F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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O, der Augenblick des Glücks, dem er so nahe gewesen, er war ihm unter den Händen entschlüpft, und wenn er träumerisch aufwärts blickte, so sah er es trügerisch in alle Weiten hinaus flattern, schillernd, glänzend, strahlend: Ämter, Orden, Würden! – –

Wenn er so in finsteren, fast verzweifelten Gedanken auf und ab schritt, wollte ihn der Glaube an seine Theorie vom Augenblick des Glücks verlassen; und doch hatte sich dieselbe an Fernow glänzend erwiesen. Hatte dieser Kerl in den wenigen Tagen seit jenem verfluchten Abend nicht ein ganz unverschämtes Glück gehabt? War er nicht inzwischen Major und wirklicher Adjutant des Regenten geworden? Ja, man flüsterte sich mit ernstem Kopfschütteln zu, er sei der allmächtige Vertraute und Günstling des Fürsten, der Regent habe ihm sein Herz geschenkt, »er nenne ihn seinen Sohn, er führe seine Siegel, und seine Alba seien nicht mehr.«

So viel war gewiß, daß der gewaltige Herr Kindermann den neuen Major mit unbegreiflicher Zuvorkommenheit behandelte. Er hatte nicht nur sein freundlichstes Lächeln, sondern auch immer ein geheimnisvolles Wort für ihn. Wodurch Fernow so plötzlich in Gunst gestiegen, das konnte sich bei Hofe niemand erklären. Die einen glaubten, der Regent habe sich erinnert, welch ein verdienstvoller Mann sein Vater, der selige Minister gewesen; gutmütige Leute, denen die Ehre und der gute Name ihrer Nebenmenschen heilig war, spitzten ihr breites Maul, zogen die Augenbrauen hoch empor und bemühten sich, schlau auszusehen, wenn sie flüsternd sagten: »Es war uns schon lange nicht unbekannt, wie angesehen der junge Fernow in allerhöchsten Kreisen ist, ein schöner junger Mann, vortrefflicher Reiter, immenser Tänzer – hm! hm!« Alternde Hofdamen, die anfingen, sich mit Schmerz daran zu erinnern, daß die Heirat die eigentliche und richtige Bestimmung des Mädchens ist, und daß weder Soireen noch Bälle das Herz auf die Dauer zu erwärmen vermögen, die, selbst vom reinsten Adel, mit mindestens sechzehn toten Ahnen hinter sich, darauf verzichten mußten, diese ehrwürdige Kette um ein Glied zu vermehren, die es für eine Mesalliance ansahen, wenn der Baron ein Fräulein von oder der Graf eine Baronin heiratete, sie waren der Quelle von der Gunst des Herrn von Fernow am nächsten gekommen. Wer war Herr von Fernow? Sein Urgroßvater hieß noch schlechtweg Monsieur Fernow, und selbst der Vater des seligen Ministers, der doch in den Freiherrnstand erhoben worden war, hatte ein Mädchen geheiratet, deren Adel sehr zweifelhaft, wenigstens sehr jung war. Wird es der Enkel besser machen? Im Gegenteil. Ach! jetzt wußten sie ganz genau, woher dieses plötzliche Avancement. Herr Kindermann hatte eine einzige Tochter, die sollte aus dem Vorzimmer in den Salon verpflanzt werden.

Daß bei dieser Idee ein krampfhaftes Lachen die Herzen mehrerer Hofdamen erschütterte, ist selbstredend, und daß sich gegen dies Ereignis wenigstens ein Dutzend Todfeindinnen zu inniger Freundschaft, zu Schutz und Trutz verbanden, können wir der Wahrheit gemäß versichern.

Über alle diese Sachen, Reden und Vermutungen hatten den Kammerherrn seine Freunde begreiflicherweise au fait gehalten; und daß er darin etwas zum Nachdenken hatte, zerstreute hie und da seine Langeweile. Gleich darauf aber kam dieselbe wieder riesengroß, erdrückend, und er eilte alsdann durch seine Zimmer, die Hände auf den Rücken gelegt, tief seufzend, fast der Verzweiflung nahe.

In einem dieser Momente war er an das Fenster seines hinteren Zimmers getreten und hatte melancholisch in die finstere Gasse hinausgeschaut, die sich hier seinen Blicken öffnete. Früher hatte er öfters am gegenüberliegenden Hause ein frisches Mädchengesicht bemerkt, das häufig am Fenster lag und verstohlen zu ihm herabblickte, wenn er einige auffallende Bewegungen gemacht. In der Langeweile greift man nach allem, und so beschloß denn auch der Kammerherr von Wenden, jenes Haus und Fenster in förmlichen Belagerungszustand zu versetzen. Rosa war dieser Mühe schon wert, das mußte er sich am ersten Morgen gestehen, als er die äußerste Parallele eröffnet und eine Demontierbatterie aufgeführt hatte, bestehend aus einem kolossalen Opernglas, vermittelst dessen er die Nachbarin auf zwei Schritte heranzog. Ei der Tausend! wo hatte er bis jetzt seine Augen gehabt? War das ein prächtiges Geschöpf! Und gelehrig, bildsam. Dies Kompliment glaubte er ihr schon nach einigen Stunden machen zu müssen. Wenn sie auch anfänglich nur flüchtig und schüchtern herüberschaute, so gewöhnte sie sich doch bald an seine Blicke; ja, sie konnte lächeln, wenn er in einer melancholischen Attitude am Fenster stand, sie konnte lachen und ihren Kopf aufwerfen, wenn er einen Veilchenstrauß, von welchen Blumen er während seines Zimmerarrestes eine unglaubliche Anzahl konsumierte, schmachtend an die Lippen brachte. Wie sie hieß und wer sie war, wußte er am Abend des ersten Tages; am Morgen des zweiten schenkte er seinen sämtlichen Bekannten kleine zierliche Zigarrenetuis aus Stroh geflochten, so daß einige auf die Vermutung kamen, er habe vielleicht einen alten Florentiner Onkel beerbt, der ein Lager in Stroharbeiten gehalten.

