Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von vielen wüsten Vögeln und ihrem wüsten Treiben

Jede bewegte Zeit zeuget eine Masse von Spekulanten, welche die Bewegung auszubeuten, im trüben zu fischen suchen. Diese Spekulanten fordern so lange die Umwälzung, bis dieselbe ihnen in die Hand geworfen, was ihr Herz begehrt, oder ihre Person obenauf gestellt. Sie angeln nach der Menge mit Schmähungen der Vergangenheit und Gegenwart, mit Verheißungen für die Zukunft. Gutmütige Schwindler unterstützen sie mit schönen Redensarten, und, fremde Verhältnisse halb, halb unsere Verhältnisse, und etwas weniger als halb den Gang der Dinge kennend, sind sie in ihrem poetischen Ungestüm der Spekulanten blinde Werkzeuge. Die Zeiten müssen sich läutern wie die Luft, und wie nach Gewitterregen Würmer und rote Schnecken sich lustig machen, so nach den Gewitterstürmen der Zeit die Spekulanten; sie scheinen dem Frühling jeder neuen Zeit notwendig wie die fatalen Käfer jedem ordinären Frühling. Und die blinde, aber lüsterne Menge hängt sich scharenweise an ihre Angel, wie der Angler in gewitterhafter Zeit auch die meisten Fische fängt. Diese spekulativen Angler werfen ihre Angel aus in alle Bächlein, in alle in der Zeit bestehenden Institutionen, in Staat und Kirche. Solche Angler in den Staatsgewässern habe ich im vorigen Kapitel dargestellt; Angler, die auch in der Kirche fischen wollen, stellt das begonnene Kapitel auf. Ich weiß, unsere bürgerlichen Zustände bedürfen der Läuterung; ich weiß aber auch, daß unsere kirchlichen eben so gut der Läuterung bedürfen.

Aber wie jene Spekulanten im Staat uns durch Anarchie zur Despotie führen, so die Spekulanten in der Kirche durch sogenannte Glaubensfreiheit zum furchtbarsten Glaubenszwang nicht nur, nicht nur zu argem Judentum, sondern geradezu in die Arme des jungen Deutschlands, das die Herrschaft des Fleisches predigt. Also noch einmal, ich erkenne das Mangelhafte in der Kirche an; aber wenn ich Platz hätte, so wollte ich beweisen, daß der bedeutendste Teil dieses Mangelbaren von dem früheren Bestreben des Staates kam, die Kirche zur Staatsmagd zu machen, und wollte beweisen, daß das Zögern der Verbesserung daher komme, weil viele Heutige die Kirche wie ein Aas behandeln, und nicht einmal wie eine Magd, und alle Krähen und Hunde auf sie hetzen, an welcher Behandlung sie aber hoffentlich Kraft und Mut wieder finden wird. Wenn ich also das Folgende schreibe, so rede ich damit nicht gegen das religiöse Erwachen der Menschen, gegen das Sammeln um das heilige Wort, sondern gegen die geistlichen Spekulanten, gegen die kirchlichen Demagogen, und teilweise auch gegen die gutmütigen Schwindler, die Werkzeuge der ersten, die alles Vestehende besudeln, alle Menschen verdammen, gestorbene und lebendige, die nicht zu ihnen gehören, den Ihren die Seligkeit versprechen und die giftige Lehre verbreiten, daß die Ihren mit dem Fleische gar nicht mehr sündigen könnten, das Fleisch seinen Gelüsten frönen könne, ohne daß es den Geist etwas angehe.

Gegen dieses Treiben rede ich, das so viele Menschen anzieht, weil es viel leichter ist, selig gesprochen zu werden, als nach der Seligkeit zu streben und zu ringen, viel leichter ist, andere zu verdammen, als sich selbst zu richten, damit man nicht gerichtet werde. Gegen dieses Treiben, das auf gleiche Weise wie das demagogische im Staate die Menschen sittlich und ökonomisch zu Grunde richtet; gegen dieses Treiben, das von einer gewissen Seite, welche das Christentum haßt, wie ein ungezogener Bube seinen Lehrer, begünstigt wird in der eitlen Hoffnung, daß der Spruch in Erfüllung gehe: Ein Reich, das unter sich uneinig sei, zerfalle. Die Feinde gehören aber nicht zum Reiche, und um dieses zu zeigen, tut es not, daß man ohne Furcht und ohne Erbarmen ihnen die Larve abreiße von den Bocks- oder Eselsgesichtern.

