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Wie ich zu Geld, einem Erbe, einer Kutte, und fast zu einer Weltsche kam

In demselben fand ich meine Bankscheine wieder, wußte aber nicht, ob sie noch gültig seien; ich wußte, wie es in der frühern Revolution mit dem Papiergeld gegangen war. Der Wirt konnte mir nichts von dem Zustande Frankreichs sagen; er lese keine Zytig, meinte er, und man hätte schon zu viel an dem, was hier vorgehe, als daß man sich noch darum bekümmern sollte, was dort vorgehe, wo es einen nichts angehe. Ich frug nach jemandem, der mir Auskunft geben könne.

Er wies mich zu einem, der gar e gwundrige und e politische sei, und vier Zytige lese. Ich ging und fand einen langen schwarzhaarigen und -bärtigen Mann, die Hände in den Seitentaschen des pelzkragichten Rockes, mit einer blauen Brille auf der schlanken Nase; der frug gar manierlich, die Achseln hoch hinaufziehend, nach meinem Begehren. Ich trug ihm die Bitte vor; er fragte mich um die Ursache meiner Bitte. Etwas ungern sagte ich ihm, daß ich Scheine einzuwechseln hätte und eine Reise machen möchte zu einem Freund, von dem ich vermute, daß er krank sei, daß ich aber nicht wüßte, wo ich könnte wechseln lassen. Der Mann, ein obrigkeitlicher Fecker, war bekannt mit Geldgeschäften; da er keine Kinder hatte, so hatte er seine Freude an andern Dingen; er erbot sich, das Geschäft für mich zu besorgen, und mißriet mir die Reise gar sehr, bis ich gründlich hergestellt sei.

Er bestellte mich auf einen andern Abend, um sich von einem Augenzeugen die Julitage erzählen zu lassen, und ermahnte mich einstweilen, an Bonjour zu schreiben, wenn ich nämlich schreiben könne; sonst wolle er es für mich tun. Ich nahm sein Erbieten an, da ich wohl recht gut schrieb, aber im Spital kaum zum Schreiben gelassen worden wäre.

Mit Vergnügen hörte mir der Fecker zu. Da er wahrscheinlich in mir einen verständigen Mann fand, und er selbst eben so gerne erzählte als zuhörte, so erläuterte auch er mir die Verhältnisse im Vaterlande, die mir durchaus unbekannt waren. Er gehörte zu den sogenannten Liberalen, war der Aristokratie abhold, und wollte aufrichtig das, was er für das Beste hielt. Er machte aber weder die Aristokratie zu lauter Teufeln, noch vergötterte er das Volk, oder vielmehr die größten Schreier desselben. Er gab sich alle Mühe, von jeder Leidenschaftlichkeit sich frei zu halten, und jedem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; darum sahen ihn auch die Weißen und Schwarzen in seiner Gemeinde mit scheelen Augen an, und keiner traute ihm recht, weil er keinem unbedingt recht gab, unbedingt sich anschloß. Er beurteilte die allgemeinen Verhältnisse weit sicherer als die meisten; aber die meisten glaubten trotz seiner klugen Urteile, er hätte keinen Verstand.

Der Fecker tröstete sich aber darüber sehr leicht; er sagte: Ehedem hätten die Aristokraten geglaubt, der liebe Gott gebe die Weisheit den Seinigen im Schlafe; nun hätten die Leute gewechselt, aber der Irrtum sei geblieben und das Hochtragen der Köpfe.

