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Der schöne Tag

Es riß mich hinaus in die schöne Welt. Es war ein wunderschöner Maimorgen, ein echter Herrgottstag für die Vögel des Himmels und jedes fühlende Menschenherz. Es war zweiunddreißig Jahre, daß gerade auch so ein Morgen und ich acht Jahre alt war. Damals wanderte ich mit munterem Herzen und einem schönen Halstuch der Bettlergemeinde zu, und die Amseln tanzeten vor mir her mit ihren hellen Stimmen und schönen gelben Schnäbeln. Aber das muntere Herz und das schöne Halstuch schwanden, trotz allen schönen Verheißungen, mit denen die Mutter mich munter gemacht, und zweiunddreißig Jahre verflossen in derbem Ringen mit der Welt und mir selbst. Ich wanderte wieder mit munterem Herzen heute in die Welt hinaus und labte mich an Gottes Wunderpracht. Das Herz war mir offen, darum auch die Augen, die mit inniger Wonne schweiften von den grünen Buchenhügeln zu den in allen Farben lachenden Wiesen und über die schwellenden Fruchtfelder. Was doch in einem Zeitraum von zwanzig Jahren erfunden, geschaffen wird und besonders in unsern Tagen! Und die Menschen, die mitten in diesem Schaffen wohnen und selbst schaffen, merken es nicht und klagen über schlechte Zeiten, schweren Erwerb usw. Die ganze Landschaft schien mir umgewandelt. Neue Häuser glänzten überall zwischen wohlunterhaltenen Bäumen hervor, die nicht mehr voll Moos und Misteln waren. Große Scheiben, helle Fenster zeugten von helleren Menschen, und blaue Schieferdächer von vorsichtigen und klugen. Und waren das die magern Äcker noch, die früher gähnten und ermatteten, wenn sie einige Grasstengel tragen sollten, und jetzt bedeckt mit bürstendichtem, knietiefem Grase, oder mit dem zarten üppigen Klee, der Kühe Zuckerbrot? Erdäpfelfelder streckten sich in ihrem dunkeln Grün weit hin, wo ehedem nur einzelne Stauden gestanden in wehmutiger Magerkeit.

Und was bedeckte denn die öden Weiden, wo früher die Besenreiser wuchsen, die Schrecken der ungehorsamen Kinder, die Wünschelruten der gerne fegenden und putzenden Weiber; was bedeckte die mageren Halden, wo ehedem ein paar Schafe zwischen Leben und Tod am Hungertuche nagten, oder einige Kühe ihre Rippen als stumme Seufzer Gott weit, weit entgegenstreckten, daß er sich ihrer erbarme und Regen gebe und Fruchtbarkeit? Dort glänzte es nun in rötlichem Schimmer, und wiegte im Winde sich wie ein Fruchtfeld. Es war die freigebige Esparsette, ein neuer Segen Gottes für die Kühe und für den Bauer, ein Segen Gottes für das ganze Land, der neben den Erdäpfeln für die wachsende Volksmenge noch lange genug Speise schaffen wird. Bis an die Spitze der rundlichten Hügel hatte der Fleiß der Menschen gereutet und gebaut. Es war das gleiche Land wie ehedem, und doch wie ganz anders jetzt! Damals einem alten ausgetrockneten Weibe gleich, oder einem blassen, vierzigjährigen Mädchen, an das die Auszehrung sich gehängt und ihm aus den Augen sah, und jetzt nun eine üppige, strotzende Maid, fruchtbar und lebenskräftig. Und ich wanderte mit frohlockendem Herzen durch die Gründe, und stieg von Hügel zu Hügel, und labte bei jedem Schritt mich an neuer Pracht, und diese Labung tränkte die Seele mit neuer Kraft, und in dem Maße, wie die Augen sich ergötzten und freuten, trat mir auch meine Zukunft freudiger entgegen, und klarer gestalteten sich die Bilder, die ich mir von ihr entwarf. Aber des Morgens frische Kühle fing an der Sonnenwärme zu weichen; von der Stirne heiß rann der Schweiß, und der knurrende Magen mahnte, daß er gestern Abend nur ein Glas getrunken, und heute noch gar nichts. Ich sah mich um, wo wohl etwas zu haben wäre? Und wie ich genauer die Gegenstände betrachtete, heimelten sie mich; ich sah eine alte Eiche und noch das Hohl darin, das ich weiter ausgehauen hatte, um Rinderstaren auszunehmen, sah eine alte, hohe Tanne, auf der ich Eichhörnchen nachgeklettert war; ich sah, daß ich im Walde von Mareilis Mann war, Schattenseite, nahe unter dem Hause. Dort war ich willkommen, das wußte ich, und auch, daß meinem Magen sein Bellen gestillet würde. Ich stieg den Berg hinauf. Wie mich das alles heimelte: jede Latte, jeder Stock, jeder Ort, wo mich ein Knecht haaren wollte, oder ich einer Magd einen Streich gespielt! Aber auch hier hinter dem Hause hatte eine weise Hand vieles verbessert, urbar gemacht, besser benutzt; und dieses alles betrachtend, das Neue mit dem Alten vergleichend, stand ich vor dem Hause, ehe ich dachte.