Solche Leute erschienen auch in unserer Gegend, überhaupt im ganzen Lande. Sie predigten Buße und Bekehrung auf eigene Weise, verdammten das Bisherige, und jeder von ihnen sprach: «Ich bin der Weg und das Leben; wer meine Stimme höret, wird selig werden; wer mich aber verleugnet vor der Welt, den werde ich auch verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.» Und an die Brust schlug jeder, deutete auf sich selbst und sprach: «Amen, ich sage euch, ich bin die Türe zu den Schafen; alle, wie viele vor mir kommen sind, die sind Diebe und Mörder. Aber die Schafe haben ihnen nicht gehorchet. Ich bin die Türe; so jemand durch mich eingehet, der wird selig werden, und wird ein- und ausgehen und Weide finden.» Sie hatten einen Schein der Gottseligkeit, und schlichen in die Häuser, die Weiblein gefangen zu führen, die mit Sünden häufig beladen sind, und durch mancherlei Lüste getrieben werden. Man sah sie eben nicht Christo dienen mit ihrem eigenliebenden, geizigen, rühmrätigen, hoffärtigen, schmähsüchtigen, unversöhnlich wilden Wesen, sondern ihrem Bauche; aber durch süße Worte und Schmeichelrede betrogen sie die Herzen der Einfältigen. Sie machten sich selbst groß und vernichtigten die andern und sprachen: «Wir danken dir, Gott, daß wir nicht sind wie die andern Leute.» Sie machten großen Eindruck auf die einfältige Menge, weil sie mit gar großer Kraft und Bestimmtheit selig priesen, Seligkeit verhießen, und wieder verdammten und in die Hölle schickten. Sie machten es gleich wie Jesuiten bei den Protestanten. Verkappt in allerlei Gestalten, und unter protestantischem Äußern machten diese vornehmen Sündern die Hölle recht heiß. Und wenn mit heißen Schritten die Verzweiflung ins Herz zog, wiesen sie auf ihre Gemeinschaft, die katholische Kirche hin, die Vergebung für sie hätte. Sie wußten mit einem geheimnisvollen zauberischen Schein sich zu umgeben, der wirket, wie der Blick der giftigen Klapperschlange. Es hieß nämlich bald von ihnen, wer sie nur einmal höre, wer ihnen nur die Hand gebe, der sei der ihre, und könnte nicht mehr von ihnen lassen. Sie pflanzten den Glauben, der den schwachen Menschen so wohl tut, daß, wer ihnen angehöre, mehr sei als der andere. Wie gerne ist das arme Menschenkind vornehm, tut vornehm, sieht auf andere herab, und hat hochmütig keine Gemeinschaft mit denen, welche es gemeiner glaubt. Tausende hatten kein Geld, vornehm zu tun, und tausende hatten das wenige Geld, welches sie besaßen, mit Vornehmtun vertan, und waren wieder gemein geworden. Ach, wie tat ihnen das weh! Nun kamen die und lehrten, wie man wohlfeil vornehm sein, und wie man wohlfeil zu dem Vorrecht kommen könne, sich von andern abzusondern, und hochmütig auf die große Menge, auf Große und Reiche, herabzusehen. Haltet euch zu uns, sprachen sie, so seid ihr mehr als alle andern, dürft nicht mehr Gemeinschaft haben mit ihnen, nicht mehr am gleichen Tische das heilige Abendmahl genießen; sonst entwürdiget ihr euch, macht euch gemein vor Gott. Ihr seid die Auserwählten Gottes; steht nicht geschrieben: Viele sind berufen, wenige sind auserwählt; seid ihr nicht die wenigen, müßt ihr also sonnenklar nicht auch die Auserwählten sein? – Ach, wie das manchem Weiblein und Männlein so wohl tat, die alle Hoffnung aufgegeben hatten, einmal vornehm zu sein und andere verachten zu können. Neidisch auf alle Menschen waren sie bis dahin gewesen; nun konnten sie hochmütig auf alle werden, und es kostete sie nichts! Waren das nicht Heilande, die ihnen zu diesem Glücke verhalfen, ohne Opfer des Herzens zu fordern, sondern bloß Spenden aus Sack und Kämi? Sie forderten zwar nichts für sich; aber sie aßen so traulich mit ihnen lieber Hammen als Erdäpfel, und tranken so schön lieber Wälschen mit süßem Tee, als Seeländer mit Wasser. Eine Büchse führten sie zwar mit sich, und jeder mußte etwas darein tun nach Belieben; doch wer nicht drei Batzen hineinlegte, hatte den rechten Glauben nicht. Aber das Geld in der Büchse war nicht für sie; doch nahmen sie es mit sich, und niemand hat es weiter gesehen. Es soll der Wirt von St. N. einen Begriff davon erhalten haben. Und von den Leuten forderten sie für Gott gar nichts, und ebneten ihnen den Weg doch so kräftig. Allerdings der Durchbruch war schwer und kostete manche Träne, manche Hamme, manchen Seufzer, und manchmal drei Batzen, viel Mundgeschrei und manche Kanne Tee. War das aber einmal überstanden, dann gaben sie jedem das Bewußtsein, daß er selig sei, und mit jeder Hamme eine Stufe seliger, und gaben ihm die Gewißheit, daß er gar nicht mehr sündigen könne, und alles, was das Fleisch tue, ihn nichts angehe, und Gott denen nicht anrechne, die im Geiste lebten und drei Batzen in die Büchse täten. Und zum Zeichen, daß es also sei, gingen sie voran mit ihrem Beispiele, schlugen sich um die Bekehrung sehnsüchtiger Mädchen und inbrünstiger Weiber, sättigten sie mit Bruderliebe, und achteten des Fleisches nicht, und doch blieb der Geist auf ihnen und die Weiber und Mädchen bei ihnen.

Dies war der eigentliche Heerhaufen, dessen Glieder freilich verschiedene Namen führten, aber eines Herzens und eines Sinnes waren, wie man merken konnte. Wie der Heiland hatten sie aber auch ihre Vorläufer, den Weg ihnen zu bereiten. Die kamen in Schafskleidern und taten gar ehrbar; sie redeten nicht recht deutsch heraus, gaben aber manches zu merken, lästerten nicht hauptsächlich, sondern nur nebenbei, sonderten sich nicht vornehm ab, warfen aber doch hochmütige Blicke um sich herum, machten den Leuten angst und bange, daß sie verhürschet wurden im Gemüte, und begierig nach den Nachkommenden, die ihnen aus ihrem Elende wohlfeil helfen konnten; sie machten das so gut, als ob sie eben bei den Jesuiten in der Lehre gewesen wären. Sie taten auch als die von Gott Berufenen, und setzten sich auch gerne an die Tische, auf denen Gutes zu essen und zu trinken war. Je besser man ihnen aufwartete, und je mehr geschenktes Fleisch in ihrer Hele hing, für desto kräftiger hielten sie den Geist, den sie empfangen. Sie gaben ihn auch umsonst, nahmen aber doch je mehr je lieber.

