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»Meinetwegen. Nachdem ich also eine gute Weile gewartet und – Notabene! – keinen Wagen anfahren gehört, meldet der Kammerdiener, Seine Exzellenz seien zurück. Seine Exzellenz erschienen auch gleich darauf im Salon, sahen aber sehr ermüdet und abgespannt aus.«
»Nun?« fragte eifrig der Major. »Und warum hat er gestern nicht zu mir geschickt, wie er versprochen?«
»Er hätte geschickt,« entgegnete der Kammerherr mit einem höhnischen Lächeln, »du seiest nicht zu finden gewesen.«
»Eine infame Lüge!« rief so heftig der Major, daß sich ein paar nahestehende Hofdamen erstaunt umwandten und Herr von Wenden seinem Freunde ein Zeichen des Schweigens machte.
»Das muß mich empören,« fuhr dieser fort. »Ich war bis nach vier Uhr zu Haus und habe darauf schriftlich hinterlassen, wo ich bis zu meiner Zurückkunft zu finden sei. – Doch was ereifere ich mich! Und warum war er nicht zu finden, als ich ihm nach zwei Uhr Botschaft schickte?«
»Da du gefehlt habest,« antwortete der Kammerherr achselzuckend, »so habe auch er sich nicht für verpflichtet gehalten, zu Hause zu bleiben.«
»Gut, gut! Und dann sprachst du?«
»Wie Cicero,« entgegnete der Kammerherr mit entschiedenem Tone und erhobenem Kopfe. »Eigentlich nicht wie Cicero, sondern ich faßte mich sehr kurz und richtete ihm in gedrängten Worten meine Botschaft aus.«
»Und er nahm alles an?«
»Alles.«
»Heute abend?«
»Um fünf Uhr hinter dem Park.«
»Gott sei Dank,« erwiderte rasch der Major, »so werden wir diese Angelegenheit abmachen. Wenn es dir recht ist, speisen wir um drei Uhr, und bis dahin hast du vollkommen Zeit, alles vorzubereiten.«
»Versteht sich von selbst,« sagte Herr von Wenden, »nur könnte der Fall eintreten, daß mich der Regent zu irgend etwas befiehlt. Du weißt,« setzte er wichtig thuend hinzu, »meine Ungnade scheint vorüber, die Sonne leuchtet mir wieder. – Aber ich bin vergeßlich,« unterbrach er sich selbst in rascherem Tone. »Nachdem ich deine Angelegenheit mit dem Baron Rigoll besorgt, übergab er mir dies Schreiben an den Regenten. Du weißt, ich habe ein immens richtiges Vorgefühl. Das Schreiben enthält Wichtiges. Auch bat mich Seine Exzellenz um alter Freundschaft willen, es Seiner Hoheit sobald als möglich zu übergeben.«
»Das ist eigentümlich. Und sahst du den Grafen Hohenberg?«
Der Kammerherr schüttelte mit dem Kopfe. Dann sagte er: »Er war vermutlich im Nebenzimmer, ließ sich aber nicht sehen.«
»Und Baron Rigoll sprach nichts von der verfehlten Angelegenheit?«
»Nur ein paar Worte. Er bemerkte mir in seinem scharfen unangenehmen Tone und ungefähr in diesen Worten: Es ist bei Hofe das sonderbare Gerücht verbreitet worden, als sei Seine Durchlaucht, der Herzog Alfred von D• inkognito in der Stadt. – Ich kann Sie versichern, Herr Baron von Wenden, daß daran kein wahres Wort ist.«
»Avis au lecteur!«
»Allerdings. Und ich gab ihm mit einer tiefen Verbeugung zur Antwort: Wenn mich Euer Exzellenz das versichern, so muß ich es natürlicherweise glauben. – Aber mein Lächeln, mit dem ich diesen Satz begleitete, sagte ihm genug.«
»Ich fürchte,« sprach Herr von Fernow nachdenklich, »der Augenblick, in dem Baron Rigoll anfing, diese Angelegenheit zu betreiben, war für ihn kein Augenblick des Glücks.«
»Ganz meine Ansicht,« entgegnete der Kammerherr und setzte hinzu, indem er seinen Freund mit einem sehr pfiffigen Gesichtsausdruck anschaute: »Vielleicht war das für andere ein Augenblick des Glücks.«
»Das ist nun einmal so in der Welt,« meinte der Major und wandte sich vom Fenster ab, um auf das Gewühl des Hofstaates im Saale zu blicken. »Die Wagschalen des Glücks steigen auf und ab, und wenn eine Partei hinunter muß, steigt die andere vielleicht hinauf.«
»Wenn nur wir bei der letzteren sind,« versetzte lachend der Kammerherr. – – In diesem Augenblick hörte man ziemlich entfernt etwas wie das Zischen einer Rakete, einer zweiten, einer dritten, und gleich darauf vernahm man einen dumpfen Kanonenschuß. – Wenn vom heiteren Himmel herab unzählige Blitze gefahren wären oder brennender Schwefel, flammendes Pech, oder wenn die Decke des Saales plötzlich gewankt hätte: die Aufregung unter dem Hofstaat hätte nicht größer sein können. Junge kräftige Ehrenfräulein erbleichten und erröteten, und ältere Hofdamen hätten es vielleicht gerade so gemacht, wenn die Schminke dabei nicht ein kleines Hindernis gewesen wäre. Doch wandten sich diese mit angehaltenem Atem dem Fenster zu; nervenstarke Naturen affektierten ein gleichgültiges Lächeln, während schwächliche Konstitutionen eine Stuhllehne oder Tischecke suchten.
