F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Es lag aber auch eine wahrhaft drückende Ruhe auf dem Schlosse; die Stille und die Langeweile tönten ordentlich. In den weiten Gängen und auf den breiten Treppen entdeckte man selten ein lebendes Wesen, und wo sich in weiter Entfernung vielleicht ein Tier, eine Katze, oder vor den Fenstern ein Vogel blicken ließ, da ruhte der erstere jedenfalls mit aufgestütztem Kopf an der Fensterbank, die Katze lag schlafend in einem kleinen Fleckchen Sonnenschein, und der sonst so muntere Vogel saß draußen auf dem zackigen Gesims still, fast unbeweglich, mit gesenktem Kopfe, als finde selbst er es hier unerträglich langweilig. Die einzige Spur von Leben ließ hier und da die Katze bemerken, denn zuweilen öffnete sie träge ihr blinzelndes Auge und schmachtete, vielleicht mit unterschiedlichen Gedanken an eine fette Beute, nach dem Vogel hin. Wenn aber auch beide nicht durch die Glasscheibe getrennt gewesen wären, hätte die Katze wahrscheinlich doch nicht ihre Siesta unterbrochen, um einen Sprung nach der sicheren Beute zu thun. Sie dehnte sich schnurrend und schien dann wieder in festen Schlaf zu fallen.

Wenn auch die Teppichstreifen in den Korridoren den Klang der Schritte der beiden dämpften, so tönten doch der klirrende Säbel des einen und das gelinde Husten des anderen so laut und nachhaltig, daß es in der That erschreckend war. Aus diesem Korridor traten sie in weite Säle, wo von den Wänden aus schweren Goldrahmen nachgedunkelte, fast schwarze Landschaften herabblickten, wo in den Ecken uralte, ernsthafte Vasen standen, und wo es ebenfalls so still und feierlich war, daß das Lächeln einer marmornen Venus in dieser Umgebung völlig unnatürlich erschien.

Endlich erreichten die beiden Gänge und Zimmer, auf der westlichen Seite des Schlosses gelegen, wo es schon ungleich freundlicher und behaglicher aussah; hier drang zu den großen Fenstern die Nachmittagssonne herein, vergoldete und belebte alles und munterte selbst den schweren Staub in den Zimmern zur Lustigkeit auf; denn wo ein dünner Sonnenstrahl schief zu einer Öffnung hereinfiel, da tanzten Millionen von Staubatomen vergnügt durcheinander. Hier hingen auch in einer langen Galerie die Ahnen des Herrscherhauses, und die glänzenden Streiflichter machten sich ein Vergnügen daraus, die alten, ernsten Herren auf eigentümliche Art zu karikieren. Dort brannte ein heller Fleck auf den dunklen Wangen des Kriegsmanns, hier war ein Gesicht zur Hälfte scharf beleuchtet und schien dadurch auf einer Seite zu lächeln. Dort sah man nur einen glänzenden Kopf, wie in dunklem Beiwerk schwebend, und in einer Ecke gegenüber bemerkte man einen hellen, funkelnden Harnisch. Das Haupt aber lag so im Schatten, daß der alte, ehrwürdige Fürst völlig kopflos erschien.

Die beiden dienstthuenden Herren näherten sich jetzt der Thür des Speisesaals, welche sich trotz ihrer geräuschlosen Schritte und wie von selbst ihnen öffnete. Doch muß der geneigte Leser nicht an Zauberei glauben; wie anderswo überall, befinden sich auch hier in den Thüren Schlüssellöcher, welche von den betreffenden Lakaien aufs emsigste benutzt werden, um die Annäherung irgend einer wichtigen Person zu erspähen. Es ist das namentlich in bedeutsamen Augenblicken wie ein gut eingerichteter Telegraphendienst; an beiden Seiten des betreffenden Saales wird mit Thürspalt und Schlüsselloch gearbeitet; ein leiser, bezeichnender Husten oder irgend eine Handbewegung unterrichtet die im Saale Befindlichen von der Ankunft dieser und jener Person, und wenn diese nun selbst durch die weitgeöffnete Thür eintritt, so stehen ein gut geschulter Kammerdiener und brauchbare Lakaien scheinbar unbefangen, und wie von den Ankommenden völlig überrascht, in den verschiedenen Ecken.

Zweites Kapitel.

Ein kleiner Papierstreifen.

Der Speisesaal, ein großes, einfach nur mit Gold und Weiß dekoriertes Gemach, lag an dem großen Platze, der sich vor dem Schlosse ausbreitete, und von seinen hohen Fenstern hatte man, da das Schloß auf einer kleinen Anhöhe lag, eine weite Aussicht auf die Stadt, sowie auf die Gegend ringsumher bis zu den malerisch geformten Bergen, die den Horizont begrenzten. Herr von Fernow trat sogleich an eines der Fenster und schmachtete, wie sich der Kammerherr auszudrücken beliebte, nach dem Gebirgszuge hin, ohne vorderhand dem regen Treiben auf dem Schloßplatz und in den angrenzenden Straßen, dem Gewühle von Menschen und Equipagen irgend eine Aufmerksamkeit zu widmen. Im Saale waren Tafeldecker, Kammerdiener und Lakaien beschäftigt, der reichen Tafel die letzte Vollendung zu geben. Der große vergoldete Aufsatz, der bei bedeutenden Diners erschien, wurde mit frischen Blumenbouquets bedeckt, und als das geschehen war, bot die Tafel mit ihren Massen funkelnden Silbers und glänzenden Krystallbatterien, auf den schneeweißen Damast gestellt, einen wahrhaft reichen und erfreulichen Anblick dar.