Viele aus diesen letztern wußten nicht, daß andere nachkämen; die Anführer hatten ihnen ihren geheimen Kampfplan nicht mitgeteilt, ja, die geheimen Obern kannten sie nicht. Wer kennt sie übrigens? Die freuten sich nun den lieben langen Sommer durch auf alle Schweine und Kühe, die gemästet und gemolken, auf alle Eier, die gelegt wurden in allen Häusern, welche sie erobert hatten. Wenn dann die andern anrückten, ehe gemetzget war (und sie haben eine feine Nase) und sich hinsetzten unter die Würste und Säubrägel, und die Kuttentäschen weit aufmachten, und jene armen Vorläufer von all der Herrlichkeit nichts hatten, als den Vorgeschmack und die voreilige Freude, wenn niemand sie einlud, und von dorther niemand kam mit etwas unter der Scheube, wie jammervolle Gesichter machten sie, wie kauten sie an den Nägeln, statt an den Würsten, und muckelten unter der Hand über Eingedrungene in ihren Schweinestall! Manche wollten aufbegehren und Streit anfangen über die abhanden gekommenen Seelen und Würste; aber von ihrem Oberhaupt wurde ihnen verdeutet, sie hätten stillzuschweigen und gegen diese, gegen die Nachgekommenen, mit aller brüderlichen und schwägerlichen Liebe sich zu benehmen, und nun andere Häuser zu suchen, in denen auch etwas sei, Seelen, Schweine, und wenn am Ende auch nur Geißen. So läßt man auch (nicht zusammengezählt mit Respekt) einen Jagdhund den aufgestochenen und geschossenen Hasen nicht fressen; er sticht sonst selbigen Tages keinen andern mehr auf.

Manche unter den letzten jedoch sind redlichen Gemütes, suchen nicht ihre Ehre allein, suchen nicht bloß fette Schweine, sondern sündige Seelen; aber sie wissen nicht zu prüfen, was sie sagen, haben ihre Kräfte nicht gemessen, ob sie der Aufgabe, zu der niemand sie berufen, gewachsen seien. Diese, welche wähnten, vom Geist der Gnaden erfüllt zu sein, werden meist, wenn der Vater den Geist der Verblendung, mit dem sie erfüllt sind, von ihnen nimmt, Buße tun im Sack und in der Asche, werden an die Brust schlagen und wehklagen: Vater im Himmel, fordere die zerrütteten Seelen nicht aus unserer Hand, nicht die zerfallenen Haushaltungen, nicht die verwahrlosten Kinder! Vater, Vater, da wir glaubten, wir stünden, sind wir gefallen Berge tief, und unsere Sünden sind groß geworden bis an den Himmel, Höllenschmerzen nagen an unsern Seelen; Vater, gib uns Trost, gib uns einen Liebesblick, sonst vergehen wir in unaussprechlichem Jammer, mit dem wir büßen müssen, dem Jammer, den wir anderen gebracht. Vater, deine Gerichte sind gerecht; wir leiden, was wir andere leiden ließen; aber kürze sie ab diese Gerichte, laß Gnade ergehen über uns erwachte Sünder! Wohl dem, der einst noch so beten kann; der Vater hat noch immer das gleiche Herz, mit dem er den demütig gewordenen verlorenen Sohn empfangen; und es haben welche schon so gebetet, als sie sahen, was sie angerichtet, und wie die von ihnen verführten Menschen haltlos herum irrten, die Beute jeder neuen Verführung, und wie sie selbst nicht Kraft, nicht Geist hätten, ihre Herde zusammen zu halten. Es haben welche ihr Gebet öffentlich bekannt gemacht; andere aber schämten sich dessen vor der Welt, sie wollten sich wieder zurückziehen in die Kirche, wollten ihren Rückzug nicht bekannt machen wie ihren Austritt, wollten ihre Fehler nicht bekennen, die von ihnen Verführten auf dem falschen Wege lassen. Ist das wahrhaft christlich? In der Gemeinde, in der ich war, hatten immer einige Haushaltungen sich gemeinsam erbauet, waren jeweilen des Sonntags zusammengekommen, um etwas mit einander zu singen, eine Stelle aus der Schrift oder dem Heidelberger sich erklären zu lassen; aber neu war das, was nun kommen sollte. (Dieses echt christliche Versammeln von Freunden und Verwandten zur gegenseitigen Erbauung, zur Eröffnung der innern Zustände, alles ohne Heuchelei, sondern in wahrer, treuherziger Frömmigkeit, verdient alle Ehrfurcht, und wäre ein tiefes Bedürfnis für unsere flache Zeit.) Es kam sehr langsam, schlich von Dorf zu Dorf, machte hie und da wunderbare Sprünge über mehrere, und erschien plötzlich unerwartet in einer Gemeinde. Ängstlich frug man sich: Wie weit sind sie, wo sind sie? Und mit Ärger und Angst erfuhr man, wenn die Seuche um eine Station näher gekommen war. Ich kann mir vorstellen, es sei gerade so gegangen wie mit der Cholera, sowohl die Annäherung, als die Erwartung. Wie die Cholera langsam schleicht, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, und wieder Sprünge macht, und auf einmal in einem Dorfe, in einem Haus auftaucht, wo man es am wenigsten erwartet; und wie die Bewohner der Umgegend bebend das Ungeheuer nähern sehen, und alle Morgen vor allem sich fragen: «Hesch nüt ghört, wo isch si jetz?» und bleich werden, wenn sie einen Schritt vorwärts getan – fast gleich ging es mit der Sektenseuche.

