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Der Vater stirbt

Dieses Jahr und ein Teil des Winters verstrich ungefähr wie die frühern. Zu Ende März ging das Lehen aus, und mein Vater suchte ein neues. Etwas Eigenes vermochte er nicht mehr. Das Lehen hatte ihn bereits fast zwei Drittel seines Erbteils gekostet.

Im Winter mußte er dem Hausbauer noch sein Holz rüsten, und dieser bestand aus Bosheit darauf, daß eine große Buche an einem steilen Abhang gefällt werden solle.

Es war kalt und hartgefroren, als mein Vater nach dem z'Morgenessen sich rüstete, mit dem Knecht in den Wald ans Holzen zu gehen. Die Mutter sagte noch: «Benz, i wett nit ga, dä alt Schelm wird wohl warte.» Der Vater achtete auf diese Rede nicht, nahm noch etwas Werkzeug mit und machte sich fort. Es war noch nicht Mittag, als der Knecht atemlos dahergelaufen kam, dem Stalle zustürzte, im Vorbeigehen uns zurief, es solle eins zum Doktor laufen, der Vater habe beide Beine gebrochen. Als sie die gefällte Buche schneiteten, war sie auf dem glatten Boden nicht genug verstellt und so wie mein Vater einen Ast abhieb, schoß sie den Berg ab, drehte sich an einem Stock und ergriff den Vater, ihm beide Beine zermalmend. Ach, ich sehe ihn noch, wie man ihn auf dem Schlitten daherbrachte, blutig über und über und schmerzlich wimmernd, wir alle laut schreiend und kaum imstande, ihn in die Stube aufs Bett zu tragen, während der Bauer, dem er die Buche gefällt, tubackend aus dem Läufterli g'wunderte. Ohnmächtig brachten wir ihn aufs Bett und wußten nichts anders zu machen, als ihn einzudecken, damit er erwarme. Dort kam er endlich zu sich und sagte leise: «Trinken!» Die Mutter brachte, was sie hatte, und wir freuten uns schon, es bessere, und sagten es ihm auch und wollten ihn trösten, der Doktor werde bald da sein und ihn ganz gesund machen. Allein er schüttelte den Kopf, stöhnte wieder, daß es uns durch Mark und Bein ging und ich es in der Stube vor Angst nicht mehr aushalten konnte. Ich stieg auf einen Haufen Holz, um zu sehen, ob der Doktor nicht kommen wolle; allein ich sah niemand. Es ging lange, unendlich lange, es kam niemand; ich erstarrte, ich merkte es nicht. Endlich, endlich kam meine Schwester daher allein und berichtete, der Doktor werde bald da sein, er sei nur noch da unten am Berge ins Wirtshaus gegangen, sagend, er hätte da etwas zu tun; wahrscheinlich werde er noch einen Schoppen trinken. – Herrgott, einen Schoppen trinken, und ein Mann hat beide Beine gebrochen! Endlich, nach einer Ewigkeit, kam der Doktor; er schnitt dem Vater die Hosen vom Leibe und fand die Knochen fast bis an die Hüften zersplittert. Es schien ihm ein Wunder, daß er jetzt noch lebe und prophezeite seinen baldigen Tod. O, wie wir da alle schrieen und jammerten, und die Mutter am meisten! Sie fühlte vielleicht, daß sie nicht gewesen war, wie sie sein sollte; sie jammerte immerfort: «Ach Benz, Benz, stirb nit, du darfst nicht sterben, denk o an dini Ching; o Benz, Benz, i will ganz e-n-anderi werde, i will der kei Verdruß meh mache!» Ach, zu spät! Benz hatte den Ausspruch des Doktors wohl vernommen; er sah uns wehmütig an und streckte der Mutter die Hand dar. Wir alle faßten sie und wimmerten: «O Ätti, stirb nit, o Ätti, du darfst nit sterbe!» Aber der Ätti hörte uns schon nicht mehr; Gott im Himmel hatte sich seiner Leiden erbarmt und ihn fortgenommen. Nun war ein Herzenleid, das ich nicht beschreiben kann. Der Vater war, bei allen seinen Schwächen, uns doch lieb gewesen, besonders mir, und sein Tod war so unerwartet, so schrecklich! Wie der Tag verging, weiß ich nicht, und was in den darauffolgenden sich zutrug, weiß ich auch nicht. Nur das weiß ich, daß ich mich immer ins Stübchen schlich, wo er lag, und dann von neuem zu weinen anfing, so daß mich niemand besänftigen konnte. Am vierten Tage wurde er begraben; von seinen Geschwistern begleitete ihn nur der dümmste der Brüder und auch der Bauer, der bis dahin kein Lebenszeichen gegeben, ging mit, nachdem er tüchtig Käse, Brot und Wein, welches die Mutter aufgestellt, zu sich genommen hatte. So begrub man den Vater; wir waren nun Waisen und sollten es erfahren.


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