Vor dem Hause saß ein stattlich Weib, glänzend in schönem, weißem Hemdeschmuck und den schön glatt gestrählten Haaren, Kraut rüstend. Es war Mareili, das schlanke, das nun breit und mächtig geworden war. Meine Schritte weckten es aus der emsigen Arbeit; es sah auf mit seinen klugen und guten Augen, und alsbald mich erkennend, schrie es auf: «Herr Jeses, Meiß, wie hesch mi erschreckt mit dym wüeste Schnauz; das ist aber nit brav vo dr, daß erst jetz chunst, u bisch scho lang deheim; i ha di i der Chilche gseh, u hät dr gwartet vor dr Tür, aber mr hei Dorf gha deheim, u-n-i ha hei müesse. Un daß im Spittel gsi bisch, ha-n-i nit e mal gwüßt, i wär susch cho u hätt dr öppis brunge, so ungern i nume a Spittel däihe, verschwyge de dry gah. Aber chum yche; was wotsch, was chan dr gäh? Es isch notti doch no brav vo dr, daß jetz chunst. I wills em Ätti säge u-n-em Ma, sie werde o Freud ha, u will dr öppis Warms mache.» Die rüstige Frau rührte sich noch mit der alten Gewandtheit, und der Alte kam, ein achtzigjähriger, silberweißer Greis, grad auf und reichte mir frohgemut die mächtige feste Hand; auch der Sohn, der sich unter Mareilis Pflege gestärkt hatte, hieß mich willkommen. Und bald kam die Kaffeekanne und die geblümten Tassen, der gelbe Käse, das küstige Brot; und es war mir, als lange ich eben mit dem Großvater von der Bettlergemeinde an, und Mareili warte uns wieder auf wie damals. Alle balgeten mit mir über mein «Tublen», und daß ich nicht gleich anfangs zu ihnen gekommen; es wäre mir bas gsi, als im Spittel. Und sie erzählten, und ich erzählte, und Mareili wußte auf wahrhaft merkwürdige Weise ihre Geschäfte abzumachen und zuzuhören, manche Erzählung zu ergänzen; eine Verbindung, welche selten Menschen verstehen, am wenigsten Dienstmägde beim Brunnen. Der Morgen war um, ehe wir daran dachten. Die Kinder sammelten sich um uns, schöne Bursche, lustige Mädchen, die mich anfangs von der Seite gschauten, dann der Mutter an die Hand gingen, ohne Jasten, ohne Geräusch. Jedes wußte seine Arbeit, tat sie ab, so geschwind als möglich, aber ohne Zappeln und überflüssiges Schießen; es war eine wahre Freude, wie das alles ging, so fest, so sicher, und doch so geschwinde. Nach dem Essen brachte Mareili die große weiße Flasche mit den schönen Blumen, die ich schon als Knabe so oft bewundert hatte, und die Gläser mit den geschliffenen Namen, in welchen der alte Lacote noch einmal so gut schmeckte. Der Alte erzählte von dem Tode der Mutter (seiner Frau), was sie gesagt, und wie er sie vermissen würde, wenn er nicht ein Süniswyb hätte, wie es keines mehr gebe. Mir ging auch das Herz auf; ich vertraute ihnen an, daß ich etwas Vermögen hätte, erzählte ihnen meine Angst und Not um einen Beruf oder Posten und die Räte des Feckers. Sie nahmen teil an Leid und Freud, konnten aber des Feckers Meinung gar nicht begreifen, was ich so nützen könne und solle. Ich solle einstweilen bei ihnen bleiben, meinten sie; sie hätten mir auch allbeinisch etwas zu schreiben, und wenn es schon nicht gedruckt würde, so werde