F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Auch Helene schien so zu denken, denn sie widerstrebte nicht, als sein Arm sie umfing; vielmehr glitten ihre Finger an diesem Arm hinunter, bis sie in seine Hand fielen und sich dort mit den seinigen vereinigten. Wohl blickte sie im ersten Augenblicke zu Boden, wohl flog eine tiefe Röte über ihre vorhin so bleichen Züge, doch blickte auch sie in der nächsten Sekunde empor in das Auge der Prinzessin, die lächelnd neben ihnen stand und aufs anmutigste, fast neckend wiederholte: »Und warum nicht beides, meine Kinder?«

Fernow wußte nicht, wie ihm geschah. Ja, die Prinzessin mußte diese Worte ehrlich meinen. In solchen Augenblicken zu spotten, wäre ja ruchlos gewesen. Und aus dem Blick ihres Auges leuchtete auch nichts wie Spott hervor, es lag vielmehr etwas wie Glück, wie Freude, ja Seligkeit in dem feuchten Glanze desselben. Sie meinte es ehrlich mit den beiden. Näherte sie sich doch mit leisen Schritten denselben, legte ihre Hand sanft auf die Schulter des jungen Mädchens und küßte sie auf die Stirn, als diese das glühende, thränengenetzte Gesicht zu ihr erhob.

»Träume ich denn?« sagte Helene nach einer süßen Pause. »Träume ich, Euer Durchlaucht? Und werde ich zu neuem Leide erwachen?«

»Nein, nein, es ist kein Traum, mein Kind,« erwiderte die Prinzessin. »Du hast mir einmal gesagt, daß es Augenblicke im Menschenleben gibt, wo das Glück mit einemmal auf uns niederfällt.«

»Gewiß, Euer Durchlaucht!« rief der junge Offizier entzückt, »es gibt solche Augenblicke des Glücks.«

»Für euch beide, die ich gerne habe, eben jetzt,« antwortete die Fürstin. Dann setzte sie mit leiser Stimme, zu Helenen allein gewendet, hinzu: »Für mich vor wenigen Minuten.«

Obgleich ihr Fräulein von Ripperda fragend in das Gesicht blickte, so mußte sie doch den Sinn der eben gesprochenen Worte verstehen; denn sie faltete ihre Hände, drückte sie auf ihre atmende Brust und sprach:

»Wie mich das froh macht!«

Es gibt Augenblicke des Glücks, die so unverhofft kommen und so bedeutend sind, daß wir sie ohne weitere Frage in unser Herz aufnehmen, daß wir nicht wagen, eine Bemerkung über das Erlebte zu machen, aus Furcht, ein solcher Augenblick des Glücks möchte dahinflattern, wie ein schöner Traum. So war's dem jungen Offizier zu Mut, und als er nun sah, wie die Prinzessin bei Helenen seine Stelle einnahm, das heißt, wie sie ihren Arm um den Hals des jungen Mädchens legte und ihr Haupt auf deren Brust niedersinken ließ, da sagte er denn mit flehender Stimme:

»Euer Durchlaucht, in Ihren Händen liegt das Geschick zweier Herzen, die selig sind, ihr Glück durch Sie zu empfangen, und die ewig für Sie schlagen werden in Zuneigung und Ehrerbietung!« Damit zog er sich leise zur Thüre zurück, und als er durch das Vorzimmer schritt, jubelte es in ihm laut und freudig: »Das war der rechte Augenblick des Glücks!« Auch beging er in diesem Augenblicke des Glücks noch eine kleine Thorheit. Er riß das Taschentuch Helenens, welches er unter der Uniform auf der Brust trug, hervor und bedeckte es mit unzähligen, leidenschaftlichen Küssen.

Als die Thür des Vorzimmers hinter ihm ins Schloß fiel und er auf dem Korridor dahinging, war ihm zu Mut, als hätte er Flügel und schwebe nur so dahin auf dem Fußboden. Wie aber in der Welt dafür gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, so harrt unser gewöhnlich auch eine kleine Abkühlung, wenn wir uns im höchsten Stadium der Freude und des Glücks befinden. Diese Abkühlung des Herrn von Fernow im gegenwärtigen Momente erschien in der Person des händereibenden Lakaien, der sich ihm süßlächelnd näherte und mit lispelnder Stimme meldete: »Seine Exzellenz, der Oberstjägermeister, Herr Baron von Rigoll, bäten den Herrn Adjutanten auf zwei Worte in den Audienzsaal.« Dorthin ging denn auch der junge Offizier und schritt gar nicht so zögernd und ängstlich, wie vor einer halben Stunde. Was bekümmerten ihn jetzt alle Rigolls der ganzen Welt! Ja, er hoffte sogar, Seine Exzellenz möchten die Gnade haben, sich speziell um ihn zu bekümmern und er war in der Verfassung, dem Baron, wenn ihn dieser mit bekannten Fragen beehren würde, vollkommene Aufklärung zu geben und nichts vorzuenthalten. – –

Der Oberstjägermeister stand in dem Audienzsaal in der uns wohlbekannten Fensternische. Er wandte sich beim Eintritt des Herrn von Fernow um, und wenn auch um seine zusammengekniffenen Lippen das ewige lauernde Lächeln spielte, so blickten doch seine Augen etwas zu starr, um freundlich auszuschauen, und dazu spielte seine Gesichtsfarbe noch stärker, als gewöhnlich, ins Gelbliche.