Wir brachten mehrere vergnügte Abende bei einander zu, wo wir uns ordentlich verschwatzten. Der Spitalknecht war bitterböse darüber; er meinte, ich lasse eine Klageschrift dort gegen ihn machen, und sagte, ich könne hinunterlaufen so viel ich wolle, es solle mir nichts nützen. Er könnte es mir verbieten, zum Fecker zu gehen; allein er fürchte sich nicht; der schwarze D. hätte ihm nichts zu befehlen, und wenn der etwas mache, so wolle er es ihm eintreiben. Auch die Frau Feckerin, die mit der Suppe warten mußte, wenn ihr Herr recht im Schwatzen war, hörte ich einmal sagen, als man mich anmeldete: «Was wott dä Dampi o gäng by dr?» Das machte mir Mühe. Als sie mich aber einmal einen Teil meiner Geschichte erzählen hörte, ward sie recht freundlich und hieß mich oft wiederkommen. Geld hatte ich eingewechselt, aber noch keine Antwort von Bonjour; ich hatte ihm selbst geschrieben, und auch umsonst. Gestärkt durch die freie Luft und manches Glas Wein, das ich aus meinem Gelde trank, rüstete ich mich zu einer Reise nach meinem alten Freunde, den ich nun bald ein Jahr lang nicht gesehen.

Alle Abende ging ich auf die Post, wo ich gewöhnlich den Fecker traf, zeitungs- und briefsbegierig. Zwei Tage vor meiner Abreise fand ich dort einen großen Brief an mich von fremder Hand mit unbekanntem Siegel. Es war eine Ankündigung der Behörde, daß Bonjour gestorben und ich zu seinem Erben eingesetzt sei. Der Schlag traf mich hart; ich hatte einen zweiten Vater verloren, so lange mich nach ihm gesehnt, auf das Wiedersehen mich gefreut, und wieder alles eitel; wieder eine Warnung, daß all mein Hoffen, alle meine Träume eitel seien und bleiben sollten immerdar. Am tiefsten ergriff mich der Gedanke, wie sehr mein guter Wohltäter nach mir verlangt, sich gehärmt habe, als er keine Antwort erhalten und, durch seine Krankheit gelähmt, nicht nachsehen konnte, was mir fehle. Denn daß mir etwas begegnet sei, das wußte er wohl; er war meiner zu sicher, als daß er hätte glauben können, von mir leichtsinnig vergessen, hintangesetzt worden zu sein. Um so schmerzlicher mußte ihm sein Leiden und die Angst um mich sein, den er mehr als seinen Sohn liebte, der sein Stolz war, den er zu seinem andern Selbst gemacht. Im Briefe ward ich aufgefordert, selbst zu kommen, mich zu legitimieren und das Erbe zu erheben. Ich konnte nicht alsobald abreisen; der tote Mammon zog mich lange nicht so, wie mich der lebendige Freund gezogen hatte. Die Trauer lag mir wie Blei auf meinen matten Gliedern, und drückte mich nieder. Ich fühlte mich aufs neue verwaiset und verlassen; doch kräftigte mich, ich will es frei gestehen, das Gefühl, Eigentum zu besitzen, und auf diese Weise nicht ganz verlassen, hülflos zu sein. Was ich gespart, war nicht bedeutend; zur Landarbeit war ich jetzt unfähig geworden.

