F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Die einzigen, die sich noch im Vorzimmer befanden, waren Major von Fernow und der Kammerherr von Wenden, welch letzterer seinem dem Baron Rigoll gegebenen Versprechen gemäß das Schreiben desselben in die Hände des Regenten legen wollte. »Du bist ja im Dienst,« sagte er zu seinem Freunde, »und kannst dir schon erlauben, mich zu melden.«

»Nicht gern,« entgegnete dieser; »es ist das ein delikater Augenblick, und ich muß mich am allermeisten in acht nehmen, etwas zu thun, was nur einen Schein von Indiskretion an sich hätte. Wahrhaftig, lieber Wenden, in diesem Falle muß ich mich selbst vorher melden lassen, allein ich will dann recht gern für dich das Gleiche thun.«

Daß der gute Major begierig eine passende Gelegenheit suchte, in den Salon eintreten zu dürfen, wo sich ja auch Helene befand, brauchen wir dem geneigten Leser eigentlich nicht zu sagen. Es war ihm darum alles daran gelegen, jemand zu finden, dem er mit Anstand eine Meldung übertragen konnte. Ja, er hätte sich am Ende mit einem ganz gewöhnlichen Lakai begnügt, wenn nicht in diesem Augenblicke Herr Kindermann vom Korridor in den Saal getreten wäre, in der Absicht, sich zum Regenten zu begeben.

Der alte Herr hatte seine vorige melancholische Miene abgestreift, und sein Gesicht strahlte von einem außerordentlichen Vergnügen; ja, sein Lächeln gab einen solchen Glanz von sich, daß sich ein gleiches auf dem Gesichte des Majors entzündete, der dem würdigen Kammerdiener freundlich die Hand reichte und ihm darauf sagte, daß er, sowie Herr von Wenden Seine Hoheit einen Moment sprechen müßten, und ihn bäten, die Meldung zu übernehmen. Da Herr Kindermann seinem Schützling, wie er den Adjutanten nannte, außerordentlich wohlwollte, auch wohl wußte, daß er in demselben dem Herrn keine unangenehme Persönlichkeit melde, so entgegnete er mit einer tiefen Verbeugung: er schätze sich glücklich, dem Herrn Major dienen zu können, und verschwand darauf mit einem wohlwollenden Blick im Salon der Prinzessin.

Die tiefe Verbeugung des Herrn Kindermann, sowie überhaupt das unterwürfige Wesen, welches er soeben dem Adjutanten Seiner Hoheit bezeigt, wurde durch die Anwesenheit des Herrn von Wenden hervorgerufen. Denn wenn wir auch wissen, daß der Major und der Kammerdiener im Kabinette des letzteren viel unbefangener, ja freundschaftlicher miteinander sprachen, so war doch Herr Kindermann viel zu sehr ein Mann von Welt, um nicht vor den Augen eben dieser Welt aufs allerdeutlichste den Rangunterschied zwischen dem Adjutanten Seiner Hoheit und sich, dem Kammerdiener, zu zeigen.

Jetzt erschien der alte Herr wieder in der Thür des Kabinetts, verbeugte sich abermals tief und sagte mit einer bezeichnenden Handbewegung nach dem Salon: »Herr Major von Fernow!« – Als sich der Gerufene eilig näherte, und dicht bei dem Kammerdiener war, fuhr dieser mit einem leichten Seufzer flüsternd fort: »Ach, Herr Major, ich wünschte, daß Ihr hochseliger Herr Papa noch lebte!«

»Und warum, Freund Kindermann?«

»Der Regent – – ich wollte sagen, des Herrn Herzogs Hoheit,« verbesserte sich der Kammerdiener, »ist Ihnen sehr wohl geneigt. Wenn mich nicht alles trügt, müssen Sie eine außerordentliche Carriere machen.«

»Dieser Glaube kommt aus Ihrer Freundschaft für mich, lieber Herr Kindermann. Doch freut es mich in der That, wenn Sie die Idee haben, daß ich zu was Gutem ausersehen sei.«

»In wenigen Jahren Exzellenz,« sprach Herr Kindermann mit einer so wichtigen Miene, daß sie fast komisch aussah, während der Adjutant in den Salon trat.

Nach einigen Augenblicken erschien Fernow wieder, winkte dem Kammerherrn und ließ ihn eintreten, während er selbst draußen bei dem Kammerdiener blieb.

Herr Kindermann hatte verstohlen eine Prise genommen, dann sanft auf die Halsbinde geklopft, um jedes Stäubchen zu entfernen, worauf er sich die Hände rieb und mild lächelnd sagte: »Wer hätte das alles vor drei Tagen gedacht! Was hat sich hier auf einmal verändert!«

»So viel,« entgegnete Herr von Fernow, »daß man es kaum fassen kann. So sehr mich auch die wichtigen Veränderungen bei Hof erfreuen, so bin ich doch Egoist genug, um vor allem daran zu denken, wie sich meine Stellung in kurzer Zeit umgewandelt hat. Denken Sie noch an jenen Abend, als ich im Vorzimmer war, und da Sie zufällig abwesend waren, dem Rufe der Klingel folgte und in das Kabinett des Regenten trat?«

