F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Wenn es einer von meinen genauen Bekannten ist,« entgegnete dieser, »so sag ihm, ich habe mich schon zurückgezogen, du wolltest aber sehen, ob ich noch nicht zu Bette sei.«

Die Thür schloß sich, und der Kammerherr, im Fauteuil zurückgelehnt, lauschte aufmerksam. Jetzt sprang jemand eilig die Treppe hinauf, und gleich darauf hörte er eine Stimme im Vorzimmer: »Ei zum Henker, mein lieber Henri, wenn man so spät kommt, hofft man seine Freunde auch zu Hause zu finden. Sagen Sie dem Baron, wenn er auch schon zu Bette gegangen sei, so würde ich mir doch erlauben, mich einen Augenblick zu ihm zu setzen, es sei ja nicht das erste Mal.«

»Es ist Fernow,« sagte Herr von Wenden, indem er eine Klingel in Bewegung setzte, die vor ihm auf dem Tische neben den Zeitungen stand. Der Kammerdiener erschien augenblicklich, und ließ als eine gewandter Mann sogleich die Thür offen, als er vernahm, wie ihm sein Herr mit lauter Stimme entgegenrief: »Wenn ich mich nicht irre, ist Major Fernow draußen. Ich lasse ihn recht sehr bitten, bei mir einzutreten.« – »Fernow,« sprach er zu sich selber, »sollte er's am Ende sein, dem ich meine Sache ans Herz legen könnte – ? Ich glaube, ja. Wenn er auch fest zu dem Regenten hält, ist er doch ein ehrlicher Kerl, und man kann sich auf ihn verlassen.«

Der Major erschien auf der Schwelle und sagte zu dem Kammerdiener, der draußen blieb: »Bitte sagen Sie drunten, daß der Wagen nicht zu warten braucht. Ich gehe zu Fuß nach Hause.« Dann trat er ins Zimmer und rief heiter, fast lustig: »Du siehst, lieber Wenden, wie sehr ich dich in Affektion genommen. Nachdem ich noch vor wenigen Stunden vortrefflich bei dir gespeist, zieht es mich jetzt schon wieder zu dir hin. Nennst du das nicht Freundschaft?«

Der andere hatte sich erhoben, und indem er dem Eintretenden entgegenging, sagte er ebenfalls recht freundlich: »Es ist in der That schön von dir, daß du einen armen Kranken noch so spät besuchst. Was aber die pure Freundschaft anbelangt, so hoffe ich im Laufe einer Viertelstunde zu erfahren, ob du wirklich ohne Nebenabsichten zu mir gekommen bist.«

»Ach!« rief der Major, wobei er ein ernstes Gesicht zu machen versuchte, das aber in der That komisch aussah, »du solltest mich besser kennen. – Uneigennützig bis zum Exzeß!«

»Setzen wir uns, setzen wir uns,« entgegnete der Kammerherr mit einer Handbewegung und einer Miene, die deutlich sagte: »Lassen wir das gut sein.«

Obgleich Herr von Fernow dieser Einladung augenblicklich Folge leistete und es sich in einer weichen Chaiselongue so bequem als möglich machte, so hatte er doch die Miene und den Ton der Stimme seines Freundes vollkommen verstanden und wiederholte:

»Nein, ich bin nicht eigennützig, – diese Tugend mußt du an mir loben. Ich opfere mich im Notfall für meine Freunde.«

»Ja, ja,« erwiderte der andere in gedehntem Tone, wobei er sich langsam in seinem Fauteuil niederließ; »du warst früher ein guter Kerl.«

»Früher?«

»Nun, du wirst dir doch wohl nicht einbilden, daß du im hellen Glanz der allerhöchsten Gnadensonne derselbe geblieben bist?« meinte der Kammerherr, »deshalb sei ehrlich, was führt dich in so später Abendstunde zu mir?«

»Die Begierde, dich zu sehen.«

»Ah, Redensart!«

»Ich sage dir, du bist unendlich mißtrauisch geworden.«

»Und wenn dem so wäre, habe ich nicht Ursache dazu? Sitze ich nicht hier jetzt schon fast acht Tage, im unangenehmsten Zimmerarrest und keiner meiner Freunde wirft sich für mich ins Feuer, um mich daraus zu erlösen?« Das sagte er beinahe mißmutig.