Was ich nun vorzunehmen hätte, daran dachte ich nicht; ich hatte das mit Bonjour ausmachen wollen, auf dessen Einsicht und Klugheit ich mich verließ. Nun war er gestorben; ich wäre der Barmherzigkeit oder Unbarmherzigkeit der Menschen preisgegeben gewesen, wenn er nicht an mich gedacht hätte noch vor seinem Tode. Ich bekam ordentlich das kalte Fieber, wenn ich daran dachte, daß es mir so nahe gestanden, bei meiner körperlichen Gebrechlichkeit, von der ich mich vielleicht nie mehr erhole, im Spital zu leben und zu sterben. Es war mir eine Freude, denken zu dürfen, selbständig zu bleiben und mit Bequemlichkeit etwas anfangen zu können, ohne gerade auf den Kreuzer sehen zu müssen. Ob dem Gelde vergaß ich den Verstorbenen nicht; aber ich verachtete seine Gabe nicht, sondern dankte sie ihm noch im Grabe von ganzem Herzen. Dem Fecker teilte ich mein Leid und mein Erbe mit. Von dem letzten riet er mir einstweilen nicht zu reden; ich lerne meine Leute noch besser kennen und bewahre mir am besten die rechte Unbefangenheit. Wir verabredeten mit einander, daß ich erst das Erbe behändigen solle, ehe ich mich zu etwas entscheide. Unterdessen hätte ich Zeit genug, mich ordentlich zu besinnen, und die Vorsehung eröffne mir vielleicht unversehens eine Bahn. Vom Fecker ging ich zum Schneider, um mir einen ordentlichen Rock machen zu lassen, damit ich mit Ehren erscheinen könne im narrochtigen Welschland. Erst hielt er sich über das Tuch lange auf, das ihm für einen, der im Spital gelegen, gar zu hoffärtig vorkam. Der gute Mann gab wahrscheinlich auch einige Batzen Steuer an die Armen, und da ärgerte es ihn, daß einer, der von seinen Batzen genossen, besser gekleidet sein sollte als er. Darin hatte er nun so unrecht nicht, desto mehr aber im folgenden. Wir Gardesoldaten waren gewohnt, uns gut zu tragen; unsere Uniformen waren nicht so von ungefähr gemacht, hingen nicht um uns wie Säcke, sondern waren mit Sorgfalt gearbeitet und mußten dem Mann passen, seine Gestalt hervorheben, durften weder hinten noch auf den Achseln Falten werfen, oder ein Ärmel anders eingesetzt sein als der andere. Mein Schneider wollte nun erst lange nicht versprechen, den Rock so zu machen, wie ich ihn haben wollte; er behauptete, in Frankreich könne man seinethalben die Röcke machen, wie man wolle; hier aber mache man sie, wie es der Brauch sei. Endlich, als ich weiter wollte, meinte er, wenn ich es zwängen wollte, so könnte er es auch machen, so gut wie ein anderer. Gut, ich gab ihm noch einen Rock zum Muster. Als ich den neuen anprobierte, war er die merkwürdigste Karrikatur von der Welt und hing um mich, wie eine Kapuzinerkutte. Dem Muster war auch nicht die geringste Beachtung geschenkt worden. Auf meine Bemerkungen meinte mein Schneider: «Allweg sei es besser zu weit, als zu eng; wenn man im Winter zwei Mutzen übereinander anlegen wolle, so habe man doch Platz, und wenn man jedem Narren seine Kutte machen sollte, wie er es in seinem Narrengring hätte, so möchte der Teufel Schneider sein!» Ich wußte am Ende nichts besseres, als dieser Kutte loszukommen wie ich konnte und mochte und mir an einem andern Orte eine andere machen zu lassen. Ich ärgerte mich zuerst über den Schneider, dann am meisten über mich. Ich hätte es wissen sollen, daß keine Arbeitsleute eigensinniger und einbildischer seien, als die, welche ihr Handwerk gar nicht verstehen und gewohnt sind, ohne Gedanken, als Maschine zu arbeiten, nach dem eingelernten Schlendrian. So ein Handwerker hat nicht den fernsten Gedanken an Vervollkommnung, sondern er meint, nicht nur sei er selbst vollkommen, sondern er mache auch alles vollkommen, verträgt durchaus keinen Tadel, und verpfuscht lieber eine Sache, als daß er sie verbessert. Solche Arbeiter gibt es aber in die Tausende, so wie es Millionen Christen gibt, die als Menschen keinen Fehler eingestehen wollen und an die eigene Vervollkommnung nicht denken.