»Ob ich mich daran erinnere!« versetzte Herr Kindermann, indem er sanft mit dem Kopfe nickte. »Mancher an Ihrer Stelle, Sie selbst vielleicht zu anderen Zeiten hätten gedacht: Was geht das mich an? Sie wären ruhig Ihrer Wege gegangen und hätten einen Augenblick verpaßt, an dem vielleicht Ihr ganzes künftiges Schicksal hängt.«

»Ja, – ein wichtiger Moment,« sprach nachdenkend der Adjutant. – »Mein Freund Wenden würde sagen – – «

»Das war ein Augenblick des Glücks,« rief Herr von Wenden in der That, als er im gleichen Momente hastig und freudestrahlend aus dem Salon der Prinzessin trat. »Ah! das hat wohlgethan. Ich versichere dich, Fernow, Seine Hoheit ist von einer Gnade, einer Güte, einer Milde, – und die Prinzessin ein wahrer Engel, liebenswürdig wie immer, und dabei sanft wie nie,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu, fuhr aber gleich darauf in lauterem Tone fort, als er bemerkte, daß ihn der Adjutant lächelnd und fragend anblickte, wobei er sich übrigens ein klein wenig in die Brust warf: »Seine Hoheit der Herzog haben sich freundlich erinnert, mit welch musterhafter Geduld ich meine Krankheit ertragen. Und Ihre Durchlaucht die Prinzessin haben nicht vergessen, wie bereitwillig ich jederzeit war, in ihrem Dienste zu wirken. – Ich bin zum Legationsrat ernannt und werde noch heute nach dem Hofe von B• abreisen, auf meine Anzeigen eine einfache Kondolation und eine doppelte Gratulation in Empfang zu nehmen.«

»Nun, da können dir zwei Orden nicht fehlen,« meinte lachend Herr von Fernow, indem er dem Freunde die Hand schüttelte. »Daß du meine besten Glückwünsche hast, brauche ich dir nicht zu sagen.«

»Auch ich erlaube mir, dem Herrn Legationsrat geziemend zu gratulieren,« sagte Herr Kindermann mit einer ehrwürdigen Verbeugung, mit einem steifen Lächeln, welches sich aber in freundliches Schmunzeln verwandelte, als der Kammerherr im Übermaße des Glücks seine Hand ergriff und sie freundlich drückte. Hierauf zog sich der alte Herr zurück, und als er sich nach einer gemessenen Verbeugung umwandte und durch den Saal dahinschritt, blickte ihm der Major von Fernow nach und sprach zu seinem Freunde: »Das ist bei all seinen Eigenheiten ein braver Mann, und es ist ein Glück, daß ein wohlwollender Charakter wie er in der Nähe des Fürsten weilt. Also du reisest heute abend? Nun, hoffentlich nicht eher, bis unsere Geschichte beendigt ist.«

»Das versteht sich von selbst. – Doch still, die Thür öffnet sich.«

Es war der Herzog selbst, der unter den Portieren erschien und nach dem Major von Fernow rief. Dieser wußte nicht, warum ihm das Herz heftiger schlug, als er in den Salon trat.

Die Prinzessin ruhte in einem kleinen Fauteuil, und als der junge Offizier hereintrat, blickte sie nach ihm hin mit dem gewissen schalkhaften Lächeln, worin so oft eine ganz kleine, kleine Bosheit sichtbar war. Diesmal aber war Güte und Freundlichkeit vorherrschend, und sie winkte verbindlich mit der Hand, als Herr von Fernow mit einer Verbeugung vor den Herzog trat. Neben dem Fauteuil der Prinzessin stand Helene von Ripperda und blickte angelegentlich zum Fenster hinaus.

»Das ist mein geheimer Bundesgenosse,« sagte der Herzog zu den Damen, indem er auf den Major wies, der fast verlegen ein paar unzusammenhängende bescheidene Worte sprach, wie das bei solchen Gelegenheiten wohl vorkommen kann. »Nein, nein,« fuhr Seine Hoheit fort, »die Wahrheit muß ich sagen, Fernow hat mir aufrichtig und treu gedient.«

»Und mich verraten!« lachte die Prinzessin, »Fernow, das werde ich Ihnen nie vergeben.«

»Allerdings, Euer Durchlaucht, es war ein kleiner Verrat, ich gestehe es, aber kein Mißbrauch des Vertrauens, denn man schenkte mir jenerseits kein Vertrauen. Und da mein Verrat für alle so segensreiche Folgen gehabt hat, so wird er mir gewiß verziehen werden.«

»Gewiß, lieber Fernow,« sprach heiter der Herzog, »und ich habe Sie gerufen, um Ihnen vor allem anderen meinen Dank auszusprechen. – Apropos!« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, während er einen Brief, den er in der Hand hielt, geöffnet und wieder zusammengelegt hatte, »da hat mir Wenden ein Schreiben des Baron Rigoll übergeben. Nehmen Sie es, sehen Sie es durch, ich muß mit Ihnen darüber sprechen.« Er reichte ihm das Papier; ehe es aber der Major ansehen konnte, machte der Herzog plötzlich eine Handbewegung gegen Fräulein von Ripperda und setzte mit lauter Stimme hinzu: »Halten Sie einen Augenblick inne, Fernow. Fragen Sie vorher unsere schöne Helene, ob und wann sie wünscht, Oberstjägermeisterin zu werden.«


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