F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Das ist gegenseitig, Kindermann, gewiß gegenseitig.«

»Nein, Ihr macht es zu arg. Es muß da droben wieder etwas im Spiele sein; ich kann Sie versichern, Steppler, der Herr ist in den letzten Tagen sehr schlecht gelaunt, und ich glaube, man kann sich vor ihm in acht nehmen. Er ist nun einmal der Herr, und wenn wir selbst, was sich in den nächsten Tagen entscheiden soll, einen Thronerben erhalten, so wird doch die Regentschaft achtzehn Jahre dauern, eine Zeit, deren Ende wir beide schwerlich erleben werden.«

»Was wollen Sie damit sagen, Kindermann?« fragte der andere, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht.

»Nun, ich will damit sagen, daß der Herr die Macht noch lange behält, seinen Freunden wohl zu thun und seinen Feinden auf unangenehmen Art zu vergelten.«

»Aber Ihr thut uns sehr unrecht,« sprach nun Herr Steppler, wobei zum erstenmal ein Lächeln über seine düsteren Züge flog, »wenn Ihr glaubt, wir oben haßten den Herrn, im Gegenteile, kann ich Sie versichern. Freilich bemüht man sich zuweilen, seine Plane zu vereiteln, ihm entgegenzuwirken, aber, ich bin auch ein alter Praktikus, Kindermann, das geschieht nicht nach einem kalten, berechneten System, sondern das ist die Aufwallung des Augenblicks, ist wie ein kindischer Trotz – verzeihen Sie mir das Wort – eine fast fieberhafte unerklärliche Neigung, nein zu sagen, wenn der Herr ja sagt.«

Herr Kindermann blickte in sein Glas und antwortete nicht.

»Von wirklicher Feindschaft kann da keine Rede sein und von Haß noch viel weniger. Wenn man jemand haßt, verstehen Sie mich wohl, ohne Nebengedanken haßt, so nennt man seinen Namen nicht, so blickt man nicht nach ihm, so ist man froh, wenn man weder etwas von ihm zu hören noch zu sehen bekommt; und hauptsächlich, wenn man jemand wirklich haßt, so verschließt man das in sich und zeigt seine Feindseligkeit nicht aller Welt.«

»Da ist schon etwas Wahres dran,« meinte nachdenkend Herr Kindermann, »es wäre wirklich schade, wenn zwei Herrschaften, wie der Regent und die Prinzessin, ihr Leben so verbringen sollten. Haben Sie nie gedacht, Steppler,« sagte er nach einer längeren Pause, welche er dadurch ausgefüllt, daß er den Rest der Erdbeerbowle nachdenklich mit dem großen Löffel umgerührt, – »ist es Ihnen nie eingefallen, daß die beiden ein prächtiges Paar abgeben würden?«

»Wer hätte nicht schon daran gedacht!« entgegnete der andere, »und das ist ein vortrefflicher Gedanke. Dann gäbe es doch endlich einmal Ruhe im Schloß. Man könnte seine Tage in stiller Beschaulichkeit beschließen, wenn die verdrießlichen Geschichten hier einmal aufhörten. Aber wie kommen Sie auf die Idee?«

»Sie haben mich darauf gebracht,« erwiderte Herr Kindermann mit großer Wichtigkeit. »Freilich habe ich schon manchmal über das Benehmen der Prinzessin so meine Betrachtungen angestellt, und dann bestätigt das, was Sie mir eben sagten von der fieberhaften Heftigkeit, mit der Ihre Dame zuweilen meinem Herrn opponiert, meine Meinung; ebenso, daß sie häufig von ihm spricht, nach ihm blickt, sich mit ihm beschäftigt.«

»Das habe ich doch nicht gesagt?« fragte erschrocken Herr Steppler.

»Ja, Steppler, Sie haben das gesagt, und Ihr guter Geist sprach aus Ihnen. Sehen Sie, das ist eine großartige Idee, mit der ich mich schon lange getragen und die gelingen muß, wenn zwei Männer wie wir sie in die Hand nehmen. Sie werden Ihre Stellung so gut wie ich begreifen. Anmelden und den Tisch und die Garderobe besorgen kann jeder; aber kräftig ins Leben eingreifen, dazu gehören sichere Hände, und ich glaube, die haben wir, nicht wahr?«

»Ja, ich glaube so,« antwortete Herr Steppler. Doch konnte er sich einer festen Hand nur im bildlichen Sinne rühmen, in der Wirklichkeit dagegen zitterte das Glas in seiner Rechten einigermaßen, wenn er es zum Munde führte. »Freilich erschreckt mich diese Idee, Kindermann, aber wenn ich mich an Ihren Gedanken gewöhne, so finde ich in der That nichts so absonderlich Befremdliches darin. Seine Hoheit der Regent aber?«

»Das sei meine Sorge,« entgegnete Herr Kindermann, »glauben Sie mir, er interessiert sich mehr für die Prinzessin als sich die ganze Welt träumen läßt.«

»Wirklich?« warf der andere mit einem fast heiteren Tone dazwischen.