Man begann immer häufiger von ihren Versammlungen, vorgefallenen Geschichten und den Menschen, die daran teilnahmen, zu erzählen. Von den letztern wußte man nichts zu rühmen. Einer derselben schlug seine Frau alle Tage und predigte selbst, so oft man ihn hören wollte, vernachlässigte nebenbei sein Geschäft, sein Hauswesen, und kläpfte eben allemal seine Frau, wenn sie daran mahnte, wie gut sie es ehedem gehabt gegen jetzt. Ein anderer prügelte die seine nur alle Wochen, aber mit besonderem Nachdruck, als sie nicht glauben wollte, daß sie der verlorene Sohn sei, weil sie nicht ein Sohn sein könne, da sie ja ein Weib sei. Sie glaubte es erst, als zwei Zähne eingeschlagen waren. Wahrscheinlich erhielt sie auch wieder Schläge, als sie mit dem Prediger, der ein Schreiner war, nicht in den benachbarten Wald spazieren gehen wollte. Der Mann selbst war von solchen Spaziergängen ein besonderer Freund. Man erzählt sich, wie einem Manne angekündigt worden, in der nächsten Nacht werde ein Engel seine Frau besuchen; er dürft aber nicht zu Hause sein. Der gute Mann glaubte es, ging, und das Wesen kam, und seine Frau hatte große Freude daran. Man glaubt aber allgemein, der Engel habe ordentliches Fleisch und Bein gehabt. Einem andern Schuhmacher sei wegen andauernder Sündhaftigkeit das Abendmahl verweigert worden; derselbe habe sich darüber gar bitterlich beschwert, daß man dessen Genuß der und der und der, und die mit ihm akkurat in gleicher Sünde seien, gestatte; das gehe gar parteiisch zu, soll er geklagt haben. Eltern vermißten spät ihre Tochter und die Magd; sie fanden sie nach Mitternacht in Verzückung vor einem Lehrer auf den Knien liegen. Einer Mutter, welche sorgfältiger Abwart bedurfte, soll die Tochter fortgelaufen und von dem zürnenden Bruder Stunden weit weg aufgefunden worden sein, aber sich weigernd heimzukehren, weil es heiße, man solle um seinetwillen Vater und Mutter verlassen und die Toten ihre Toten begraben lassen. Zu Hause schmachtete die Mutter hülflos; freudenvoll saß die Tochter zwischen den Knien der neuen Heiligen.

Ein armes Mädchen hatte nur zehn Kreuzer in die Büchse zu tun; man zweifelte an der Tüchtigkeit seines Glaubens; verzweifelnd hängte es sich, konnte aber doch noch zu rechter Zeit abgeschnitten werden. Einer Magd wurde von ihrem Meister die Wahl gelassen, entweder die Kirche nicht zu besuchen, oder den Dienst zu verlassen; endlich erlaubten ihr die Lehrer, alle Monate einmal hinzugehen, wenn sie glaube, in Monatsfrist diese Sünde abbeten zu können. Zu den Kranken und Sterbenden drängten sie sich unberufen, die Vorläufer und die Nachläufer. Der ersten einer ließ aus der Stube einer wassersüchtigen Frau, die als brave Hausmutter bekannt war, alle herausgehen. Nun donnerte er auf die gute Frau los all sein geistlich Wurfgeschütz, behauptete, sie leide um ihrer Sünden willen solche Pein; und als sie meinte, sie hätte doch nicht schlimmer gelebt als andere, meinte er, sie müsse geheime Sünden begangen haben, sonst würde der Herr seinen Zorn nicht so hart über sie auslassen. Nun setzte der geistliche Scharfrichter ihr mit aller Brutalität zu, sie solle ihm ihre geheimen Sünden bekennen. «Aber Herr Jeses, i weiß nüt!» «Das ist gerade das Zeichen, daß du noch verstockt bist» usw. Aus diesen geistlichen Martern, in welchen die arme Frau den Atem fast verlor, erlösten sie endlich die Ihrigen, welche an der Türe gehorcht und über den frechen evangelischen Kirchenvater sich satt geärgert hatten. An einem andern Orte kamen drei auf einmal zu einem Sterbenden, setzten sich an sein Bett und sprachen: er sei verdammt, wenn er ihnen nicht auf der Stelle seine Sünden bekenne; tue er dieses, so hätten sie die Macht, dieselben ihm zu vergeben. Der Sterbende konnte schon nichts mehr reden, konnte sich nur gegen die Wand und ihnen den Rücken zudrehen; seine Frau durfte ihn nicht verlassen, um Hülfe zu holen gegen diese geistlichen Unholde; so mußte er sich vor seinem Tode stundenlang mit Unsinn und Rohheit foltern lassen, hatte kein ruhig Sterbestündlein, konnte in seinem Kämmerlein nicht ruhig beten zu seinem Gott.

