F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Und wer ist Herr Krimpf?« fragte der Major.

Die Schilderung, die der Photograph auf diese Frage von dem Wesen seines Gehilfen entwarf, war so lebendig und treffend, daß der andere ihn vor sich zu sehen glaubte, und daß der Zuhörer, trotz der Bemühungen des Erzählers, den guten Eigenschaften des Herrn Krimpf Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, doch auf ganz eigentümliche Vermutungen geriet. »Und wissen Sie, wer der Herr im gegenüberliegenden Fenster ist?« fragte Herr von Fernow.

»Ein Kammerherr Seiner Hoheit des Regenten, ein Herr Baron von Wenden,« antwortete der Photograph.

»Alle Teufel!« entfuhr es dem Major, indem er von seinem Sitze fast in die Höhe gesprungen wäre. Obgleich er sitzen blieb, so entging doch die Bewegung, die er machte, und der Ausruf des Erstaunens dem anderen nicht.

»Sie kennen ihn?« fragte er besorgt. »Sie kennen ihn vielleicht sehr genau, und am Ende that ich unrecht, darüber zu sprechen.«

»Und wenn es mein Bruder wäre,« entgegnete ernst Herr von Fernow, »so würde ich, nachdem Sie mir Ihr Geheimnis anvertraut, auf Ihrer Seite stehen. Aber seien Sie unbesorgt, ich kenne Herrn von Wenden gut, ich kenne ihn sogar recht genau und bin daher wohl im stande, Ihnen einen Rat zu erteilen. Nur muß ich in diesem Falle bitten, ohne Rücksicht zu sprechen, und mir auch nicht die kleinsten Umstände zu verschweigen, die in den letzten Tagen vorgefallen sind.«

Das that der Photograph, aber was er zuerst erzählte, drehte sich immer um denselben Punkt, daß sie am Fenster stand und hinüberblickte, daß er das Gleiche that und Zeichen gab. Als aber der Erzähler darauf zu dem gelungenen Porträt kam, das er von dem Mädchen gemacht, und daran knüpfend der beiden Herren erwähnte, die auf so geheimnisvolle Art bei ihm erschienen seien, da wurde die Aufmerksamkeit des Majors, welche diesem bis jetzt die Teilnahme für den jungen Mann eingeflößt, auf einmal ganz anderer Art. Er schaute vorsichtig umher, und beugte sich dann gegen seinen Nachbar, um kein Wort von der leisen Schilderung zu verlieren, welche dieser ihm von den beiden Herren entwarf. Die kleine, lebendige Figur mit dem forciert jugendlichen Wesen, mit dem ewigen, seltsamen Lächeln, mit dem wunderlichen Gange und der zuckenden Bewegung der Hände war sofort entdeckt: Baron Rigoll, wie er leibte und lebte. Die fernere Erzählung des Photographen, daß er später die beiden Herren an dem gegenüberliegenden Fenster bemerkt, machte die Entdeckung zur Gewißheit. Aber wer konnte der andere Herr sein? Der Regent, nach der ehrerbietigen Art, wie er von dem Baron behandelt ward? Unmöglich jedoch! Was sollte dieser davon haben, sich im geheimen photographieren zu lassen? Das hatte keinen Sinn. Wer also konnte es sein? Das einfachste war auf alle Fälle, den Photographen nach Hause zu begleiten und sich eine Kopie der beiden Köpfe zeigen zu lassen. Er nahm sich vor, ihm später diesen Vorschlag zu machen, doch, teils getrieben von der wirklichen Teilnahme, welche er für den jungen Mann gefaßt, teils auch, um das große Interesse nicht zu verraten, das er an den beiden geheimnisvollen Herren nahm, überlegte er einen Augenblick, was in der Sache zu thun sei. Baron Wenden war nicht ungefährlich; doch da ihm in allen Dingen Entschlossenheit und Energie fehlte, und er, statt sein Ziel durch ein gerades Darauflosgehen zu erringen, es liebte, seine Fäden langsam zu ziehen, wie die Spinne sein Opfer nach und nach zu umgarnen, es zu ermatten, bis es, zu fernerem Widerstand unfähig, in seine Netze fiel, so wurde der Kammerherr, wenn es einmal nötig war, einen kecken Schritt zu thun, leicht plump und täppisch. Darauf baute Herr von Fernow seinen Plan.

