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Während das und noch einiges andere, was unsere Leser, namentlich unsere Leserinnen sich gewiß denken können, in dem Boudoir der Prinzessin vor sich ging, spazierte Herr von Fernow eine kleine Weile in dem großen Audienzsaale auf und ab. Seit jenem denkwürdigen Abend hatte er eine außerordentliche Vorliebe für diesen an sich sehr öden Saal gefaßt. Er betrachtete gerne die alten verblichenen Bilder an den Wänden, noch lieber aber die Fensternischen, vermittelst welcher jene ihr Licht erhielten. Ja besonders für eine gewisse Fensternische schien er eine wahre Leidenschaft gefaßt zu haben, denn er betrachtete sie minutenlang, träumend und in tiefe Gedanken versunken. Er hob den schweren Vorhang, der an der Seite herabhing, in die Höhe, nicht um auf den Schloßplatz zu blicken, sondern nur um sich – die Malereien an der Wand zu betrachten. Dann trat er wieder zurück, nahm seinen Säbel unter den Arm und machte einige Schritte in den Saal hinein. Das große Gemach war so entsetzlich leer, und so leise er auch auftrat, so hallten doch seine Schritte unangenehm wieder. – Mußte er denn gerade in jenem Saale auf und ab spazieren, hatte ihm das der Regent befohlen? – Gott bewahre! Seine Hoheit, als sie in die Zimmer der Prinzessin traten, hatten nur gesagt: bleiben Sie in der Nähe. – In welcher Nähe? – Natürlich in der Nähe der Appartements der Prinzessin. Die Appartements der Prinzessin aber bestanden, wie er genau wußte, aus der ganzen Reihe der von uns im Anfang dieses Kapitels so schön und ausführlich beschriebenen Zimmer. Der Mittelpunkt dieser Zimmer war der große Salon der Prinzessin, wo sie sich wahrscheinlich jetzt mit dem Regenten befand, und von dort mußte also auch Weite oder Nähe berechnet werden. Wenn er aber hier in dem öden Audienzsaal spazieren ging, so befand er sich ebensoweit von der Person des Regenten, als wenn er sich ans andere Ende der Appartements begab, wo die Dame du jour ihr Empfangszimmer hatte. Das war außerordentlich klar, und sowie sich der Major diesen Gedanken in der That recht klar gemacht hatte, befand er sich auch schon auf dem Korridor, der hinter den großen Sälen lag, und ging wohlgemut nach der anderen Seite des Schlosses, nur in der einzigen Absicht, die Befehle des Regenten zu erfüllen und in seiner Nähe zu bleiben.
In kurzer Zeit hatte er das Ende dieses Korridors erreicht und als er dort einen Lakaien gelangweilt am Fenster lehnen sah, mußte er unwillkürlich lächeln, denn es war derselbe Lakai, der ihm neulich sein breites Gesicht zwischen den Orangeblüten gezeigt hatte. Natürlich verschwand aus der Haltung desselben alle Langeweile, als er den Adjutanten Seiner Hoheit auf sich zukommen sah. Er stellte sich mit etwas gekrümmtem Rücken in Positur, nahm ein süßes Lächeln an, indem er den Mund spitzte, und rieb sich die Hände, ehe der Major ganz nahe war.
»Wer von den Damen ist im Vorzimmer Ihrer Durchlaucht?« fragte dieser mit einem so gleichmütigen Gesicht, als sei es ihm vollkommen einerlei, den Namen der alten Obersthofmeisterin zu hören.
»Fräulein von Ripperda,« sagte der Lakai.
Der Adjutant nahm eine verdrießliche Miene an und fragte scheinbar überrascht:
»Nicht Ihre Exzellenz?«
»Nein, das gnädige Fräulein.«
Herr von Fernow war schon im Begriffe, wieder fortzugehen, doch sprach er nach einer kleinen Überlegung: »Nun wohl denn, melden Sie mich dem gnädigen Fräulein.« Der Lakai verschwand hinter dem schweren Thürvorhange, als sei er von einem sanften Zephir weggeblasen worden; ebenso glitt er auch gleich darauf wieder zurück, rieb sich abermals die Hände und sagte mit einer tiefen Neigung des Kopfes:
»Es wird dem gnädigen Fräulein ein Vergnügen sein, den Herrn Major zu empfangen.«
Der Major trat, nicht ohne einige Befangenheit, ins Zimmer und folgte alsdann durch dasselbe dem Lakaien, der neben ihm hersäuselte, der gegenüberliegenden Thüre zu, die er langsam öffnete und hinter dem Eingetretenen wieder schloß.