Solche Geschichten kamen alle Tage neue. Einmal kam der Arzt ins Wirtshaus ganz krebsrot, warf den Hut weg und ließ für sich manchen Fluch über die Zähne gehen. Endlich erzählte er: «Da oben am Berge habe er eine Kranke, aber die geistlichen D. Spitzbuben gruppe geng uf-ere, bis sie sie getötet hätten; er könne nichts machen und doch sei es schade um's Meitschi.» Er erzählte weiters, das sei das lustigste Meitschi gewesen weit und breit und singen hätte es gekonnt wie eine Nachtigall. Während es in die Unterweisung ging, hätte die verfl... Geistlichkeit, die besondern Appetit zu haben scheine nach frischem jungem Fleische, sich an dasselbe gehängt, und besonders der schlechte Schreinergesell, der so gerne spazieren gehe, sei mit ihm gegangen, und wie weit, wisse man nicht. Als die Zeit genaht, wo es das Abendmahl empfangen sollte, seien sie mit aller Wut in das Mädchen gedrungen, daß es dasselbe nicht von seinem Pfarrer empfange, sonst sei es ewig verdammt. Als es nicht gehorchen wollte, wurde ihm ein Brief geschrieben, angefüllt mit allen Flüchen und Verwünschungen, wenn es sich nicht wolle abwendig machen lassen. Das Kind blieb trotz aller dieser Anfechtungen standhaft und genoß das Abendmahl mit andern ehrlichen Christen und trat darauf in Dienst. Begreiflich hatte aber der ganze Vorgang auf sein Gemüt gewirkt, hatte in dem ohnehin lebhaften Kinde heftige Kämpfe erzeugt; diese trafen in eine Entwicklungsperiode der weiblichen Natur und das Mädchen wurde von gewaltigen Krämpfen befallen, mußte den Dienst verlassen und nach Hause zurückkehren. Sogleich sei die geistliche Schar über dasselbe hergefallen mit Beten und Fluchen. Vom Teufel besessen sei es, schrie man ihm zu, ewig verdammt; es leide, was es verdiene, um seiner Verlockung willen; und dann fielen sie alle auf die Knie, sieben, achte mit einander, und schrien, was sie vorbringen mochten. Natürlich kriege das Mädchen seine Krämpfe auf die fürchterlichste Weise und schreie, daß man es weit unten im Dorfe höre, und jene D... Kühe frohlockten dann und meinten, das sei der Teufel, der so schreie, durch ihr Beten geängstigt. So könne und dürfe er das Mädchen nicht lassen, sonst sterbe es ihm die ersten Tage; es nähm ne aber nume es D. Wunder, ob me de hützutag alles müeß gscheh lah und ob me die D. alles müeß lah mache. Nun erzählte er eine Geschichte nach der andern, wie er hier und dort erst hätte heilen können, nachdem er ein halb Dutzend Weiber mit ihren Höllenbüchern in den Händen fortgejagt, wie aber im gleichen Dorfe ein anderes sonst munteres Mädchen verzückt und verrückt im Bette läge, statt zu arbeiten, und Gesichter sehe, wie die Somnambüle. Diese Geschichten faßten besonders die Weiber auf und schrien empört darüber und meinten, es düech se, we si das nume einisch gseh und ghöre chönnti. Es ist ein eigener Geist des Widerspruchs im Weibe, welcher dasselbe gerade zu dem treibt, welches es nicht will; ein Geist der Neugierde, der alles selbst sehen, selbst erfahren möchte, selbst die wüsteste Sache, nur um recht zu wissen, was sie sei, gerade wie das Weib, das im Fröschenweiher herumpfoselte. Ihr wißt, was man sagt, wie der Teufel zu Zeiten gut höre, und wenn er zuweilen nur den leisesten Wunsch, ihn zu sehen, vermerke, er leibhaftig vor einem stehe. Daher sagte man auch, man dürfe den Teufel nicht an die Wand malen, wenn man ihn nicht selbst haben wolle. Alle Regimenter haben Werber, das junge Deutschland seine Propaganda, das gleiche findet bei den Evangelisten, Separatisten, Stündelern usw. statt. Wohl laufen auch die Lehrer selbst von Haus zu Haus und laden die Leute förmlich ein, hiehin und dorthin, und man weiß ja, wie ungern ein Weib eine Einladung ausschlägt. Aber sie sind doch nicht die eigentlichen Werber dieser Banden, sondern diese sind die Weiber selbst. Weiber aller Art bilden den größten Teil dieser Versammlungen, junge und alte, ledige und verheiratete bunt durcheinander. Jedes Weib hat eine Freundin, eine Base, eine Gevatterin an den angrenzenden Orten, wohin das Treiben noch nicht gedrungen. So ein geistliches Weib oder Meitschi legt nun Strümpfe und eine saubere Scheube an und marschiert bei seiner Freundin oder Bekannten auf: «Los, Bäbi, du mueßt notti cho, chum ume-n-einisch; du chast geng mache, wie d' witt, we's dr nit gfallt.» Bäbi wehrt sich, sagt, es habe keine Lust dazu, es müsse daheim bei seinen Kindern bleiben, und wenn es der Mann vernähme, so ginge es viel zu wüst; es glaube, er würde es prügeln. Die geistliche Freundin widerlegt die Einwürfe, meint, man brauche es dem Mann nicht zu sagen; Bäbi wehrt sich noch immer, aber es fragt doch dies und das, die Freundin weiß auf alles gar gut Bescheid, und die Unterredung endet mit einer Verabredung und das gute Bäbi ist gefangen wie eine Fliege in einer Spinnhubbele.

