F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Der Photograph fuhr mit der Hand heftig in sein lockiges Haar und preßte sie dann an seine Stirne; – der junge Mann gegenüber lächelte freundlich herüber, nickte auch leicht mit dem Kopfe, und jetzt kam auch das Blumenbouquet zum Vorschein, von dem der Maler gesprochen. – »Nun?« fragte dieser abermals. »Habe ich recht oder unrecht?«

»Seht, Krimpf,« sprach jetzt die alte Frau mit erzürntem Tone, »ich kann nicht begreifen, wie es Euch ein Vergnügen machen kann, meinen Sohn mit so lächerlichen Sachen zu quälen. Was kümmert es die arme Rosa, wenn da drüben wirklich ein junger Mann am Fenster steht und seine Thorheiten treibt? Sie wird nicht nach ihm schauen, wird in ihrer Küche beschäftigt sein oder mit ihrer Strohflechterei. Wie könnt Ihr Euch einbilden, daß sie jetzt gerade auch am Fenster unter uns stehe? Kennt Ihr die alte Weiher so schlecht? Die hat Augen wie ein Falke, und Rosa würde schön ankommen.«

»Daß die alte Weiher Augen wie ein Falke hat, daran habe ich noch nie gezweifelt,« versetzte der Maler mit einem geringschätzenden Seitenblick; »doch nicht für ihre Tochter. Da ist sie, um in Eurem Gleichnis fortzufahren, blind wie eine Eule, sonst müßte sie die Geschichte schon lange gemerkt haben. Schon lange!«

»Nein, das ist nicht möglich,« knirschte der junge Photograph. »Rosa kann nicht am Fenster sein und da hinüber sehen, das kann und wird sie mir nicht anthun. Es ist eine Schande, daß ich nur einen solchen Gedanken hatte. Von Euch finde ich es begreiflich, Krimpf,« setzte er in fast verächtlichem Tone hinzu.

»Diese Bemerkung kann mich gar nicht anfechten, ich bin meiner Sache gewiß,« flüsterte der brave Krimpf vor sich hin.

»Und ich will mich überzeugen,« sagte entschlossen Herr Böhler. »Das Fenster der Schlafkammer ist offen. Wenn ich mich vorbeuge, kann ich hinabschauen, und ich will es denn in Gottes Namen für dieses Mal thun, um den Krimpf zum Stillschweigen zu bringen. Bleibt hier, Mutter,« fuhr er fort, als er, sich umwendend, sah, daß ihn die alte Frau begleiten wollte.

»Aber ich sollte eigentlich mitgehen,« meinte der Maler, und dabei lächelte er auf ganz eigentümliche Art und kniff die Augen so zusammen, daß nur noch ein paar Blitze herausschossen: »ich sollte eigentlich mitgehen, sonst ist die Partie vollkommen ungleich.«

Der andere war aber schon in das Nebenzimmer getreten und hatte sich mit klopfendem Herzen dem Fenster genähert. Er wußte nicht, wie es kam, daß er nur mühsam Atem schöpfen konnte, und daß das Blut wie im Fieber durch seinen Körper raste. – Jetzt stand er am Fenster. Ehe er aber hinabblickte, faßte er mit der Hand krampfhaft die Brüstung.

O, warum mußte der Maler Recht haben! Warum stand Rosa jetzt gewiß und wahrhaftig am Fenster! Warum lehnte sie sich heraus, daß er deutlich ihr volles, schönes Haar sah, ihren Hals, ja die schlanke Taille und ihre kleine Hand, mit der sie leicht das Fensterkreuz gefaßt hielt und so auf dem erhobenen Arme ihren Kopf ruhen ließ. Er hätte hinausschreien können, er hätte wie ein Kind weinen mögen, denn er war zu fest überzeugt gewesen, daß Krimpf verleumdet habe. Kein Zweifel, es war Rosa selbst! Wenn er auch nur ihre Fingerspitzen gesehen hätte oder eine einzige Flechte ihres Haares, so hätte er gefühlt, daß sie es sei. Es ward ihm dunkel vor den Augen, und als er jetzt seine Lippen fest aneinander preßte, so schwellte ihm der Atem so heftig die Brust, daß sie zu zerspringen drohte. Also doch! Er blickte auf das Mädchen hinab, und es war ihm, als müsse er sie mit seinen Gedanken in das Zimmer zurückziehen können. Dann sah er neben ihr vorbei in die schwindelnde Tiefe, und es flimmerte seltsam vor seinen Blicken. Er wollte Rosa! rufen, aber er that es nicht. Er blickte auf das gegenüberliegende Haus und sah, wie sich der junge Mann am Fenster, unverwandt herüber blickend, langsam erhob, wie er dabei die Hand leicht an seine Lippen legte, ja wie er herüber winkte. Ach und wie ward dem Späher, als der nun sehen mußte, wie Rosa ebenfalls ihre Stellung änderte, wie sie die Hand und den Arm, auf denen soeben ihr Kopf geruht, langsam herabsinken ließ, und wie sie, ehe sie das that, leicht mit ihren weißen Fingern über das schwarze Haar herabfuhr. – Dann verschwand sie vom Fenster. Er aber oben preßte seine beiden Hände gewaltig gegen die Brust und blickte an den blauen Himmel empor, der ihm mit einem Male stockdunkel erschien, und an dem Blitze hin und her fuhren, Blitze aus heiterer Luft, von denen er nicht wußte, woher sie kamen. Er mußte in das Wohnzimmer zurück, das fühlte er wohl, aber er mußte lange mit sich kämpfen, ehe sein Atem wieder ruhiger ging, ehe seine Augen den sonderbar entsetzlichen Ausdruck verloren hatten, ehe sein Gang wieder so gleichmäßig geworden, nicht mehr so schwankend war, als da er vom Fenster wegtrat. Ja, er versuchte zu lächeln, und es gelang ihm, als er nun wieder vor die beiden im Nebenzimmer trat, wo ihn die alte Frau bestürzt anblickte, denn wie sie ihm später sagte, habe er zum Erschrecken blaß ausgesehen.