Helene von Ripperda hatte sich von einem kleinen Lehnsessel, der am Fenster stand, erhoben und während sie sich mit der Rechten auf die Lehne desselben stützte, hielt sie in der Linken ein Buch, in dem sie soeben gelesen. Das junge Mädchen sah etwas überrascht, doch nicht unfreundlich aus.
»Verzeihen Sie, mein Fräulein,« sagte Herr von Fernow, indem er sich mit einer tiefen Verbeugung näherte, »daß ich mir erlaubt habe, Ihnen einen Besuch zu machen.«
»Sie haben einen Auftrag an mich?« fragte die junge Hofdame mit einem beinahe ernsten Gesicht.
»Nicht so ganz, mein Fräulein. Wenn ich Sie aber im geringsten störe, oder Sie sonst Gründe haben, mich nicht zu empfangen, so werde ich mich augenblicklich zurückziehen. Was einen Auftrag anbelangt, so habe ich leider keinen; bin aber doch, wenn Sie wollen, auf Befehl Seiner Hoheit da.«
»Wie verstehe ich da, Herr von Fernow.«
»Seine Hoheit,« antwortete der junge Offizier, indem er in dienstlicher Haltung und fast im Meldeton sprach, »befahlen mir, Ihm zu folgen, als Sie sich soeben zu Ihrer Durchlaucht, der Prinzessin Elise, begaben. Hochdieselben betraten darauf die Appartements und sagten im Weggehen: bleiben Sie in der Nähe.«
Ein fast unmerkliches Lächeln glitt über die Züge des schönen Mädchens.
»Ja, in der Nähe sollte ich bleiben,« fuhr Herr von Fernow mit sehr ernstem Gesichte fort, »und da ich mir überlegt, daß der Audienzsaal, wo ich vorhin einen Augenblick war, – der Audienzsaal, mein gnädiges Fräulein,« setzte er mit Betonung hinzu, – »noch etwas weiter von den Gemächern der Prinzessin entfernt ist, als dieses Zimmer, so erlaubte ich mir ganz gehorsam, Ihnen meine Aufwartung zu machen, um – das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.«
»Wenn dem so ist,« entgegnete Fräulein von Ripperda mit einer graziösen Neigung des Kopfes, »wenn Sie also im Dienste sind, so muß ich mich denn schon entschließen, Sie für eine kleine Weile da zu behalten.«
»Muß? – für eine kleine Weile?« – versetzte der junge Offizier mit einem leichten Seufzer; »wenn Ihnen diese Freundlichkeit für mich nur nicht zu außerordentliche Mühe macht!«
Bei diesen Worten blickte er nach einem Sitze und manövrierte auf eine Handbewegung Helenens mit einem nahestehenden Fauteuil so geschickt, daß er denselben ohne viel Aufsehen gar sehr in die Nähe der jungen Dame zu bringen wußte. Beide setzten sich, und Fräulein von Ripperda legte das Buch, in dem sie gelesen, neben sich auf den Tisch.
»Ich unterbrach Sie in Ihrer Lektüre, mein Fräulein?«
»Ich durchblätterte da eine Gedichtsammlung, die man der Prinzessin heute morgen zugesandt.«
»Etwas neues?«
»Eine neue Ausgabe. Wenn es Sie interessiert, blicken Sie hinein.«
»Ah, ich kenne das,« sagte der junge Offizier nach einer kleinen Pause, während welcher er ein paar Blätter umgewandt. »Es sind außerordentlich schöne Sachen, ich schwärme dafür.«
»Mein Leben liegt im Abendrot, Dein's tritt erst ein in den sonnigen Tag; Mein Herz ist starr, mein Herz ist tot, Dein's hebt erst an den lustigsten Schlag; Du schaust nach deinem Glücke In goldne Fernen weit, Ich blicke schon zurücke In alte Zeit,« las er darauf und ließ das Buch sinken, um nach Helenen hinüberzublicken, die den Kopf in die Hand gelegt hatte und zum Fenster hinaussah.
»Ja, es ist das sehr schön,« meinte auch sie, »hübsche Idee, reizende Phantasie.«
»Reizend und traurig, wie man will: reizend für einen Glücklichen, traurig für jemand, der nicht das Recht hat, so zu denken und so zu sprechen.«