F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Mir ist nur lieb,« sprach er dort, »daß der Krimpf nicht da war. Meinst du nicht auch, Mutter?«

»Im Gegenteil, ich wollte, er wäre da gewesen; der kennt die halbe Stadt und hätte uns vielleicht auf der Stelle sagen können, wen du eigentlich die Ehre gehabt, zu photographieren.«

Die Thür schloß sich, und die alte Frau setzte sich wieder an ihren Tisch; doch ließ sie das Strickzeug in ihrem Schoße ruhen und baute die herrlichsten Luftschlösser. Sie zog in eine Hauptstraße, sie wußte schon in welches Haus. Hinten erhob sich ein fabelhaftes Atelier aus Glas und Eisen, und vornehme Damen und Herren drängten sich zu der Ehre, von Herrn Böhler photographiert zu werden, selbst Gräfinnen und Prinzessinnen; ja, eines Tages fuhr eine vergoldete Equipage vor – die Thür wurde aufgerissen – der Regent Allerhöchstselbst. Gott der Gerechte! Frau Böhler, von ihren eigenen Träumereien erschreckt, wäre fast von dem Stuhl in die Höhe gesprungen, ja, sie fuhr mit der Hand an ihre Schürzenbänder, um dies für einen Empfang so unpassende Kleidungsstück zu beseitigen.

Indessen stieg der Sohn langsam Stufe um Stufe die Treppe hinab, leise, bedächtig, fast schleichend. Früher war er in zwei Sprüngen unten gewesen, hatte geräuschvoll die Thür geöffnet und sich gefreut, wenn Rosa zuweilen erschrocken auffuhr. Glücklich, sie nur zu sehen, hatte er sodann ihr liebes Gesicht betrachtet, als sei es ihm fremd geworden, und es war ihm nie in die Gedanken gekommen, acht darauf zu geben, ob und wo sie saß oder stand. Heute war das leider ganz anders. Er dachte an das gegenüberliegende Haus, und sein Atem ging schwer, sein Herz schlug heftiger, wenn er fürchtete, daß sie vielleicht wieder am Fenster stehen würde, ja, daß sie in dem Augenblick, da er ins Zimmer träte, wieder mit der Hand über ihr schönes schwarzes Haar fahren könne.

Jetzt war er unten angelangt, drückte leicht die Thür auf und trat in das Zimmer. – Sie stand nicht am Fenster, sie saß an ihrem gewöhnlichen Platze, an der rechten Seite des Gemachs, wo sie immer saß, vor ihrem Arbeitstischchen, das mit den feinen Strohhalmen bedeckt war, woraus sie ihre kunstreichen Sachen flocht. Früher war es ihm nie eingefallen, darüber nachzudenken, warum sie immer gerade auf dieser Stelle sitze, und er hatte durchaus nichts Besonderes darin gesehen. Heute aber fuhr es ihm plötzlich durch den Sinn: Wer weiß, ob sie nicht von ihrem Stuhle in das gegenüberliegende Fenster blickt? Früher war er unbefangen auf sie zugeeilt, hatte ihr die Hand gegeben und, fröhlich plaudernd, ihren Arbeiten zugesehen. Heute blieb er schüchtern an der Thür stehen und wagte nicht, sich ihr zu nähern, aus Furcht, zu schnell zu erfahren, daß sein Verdacht begründet sei. Dabei schlug ihm das Herz so heftig, als sei er selbst im Begriff, etwas Unrechtes zu begehen.

Das junge Mädchen, das Original der Photographie, war in der That ein frisches, reizendes Geschöpf. Eine Fülle von Lebenslust lachte aus ihren klaren braunen Augen, und die feinen roten Lippen schienen nie etwas anderes gekannt zu haben, als Scherz und fröhliche Worte. Dabei war ihr Wuchs der untadelhaftigste, den man sehen konnte. Während die schlanke, unerkünstelte Taille so fein war, wie sie nur die Natur in ganz gut gelaunten Augenblicken hervorbringt, gingen ihre Schultern so prachtvoll breit auseinander und war ihre Brust so wunderbar gewölbt, daß man befürchten mußte, sie sprenge bei jedem Atemzuge das dünne Kleidchen. Rosa war vollkommen von dem kleinen Fuße an bis zur klein geformten Hand, und dabei waren alle ihre Bewegungen so unbewußt leicht und graziös, daß jede Stellung, die sie annahm, selbst dem ungenügsamsten Künstler zum schönsten Modell hätte dienen können.

An das alles hatte der junge Mann schon so oft mit Entzücken gedacht und sich glücklich gepriesen, wenn sie so vor ihm stand, den Kopf etwas erhoben, die Lippen sanft geöffnet, mit den herabgesenkten langen Augenwimpern ihre glänzenden schelmischen Blicke dämpfend, oder wenn sie irgend eine Bewegung machte, einen Fuß vorsetzte, den Oberkörper zurückbog und sich mit dem Arme aufstützte. Das war alles, als ob es das schönste Werk eines großen Bildhauers gewesen. Und dies herrliche Mädchen war sein!

Er war der Glückliche, den sie liebte! – O Gott, wenn nur nicht das gegenüberliegende Haus mit seinem verhängnisvollen Fenster gewesen wäre!