Bäbi geht also erst weiter an andere Orte und lügt dem Mann immer mehr vor, je geistlicher es wird. Es macht geistliche Bekanntschaften, erhält verstohlene Besuche, wenn der Mann abwesend ist; es hat Bekannte und Freundinnen, die sucht es auch mitzuziehen; wo mehrere Weiber sind, finden sich endlich auch ein oder mehrere Männer dazu aus besondern Gründen, und wohl auch einer, der unter dem Pantoffel der geistlich gewordenen Frau steht. Man mag nicht immer weit hinlaufen und möchte auch der Ehre teilhaftig werden, die Versammlungen in der Nähe zu haben; die fernern, bei aller Geistlichkeit, treten den neuen auch gerne zuweilen die Last der geistlichen Einquartierung ab; und die Prediger gehen auch gerne weiter, wo noch unangegriffene Vorräte sind, wie die Heuschrecken auch weiter ziehen, wenn sie alle Blätter von einem Baume abgefressen haben. Dann sieht man an einem schönen Abend, mit einbrechender Dunkelheit, Leute aus allen Ecken einem Hause zuströmen; man weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Es brennt nicht, es ist keine Leiche im Hause; nein, es ist eine Versammlung. Die Cholera ist da!

So kam sie auch zu uns, nachdem man schon lange davon geredet, davor sich gefürchtet hatte. Nun erst begann man davon zu reden, fast jeden Abend im Wirtshause. Man wußte jeden Abend etwas Neues, wußte, der gehe auch und die gehe. Man zergliederte die Leute und konnte nicht begreifen, wie die dazu kämen, wenn die Sache wirklich geistlich sei, wie man vorgebe; man wollte auch an diesen Leuten keine Änderung in ihrem sonstigen Treiben bemerken, nichts als einen stinkenden Hochmut, den sie an den Tag legten und wachsende Untätigkeit. Man machte Pläne, was man tun wollte, wenn ein Hausgenosse gefangen werden sollte, und die Männer redeten hochauf, wenn ihre Weiber von den bösen Gelüsten sich anwandeln ließen. Man redete ab, hinzugehen, und kam bald wieder, erzählend von dem Unsinn, der da gesprochen wurde, wie immer das gleiche wiederholt werde, wie der Lehrer, wenn er stecken bleibe, die Hand vor die Stirne halte und sage, der Böse habe ihm den Geist weggenommen, und endlich nach einer Weile, wenn er sich besonnen, spreche, jetzt sei der Geist wieder da. Wie man den Leuten angst mache, sie versichere, bis dahin in des Teufels Krallen gewesen zu sein, verführt von den Baalspfaffen; wie die Kirchen nur des Teufels Steinhaufen seien, ein Versammlungsort der Sünder, und wer hingehe, der Sünden aller andern teilhaftig werde; wer aber das Vergangene und die Gemeinschaft mit den Sündern abbete und zu ihnen komme, der habe das ewige Leben, der sei selig, der gehöre dem Heiland an. Und sie erzählten, wie die Leute geweint und geschluchzt und dann froh geworden und wie sie dem Lehrer die Hände gegeben und wie andere aufgestanden und Zeugnis abgelegt hätten von der Trefflichkeit und Richtigkeit der Rede des Bruders, und wie sie wieder die Welt verdammt und sich gerühmt hätten, daß es fry gstunke; ja, wie einige gar versichern, sie hätten für an der Seligkeit, und wenn sie nur jemand wüßten, so wollten sie ihm ihren Überschuß abtreten.

Man wollte mich auch bereden, einmal hinzugehen, allein es widerte mich an; um des Gespötts willen mochte ich nicht gehen, expreß um mich zu ärgern auch nicht und erbauen konnte ich mich nicht; überdem hörte ich alles, was ging und hatte satt davon. Die armen, mit dieser Seuche geplagten Leute konnten mich dauern von ganzem Herzen; ihren Jammer und ihren Verdruß schütteten sie im Wirtshause aus, da ihnen durch ihre frommen Weiber ihre Häuser erleidet waren. Da jammerte einer: Seit seine Frau fromm geworden, kriege man in seiner großen Haushaltung keinen Bissen ordentliches Essen mehr. Seine Frau wolle alles selbst machen, nicht einmal die Tochter helfen lassen; sie tue auch die Speisen richtig über, feure tüchtig, laufe dann ins Stübli, bete, daß man im ganzen Hause sturm werde, glaube, der Herrgott koche für sie in der Küche, und wenn sie endlich chystig sei und aufhören müsse, so sei entweder das Feuer erloschen oder alles angebräntet und sie müßten das Essen haben, wie es sei. Denn der Herrgott hätte viel zu tun, wenn er die Köchin jedes frommen Weibes sein wollte. An letzter Fastnacht habe er ihr befohlen, zu kücheln. Sie habe richtig den Anken in die Pfanne getan und sei wieder ins Stübli gelaufen und dort gebetet, daß es fry gsurret und gchutet heyg. So sei das Feuer in den Anken gekommen und ganz sicher wäre das Haus verbrannt, wenn er nicht zufällig das Feuer gesehen und es noch hätte löschen können. Ein anderer entgegnete ihm, das mache ihm doch nichts, er sei reich, und wenn schon das Haus verbrannt wäre, so hätte er ein anderes können bauen lassen. Er aber sei arm, müsse vom Verdienst leben und wenn seine Frau so fortfahre, so käme er mit allen sechs Kindern auf die Gemeinde. Wenigstens drei Abende in der Woche sind Versammlungen; meine Frau läuft hin, spinnt nicht, besorgt die Kinder nicht, und wer weiß, ob sie mir nicht noch Sachen verflökt, um auch ein Opfer zu bringen. Spät kömmt sie heim und kaum ist der Tag wieder da, so steht sie schon bei der Nachbarsfrau und sie beichten einander, wie es gestern gegangen, was gepredigt worden und wie es ihnen wohlgetan. Am Nachmittag stehen sie wieder beisammen und raten ab, wo es des Abends aus gehen müsse. Zwischendurch ist sie wie sturm und nichts geht ihr recht von der Hand, und wenn ich sie ans Arbeiten mahne, so weint sie, daß sie ob dem irdischen Grümpel die Seligkeit versäumen müsse; und dieser irdische Grümpel sind ihre Kinder, um die sie sich immer weniger bekümmert, ja, die ihr zuwider werden, weil sie etwas für sie tun soll.