»Euer Exzellenz haben mich befohlen?« sagte der Adjutant, indem er sich dem Baron genähert, der ihm nur wenige Schritte entgegenkam und ihm antwortete:

»Von Befehlen kann keine Rede sein, Herr Major. Ich habe nur um zwei Worte gebeten.« Der Oberstjägermeister blickte einen Augenblick durchs Fenster, dann aber drehte er sich mit einer hastigen, zuckenden Bewegung wieder gegen den jungen Mann und sagte mit einem unangenehm verzerrten Gesichte und einem schneidenden Tone:

»Herr von Fernow – Sie erlauben,« unterbrach er sich selbst, »daß ich Ihren Titel weglasse, – da auch ich bitte, den Oberstjägermeister beiseite zu setzen und sich für einige Augenblicke nur mit dem Baron Rigoll zu beschäftigen. Sie haben Leute, die ich in meinem Interesse gebrauchte, für sich zu gewinnen gewußt, Sie haben sich in den Besitz meiner kleinen Geheimnisse gesetzt und haben das, was Sie auf Umwegen erfahren, getreulich seiner Hoheit dem Regenten rapportiert.«

»Herr Baron!« rief der junge Offizier, indem er einen Schritt zurücktrat, – »Sie führen eine eigentümliche Sprache!«

Obgleich er auf eine Szene mit dem Oberstjägermeister gefaßt war, so fiel ihn derselbe doch so ohne alle Vorbereitung an, daß er unwillkürlich nach der Hand seines Gegners blickte, ob derselbe im nächsten Moment nicht ein Paar Pistolen aus der Rocktasche ziehen würde.

»Wenn Ihnen das Wort ›rapportiert‹ nicht gefällt,« fuhr jener mit einem malitiösen Aufwerfen seiner Lippen fort, »so sagen wir lieber, Sie haben meine Geheimnisse dem Regenten verkauft.«

Herr von Fernow blickte im Saal herum, zuckte die Achseln und schwieg.

»Ich bin nicht der Mann,« sprach Herr von Rigoll mit zitterndem Munde weiter, wobei seine Augen sonderbar zwinkerten, »der es ungestraft hingehen läßt, wenn junge Leute, die anfangen sich zu fühlen, meine Wege durchkreuzen, um das, was ich mühsam vorbereitet, mit ungeschickter Hand auseinanderziehen und unüberlegt zu Boden treten.«

Herr von Fernow lächelte spitz, als er dem Oberstjägermeister die Worte erwiderte: »Herr Baron von Rigoll, es thut einem jungen Manne, der eben anfängt sich zu fühlen, in der That außerordentlich weh, einem älteren Herrn, wie Euer Exzellenz, der nicht nur den Ton bei Hofe, sondern auch den Ton der gewöhnlichen allgemeinen Schicklichkeit genau kennen sollte, sagen zu müssen, daß Ausdrücke, wie die, deren Sie sich soeben bedienten, unter Männern von Ehre nicht gebräuchlich sind, und daß es, nebenbei gesagt, verzeihen Sie mir das Wort, sehr wenig überlegt ist, sie in diesen Räumen hören zu lassen. Was ich gethan, habe ich zu verantworten. Finden Sie sich durch mein Benehmen irgendwie gekränkt, so werde ich, um Ihnen, der so hoch im Range steht, den gebührenden Vortritt zu lassen, bis heute um zwei Uhr auf Ihre weiteren Wünsche warten. Sollten Sie aber diese Wünsche bis zu der angegebenen Zeit nicht aufs deutlichste ausgedrückt haben, so werde ich mir nach zwei Uhr erlauben, einen meiner Freunde zu Euer Exzellenz zu schicken.«

Der Major hatte dies in dem ruhigsten, aber bestimmtesten Tone gesagt und nur dann seine Stimme erhoben, wenn der Oberstjägermeister, dessen Gesichtsfarbe anfing, ins Grünliche überzugehen, unter heftig zuckenden Bewegungen der Hände und Füße Miene machte, ihm ins Wort zu fallen.

»Das ist's, was ich gewollt!« sprudelte er jetzt hervor, »Sie oder ich; und das ist es ja auch, wonach Sie trachten. Ah, Herr von Fernow, ich bin freilich der ältere Herr und Sie der jüngere Mann, der gewandt ist im Ausholen von Geheimnissen; auch gewandt im Wegnehmen eines Taschentuchs, welches die Damen in ihrem Wagen liegen lassen, ja dieses Taschentuches,« fuhr er mit schäumendem Munde fort, indem er auf das Tuch des Fräuleins von Ripperda wies, welches der Major zu verbergen vergessen hatte. »Doch sollen Sie nicht glauben, daß mich kleinliche Eifersucht treibt, oder daß ich Ihnen das Feld räume, auch wenn hundert Schnupftücher meiner Braut in Ihren Händen sind. Es ist ungeheuer leicht, ein wehrloses Mädchen zu kompromittieren.«


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