Bumm! – bumm ! – bumm ! – ging es draußen.
Schon bei dem ersten Schusse war alle Konversation mit einem Male abgebrochen; man hörte selbst nicht einmal das geringste Flüstern mehr, kein Zuklappen der Fächer, und wo zufälligerweise bei einer unvorsichtigen Bewegung der schwere Seidenstoff des Kleides irgend einer Dame rauschte, da sah man ringsumher ein paar Dutzend unwilliger Augen, welche Ruhe geboten. – Kammerherren, die seit längerer Zeit alles Gefühl verlernt hatten, die selbst einem ungnädigen Blicke gegenüber so viel kaltes Blut behielten, um den Kopf sehr aufrecht zu tragen, den Hut mit Ostentation an der Seite zu halten und furchtlos in der dritten Position zu verharren, selbst dergleichen eiserne Naturen fühlten eine gelinde Emotion. – Alte ergraute Generale, die ohne Herzklopfen im stärksten Geschützfeuer ausgehalten, und denen das wildeste Krachen ringsumher gleichgültig war, fühlten jetzt jeden Schuß in ihren Nerven nachklingen. –
Bumm! – bumm! – bumm! – bumm! – bumm! – bumm!
Schon der sechzehnte Schuß. Beim fünfundzwanzigsten war der entscheidende Moment. Wurde es nach diesem draußen stille, so hatte die Partei des Regenten alle Ursache, den Kopf hoch zu erheben, so war die der Prinzessin niedergeschmettert, vernichtet, gar nicht mehr vorhanden, – fertig.
Die Pause zwischen dem fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Schusse mußte allen Anwesenden eine Ewigkeit dauern, sie war im stande, Ohnmachten hervorzubringen.
Man konnte beinahe die Herzen unter den Uniformen und unter den Roben der Damen schlagen hören. Fast atemlos standen die Gruppen da, mit weit aufgerissenen Augen, bleich und rot, um die Lippen ein bezeichnendes, krampfhaftes Lächeln. Manche Dame fühlte, daß sie doch etwas zu fest geschnürt sei; manche Exzellenz fuhr sich mit der kalten Hand über die feuchte Stirn.
Bumm! – bumm! – bumm! – bumm! – bumm! – bumm!
Der fünfundzwanzigste! Die Spannung hatte einen verzweiflungsvollen Grad erreicht. Es drohten Konvulsionen und Ohnmachten. Noch eine Sekunde und die Würfel waren gefallen.
Bumm! – Der sechsundzwanzigste Schuß! – – – – Die Herzogin hatte einen Prinzen geboren, dem Lande war ein Thronerbe geschenkt. – – – –
War es keine Täuschung, war nicht eins der Geschütze unvorsichtigerweise losgegangen? Hatte sich der kommandierende Artillerieoffizier nicht verzählt? – Nein! nein! jubelte die Partei der Prinzessin, er hat sich nicht verzählt; horch! das glückverheißende Schießen dauert fort:
Bumm! – bumm! – bumm!
Wer mag jetzt noch zählen? Weder die, welche in der Geburt eines Prinzen ihr Heil erblickten, noch die anderen, welche mit langen Gesichtern drein schauten. Als es aber gewiß war, daß ein Prinz geboren sei, denn die Kanonen erzählten das fort und fort der aufhorchenden Residenz, da fing auch die Konversation in dem Saale lebhafter als je wieder an. Wohl hatte man bei dem sechsundzwanzigsten Schuß ein paar gelinde Aufschreie vernommen, hatte auch einige Damen wanken, und vor dem Umfallen nur durch die bereitwillig geöffneten Arme nebenstehender Herren bewahrt gesehen; doch verschwanden diese Zeichen getäuschter Hoffnung in dem lauten Jubel der Gratulation, mit der namentlich die Partei der Prinzessin sich gegenseitig überschüttete. Auch das andere Lager machte gute Miene zum bösen Spiel; hielt doch der Regent nach wie vor das Zepter in seiner Hand, und waren achtzehn Jahre bis zur Großjährigkeit des Neugeborenen eine lange Zeit. Freilich hatte sich die verwitwete Herzogin und somit auch deren Schwester, die Prinzessin Elise, zu neuerer und größerer Wichtigkeit erhoben, und da Ihre Durchlaucht bekannt dafür war, einen Schein von Recht, den sie hatte, in das vollgültigste Recht zu verwandeln, so konnte ihre Partei immerhin die Köpfe aufrichten und mit einem etwas übermütigen Lächeln ins andere Lager hinüberblicken.