Die Wirtin begehrte auf. Es seien doch nicht nur Weiber, die an die Versammlungen gingen und ihr Hauswesen vernachlässigten; auch Männer gingen hin, und die Weiber hätten auch Ursache, zu weinen und zu klagen. So sei erst gestern eine Frau bei ihr gewesen und habe das lautere Wasser geweint über ihren Mann. Der laufe auch weit und breit umher, bilde sich ein, den Geist des Predigens empfangen zu haben. Selten sei er einen Abend bei ihr und bei den Kindern, am wenigsten des Sonntags, und wenn er einmal daheim bleiben müsse, so sei er hässig, daß es niemand bei ihm ausstehen könne. Der Kinder achte er sich oft lange nicht, dann schlage er sie wieder, daß es eine unerkannte Sache sei. Das Böseste sei, daß man nie wisse, was gehe; es gebe heutzutage gar schlimmes Weibervolk; ja, auch wenn sie mitgehe, achte er ihrer wenig, sondern sitze lieber neben andern als neben ihr; so sei er auch einmal im Wirtshaus neben Meitschene gesessen und sie hätte mit den Kindern in der Nebenstube sein können.

Das mache sich noch, schrie ein Dritter dazwischen, da sei doch entweder der Vater oder die Mutter bei den Kindern; allein, er hätte Nachbarsleute mit fünf Kindern, von denen das älteste acht Jahre alt sei; da liefen Mann und Frau, sperrten die Kinder ein und ließen sie halbe Nächte allein. Die Kinder schrien manchmal alle zusammen, daß es einem durch Mark und Bein gehe, und wenn es da kein Unglück gebe, so wolle er nicht Hans heißen.

Während diesem Gespräch war ein Garnbaucher mit seinem Wägelchen vorgefahren, hatte einen Teil des Gesprächs gehört und redete drein: Man solle ihn klagen lassen, er müsse seine Bauchi teuer verzinsen und bringe fast kein Garn zusammen, und doch habe er sich über den langen, harten Winter gefreut, in der Meinung, die Weiber würden das Stroh ab dem Dache spinnen. Aber ohä, keinen Winter, so lange er sich besinnen möge, sei so wenig gesponnen worden; das schade viele, viele tausend Strangen Garn nur in seiner Gegend, und daran sei nur das v.... Stündeliwesen schuld. Man sei die halbe Zeit nicht beim Spinnen, und wenn man schon dabei sei, so habe man keinen Ernst. Wenn das so gehen könne, so werde man es erfahren, was das für arme Leute gebe.

Ja, das habe er schon lange gesagt, polterte ein Gemeindrat, es gehe alles drauf los, das Volk z'Bode z'mache. Da führe man das Patentsystem ein; in einer Ecke gebe es ein Wirtshäuslein und in den andern Ecken wären Versammlungen, und jeder, der hungrig sei und sonst glustig und nicht arbeiten möge, könne predigen, wenn und was er wolle. Die einen Leute säßen in den Pinten, die andern in den Versammlungen; wer zum Teufel da arbeiten solle und wer die Müßiggänger erhalten; das werd lustig use cho.

«Ja», meinte einer, «we's ne neuis am Volk glege wär, u we si selber o üsi Religion hätte, so wär es ne nit so graglych, wie mr plaget werde u wer predigi, u si würde o öppis dazu welle säge, daß me-n-is üsi Religion rüihig löy.»

Darauf sagte der Statthalter, man könne nichts gegen die Versammlige mache, das sei gegen die Verfassig, die sage ausdrücklich, es könne ein jeder glauben, was er wolle. Der Gemeindvorsteher, der eine Mugge auf den Statthalter hatte, meinte, es heiße nicht in der Verfassung, daß ein jeder machen könne, was er wolle, und hier sei von Machen die Rede; aber man sollte allbeinisch meinen, die Verfassig erlaube alles, und ein jeder Halunke tröste sich mit der Verfassig.

Bis dahin hatte man einen Mann in einem Winkel übersehen, der hinter einem halben Schoppen Branntwein saß und ihn eben nachfüllen hieß; es war ein Schneider und ein Prediger; der erhob zornig seinen Mund und schrie: Sie sollten nur reden und machen was sie könnten, sie verdammte Seelen, aber abbringen werden sie nichts, sie Landlümmel. Gott wolle es, daß man sie müsse machen lassen; alle Tage nehmen die Brüder zu; der bessere Teil der Regierig sei auf ihrer Seite und bald werden sie die Mehreren sein; dann wollten sie ihnen zeigen, was sie könnten; dann werden sie alle zwingen, ihre Versammlungen zu besuchen, ihren Glauben anzunehmen, und wer sich nicht wolle zwingen lassen, dem werden sie das Haus verbrennen, Nasen und Ohren abhauen und ihn aus dem Lande jagen.

