F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Sie verzeihen wohl die Frage, ist vielleicht mit diesem Laden eine Restauration verbunden, in der man einen guten Nachtimbiß zu sich nehmen kann?«

Herr Krimpf blickte einigermaßen mürrisch auf den Frager, dann zeigte er mit der Hand auf das transparente Schild über der Hausthür, auf dem deutlich das Wort »Restauration« zu lesen war.

»Verzeihen Sie, das habe ich nicht gesehen,« sprach der andere verbindlich; »sonst hätte ich Sie durch meine unnötige Frage nicht aufgehalten.«

»O, aufgehalten haben Sie mich gerade nicht,« antwortete der kleine Mann, »meine Beschäftigungen in dieser Stunde sind nicht groß, ich spaziere so zu meinem Vergnügen herum.«

»Das stellt mich in der That zufrieden,« sagte der andere, »und so will ich denn versuchen, was Küche und Keller in der Restauration vermögen.« Herr Krimpf machte ein Gesicht, als verspüre er große Lust zu einem ähnlichen Versuche.

»Ich will doch geschwind sehen, welche Zeit es ist,« sagte der Major. Damit knöpfte er seinen Paletot auf, zog die Uhr hervor, und fuhr fort: »Acht Uhr! noch gar nicht spät.« Da er hierbei that, als brauche er zum Aufknöpfen des Paletots und zum Hervorziehen der Uhr beide Hände, so erschien es ganz natürlich, daß er seinen Spazierstock auf die Brüstung des hellerleuchteten Ladens legte. Daß er ihn vergaß, nachdem er die Uhr wieder eingeschoben, hatte auch gerade nichts Auffallendes und konnte jedermann passieren.

»Nochmals herzlichen Dank,« sagte er alsdann und eilte so schnell er konnte in das Haus hinein.

Wir können nicht verschweigen, daß Herr Krimpf in diesem Augenblick seufzend an seine Tasche griff und mit bewegten Lippen die Herrlichkeiten überschaute, die hier vor ihm aufgestapelt lagen. Er war in der That nicht mit Geld versehen, hatte auf den Lakaien gehofft, und dann die Absicht gehabt, hier in der ihm wohlbekannten Restauration ein gutes Souper zu machen.

»Der Teufel hole alle diese Kommissionen!« brummte er vor sich hin. »Hätte ich nicht gedacht, man wolle mich ordentlich belohnen, so wäre ich zu Frau Böhler gegangen und da hätte es mir an etwas Bescheidenem zum Nachtessen nicht gefehlt. 's ist doch ein wahres Sprichwort, daß ein Sperling in der Hand besser ist als eine Taube auf dem Dache.«

Indem er diese Worte sprach, zuckte er verdrießlich mit den Händen nach seinem Gesichte, so daß es von weitem aussah, als übe er beim Anblick der Delikatessen in dem Laden die Bewegung von Messer und Gabel. Jetzt wollte er sich mit einem letzten Blick auf den prächtigen Schinken entfernen und hatte sich schon halb abgewandt, da bemerkte er etwas Glänzendes auf der Fensterbank, griff hin und hielt den kleinen Spazierstock empor, den der Fremde dorthin gelegt.

Nun war Herr Krimpf in gewisser Beziehung ein ehrliches Gemüt, weshalb er sich beeilte, den kleinen Stock in das Haus zu tragen, um ihn dem Eigentümer einhändigen zu lassen. Dieser schien aber seinen Verlust im Augenblick bemerkt zu haben – er hatte, im Vertrauen gesagt, Herrn Krimpf durch die Glasthür belauscht – und kam ihm schon auf der Thürschwelle entgegen.

»Sie haben etwas liegen lassen,« sagte der kleine Mann.

»Tausend Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Es wäre mir fatal gewesen, den Stock zu verlieren, nicht seines Wertes halber, sondern weil ich ihn von einer teuren Hand geschenkt erhielt, Sie verstehen mich wohl, wodurch so etwas unbezahlbar wird.«

»Es ist nicht der Rede wert, dafür zu danken,« meinte Herr Krimpf, »und mir nur angenehm, daß er nicht von einem Vorübergehenden mitgenommen wurde.«

Der andere schien den wieder erhaltenen Stock mit Entzücken zu betrachten. »Es liegt in der That für mich ein solcher Wert darin, daß ich nicht weiß, wie ich Ihnen dankbar sein soll. Ja, Sie müssen mir erlauben, Ihnen dafür erkenntlich zu sein.«

Herr Krimpf machte eine Bewegung, wie jemand, der im Begriff ist, mit einigem Befremden ein Geschenk auszuschlagen. »O, ich bitte, mich nicht mißzuverstehen,« sagte der Fremde im verbindlichsten Tone. »Meine Erkenntlichkeit sollte darin bestehen, Sie zu ersuchen, ein Glas Wein von mir annehmen zu wollen. Es trinkt sich überhaupt allein sehr schlecht, und ich muß gestehen, daß mir Wein nur in Gesellschaft mundet.«

Gegen diese höfliche Einladung war nichts einzuwenden. Herr Krimpf brachte freilich anstandshalber noch einige Einwendungen vor, einige Aber – Ich bitte – Es könnte zudringlich erscheinen – doch ließ er sich bereitwillig am Arme nehmen und folgte darauf seinem freundlichen Wirte in ein kleines Stübchen hinter dem allgemeinen Wirtszimmer, welches ganz dazu gemacht schien, um ein gutes Glas Wein in stiller Beschaulichkeit darin genießen zu können. – Beide nahmen Platz, der Fremde schob Herrn Krimpf die Speisekarte hin, und bat es sich als eine besondere Vergünstigung aus, daß er sich ganz nach seinem Belieben ein Nachtessen aussuchen möchte.

