F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Solch eine alte Exzellenz macht ihre Cour auf ganz eigentümliche Weise. Der sehr steife und hohe Uniformskragen hindert sie, den Kopf nach rechts und links zu drehen, weshalb sie nur ihren Augen gestattet, diese Bewegungen zu machen; ebenso ist es ihr aus dem angeführten Grunde unmöglich das Haupt zu senken, wenn sie mit irgend einer Dame sprechen will, wodurch denn ein ganz seltsames, man könnte sagen faunenartiges Schielen nach unten entsteht. Dazu kommt noch ein sehr gesättigtes Lächeln um ihren Mund, und alles das zusammen gibt öfters den Worten solch einer alten Exzellenz eine ganz andere Deutung, als sie wohl selbst beabsichtigte, hinein zu legen.

»Wünsche wohl gespeist zu haben, meine Gnädige! – Ein ganz scharmantes Diner!«

»Außerordentlich gut, Exzellenz! Ich habe mich vortrefflich unterhalten.«

»Ja, unterhalten, vortrefflich; aber abgesehen davon, man speist in der That ganz deliciös.«

»Und Exzellenz lieben ein gutes Diner!«

»Ich leugne das nicht, gnädige Frau; man wird alt, und alles das, was uns sonst Freude machte, schrumpft zusammen, ich möchte sagen vereinigt sich im Gedanken an ein gutes Diner. – In früheren Zeiten, meine Gnädige, da war es anders . . .«

»Ja, in früheren Zeiten, da war es anders!« seufzt die sehr alte Hofdame und hat ein Recht dazu, einen tiefen Seufzer auszustoßen, denn sie, die früher mit einem einzigen Atemzuge sämtliche Offiziere eines Kavallerieregiments in Aufregung zu setzen vermochte, kann jetzt nicht einmal mehr die Brüsseler Spitzen ihres Kleides in Bewegung bringen.

»Ganz anders,« meint die Exzellenz und schielt bedeutend. »Ja, dazumal, als wir noch auf dem großen Maskenball Anno 94 die Gavotte zusammen tanzten – –!«

»O, Exzellenz, nichts von dem Balle!« entgegnet die Hofdame, indem sie ihren Fächer ausbreitet, um hinter den reifröckigen Damen auf demselben, mit auffallend niedrigem Mieder und sonst noch allerlei, Schutz zu suchen.

»Da zeigen Sie mir gerade ihr Porträt von dazumal,« sagt die boshafte Exzellenz, indem sie mit ihrem dürren Finger auf eine der Figuren weist, die auf dem Fächer abgebildet sind. – »Ah! vergangene Zeiten! Der Abend und seine Folgen waren schön!«

Der Fächer rauscht zusammen, und indem sich die alte Dame scheinbar erzürnt wegwendet, erhält die Exzellenz mit jenem einen leisen Klaps auf den schlotterigen Ärmel, begleitet von einem Blicke, welcher hätte zünden können, wenn unter dem alten Hofkleide überhaupt noch etwas Zündbares gewesen wäre.

Die Prinzessin hatte sich einen Augenblick in ihre Appartements zurückgezogen und während dieser Zeit wahrscheinlich den kleinen Zettel gelesen, den sie bei der Amour offensée gefunden. Herr von Wenden hatte sie mit den Augen verfolgt, bis die Thür sich hinter ihr schloß, und als sie wieder heraustrat, war er bemüht, den ersten ihrer Blicke aufzufangen, um zu sehen, ob etwas darin zu lesen sei. Das Gesicht der Prinzessin aber war wie vorher heiter, und ihre Augen glänzten mit ihrem gewöhnlichen schelmischen Ausdruck. Sie trat zu dem Regenten, der in einer Fenstervertiefung stand, legte schmeichelnd ihre kleine Hand auf seinen Arm, und dabei war es unverkennbar, daß der Herzog mit außerordentlichem Wohlwollen und sehr freundlich auf die niedliche Cousine herabsah. Sie trug ihm lebhaft ein Anliegen vor, er aber schien dagegen verschiedene Einwendungen zu machen; zuweilen schüttelte er leicht den Kopf, zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, erhob auch mitunter wie warnend und drohend den Zeigefinger. Dabei aber lachte die Prinzessin laut und fröhlich; alles, was er sagte, schien sie mit Scherzreden zu beantworten, und als sie endlich auf recht komische und unwiderstehliche Art zu schmollen anfing, lachte er seinerseits herzlich, und man hörte ihn deutlich sagen:

»Was will ich machen? Das ist eigentlich dein Departement. Ich an deiner Stelle würde nicht so rasch zu Werke gehen.«

Während dieser Unterredung und vorher schon hatte sich der junge Ordonnanzoffizier dem Fräulein von Ripperda genähert, aber, gegen seine sonstige Gewohnheit, mit großer Ängstlichkeit. Aufs tiefste bewegt von dem, was er bei der Tafel gesehen und gehört, hätte er das junge Mädchen so unendlich viel zu fragen gehabt, aber lauter Sachen, die sich hier nicht erörtern ließen. Sein Herz hätte überfließen mögen von leidenschaftlichen, ja bitteren Worten, er hätte ihr so viel zu sagen gehabt, daß er ihr nichts zu sagen wußte.