Mit großer Mühe verhinderte ich ein blutig Märtyrertum dieses Unbesonnenen; aber ich verhinderte nicht manche wilde Rede, daß man sich selbst helfen müsse, während es noch Zeit sei, ehe entweder das Land verarmet, oder die Macht dieser Verrückten Meister geworden sei.

Wie es einem verständigen Menschen ziemet, dachte auch ich über diese Dinge alle nach. Ich bin ein Ungelehrter, aber in meinem schlichten Verstand schien mir hier Irrtum zu herrschen. So wie die Menschen in einem bürgerlichen Verband unter bestimmten Gesetzen zusammen leben, so leben auch die Christen zusammen in einer äußerlichen Gemeinschaft und dienen gemeinsam ihrem Gott; diese Gemeinschaft nennt man Kirche. In einem christlichen Staat gehört auch die Obrigkeit zu dieser Gemeinschaft, zu dieser Kirche; sie ist nicht über dieselbe erhaben. In jeder Gemeinschaft muß Zucht und Ordnung aufrecht erhalten werden, sonst zerfällt sie; und in keiner Gemeinschaft duldet man die, welche öffentlich Umsturz, Auflösung dieser Ordnung predigen. In jeder Gemeinschaft sind solche, welche über Aufrechthaltung der Ordnung wachen und für fortdauerndes stetiges Reformieren, daß Revolution nie nötig werde; denn nur da entsteht Revolution, wo man das Reformieren vergißt. In unserm Lande soll die weltliche, bürgerliche Obrigkeit, die auch zu der Kirche gehört und nicht über derselben ist, dieses Amt üben und wie über das Wohl des Staates, über das Wohl der Kirche wachen. Tut nun aber dieses die Obrigkeit nicht und läßt gegen die bestehende Kirche, wohl verstanden, nicht gegen den Staat, jeden vornehmen, was ihm beliebt, oder hält nur die in Zucht und Ordnung, welche für die Kirche sind, und läßt die nach freier Willkür schalten und walten, welche öffentlich oder insgeheim gegen dieselbe sind, so geschehen drei Dinge:

1. Die Obrigkeit erhält den Schein, als ob sie sich selbst von der Kirche (es ist nicht vom Glauben die Rede) losgesagt, oder daß sie ihre Auflösung wünsche.

2. Das Volk, welches auf der einen Seite weder Kraft noch Willen sieht, kriegt Respekt vor denen, welche mit eisernem Willen und wilder Kraft das, was sie als das Rechte ausgeben, ausbreiten und aufrecht erhalten und nach ihrer Weise fest sich selbst regieren, nach ihrer Weise unter sich Ordnung halten und Zucht. Vom Respekt zum Beifall ist ein kleiner Schritt.

3. Die der Kirche treu Bleibenden, die sich täglich müssen lästern hören ungestraft, vermissen bitter den nötigen Schutz und werden zu dem bösen Gedanken verleitet, durch eigene Faust sich Schutz zu verschaffen, Recht und Pflicht, welche die Obrigkeit nicht ausübt, wieder an sich zu nehmen und nach ihrer Weise Ordnung aufrecht zu erhalten und Zucht. Wo die Gesetze oder ihre Handhabung zu dem Kulturzustand der Völker nicht passen, entsteht das Lynchgesetz der Amerikaner, das heißt die Selbsthülfe, und von dieser haben wir bereits lebensgefährliche Beispiele.

Inwiefern diese drei Dinge den Zwecken eines christlichen Staates förderlich sind, mag jeder Unbefangene entscheiden. Welche Wirkung sie in unserm Ländchen haben werden, sieht jeder voraus, der im Volke lebt, aber nicht der, der nur seine Zwecke vor Augen oder seine Theorien im Kopfe hat. Es ist merkwürdig, daß man an Orten den Religionsunterricht nur in Primarschulen als ein Hauptfach betrachtet, in höhern Schulen aber als ein Nebenfach.

Wahrhaft übel steht es mit einem Staate, wo alle Interessen mit einem juridischen Hute zugedeckt werden sollen, aber noch übler, wo jeder, der nur von weitem am Staatsruder gerochen, alle mögliche Intelligenz in sich zu vereinigen glaubt, und zuerst jedem andern Stand als dem seinigen und dann noch jedem seines eigenen Standes außer sich selbsten mißtraut und öffentlich oder zwischen den Zähnen alle Rechtlichkeit ihm abspricht.

*

So weit hatte ich vor vier Wochen geschrieben; seither schüttelte mich das Fieber und mein Arm zuckte gar schmerzlich; getreulich warten mir die Kinder ab. Mein Anneli kam mir immer vor die Augen und ich mußte singen und wieder singen: «O Blüemeli my, o Blüemeli my, chönnt i bald by dr sy». Wo das aus will, weiß ich nicht.

Die Wirtin springt herauf, was will sie wohl? Der Gemeindschreiber sei gestorben, sagte sie mir; der Vorsteher werde kommen und mir anhalten, daß ich die Stelle übernehme. Das Fieber schüttelte mich heftiger, Anneli kömmt mir näher, winkt mir deutlicher. O Blüemeli my! Ich höre die Tritte des Vorstehers; dem will ich diese Schrift übergeben, daß er sie drucken lasse, wenn ich sterben sollte; er ist ein braver Mann, er hält, was er verspricht.

Er hat sie, hat mir alles versprochen, aber gesagt, es sei unnötig, ich werde nicht sterben. Nun, Herr, wie du willst, nicht wie ich will; mein Testament ist gemacht. Gehe es zum Leben oder zum Tode, Herr, so befehle ich meinen Geist in deine Hände!


 << zurück weiter >>