»Gewiß, ich merke das aus vielem heraus. Wie oft steht Seine Hoheit entfernt von der Prinzessin, ist anscheinend in eifrigem Gespräch mit anderen begriffen, und findet doch Zeit genug, jeden Augenblick nach ihr hinüberzuschauen, alle ihre Bewegungen zu beobachten.«

»In der That, das ist mir auch schon vorgekommen,« gab Herr Steppler zur Antwort und wiegte dabei seinen Kopf auf und nieder, wie jemand, der einem angenehmen Gedanken nachhängt.

»Wäre es für uns nicht in jeder Hinsicht das beste, wenn da was zustande gebracht werden könnte?« meinte Herr Kindermann. »Ich setze den Fall, daß wir uns beide in unseren Meinungen nicht irren. Wie dankbar müßten solche Bemühungen überdies von den höchsten Herrschaften aufgenommen werden? Dazu gehört aber vor allen Dingen, daß man nicht sucht die kleinen Streitigkeiten zu vergrößern, die hie und da vorkommen, oder gar neue zu erfinden, und in dem Punkte müssen Sie sogar etwas Übriges thun, Herr Steppler.«

»Du lieber Gott, unsereins handelt nur nach Befehlen, das kann ich Sie versichern,« entgegnete der andere. »Wir wagen es wahrhaftig nie, eine eigene Meinung zu haben, noch viel weniger dieselbe durchzusetzen. Ja wir sind nicht Herr Kindermann,« setzte er mit einem pfiffig sein sollenden Lächeln hinzu.

Der Kammerdiener Seiner Hoheit, offenbar geschmeichelt durch diese Äußerung, machte ein spitzes Maul, wobei er sich verstohlen im Spiegel betrachtete. »Man thut wahrhaftig nur seine Schuldigkeit,« sagte er alsdann, »und wenn einem zufällig einmal etwas gelingt, so meinen die Leute, man habe Gott weiß welche Macht.«

Daß in diesem Augenblick der dienstthuende Lakai der Prinzessin ziemlich ohne Umstände eintrat, mußte seine Ursache haben, und so war es auch in der That. Er meldete aus respektvoller Entfernung mit flüsternder Stimme, daß die Prinzessin in Begleitung seiner Hoheit soeben aus den Appartements der verwitweten Frau Herzogin komme und daß sich die höchsten Herrschaften voraussichtlich nach ihren Gemächern verfügen würden. Herr Steppler erhob sich rasch von seinem Stuhle, schlürfte sein Glas hastig aus und machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung, als ihm Herr Kindermann nochmals einschenken wollte. Dann reichten sich die beiden würdigen Männer die Hände und der ausdrucksvolle Blick eines jeden sagte dem anderen, daß das Gespräch von vorhin nicht vergessen sei. In Gegenwart des Lakaien etwas hinzuzufügen, wäre nicht rätlich gewesen. Schon daß sich die beiden mächtigen Kammerdiener die Hände reichten, wurde einer vertrauten Kammerjungfer erzählt, die es denselben Abend noch zu den Ohren Ihrer Durchlaucht brachte, welche die Annäherung der beiden bisher sehr feindlichen Parteien wichtig genug fand, um einen Augenblick darüber nachzudenken. Ja, wenn wir unserer Geschichte vorgreifen dürften, so würden wir hinzufügen, daß die Prinzessin sehr bald an ihren Schreibtisch eilte, nachdem sie die vertrauliche Mitteilung von dem Einverständnis der beiden Kammerdiener erhalten. »Gut,« hatte Ihre Durchlaucht erwidert, »es ist am Ende gleichgültig – mich überrascht man nicht.« Aber dann hatte sie einen Brief gesiegelt, adressiert und befohlen, ihn sogleich zu dem Kammerherren Baron Wenden zu bringen. Es war zehn Uhr des Abends und die Prinzessin erwartete eine Entgegnung auf ihre Zeilen.

Herr Kindermann war, dem Rufe der Glocke folgend, kaum in die Appartements des Regenten getreten, als sich Herr von Fernow in dem Zimmer des Kammerdieners einfand. Da sich Seine Hoheit noch nicht zur Ruhe begab, sich vielmehr zum Lesen niedergesetzt hatte, so kehrte Herr Kindermann in wenigen Augenblicken zurück und war offenbar erstaunt, den Adjutanten zu so später Stunde und in Zivilkleidung anzutreffen.

»Verzeihen Sie, lieber Kindermann,« sagte der Major, indem er rasch auf den Eintretenden zuging, »daß ich störe. Aber Sie waren vor einiger Zeit so freundlich, mir zu sagen, ich solle mich bei vorkommenden, mir wichtig erscheinenden Umständen vertrauensvoll an Sie wenden. Ein solcher Augenblick ist nun gekommen, wo ich Ihres Rates, vielleicht auch Ihrer Hilfe bedarf.« Der Kammerdiener, offenbar geschmeichelt durch die freundliche Anrede des jungen Mannes, zeigte ein in der That angenehmes Lächeln und bat den Adjutanten, Platz zu nehmen. »Wenn Sie mir erlauben,« sagte dieser, »so ziehe ich vor, stehen zu bleiben. Ich habe eine Bitte an Sie und diese besteht darin, mir offenherzig zu sagen, ob es Ihnen möglich ist, mich noch bei Seiner Hoheit zu melden.«


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