Herr von Wenden war zu dem Ordonnanzoffizier getreten und sagte ihm: »Mir ist das Durcheinanderlaufen der Dienerschaft, überhaupt die Zurüstung zur Tafel unangenehm, und da du, teuerster junger Mann, auch Kavallerieoffizier, die Berge vom Nebensaale aus ebensogut betrachten kannst, so laß uns dorthin, mein Geliebter, ziehen. Es ist da in der That behaglicher und auch unser Platz, wenn sich später der Hof versammelt.«

»Ich weiß wohl,« entgegnete lächelnd der Ordonnanzoffizier, »weshalb es dir um den Saal da nebenan zu thun ist; du willst mir wahrscheinlich deine Theorie vom Augenblicke des Glücks noch näher entwickeln. Wenn ich nicht irre, so wurden wir am dritten Punkt unterbrochen.«

Der Kammerherr zog scheinbar ernsthaft seine Augenbrauen in die Höhe, spitzte den Mund und erwiderte:

»Du bist in der That ein undankbares Geschöpf; sei doch empfänglich für gute Lehren. Danke es mir, wenn ich dir die Augen öffne.«

»Damit ich mich, wenn ich deinem Rat folge, wie eine Wetterfahne bald rechts, bald links drehe, bald hierher, bald dorthin greife, um das Glück zu erhaschen?« sagte Herr von Fernow; »aber meinetwegen komm, du hast recht, wir befinden uns da nebenan viel behaglicher.«

Damit schob er seinen Arm unter den des Kammerherrn und beide wandten sich zum Weggehen. Bei dieser Bewegung glitten ein paar der Lakaien wie auf Schlittschuhen gegen die großen Flügelthüren des Nebenzimmers; diese öffneten sich geräuschlos vor ihnen und schlossen sich ebenso wieder. Das Gemach, in welchem sie sich nun befanden, war in der That ein reicher und herrlicher Salon; die Wände waren mit grauem Seidenzeug bezogen, auf welchem Meisterwerke der Malerei hingen; in den zwei Ecken gegenüber dem Fenster standen zwischen grünen Pflanzen und duftenden Blüten kleine herrliche Marmorstatuen, und vor dem Kamine aus weißem karrarischen Marmor befand sich eine Art kleiner, niedlicher spanischer Wand, das Gestell von Palisander und die Felder ebenfalls aus schwerem grünen Seidenzeuge, auf welche Flächen eine kunstreiche Hand zierliche Arabesken gestickt hatte. Auf dem Boden breitete sich ein dicker Smyrnateppich aus, in den der Fuß des darauf Wandelnden ordentlich einsank. – Das Ameublement bestand ebenfalls aus dem gleichen Holz wie die spanische Wand, und hier sah man Tische, Etageren mit kostbar eingebundenen Büchern und Albums, Sessel und Fauteuils der verschiedensten Größe und Gestalt. In allem aber, was sich hier befand, herrschte ein so feiner und zarter Geschmack, ein so sinniges Arrangement, daß unverkennbar der Geist und die Hand einer Dame hier thätig sein mußten.

Und so war es auch. Dieses Gemach verband den Speisesaal mit dem Appartement der Prinzessin Elise, der Schwägerin des kürzlich verstorbenen regierenden Herzogs. Die verwitwete Herzogin bewohnte den südlichen Flügel des Schlosses, und im Parterrestocke, wo unsere Geschichte beginnt, waren die Gemächer des Regenten, der, ein Onkel des verstorbenen Herzogs, im jetzigen Augenblicke das Haupt der Familie und der Herrscher des Landes war. Wir sagen: im jetzigen Augenblicke; denn die verwitwete Herzogin befand sich in interessanten Umständen, und die wichtige Frage war, ob die arme, unglückliche Frau einem Prinzen oder einer Prinzessin das Leben geben würde; im ersten Fall war ein rechtmäßiger Thronerbe da, im anderen dagegen wurde der Regent, dem salischen Gesetz zufolge, regierender Herzog des Landes.

Daß unter diesen Verhältnissen der Hof in zwei große Parteien gespalten war, ja, daß diese erbittert und feindlich einander gegenüberstanden, brauchen wir eigentlich ebensowenig zu sagen, als mit welch namenloser Spannung Land und Hof der Niederkunft der verwitweten Herzogin entgegensah.

Während der Ordonnanzoffizier ans Fenster trat, um jetzt auch dem Gewühl auf dem Schloßplatz einen Blick zu schenken, blieb der Kammerherr an der geschlossenen Thür stehen, stemmte beide Arme in die Seiten und sagte, bedeutsam mit dem Kopfe nickend:

»So oft ich dieses Zimmer in der jetzigen schweren Zeit betrete, sehe ich immer Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Elise, vor mir, wie sie auf und ab wandelt und in ihrem kleinen, aber sehr gescheiten Kopfe Pläne und Entwürfe ausbrütet. Es ist ein Jammer, daß sie eine Dame und kein Mann ist, ich sage dir, Felix, das ist jammerschade. An ihr hätten wir einen ganz prachtvollen Herzog.«


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