Da das Gaslicht in dem kleinen Stübchen sehr hell brannte, so fanden die beiden so unvermutet Zusammengetroffenen vollkommen Gelegenheit, sich gegenseitig zu betrachten. Während der andere die Speisekarte studierte, musterte Herr von Fernow sein Opfer, indem er sich behaglich in seinen Stuhl zurücklehnte und mit einer gewissen Befriedigung ausruhte. Hatte er doch vorderhand erreicht, was er wollte. Sein Gegenüber, mit den vielleicht kostbaren Blättern in der Tasche, konnte ihm nun nicht mehr entwischen, und im Gefühl des Besitzes lächelte er in sich hinein, wenn er an die Jagd über die Rampe, den Schloßplatz und die Straßen dachte.

Wenn wir sagen, Herr Krimpf studierte die Speisekarte, so müssen wir dem vorsichtigen und etwas mißtrauischen Charakter dieses Herrn Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem wir sagen, daß er dies nur mit dem rechten Auge that, daß aber das linke, auf seine uns schon bekannte Art von unten herauf lauernd, wobei ihm die Haltung des Kopfes nach der linken Seite sehr zu statten kam, sein Gegenüber zuweilen beschaute. – Als er dies zu erstenmal bei dem vollen Glanz des Gaslichtes gethan, blinzelten seine beiden Augen und die eine Hand, die er frei hatte, zuckte auffallend gegen sein Gesicht. Wenn das Äußere des Herrn Krimpf auch von der Natur verwahrlost war, so hatte dagegen sein Geist eine außerordentliche Schärfe und Lebhaftigkeit, und unterstützt von einem ebenso scharfen Blicke ward es ihm leicht, einmal empfangene Eindrücke festzuhalten. Da er Maler war, so hatte er namentlich für Figuren und Physiognomien ein außerordentliches Gedächtnis, und dies täuschte ihn nicht, als er bei sich dachte, er habe den Mann, der ihm gegenüber saß, schon gesehen, wenn auch in anderer Kleidung und Umgebung. So Herr Krimpf, während er anscheinend gelassen auf der Speisekarte las: Suppe, Beefsteaks, Kotelettes und dergleichen. Er war aber noch nicht bis zum Dessert gekommen, so war er bereits sicher, daß er es mit einem Offizier zu thun habe, mit einem vornehmen Offizier, den er vor kurzem bei einer großen Parade in der Nähe des Regenten gesehen.

Herr Krimpf dachte gern, dachte schlau und verständig, und da seine Gedanken stets mit Mißtrauen gegen seine Mitmenschen gespickt waren, so fing er an, nachzusinnen, ob die Begegnung mit seinem Gegenüber so ganz zufällig sei, ob dessen Frage nach einer Restauration, da doch das Schild an dem Hause dieses Wort so deutlich zeigte, daß einem fast die Augen weh thaten, nicht ein Vorwand war, mit ihm zu sprechen; selbst das Hinlegen des Spazierstockes war vielleicht nicht unabsichtlich geschehen, und wenn er alles das zusammenhielt, wenn er überlegte, daß jener Offizier mit dem Hofe in genauer Berührung stand und daß er selbst eben in einer geheimen Mission dort gewesen, so schien es ihm nicht unmöglich, daß er zu irgend einem ihm bis jetzt noch unbekannten Zweck hieher in die Restauration gebracht ward. Herr Krimpf lächelte still und vergnügt in sich hinein, als er diese Betrachtungen anstellte. Er war sich eines klugen Verstandes, einer guten Zunge bewußt, Waffen, mit deren Hilfe er es mit jedem aufnehmen zu können glaubte.

Herr von Fernow hatte ebenfalls das Gesicht des kleinen Mannes studiert und fand die Schilderung, die ihm Herr Böhler entworfen, vortrefflich. Man konnte nicht leicht etwas Abstoßenderes und Unangenehmeres sehen. Dabei entging ihm das Lauern der Blicke nicht, das fast höhnische Lächeln um den Mund. Gewiß, daß er es mit einem schlauen Gegner zu thun hatte.

Jetzt war die Speisekarte studiert. Herr Krimpf hatte bescheidene Wünsche, und der andere hütete sich wohl, ihm zu viel aufdringen zu wollen. Da sie aber natürlicherweise gemeinschaftlich tranken, so ließ Herr von Fernow nicht ohne Absicht einen guten Bordeaux kommen, mit dessen Hilfe er hoffte, die Zunge seines Gastes zu lösen.


 << zurück weiter >>