»Es ist eine delikate Sache,« sprach er nach längerem Nachsinnen, »und für einen dritten schwer zu raten. Sind oder waren Sie wenigstens von der Liebe des Mädchens zu Ihnen überzeugt?«

»Ob ich es war!« antwortete der junge Mann. »Wie sie mir, so war ich ihr alles. Sie hatte keinen anderen Gedanken als für mich und ihr Glück.«

»Und das Mädchen lebt bei ihrer Mutter?«

»Leider, leider!«

»Dies Leider! beweist mir, daß ich richtig vermute. Das Mädchen ist schön, die Mutter eitel; es schmeichelt ihr, wenn sich ein vornehmer Herr, wie sie es nennt, um ihre Tochter bewirbt.«

»So ist es,« seufzte der Photograph.

»Die Mutter protegiert die Geschichte mit dem Gegenüber, – ja, die Sache ist nicht ohne Bedeutung.«

»O, sie ist schmerzlich. Ich kann es nicht ertragen und werde darüber zu Grunde gehen.«

»Geduld,« antwortete Herr von Fernow mit ermunterndem Ausdruck, »man geht nicht sogleich zu Grunde, wenn man den Kopf oben und die Augen offen behält. Wir müssen sehen, wie zu helfen ist.«

»Wenn es ein guter Augenblick gewesen wäre, daß ich Sie hier getroffen!« sagte der andere im herzlichsten Tone.

»Vielleicht ein Augenblick des Glücks für uns beide,« versetzte lächelnd der Major, indem er an die geheimnisvollen Photographien dachte. »Armer Wenden,« sprach er zu sich selber; »ich fürchte, dir nochmals in die Quere zu kommen; es war unprophetisch von dir, mir deine Theorien so zuversichtlich auseinander zu setzen – doch zur Sache.« Er wandte sich abermals an seinen Nachbar. »Vor allen Dingen muß ich wissen, von welchem Charakter das junge Mädchen ist. Verzeihen Sie mir die peinliche Frage: Halten Sie sie in der That für fähig, sich in ein Verhältnis einzulassen, das durch Zeit und Umstände gefährlich werden könnte?«

»Wenn ich das zugebe,« entgegnete der junge Mann, »so müßte ich ja der Ansicht sein, sie liebe mich nicht mehr, und das kann und will ich nicht. Ich will und muß vieles von der Schuld, die sie vielleicht hat, auf die Einflüsterungen ihrer Mutter werfen. Sie wissen wohl selbst, was eine tägliche Umgebung vermag. Die Eitelkeit, von einem vornehmen jungen Manne beachtet zu werden, mag auch das Ihrige dazu beigetragen haben. Rosa berechnete in ihrer Unschuld nicht, was unter solchen Verhältnissen ein Blick des Auges, ein Zeichen zu bedeuten hat. – Aber vielleicht hat sie jetzt schon den Abgrund zu ihren Füßen erkannt und ist schaudernd davor zurückgewichen.«

»Das ist möglich,« sagte Herr von Fernow in ruhigem Tone, »und dann wäre es am Ende unnötig, Ihnen in Ihrer Angelegenheit zu raten.«

»Dennoch fürchte ich wieder, es ist nicht unnötig!« rief der andere. »Den ganzen Tag werfe ich das Für und Wider in meinem Kopfe herum.«

»So beantworten Sie mir eine andere Frage: Hat das junge Mädchen einen energischen, festen Charakter? Ist ihr Gemüt weich, hingebend, oder stolz und zurückstoßend?«

»O eher das letztere, und das hat mich so unsäglich zu ihr hingezogen.«

»Sie ist noch sehr jung?«

»Zweiundzwanzig Jahre.«

»Sie ist also heiter, offen, lebhaft, keiner von jenen stillen Charakteren, die nur um alles in der Welt den Schein meiden mögen, die beständig die Augen niederschlagen, sobald sie sich bemerkt sehen, die dagegen fest zu blicken wissen, sobald sie sich unbeobachtet glauben?«

»Ob sie heiter und offen und ehrlich ist! Aber etwas heftig, wenn man sie reizt, und sie kann leicht gereizt sein.«

»Wohlan denn, so seien Sie klug und sehen Sie vorderhand nicht, was am diesseitigen oder jenseitigen Fenster vorfällt. Bekümmern Sie sich gar nicht darum, ob der da drüben irgend welche Schritte thut. Das zu erfahren, sei meine Sache.«

»O ich danke Ihnen.«

»Keinen Dank, bis wir zu einem guten Ende gekommen sind. – Wie gesagt, halten Sie sich ganz ruhig. Sollte Gefahr vorhanden sein, so werde ich Sie zu benachrichtigen wissen. – Also Ihr Atelier ist vis-à-vis dem Hinterhause?«

»Heinrich Böhler im vierten Stock, Pfahlgasse Nr. 4.«


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