F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Helene wandte ihm ihr Gesicht zu, sie blickte ihn mit den klaren glänzenden Augen an und sagte mit einem Anflug von Wehmut in der Stimme:

»Herr von Fernow, erzählen Sie mir lieber etwas aus der Stadt. Es ist eigentümlich,« fügte sie nach einem augenblicklichen Stillschweigen hinzu, »daß man Ihnen immer die Gesprächsthemas aufgeben muß.«

»O, das ist wahr,« versetzte er rasch; »ich bin Ihnen gegenüber so geistesarm, so beispiellos arm, – ja, Helene,« fuhr er mit leiserer Stimme fort, »von einer Armut, die Sie erschrecken müßte, wenn es mir vergönnt wäre, Sie dieselbe in ihrem ganzen Umfange kennen zu lehren.«

»Und ich habe ja nichts, um Sie reich und glücklich zu machen.«

»Nichts, Helene?« rief Herr von Fernow leidenschaftlich, »o, Sie haben Alles. Sie brauchen nur Ihre Hand zu öffnen, um Segen, Reichtum und Glück auf mich niederströmen zu lassen. Aber Sie sind hartherzig. Sprechen wir also lieber von der Stadt.«

»Ja, sprechen wir von der Stadt,« wiederholte sie leise und drückte ihre schwellenden Lippen aufeinander, um einen leichten Seufzer niederzukämpfen.

»O, in der Stadt ist es sehr schön,« sagte er mit erzwungener Lustigkeit, »herrliches warmes Wetter, worüber sich alle Menschen freuen. Man geht spazieren, man reitet spazieren, man unterhält sich über dies und das, wissen Sie, mein gnädiges Fräulein, über lauter Alltäglichkeiten, die eigentlich nicht der Mühe wert sind, vor Ihnen wiederholt zu werden.«

»Sahen Sie Herrn von Wenden?«

»Herrn von Wenden und auch Baron Rigoll,« sagte der Major mit einer Verbeugung. »Doch von Letzterem kann ich Ihnen wohl nichts neues mitteilen, Sie sehen ihn häufiger, als ich.«

Es war ein trübes Lächeln, mit dem sie zur Antwort gab: »O ja, ich muß ihn häufig sehen.«

»Häufig, ja sehr häufig!« sprach zornig der junge Mann. »O, Helene, ist das zu ertragen? Fühlen Sie, was ich leide?«

Sie nickte mit dem Kopfe und blickte ihn ruhig an.

»Also doch, Sie fühlen es!« fuhr er heftig fort. »Nun, bei Gott, das ist für mich schon ein Trost, eine Erleichterung. Aber Sie fühlen nicht, wie ich, was es heißt, so von ferne stehen zu müssen, wenn er sich Ihnen nähern darf, wenn er berechtigt ist, Ihren Arm in den seinigen zu legen, o berechtigt, wo ich glücklich, selig wäre, wenn ich nur Ihre Hand berühren dürfte! Sie fühlen nicht, Helene, was ich leide, wenn ich abends zu den erleuchteten Fenstern der Prinzessin aufblicken muß, wo ich weiß, daß auch Sie sind und er, – ja, aufblicken muß, fast verzweifelnd. Denn ich habe Phantasie, Helene, und kann es mir wohl ausmalen, wie er an Ihrer Seite sitzt, wie er das Recht hat, in Ihr liebes Auge zu blicken, verstohlen mit Ihnen zu plaudern, während die anderen Damen aus Gefälligkeit gegen das glückliche Paar um so lauter reden!«

»Sie sind zu hart gegen mich, Herr von Fernow,« sagte das junge Mädchen, wobei sie ihren Kopf so heftig in ihre Hand drückte, daß sich die weißen Finger tief in ihr volles schwarzes Haar vergruben.

»Ja, das thun sie alle und finden die Vertraulichkeit begreiflich,« fuhr der junge Offizier mit flammendem Blicke fort, »und wenn ich drunten stehe in der stillen Nacht, so fühle ich, daß es so ist, – und ich fühlte nicht nur, ich sah auch.«

»Was sahen Sie?« fragte Helene, indem sie sich hastig aufrichtete.

»O, am gestrigen Abend war ich zufälliger Zeuge, daß Baron Rigoll Sie in seinem Wagen nach Hause brachte.«

»Ich mußte so; Ihre Durchlaucht und die Obersthofmeisterin nötigten mich dazu.«

»Ich weiß, daß Sie genötigt wurden, – aber daß man Sie nötigen durfte, das ist es, was mich so grenzenlos unglücklich macht! – Glauben Sie aber ja nicht, daß ich absichtlich in Ihren Weg getreten. Ich kam vom Dienst bei seiner Hoheit, und Sie können sich bei mir bedanken, mein Fräulein, daß ich mich des Wagens bediente, der Sie hätte nach Hause führen sollen,« fuhr er fort. Helene blickte ihn fragend an. – »In dem Wagen fand ich ein Taschentuch, das Sie dort liegen ließen und das ich bei mir trage, um es Ihnen auf Ihren Befehl wieder zurückzugeben.«