Herr Krimpf hob ebenfalls den Kopf in die Höhe, und auch er lächelte, als er in die entstellten Züge des Photographen blickte. Darauf zuckten seine Finger wie vergnügt nach seinem Kinn und als er sagte: »Nun?« lag in diesem einzigen Worte ein Hohn, ein Triumph, der unaussprechlich war.

»Nun?« fragte auch die alte Frau.

»Die Rosa war nicht am Fenster,« entgegnete der andere so gelassen, als es ihm möglich war. Dabei blickte er besorgt auf den Maler, der aber seinen Kopf so tief über das Papier gebeugt hatte, daß man sein eigentümliches Grinsen nicht sehen konnte. – »Nein, sie war nicht am Fenster,« wiederholte er nach einer Pause und einem tiefen Atemzuge.

Ein paar Sekunden lang war es nun auch so still in dem Zimmer, daß das Ticken der Schwarzwälderuhr ein fast unerträgliches Geräusch machte. Dann sagte Herr Krimpf: »Nun, wenn sie nicht am Fenster war, so ist es mir lieb, und ich will recht gern unrecht gehabt haben. Denn wäre sie am Fenster gewesen,« setzte er mit scharfer Betonung hinzu, indem er den Kopf erhob, »so hätte ich recht behalten, und man müßte dann die Rosa für ein unverantwortlich leichtsinniges Mädchen halten, für ein Mädchen, das nicht wert ist, daß ein braver Mann, wie Ihr, sie liebt. – Darin stimmt Ihr mir bei, nicht wahr, Böhler?«

»Ja – darin,« entgegnete der Photograph in einem Tone, dem man deutlich anhörte, wie mühsam und schmerzhaft er hervorgebracht war. – Hierauf schien er aber nicht geneigt, sich noch in weitere Erörterungen einzulassen, sondern ging abermals in das Nebenzimmer, nicht um dort wiederholte Fensterbeobachtungen zu machen, vielmehr setzte er sich so entfernt wie möglich von demselben in eine Ecke der Kammer, barg das Gesicht in beiden Händen und blieb unbeweglich.

Neuntes Kapitel.

Chantons, buvons, traleralera.

Herr Krimpf hatte eine Zeitlang emsig fortgemalt und schien auch mit seiner Arbeit vollkommen zufrieden zu sein. Er betrachtete die Photographie, die er retouchierte, bald von dieser, bald von jener Seite, und während er so den Kopf bald rechts, bald links wandte, summte er in sich hinein eine lustige Melodie, was selten genug vorkam. Bald jedoch schien er mit seiner Arbeit für jetzt aufhören zu wollen, betrachtete das Porträt ein paarmal aus der Entfernung, legte es alsdann zwischen Fließpapier und fing an, seinen Pinsel mit großem Geräusche in einem vor ihm stehenden Wasserglase auszuspülen.

Die alte Frau hatte sich mit ihrem Strickstrumpf wieder an den Tisch gesetzt, doch zeigte ihr Gesicht lange nicht mehr den heiteren, wohlwollenden Ausdruck wie früher, bald blickte sie besorgt nach der Kammerthür, dann einigermaßen entrüstet auf den Maler, der seine Farben zusammengelegt hatte, einen besseren Rock anzog, der in der Ecke hing, und sich zum Weggehen anschickte. »Es scheint diesen Vormittag niemand kommen zu wollen,« sagte er, »und da will ich einen kleinen Ausgang besorgen. Gegen zwölf Uhr bin ich wieder da, wenn man mich vielleicht doch noch brauchen sollte.« Bei diesen Worten hatte er den Rock bis unter das Kinn zugeknöpft und trat an das Fenster, um einen Blick in die Nachbarschaft zu werfen.

»Ja, ja,« murmelte er vor sich, aber doch so laut, daß es die Frau deutlich verstehen mußte, »diese vornehmen Herren! Es ist mir begreiflich, daß ihnen so allerhand verfluchte Geschichten durch den Kopf gehen, da sie doch auf der Herrgottswelt den ganzen Tag so gut wie gar nichts zu thun haben. Möchte das auch 'mal mitmachen.«

Hierbei versuchte er den Halskragen aufzurichten, was ihm aber nur an der einen Seite gelang; an der anderen drückte ihn der herabhängende Kopf hartnäckig wieder gegen die Schulter. »Aber das könnt Ihr mir glauben, Frau Böhler,« fuhr er nach einer Pause fort, »es ist mir gerade, als hätte mir jemand was geschenkt, daß die Rosa nicht am Fenster war. Es wäre auf meine Ehre arg gewesen; denn der da drüben ist ein verrufener Patron, darauf könnt Ihr Euch verlassen, und wenn der einmal anbändelt, dann hört er nicht wieder auf, bis er die Schleife fest zugezogen hat. Jetzt behüt' Euch Gott, Frau Böhler, ich komme bald wieder.« – Er hatte seinen Hut aufgesetzt und warf einen Blick in den Spiegel, so verstohlen und scheu, daß man wohl merkte, er fürchtete dort etwas sehr Unangenehmes zu erblicken. Dann lief er mit einer wahrhaft komischen Behendigkeit zur Thür hinaus.


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