F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Alteriere dich nicht so entsetzlich,« sprach begütigend der Ordonnanzoffizier. indem er ebenfalls aufstand. »Das ist für einen oder zwei Tage. Du kennst meine Freundschaft für dich. Ich glaube, daß ich mir selbst erlauben darf, den Regenten morgen, übermorgen an dich zu erinnern.«

»So hoch steht du in Gunst?« sagte Baron wenden.

»Es wäre möglich,« entgegnete Herr von Fernow.

»In der That, dann hast du gut zugegriffen,« rief Baron Wenden in gerade nicht freundschaftlichem Tone. »Aber thu mir die Liebe und laß mich jetzt allein. Ich bin zu aufgeregt, zu außer mir, selbst für deine Gesellschaft.«

»Ein Philosoph wie du!« sagte der andere. »Was kümmert dich eine vorüberziehende Wolke am Hofhimmel! Hat sich doch deine Theorie glänzend bewährt.«

»Zum Teufel mit meiner Theorie! Sie hat mich ins Gesicht geschlagen, diese Theorie. Ich glaubte, den Augenblick des Glückes zu erfassen – es war der Augenblick des Unglücks. – Gute Nacht!«

»Gute Nacht denn. Ich werde morgen nach dir sehen!« Damit trennten sich die Freunde, und während der eine von finsteren Gedanken bewegt, hastig im Zimmer auf und ab schritt, trat der andere glücklich, selig vor das Haus, und als er an den klaren Nachthimmel hinaufblickte, dachte er an den leisen Druck ihrer Hand, der lauter zu seinem Herzen gesprochen, als tausend Worte es vermocht, und sprach mit einem innigen, herzlichen Gedanken an sie: »Das war der Augenblick des Glücks!«

Achtes Kapitel.

Ein photographisches Atelier.

Wenn ich mir erlaube, dem geneigten Leser zu sagen, daß ein Bild aus Licht und Schatten besteht, sowie daß unser Leben aus Kontrasten zusammengesetzt ist, so wird er umso eher und bereitwilliger glauben, als ich ihm hiermit keine neue Wahrheit verkündige, er dasselbe vielmehr täglich und stündlich schon selbst erfahren hat. Daß sich die Kontraste berühren und ebenso gut wie vom Erhabenen zum Lächerlichen, so auch von Glanz, Pracht und Herrlichkeit zu Armut und Elend oft nur ein kleiner Schritt ist, das haben wir ebenfalls alle sattsam erfahren, und wird mir nun ferner auch der geneigte Leser aufs Wort glauben, wenn ich ihm versichere, daß das Haus mit der Wohnung des Baron Wenden, so elegant und vornehm es sich auch von der Vorderseite präsentierte, doch hinten an eine finstere, stille Gasse stieß, welche es gleichsam vom Verkehr wohlhabender und vornehmer Leute förmlich absperrte. Ja, dieses Haus mit einer trotzigen unverschämten Breite und Höhe nahm der armen Gasse einen guten Teil der so notwendigen Lebensbedingungen: Luft, Licht und Sonne. Daher mochte es denn auch wohl kommen, daß sich die alten Häuser mit ihren hohen Giebeln kummervoll vorwärts geneigt hatten, als wollten sie soviel wie möglich in die Straße hereinragen, um an dem bißchen Sonnenlicht, das in gewissen Stunden fast wie spottend an den grauen Mauern dahinfuhr, nach besten Kräften teilzunehmen.

Wollten wir den verschiedenen Wohnungen in dieser Gasse einen Besuch machen, so würden wir so viel Stoff finden, daß die Bearbeitung desselben am Ende langweilig werden könnte; auch würde es sich nicht mit dem Titel unserer wahrhaftigen Geschichte vereinigen lassen, in den meisten dieser Häuser zu verweilen; denn da würden wir von Augenblicken des Glücks sehr wenig erfahren, wohl aber von Stunden, langen Jahren, ja ganzen Menschenaltern des Unglücks.

Eines dieser alten Häuser aber, das größte in seiner Art, das stattlichste, gehört in den Bereich dieser Geschichte, und muß sich der geneigte Leser schon unserer Leitung anvertrauen, um mit uns fünf der ziemlich dunklen, holperigen und ächzenden Treppen hinaufzuklettern. Warum wir gerade im oberen Stockwerk anfangen, wollen wir nicht verschweigen. Wir befinden uns hier oben im unteren Teil des Dachgiebels, der nach Norden zeigt, haben, was den unteren Etagen völlig abgeht, eine ziemliche Aussicht auf die umherliegende Stadt, d.h. auf einige Tausend Dachseiten und doppelt und dreifach so viele Schornsteine. Da es vormittags gegen zehn Uhr ist, so sind die zahlreichen Kinder, die das Haus beherbergt, in der Schule oder sonstwo bei der Arbeit beschäftigt, weshalb das große Haus ziemlich ruhig daliegt. Unten feilt freilich ein Schlosser, im ersten Stock klopfen Schuhmacher, wir hören auch im zweiten Stock eine scheltende Weiberstimme, aber alles das verhallt in dem großen Bau, und wenn wir noch eine Treppe höher steigen in den vierten Stock, so vernehmen wir wenig mehr von der Feile, dem lederklopfenden Hammer und dem scheltenden Weibe. Dagegen klingt eine helle und frische Mädchenstimme an unser Ohr, und wenn sie singt: »Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein, Hangen und bangen in schwebender Pein, Himmelhoch jauchzend – zum Tode betrübt, Glücklich allein ist die Seele, die liebt,« so sagt uns die ungekünstelte, herzliche Art, mit der sie ihr Lied vorträgt, daß ihr Herz weiß, was sie singt, daß ihr Herz zuweilen schneller schlägt, und daß sie glücklich in ihrer Liebe ist. An der Thür, hinter welcher die Mädchenstimme ertönt, lesen wir auf einem Stück Papier, das dort angeklebt ist: »Witwe Weiher besorgt alle Arten Strohflechterei.«

Die Stimme klingt so frisch und jugendlich, daß wir gern hineintreten möchten, uns einen Strohhut zu bestellen oder ein Zigarrenetui zu kaufen; doch treibt uns der Gang dieser wahrhaftigen Geschichte noch eine Treppe höher hinauf, und wenn wir nun in dem fünften Stock angelangt sind, stehen wir vor einer anderen Thür mit der Aufschrift: »Photographische Anstalt von Heinrich Böhler«.