Daß die alte Frau Weiher diese schöne Tochter hatte, war ein merkwürdiges Spiel der Natur; denn man konnte sich keinen größeren Gegensatz denken, und wenn man auch mit der größten Schmeichelei ihre sechzig Jahre in achtzehn verwandelt hätte, so konnte doch die regste Phantasie nichts ersinnen, was ihr eine Ähnlichkeit mit der Tochter gegeben hätte. Frau Weiher war ein kleines mageres Weiblein mit einer sehr hervorstehenden Nase und den eckigsten Bewegungen.

So lange Zeit, als wir brauchten, um diese Schilderung von Mutter und Tochter niederzuschreiben, blieb der Photograph freilich nicht an der Thür stehen, aber lange genug, daß ihm Rosa mit vollem Recht zurufen konnte: »Aber, Heinrich, dir muß was passiert sein! Was Gutes oder was Schlimmes? Ich fürchte fast das letztere, denn sonst wärst du wie sonst ins Zimmer hereingeflogen, und wir wüßten bereits, was dir auf dem Herzen liegt.«

Sie hatte bei diesen Worten ihre Hände mit der Arbeit in den Schoß sinken lassen und sich in ihren Stuhl zurückgelehnt. Konnte sie das gegenüberliegende Fenster sehen oder nicht? Diese Frage stieg dem jungen Mann auf und trieb sein Blut siedendheiß empor. Wenn sie das Fenster sehen konnte, war es entsetzlich; denn während sie so mit ihm sprach, blickte sie ihn nur ein einziges Mal flüchtig an, dann schweiften ihre Augen hinüber, und sie sah fast gedankenvoll aus.

Früher hatte er nie daran gedacht, ihre süßen Augen auf solche Weise zu beobachten. Er hätte jedoch Gott weiß was darum gegeben, jetzt hinter ihrem Stuhle zu stehen. Wie ein vorsichtiger General wollte er suchen, langsam dorthin zu manöverieren, und er hätte doch wie sonst mit ein paar Schritten an ihre Seite treten dürfen. So befangen ist der Mensch in gewissen dummen Augenblicken!

»Ja, es muß ihm was passiert sein,« meinte jetzt auch Frau Weiher mit ihrer schnarrenden Stimme, »nun, Heinrich, werden wir es erfahren, oder ist es ein Geheimnis?«

»O, es ist ein Geheimnis,« sagte das Mädchen mit einem lieblichen Lächeln, und dabei blickte sie abermals dorthin, wo vielleicht das verfluchte Fenster zu sehen war.

»So was Besonderes ist mir nicht widerfahren,« sprach der Photograph mit einem tiefen Atemzuge. »Es waren nur eben ein paar Herren droben, die ihre Porträts machen ließen. Sie thaten geheimnisvoll, verschwiegen ihre Namen, und die Mutter meinte, es sei was recht Vornehmes gewesen.«

»Ei,« sprach Rosa, »und wie sahen die Herren ungefähr aus?«

Bei dieser Frage kam es dem jungen Mann vor, als erröte sie ein klein wenig. Daß sie wieder nach dem Fenster blickte, das war nicht zu leugnen.

Er entwarf nun eine genaue Schilderung der beiden Fremden, und als er das gethan, fuhr er ernster fort: »Etwas anderes ist noch dabei, was ich dir mitteilen muß, Rosa, da es eigentlich dich betrifft.«

Jetzt röteten sich in der That die frischen Wangen des jungen Mädchens, sie warf noch einen schnellen Blick an das Fenster hin, dann nahm sie ihre Arbeit eifrig wieder auf, während sie sagte:

»Was mich betrifft? Das finde ich doch sonderbar. Was gehen mich denn die vornehmen Herren an?«

»In der That hoffe ich, daß sie dich nichts angehen,« erwiderte etwas unbedachtsam der junge Mann. »Es ist auch in der That nichts so besonders Auffallendes. Der eine der Herren sah dein Porträt und wünschte einen Abdruck davon, um ihn einer Dame zeigen zu können, die Lust habe, sich bei mir photographieren zu lassen.« Während er das in größter Spannung sagte, hatte er sich mit kleinen Schritten ihrem Tische genähert und hoffte aus tiefstem Herzen, sie würde sich verdrießlich und erzürnt zu ihm wenden, sie würde ihm sagen, das gefalle ihr durchaus nicht, sie verbitte sich das für die Zukunft, sie habe nicht Lust, sich von fremden Menschen angaffen zu lassen. O Gott! wie lieb wäre es ihm gewesen, wenn sie darüber einen kleinen Zank mit ihm angefangen hätte. Aber sie fing keinen Zank mit ihm an. Sie that gar nicht einmal überrascht, ja, gerechter Himmel! sie lächelte still in sich hinein und entgegnete mit dem ruhigsten Tone von der Welt: »Hoffentlich gefällt mein Bild der fremden Dame, und bringt – dir eine gute Kundschaft.«

»Aber ich habe es höchst ungern weggegeben,« sagte er zitternd vor Aufregung, »und wenn die fremden Herren, ja sogar die Mutter, mich nicht so geplagt hätten, würde ich es nimmermehr gethan haben.«


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