Indem er dies sagte, hatte er die Hand auf sein Herz gelegt und sah mit einem forschenden und bittenden Blick nach dem jungen Mädchen hinüber. – »Befehlen Sie, daß ich es Ihnen wiedergebe?«

»Aber Sie martern mich, Fernow!« rief Helene lebhaft aus, »Sie martern mich schrecklich!«

»Ich erwarte ja nur Ihre Befehle,« versetzte er dringend, »nur Ihre Befehle, Helene, ja, Ihre Befehle, ob ich überhaupt glücklich sein oder entsetzlich elend werden soll. Befehlen Sie also!« – Das alles sprach er mit der jähen Hast der Leidenschaft. »Befehlen Sie mir, vor den Baron Rigoll zu treten – o nein! nicht befehlen! Gewähren Sie es mir als die höchste Gnade, die Sie mir gewähren können, ihm zu sagen, daß ich Sie liebe und daß auch Sie mir nicht abgeneigt sind. Lassen Sie mich dann zur Prinzessin gehen, ich will sie fragen, warum sie zwei Herzen auseinanderreißen will, die sich lieben! Ja, Helene, die sich lieben, ich spreche es aus, ich fühle es, ich sehe es in Ihrem feuchten Blick, ich weiß es aus Ihren eigenen Worten, aus Ihren lieben, entzückenden Worten, die Sie mir an jenem Abend sagten.«

Sie gab ihm keine Antwort, als er so heftig zu ihr sprach, sie hatte ihre Hände vor das Gesicht gepreßt und das leichte Zucken ihres Körpers, welches ihm anzeigte, daß sie weinte, war nicht im stande, ihn ruhiger zu stimmen.

»Was Ihnen Baron Rigoll bieten kann, kann ich Ihnen freilich nicht bieten, – seinen Stand, seinen Reichtum! Aber dagegen etwas Kostbares: Ein Herz voll Liebe, Helene. – Doch, o mein Gott! ich weiß ja wohl, daß ich da Sachen zu Ihnen spreche, die Sie ebenso gut selbst wissen.«

Sie nickte abermals mit dem Kopfe, dann erwiderte sie, indem sie beide Hände von sich abstreckte, in einem Tone der Trostlosigkeit, der über alle Beschreibung schmerzlich war:

– »Ob ich das alles weiß, was Sie mir sagen! – Ob ich es weiß? – Ja, Fernow, es ist ein Abgrund zu meinen Füßen, vor dem ich zurückschaudere und in den ich doch stürzen muß.«

»Und wer zwingt Sie dazu?« rief der junge Mann heftig aus.

»Das Gefühl der Dankbarkeit gegen die Prinzessin, meine Liebe zu ihr, mein Versprechen.«

»Ein Versprechen, das man Ihnen abgezwungen? – O so weit zu gehen, zwingt uns weder Liebe noch Dankbarkeit! Es ist eine Laune der Prinzessin, sie hat den Baron Rigoll zu Gott weiß welchem Zwecke gebraucht, und um ihn an sich zu ketten, sollen Sie das Opfer werden! – Nimmermehr, Helene, Sie sollen sich keiner vorübergehenden Laune opfern. – Nein! nein! Und kann ich auch nicht glücklich mit Ihnen sein, – – mit dir, o meine Helene, mit dir, die ich über alles in der Welt liebe, so will ich doch das Band zerreißen, an welchem man dich, du mein herrliches Mädchen, gefangen hält, und du sollst wenigstens frei, wenn auch nicht glücklich sein!«

Er hatte sich bei diesen Worten mit einer raschen Bewegung vor Helene niedergeworfen, ihre beiden Hände ergriffen, und als er dieselben leidenschaftlich an seine Lippen preßte und mit heißen, innigen Küssen bedeckte, war es so gekommen, daß ihr Haupt niedersank und ihr Haar aufgelöst auf seine Stirne fiel.

»Ja, ja,« wiederholte er mit dem Tone des tiefsten Schmerzes, »wenn auch nicht glücklich, doch frei!«

»Und warum nicht beides?« fragte eine leise Stimme hinter ihnen, eine Stimme, deren Ton beide aufschreckte, eine Stimme, die sie augenblicklich erkannten, deren Klang aber in diesem heiligen Augenblicke nicht im stande war, beide Liebenden gewaltsam zu trennen. Herr von Fernow erhob sich vielmehr langsam, und wie er sich erhob, legte er seinen Arm um den schlanken Leib des jungen Mädchens, drückte es, wie beschützend, an sich und blickte dabei herausfordernd um sich her, als wollte er sagen: »Welche Macht der Erde ist im stande, uns jetzt zu trennen?«


 << zurück weiter >>