteswillen, sehen Sie denn nicht, wohin mich meine Gewandtheit gebracht? Zu einem Arrestanten auf Ehrenwort.«

»Das ist ja gerade, was Sie klug gemacht!« rief der Oberstjägermeister, indem er heftig auf und ab ging, »Sie haben sich von der Sirene nicht verlocken lassen. Sie warf Ihnen die goldene Angel hin; Sie haben nur ein bißchen danach geschnappt, aber das Schicksal in Gestalt Ihres Freundes Fernow hat Sie vor dem Anbeißen bewahrt.«


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