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»Und glauben Sie, daß sie antworten wird?« fragte Herr Krimpf sehr leise.
»Wir hoffen es. Sie wird gebeten, diese Antwort an einen bestimmten Ort zu legen, dieser Ort wird Ihnen mitgeteilt, und Sie haben dann nichts weiter zu thun, als das Schreiben wegzunehmen und mir zu überbringen.«
»Nein, das ist in der That nicht viel,« entgegnete der andere mit einem Lachen, das entsetzlich klang. Und es war auch in Wahrheit nichts, als die einfache Abgabe eines Briefes. Aber an dem Inhalte dieses Briefes hing das Lebensglück eines armen unschuldigen Mädchens, hing die Ruhe und Verzweiflung seines Freundes, an dessen Tische er saß, der sein Brot mit ihm teilte.
»Das wollen Sie also mit bestem Willen für uns thun?« fragte der Major.
»Ich will es,« entgegnete Herr Krimpf, und zuckte mit der rechten Hand über den Tisch hin, sie dem Major darreichend, der sie mit einigem Widerstreben ergriff.
Die kleine feine Hand des Malers war kalt und doch feucht von Schweiß. – –
»So wären wir mit unserem Geschäft zu Ende,« sprach nun der Major mit einer erzwungenen Leichtigkeit, denn ihm grauste vor seinem Gegenüber, das es so leicht zu nehmen schien, Freunde und Hausgenossen zu verraten. »Trinken wir noch ein Glas, nehmen wir noch eine Zigarre.«
Beides that Herr Krimpf; ja, er schien jetzt mit dem Bordeaux das Andenken an die eben erlebte Viertelstunde hinabgeschwemmt zu haben; seine Augen verloren ihren düsteren Ausdruck und er blickte fast lustig im Zimmer umher; seine Finger umspannten zuckend das Glas, welches augenblicklich wieder gefüllt worden war, ja seine gute Laune schien so weit wiedergekehrt zu sein, daß er leise etwas vor sich hinsummte, und zwar einen Refrain, den er in den letzten Tagen sehr häufig von Herrn Heinrich Böhler vernommen: »Chantons, buvons, traleralera.«
Der Major hatte sich in seinen Stuhl zurückgelehnt, wobei er den Rauch seiner Zigarre in zierlichen Ringeln von sich blies. Er schien sich ganz behaglich zu fühlen, und nur jemand, der ganz genau auf ihn Achtung gegeben hätte, würde bemerkt haben, daß sich zuweilen seine Augen forschend nach der Zimmeruhr richteten, deren Zeiger langsam, aber unaufhaltsam fortrückte. Jetzt dehnte er sich gähnend und sagte: »So, so, Sie sind Photograph, und sollen sehr schöne Arbeit liefern. Ich habe das von einem Freunde gehört, dessen Porträt Sie vor einigen Tagen gemacht.«
»Von einem Ihrer Freunde, gnädiger Herr?« fragte zweifelnd der kleine Maler; doch sogleich schien er sich zu besinnen und sagte: »Ach! die beiden Herren.«
»Ja, es waren zwei meiner Bekannten. Sie hatten eine Überraschung vor und diese ist vollkommen gelungen. Wir haben viele Freude daran gehabt; – eigentlich war es eine Wette – und eben deshalb befahlen sie auch zu schweigen und augenblicklich die Glasplatten zu vernichten.«
»Das geschah auch,« versetzte der kleine Maler, dessen Blicke etwas stier geworden waren, indem er sich mit der Hand auf die Brusttasche patschte.
»Was mir leid thut,« sprach der Major, nachdem er getrunken und den langen Schnurrbart sorgfältig abgetrocknet, »ich hätte gerne eine Kopie gehabt, namentlich war eines der Porträts, das meines besten Freundes, des Oberstjägermeisters Baron Rigoll, ausgezeichnet geraten. In der That ausgezeichnet.«
»Ja, der eine der Herren war seine Exzellenz,« sagte Herr Krimpf, indem er langsam seinen Rock aufknüpfte, »aber der andere?« fügte er lauernd hinzu.