»Davon später,« erwiderte Herr von Fernow, »vorderhand bin ich wirklich noch hier, um in diesem bequemen Lehnstuhle eine halbe Stunde ausruhen zu können und, wenn du nichts dagegen hast, dazu eine Zigarre zu rauchen.«

»Das hättest du alles zu Hause haben können,« entgegnete der Kammerherr, indem er langsam den Fuß der Lampe ergriff und dieselbe fast unmerklich zu rücken begann, daß er in den Schatten des grünen Schirmes zu sitzen kam, während auf den andern das volle Licht fiel.

Der Adjutant lächelte in sich hinein über dieses Manöver, das er vollkommen begriff, und zündete sich eine Zigarre an, worauf er erwiderte: »Allerdings hätte ich alles das zu Hause auch haben können, aber ohne deine Unterhaltung. Weißt du, daß es schon ziemlich lange her ist, daß wir nicht mehr zusammen sprachen, so was man eigentlich zusammen sprechen nennt?«

»O ja, ich weiß es,« seufzte Herr von Wenden.

»Seit jenem Tage nicht mehr, als wir zusammen Dienst im Schlosse hatten, wo du so freundlich warst, mir deine wirklich pikanten Theorien vom Augenblicke des Glücks auseinanderzusetzen.«

»Und womit ich den Teufel an die Wand malte,« sagte Herr von Wenden. »Der vermeintliche Augenblick des Glücks wurde mir zum Augenblick des Unglücks. Meinst du nicht auch so?« setzte er lauernd hinzu.

Der Adjutant hatte seine beiden Hände unter den Kopf gelegt und blickte an die Decke des Zimmers, wobei er behaglich seine Zigarre rauchte. Auf die Frage des Freundes zuckte er mit den Achseln und entgegnete:

»Wer weiß? – Ich kann nicht ganz deiner Ansicht sein. Daß für dich damals ein Augenblick des Glücks nahe war, davon bin ich fest überzeugt, und glaube ebenso sicher, daß der Augenblick unbedeutenden Unglücks, der gleich darauf eintrat, dich vielleicht vor größerem Unglück bewahrte.«

»Darin liegt etwas Wahres,« antwortete Herr von Wenden nach einem Moment des Nachdenkens, »aber wie ich schon vorhin sagte,« fügte er sanft lächelnd hinzu, »du hast dich in den acht Tagen außerordentlich gemacht. Ich sehe, du bist im Begriff, mir ganz neue Seiten meiner Theorie zu entwickeln. Nur zu!«

»Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.«

»Hol der Teufel dein kindliches Gemüt! Aber jetzt Scherz beiseite. Wenn du auch nicht mit der Sprache herauswillst, was du eigentlich so spät bei mir suchst, so unterhalte mich armen Gefangenen wenigstens mit der Erzählung dessen, was du von sieben Uhr bis jetzt getrieben. – Denn du hast doch heute abend etwas getrieben?« setzte er hinzu, indem er ihn seltsam aus den Augenwinkeln anblitzte.

»Ich habe allerdings getrieben und bin getrieben worden,« entgegnete Herr von Fernow mit einem leichten Zucken seines Mundes, »aber deine Forderung ist außerordentlich klug, ganz diplomatisch. Sage mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen, wer du bist.«

»Allerdings.«

»Oder sage mir, wo du warst, so will ich erkennen, was du getrieben.«

»Auch richtig. Aber wenn es Geheimnisse sind, so bin ich nicht so indiskret, deren Mitteilung zu verlangen.«

»Geheimnisse habe ich keine, am allerwenigsten vor dir, und wenn es dich unterhalten kann, so sollst du auch den Punkt erfahren, womit ich mich heute abend beschäftigt, oder was ich, um dein Wort zu gebrauchen, getrieben. Vorher aber wirst du mir erlauben, daß ich mich in eine ganz bequeme Lage bringe, denn ich bin äußerst müde.«

Bei diesen Worten zog er einen Stuhl zu sich hin, legte die Füße darauf und streckte sich so aus, daß er in der That in seinem Bette nicht hätte bequemer liegen können. Der Kammerherr sah ihm lächelnd zu und lehnte sich ebenfalls so weit als möglich in seinem Fauteuil zurück, was er hauptsächlich in der Absicht that, ganz in den Schatten zu kommen.

»Also,« begann der Adjutant, – »du weißt, ich fange gerne meine Reden mit also an.«


 << zurück weiter >>