Ich fand das kleine Vermögen meines Freundes nicht in der besten Ordnung vor, hingegen noch Abschiedsworte, die mich innig rührten, einzeln abgebrochene, aufgezeichnet in lichten Augenblicken, aber einzelne Bilder seiner treuen, biedern Seele, seiner Liebe zu mir und seines verhaltenen Schmerzes, an dem er starb, daß der kleine Korporal, der große Kaiser, nicht kommen wollte, vielmehr nicht kommen konnte. Gerne würde ich sie hieher setzen, wenn ich nicht zum Schluß eilen müßte. Es kostete mir viel mehr Mühe, mein Erbe zusammen zu treiben, als ich anfangs dachte; wenn ich schon etwas im Reinen zu haben glaubte, so stellte sich immer wieder etwas dazwischen und ich konnte lange nicht begreifen, was. Es war wie etwas Unsichtbares, wie ein Geist, der auf nächtlichem Wege die Pferde stettig macht, daß sie nicht vorwärts wollen. Endlich entdeckte ich diesen unsichtbaren Kobold; aber er hatte Fleisch, freilich etwas altes, und Beine, aber ein wenig krumme. Es war nämlich meines Wirtes Tochter, die sich immer zwischen mich und meine Abreise stellte, wenn ich dieselbe ohne sie unternehmen wollte. Sie war eine von denen gewesen, die oben hinaus wollen, ohne Ansprüche dafür zu haben; darüber war sie veraltet; um so verliebter ward sie, um so mehr ward ihr angst, sitzen zu bleiben; jedes Abendläuten schien ihr von dem Glöcklein auf dem Girizimoos her zu kommen, welches die alten Töchter auf der ganzen Welt zum Kaffee zusammenklingelt. Ihre Mutter teilte die Angst mit ihr und vergrößerte sie noch, und sagte ihr alle Abend: « Mais mon Dieu, Susette, encore un jour passé!» Der Vater hätte ihren Abschied auch nicht ungerne gesehen, weil er an seiner Frau Weibervolk genug im Hause, an ihren Launen genug zu tragen hatte; und eine liebesüchtige, aber übellaunige Tochter ist für manchen Vater ein schweres Kreuz. An mir glaubte sie endlich einen sichern Fang getan zu haben. Nicht daß ich ihr Anlaß zu diesem Glauben gegeben hätte, allein ich war eine bête allemande, die zum Glück französisch verstund, und ein Weltsch glaubt mit einer solchen bête machen zu können, was er will, und besonders, wenn sie auch weltsch kann. Trotzdem daß ich eine bête war, gefiel ich ihr, und mein Vermögen auch, und auf alle Fälle fing sie an, sich an den Grundsatz zu halten, daß einer besser sei als keiner. Diese drei nun hatten ein ordentlich Bündnis gegen mich geschlossen. Anfangs suchte man mich durch allerlei touchante Anlässe zu überrumpeln, und da dieses nicht half, so zog man Laufgräben um mich, ließ mich unbewacht keinen Schritt tun, und Susette beschoß mich mit zärtlichen Bomben und eindringlichen Leuchtkugeln aus ihren rotverbändelten Augen. Sie wußten durch tausenderlei Künste alle meine Geschäfte auf die lange Bank zu schieben. Als echte bête allemande merkte ich das ganze Spiel lange nicht und offenherzig gab ich dem Wirte alle Abende Bericht, wie weit ich gekommen, was mir für dieses oder jenes geboten worden, was ein Gläubiger mir versprochen, was ich ferner vorzukehren gedächte; so ward ihnen leicht, mir unter der Hand alles wieder zu verderben. Endlich fiel ich doch darüber, indem man es mir einige Male gar zu nahe legte. Ich wurde nun schweigsamer, vorsichtiger, und kam endlich zum Abschluß, so daß ich eines Tages meine Abreise ansagen konnte. Über die langen Gesichter, die versuchten und abgeschlagenen Stürme will ich schweigen. Dafür, wie ein ächter Weltscher, hielt mein Wirt durch eine unverschämte Rechnung sich schadlos; als diese richtig bezahlt war, schieden wir als gute Freunde von einander.


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