Ihr schien es übrigens nicht besser zu gehen. Sie, die sich sonst so gern mit ihm unterhalten hatte, die den lebhaften, geistreichen und eleganten Offizier beständig dadurch auszeichnete, daß sie ihm gern erlaubte, in ihrer Nähe zu weilen, daß sie bei allgemeinen Spazierritten seine Gesellschaft zu lieben schien, daß sie häufiger mit ihm als mit anderen tanzte, ja, daß sie ihm zuweilen einen sinnenden Blick nachsandte, wenn er sie nach einem etwas animierten Gespräch so froh, so heiter, ja offenbar glücklich verließ, – sie trat ihm heute nicht nur nicht entgegen, sondern schien ihn zu meiden und suchte eine ältere Kollegin in angelegentlichem Gespräch zurückzuhalten, als sich Herr von Fernow näherte.

So standen beide einander gegenüber, und während Fräulein von Ripperda zum erstenmal fand, daß ihr Blumenbouquet wahrhaft betäubend duftete, schien ihn die sonst nicht zu enge Säbelkoppel zu drücken, und beide holten ganz schwer und mühsam Atem.

»Sie machten heute eine hübsche Partie, mein gnädiges Fräulein,« sagte er nach einer Pause; »ich habe alle beneidet, die den schönen Herbsttag im Freien zubringen konnten.«

»Ah! Sie waren nicht dabei,« erwiderte das Fräulein; und daß ihre Worte halb wie eine Frage klangen, verletzte ihn tiefer als alles übrige.

Mit ihrem Glücke beschäftigt, hat sie es nicht einmal gesehen, daß du nicht dabei warst! dachte er und verbeugte sich trübe lächelnd, indem er sagte: »Mich hielt mein Dienst hier zurück; doch – jetzt bedauere ich es nicht mehr, zurückgeblieben zu sein.«

»Aber es hätte auch für Sie ein schöner Nachmittag sein können,« sagte sie und schlug die Augen nieder, gewiß nur, um ihr Armband zu betrachten.

»Für mich nicht; – aber für Sie war er schön.«

»Wer weiß?«

»O! sehr schön und folgenreich.«

Bei diesen Worten zuckte ein schmerzlicher Schatten über ihr Gesicht, und sie blickte ihm fest in die Augen, während sie ihre vollen Lippen zusammenpreßte.

»Ja, schön und folgenreich,« wiederholte er; »und hätte es da für mich ein Glück sein können, in Ihrer Nähe sein zu dürfen?«

Das sagte er mit leiser, aber heftig erregter Stimme; er war so bewegt, so außer sich, daß er vielleicht noch anderes gesprochen hätte. – Anderes, was, von fremden Ohren gehört, vielleicht mit allerlei merkwürdigen Verzierungen weiter erzählt worden wäre. Und so war es denn gut, daß dies Gespräch plötzlich abgebrochen wurde. Die Prinzessin trat nämlich, sich leicht hin und her wiegend, einen Schritt vor die Fensternische und rief Helene mit lauter Stimme zu sich.

Der junge Offizier drückte seine Hand fest aufs Herz und machte eine tiefe Verbeugung, als das schöne Mädchen von ihm schied. Seine Augen folgten ihr aber, und so bemerkte er denn, daß die Herzogin einige leise Worte zu Helene sprach, und daß diese sie darauf flehentlich um etwas zu bitten schien. Doch schüttelte Ihre Durchlaucht heiter den Kopf und sagte ziemlich laut:

»Es ist sonderbar, daß man euch junge Mädchen zu allem zwingen muß, selbst zu eurem Glück.«

»Aber ich beschwöre Eure Durchlaucht!« entgegnete Fräulein von Ripperda mit leiser Stimme; »nur heute nicht, nur jetzt nicht!«

Doch war alles das vergeblich. Der Regent war auf einen Wink seiner Cousine näher getreten, und als die kleine Prinzessin Fräulein von Ripperda fest bei der Hand ergriff und sie einen Schritt vor, gegen den Herzog, führte, verbeugte sich Seine Hoheit leicht und anmutig und sagte mit einer tiefen, klangvollen Stimme:


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