»Der andere war ein Vetter des vorhin erwähnten Baron Wenden, der Ihnen gegenüber wohnt. Wie gesagt, es ist mir leid, daß die Gläser vernichtet wurden, ich hätte eine Kopie teuer bezahlt. Aber da es nicht sein kann – müssen wir eine andere Gelegenheit abwarten.«
Obgleich der Major dies alles mit einer wahrhaft bewundernswürdigen Gleichgültigkeit sagte, so hätte doch der überaus schlaue kleine Maler bei ganz unbefangenen Sinnen etwas Künstliches und Gesuchtes darin bemerkt. Dank dem La Rose aber lächelte Herr Krimpf häufig ohne alle Ursache, freute sich über den wundervollen Abend, den er verlebte, und fing an eine außerordentliche Dankbarkeit, ja Hochachtung für sein Gegenüber zu fühlen, welches ihm dagegen wieder so imponierte, daß es nur eines Blickes aus den dunkeln, blitzenden Augen bedurfte, um einen etwas lauten Gesang im Munde des Malers plötzlich verstummen zu machen. »Ein sehr liebenswürdiger Herr,« murmelte er halblaut, »könnte ihm am Ende wohl die lumpigen Photographien an den Kopf werfen. Der Kammerdiener ist ein geiziger Schuft und der Lakai stiehlt mir wieder, was der Kammerdiener bezahlt. Was braucht man sich eigentlich mit dem Pack gemein zu machen, wenn einem die Herrschaft selbst freundlich entgegenkommt. Und die Herrrr-schaft hat Rrrr-echt – ein Künstlerrr ist auch kein Hund. – Und es hat jemand einmal gesagt: Es soll der Künstlerrr mit dem König gehen, warum denn nicht auch mit so einem lumpigen Adjutanten des Rrrregenten. Aber das ist ein ganz immenser Kerrrl! Und wenn es ihm Spaß macht, so soll er die beiden Eselsköpfe haben. – Ja, die Eselsköpfe und den Lakaien und Kammerdienerrr dazu, – morrrrrrgen, hat der Hund gesagt: Buvons, chantons, traleralera!« Und er wiederholte den Refrain viel zu oft und zu laut: »Juho! ho!«
Der Major hatte zuviel von dem Selbstgespräch seines Gastes verstanden, als daß er ihn in seiner ausbrechenden Lustigkeit hätte stören mögen; ja er stieß mit ihm an und zwang sich in den Refrain einzustimmen.
»Ja, Herr Offizier, Sie sind so liebenswürdig, daß ich Ihnen eine ganz miserable Gefälligkeit erzeigen will. Wenn es Ihnen Spaß macht, die Köpfe Ihrer Freunde zu haben, so kann dem Manne geholfen werden. Krimpf ist nicht so dumm, als er aussieht. Hier sind noch zwei ganz verfluchte Kopien.« Damit hatte er das Papier aus der Tasche herausgezogen, und da sich seine zuckenden Finger eine Zeitlang vergeblich bemühten, die Siegel ordentlich zu lösen, so zerriß er das Papier so heftig in mehrere Fetzen, daß er die Photographien auf den Boden des Zimmers schleuderte. »Das warrr geschickt,« sagte er, indem er den Blättern mit stieren Blicken nachschaute. – »Da liegen die Eselsköpfe. Lassen wir sie liegen, Herrrr General, es ist auf Ehre nicht der Mühe wert. – Hsp! Hsp!«
»Ja, da haben Sie recht,« entgegnete Herr von Fernow; »es ist nicht der Mühe wert, – lassen wir sie, wo sie sind.«
»Gut gesagt, – Hsp! Hsp! wo sie sind, Hsp! Da können sie ihren Rausch ausschlafen, Hsp! Hol' sie der Teufel! Hsp! Hsp!«
»Was das Rauschausschlafen anbelangt, mein lieber Herr Krimpf,« sagte nun der Major mit einem festen Blick auf sein vis-à-vis, »so meine ich, es wäre auch für uns jetzt Zeit, daß wir unsere Betten aufsuchten.«
»Doch – nicht – um – unseren – Rrrrrausch auszu-schlafen, Hsp?« erwiderte Herr Krimpf mit immer schwererer Zunge; »so weit – sind wirrrr – noch lange nicht.«
»Das ist bei Ihnen möglich, aber ich spüre den Wein und bin schläfrig.«
Es war etwas wie Verachtung in dem Blicke, mit dem der kleine schwächliche Maler, der sich nur mühsam von seinem Stuhle erhob, den kräftigen Offizier ansah. »Nun ja,« sagte er nach einer Pause, »wenn Sie meinen, Hsp! – daß es genug ist – so wollen wir denn gehen, Hsp! doch – habe ich – noch eine Bitte an Sie.«
Bei diesen Worten hob er den Zeigefinger der rechten Hand in die Höhe, während er sich mit der linken an der Tischplatte festhielt. »Wenn Sie wieder Spazierstöcke – verlieren, so lassen Sie mich's ganz ergebenst wissen; ich bin dann immer Ihr gehorsamer Diener, um sie aufzuheben, Hsp!«
Mit ziemlich ordentlichen Schritten ging er darauf nach dem Nebentische, wo sein Hut lag, und Herr von Fernow hatte nur Angst, er möge auf die Photographien treten, die am Boden lagen; doch schwankte er bei ihnen vorüber, machte seinem freundlichen Wirte ein steifes Kompliment und schoß dann mit einer wunderbaren Schnelligkeit zur Thür hinaus.
Der Major, besorgt um ihn, wollte doch sehen, wie er sich auf der Straße benehmen würde, und ging ihm nach bis zur Hausthür. Herr Krimpf war zur Rechten davongeeilt. Wenn er auch die ganze Breite des Trottoirs in Anspruch nahm, so schob er sich doch ziemlich schnell von hinnen und war offenbar in der besten Laune, denn man hörte ihn die Straße hinab mit lauter Stimme singen:
»Chantons, buvons, traleralera!«