Hier, wie im Palaste des Fürsten, haben wir die Macht, ungehindert und ungesehen einzutreten. Wir kommen in ein geräumiges Zimmer, dessen schiefe Decke an der einen Seite anzeigt, daß sie in das Dach hineinragt. Vor uns haben wir ein großes Fenster, an dessen Einfassung und Scheiben wir deutlich ersehen, daß dasselbe erst in jüngster Zeit zum Gebrauche des photographischen Apparats eingesetzt wurde. Die anderen Fenster im Hause mit ihren kleinen staubigen Glasscheiben haben sich auch bedeutend über den unverschämten Eindringling geärgert, denn je heller und goldener der letzte Strahl der Abendsonne diesen in seiner Höhe vergoldet, um so mürrischer und unzufriedener blicken alle anderen Fensteröffnungen alsdann auf die dämmerige Straße.

Das Gemach hat weiße Kalkwände und ist sehr bescheiden möbliert. Gegenüber dem großen Fenster steht der Ofen, neben diesem ein breiter tannener Tisch, und ein paar eben solche Stühle, sowie ein ähnlicher Kasten vollenden die Einrichtung. Neben dem Fenster befindet sich dagegen eine kleine Ecke eleganter, fast reicher Ausstattung. Da ist ein erhöhter Fußboden mit einem Stückchen Teppich von spanischen Wänden umgeben, die mit alten seidenen Vorhängen malerisch drapiert sind. Auch sehen wir hier einen geschnitzten Eichenholzstuhl, ein rundes Tischchen mit gedrehtem Fuß und auf demselben eine große Vase mit Blumen. Vor dieser Ecke steht der photographische Apparat auf einem Stativ, jetzt bedeckt mit einem dunklen Tuche, welches das geheimnisvolle Glasauge verhüllt, mit dem die gespensterhafte Maschine ihr Opfer anstiert, um es alsdann in erschreckender und oft auch in erschrecklicher Ähnlichkeit wieder zu geben. Ja, sie ist verhüllt wie in der Menagerie der Käfig des Basilisken oder die große Schlange mit den bezaubernden Augen; denn dem photographischen Apparat ist vielleicht ebensowenig zu trauen, und wenn er unbedeckt dastände, wer bürgt dafür, daß ihm nicht auf einmal einfiele, Gegenstände aus dem Zimmer oder der Nachbarschaft in sich aufzunehmen und auf seine Weise zu bearbeiten, die sich nicht immer für die Öffentlichkeit eignen. An den Wänden hingen teils in Rahmen, teils mit kleinen Nägeln aufgeheftet, photographische Arbeiten, von denen einige sehr gelungen genannt werden konnten; andere aber, namentlich solche, wo sich mehrere Personen auf einem Blatte befanden, waren in den Stellungen verfehlt, und es zeigten die Figuren, wie bei vielen Arbeiten der Art, das seltsame Bemühen, sich so unnatürlich wie immer möglich zu halten und so krampfhaft auszusehen, so schmerzlich zu lächeln und den Beschauer so stier anzublicken, daß man nicht umhin kann, an plötzlich ausbrechenden Wahnsinn, an Schlagflüsse oder dergleichen zu denken.

Künstlerisch schön aufgefaßt war dagegen das Porträt eines jungen Mädchens, welches selbst von der gespensterhaften Maschine mit Liebe wiedergegeben worden zu sein schien. Dies Blatt, mehrmals vervielfältigt, war ohne alle Retouche und gab trotzdem ein sehr liebliches Bild, das von einer wunderbaren Ähnlichkeit sein mußte. Das junge Mädchen, obgleich im einfachen Hauskleide, zeigte eine prachtvolle Gestalt; sie hatte den Kopf etwas erhoben und schien mit ihren hellen klaren Augen in die Höhe zu blicken. Es war, als lausche sie etwas Angenehmem, so war der Ausdruck ihres Gesichts, und das drückten die leicht geöffneten feinen Lippen aus. Ihr rundes Gesicht war umgeben von reichem, kunstlos und doch ungemein kokett aufgestecktem Haar. Sie ließ die zusammengelegten Hände herabhängen und hielt zwischen den Fingern etwas, das wie ein Bouquet ausschaute; bei näherem Betrachten aber sah man, daß es eine kunstreich gearbeitete Strohschleife war. Einmal befand sich dieses Porträt an der Wand in einem schönen aus Holz geschnitzten Rahmen; und wo dieser am Nagel hing, da bemerkte man einen Strauß vertrockneter Feld- und Waldblumen mit zierlichen Gräsern, die so über das Porträt hereinnickten, daß man glauben konnte, die klaren Augen des Mädchens blickten nach ihnen, und wenn man sich dieser Phantasie hingab, so konnte man auch den zufriedenen glücklichen Ausdruck ihres Gesichtes verstehen, in dem die Erinnerung einer glücklichen Stunde lag.


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