Wenn er auf die vorhin erwähnte Art wohl zufrieden war mit seinen Vorarbeiten zur Belagerung der schönen Rosa, so hatte er dagegen in der That einige Furcht, ihr zu tief in die braunen Augen zu sehen. Der Kammerherr von Wenden hatte ein empfindsames Herz, er glaubte, daß es nichts Lächerlicheres in der Welt gäbe als eine unerwiderte Liebe, und hatte sich nach seinen Erfahrungen zuweilen sagen müssen, daß diese schönen Bürgermädchen mitunter den Teufel im Leibe haben. Ein merkwürdiges Zusammentreffen war es, daß ihm am vierten Tage seines Arrestes Baron Rigoll bei einem Besuche die wunderbare Photographie der schönen Nachbarin zeigte. Er fühlte mit Schrecken, daß er fast eifersüchtig geworden wäre. Doch als ihm die Exzellenz hoch und teuer versicherte, sie habe das Porträt in der unschuldigsten Absicht erworben, um es einer Dame vorzulegen, da hatte er sich beruhigt. Daß er aber in der That unruhig gewesen, das wollte ihm durchaus nicht gefallen, besonders da er an einem eigentlich seltsamen Umstande deutlich sah, welchen Eindruck er auf das Herz des jungen Mädchens gemacht. Er stand am Fenster, oder vielmehr er lehnte malerisch hingegossen an einem Flügel desselben. Es war um die Mittagsstunde, und er betrachtete nicht nur die Photographie, sondern er verglich sie Punkt um Punkt mit dem schönen Original, das ebenfalls drüben sichtbar war. Dann gab er sie dem Baron zurück mit der deutlich ausgedrückten Pantomime: Nimm hin einen großen Teil meines Herzens! »Ach, wenn du wärst mein eigen, wie lieb sollt'st du mir sein!« Dazu warf er einen in Wahrheit zerschmetternden Blick auf das unglückliche junge Mädchen. Und siehe da, sie fühlte in der That innig mit ihm, sie zuckte zusammen, sie wandte den Kopf ins Zimmer, nur in der Absicht, um sich zu vergewissern, daß niemand ihre Emotion sehe, dann – der Kammerherr hatte sein Opernglas angesetzt – füllten sich ihre Augen mit Thränen, ja sie trat weinend ins Zimmer zurück – ein göttliches Geschöpf! – Das war aber eben der Moment, wo Herr Heinrich Böhler sich schmerzlich verletzt in sein höheres Stockwerk zurückzog.

An dem gleichen denkwürdigen Tage hatte der Kammerherr von Wenden einige seiner Bekannten zu einem Diner, ausdrücklich auf Krankensuppe, Gerstenschleim und Apfelkompott, eingeladen. Gegen halb fünf Uhr hatte er eine gewählte Toilette gemacht, sich in seinen Fauteuil an dem bewußten Fenster gesetzt, um vermittelst weißer Halsbinde und Ordensband eine neue Demontierbatterie gegen die schöne Nachbarin zu eröffnen. Der liebenswürdige Feind ließ sich übrigens nicht häufig sehen, nur einmal kam Rosa ans Fenster, dagegen aber, als er in diesem Augenblicke wie beteuernd seine Hand aufs Herz legte, schien sie tief ergriffen zu sein, seufzte sichtlich und verschwand nach einem langen Blicke.

Der Kammerdiener meldete den Major Fernow, weshalb sich Baron Wenden in seinen kleinen Salon zurückbegab, um ihn freundlich zu empfangen. Fernow kam ihm lächelnd entgegen und reichte ihm die Hand, indem er sagte: »Es geht dir gut, nicht wahr? Seine Hoheit, mit dem ich die Ehre hatte, ausreiten zu dürfen, sagte mir ausdrücklich, du müßtest auf deine Wiederherstellung Bedacht nehmen, damit du nächster Tage wieder ausgehen könnest.«

»Das sagte er wirklich?« erwiderte der Kammerherr. »Nun, ich bin in der That Seiner Hoheit für die fortgesetzten Aufmerksamkeiten um mich den größten Dank schuldig. Das wirst du ihm sagen, und bitte ich dich, da du doch einmal das allerhöchste Ohr hast, hinzuzufügen, ich werde alles mögliche thun, um mich künftig vor dergleichen kleinen Krankheiten zu bewahren.«

»Soll ich ihm das wirklich sagen?«

»Du wirst mich damit sehr verbinden, lieber Freund. Doch da fällt mir eben ein, daß ich vielleicht zu viel verspreche. Weiß ich denn den Grund meiner Krankheit? – Weißt du ihn etwa?«

Der Major zuckte mit den Achseln.

»Der Teufel wird ihn wahrscheinlich wissen, – ich habe keine Ahnung davon,« fuhr der Kammerherr fort, indem er verdrießlich an seiner weißen Halsbinde zupfte, »und das ist gerade das Schlimme, daß ich keine Idee davon habe, vor was ich mich in acht nehmen muß, um für die Zukunft von einer solchen – Schulkrankheit bewahrt zu bleiben. – Ja, du magst lächeln, wie du willst, das Ganze ist eine verdrießliche Geschichte, und, Spaß beiseite, sei so gut und gib mir einen Anhaltspunkt, gib mir eine Idee, was ich thun und lassen soll, um künftig in den Augen des Regenten nicht wieder unwohl zu erscheinen.«


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