es mir doch nicht durchgehechelt; denn es sei ja heutzutage nichts recht, was man sage, geschweige denn, was man schreibe. Wolle und könne ich etwas erzählen, so würden es ihre Kinder so gerne hören, als Wirtskinder, und noch sie dazu würden es hören; sie mangelten auch jemand, der ihnen allbeinisch kurzi Zyti mache. Es ist merkwürdig, wie es im Menschenleben geht. Wäre ich zuerst bei ihnen eingekehrt, ich hätte mich nie nach einem Beruf oder Posten umgesehen; mir wäre wohl bei ihnen geworden, und ich hätte nichts besseres gewußt. Wäre ich in meiner Zerknirschung über die Polizeiflemmete zu ihnen statt zum Fecker gegangen, so hätten ihre Vorschläge mir einen Himmel aufgetan; ich wäre wochenlang oben geblieben, um mich niemand zu zeigen, und während dieser Zeit hätte ich mich droben so eingewöhnt, daß ich nicht mehr fortzubringen gewesen wäre. Nun war es ein anderes. Schon hatte sich in mir festgesetzt das Bild eines anderen Lebens; meine Wünsche waren auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, und meine Einbildungskraft hatte bereits ein bedeutendes Stück an der erwarteten Zukunft auferbaut, und die ist gar verzweifelt eigensinnig und reißt nicht gerne begonnene Arbeit ein; sie läßt sie nur zertrümmern. Ich konnte daher nicht mehr «Ja» sagen, so wohl es mir da ward, so weh es mir tat, den guten Leuten weh zu tun, und mein Leben nahm eine andere Richtung. Wer hat nicht schon bemerkt in seinem Leben, wie anscheinend kleine Zufälligkeiten die bedeutsamsten Wendungen erzeugten; einen Tag früher hier und der lebendige Jeremias hätte kaum je den schriftlichen geboren; er hätte in stiller Behaglichkeit unbemerkt sein Leben verbracht, allerdings ruhiger, kaum glücklicher, auf alle Fälle aber unnützer. Ich blieb oben, bis der Mond golden aufging am abendlichen Himmel; es kostete Mühe, mich loszureißen von den herzigen Leuten; aber das versprach ich ihnen und mir, recht viel oben bei ihnen zu sein. Man lacht über den Mondschein und gar nüchterne Leute sagen, es grause ihnen darob. Bequeme Leute finden, es sei eine bequeme und wohlfeile Laterne, wenn sie aus dem Wirtshaus kommen und das Stolpern nicht wohl mehr erleiden mögen; und jener Franzose meinte, als er im Winter, da Vollmond war, an einem Weiher stand, um sich zu einem Gedicht begeistern zu lassen, er sei gar höllisch kalt. Aber wer ist nach einem glücklich durchlebten Tage im Mondenscheine heimgegangen und hat nicht einen eigenen Frieden in sich empfunden, sich leicht und wohl gefühlt, und sein Herz zu den weichsten und schönsten Empfindungen gestimmt, oder zu den kühnsten Beschlüssen begeistert? Man gehe lange in finsterer Nacht; in der Nacht ist dieser Friede nicht, sind die hochherzigen Gefühle nicht; man gehe im Sonnenschein, da kommt der Schweiß, die Mühe, und das helle Licht entschleiert das Störende, was allenthalben auf der Erde ist. Aber in des Mondes Licht gießen die Züge des Friedens über die Landschaft sich aus; verhüllt bleibt das Häßliche und aus derselben tritt hervor das Hehre und Großartige, oder das Liebliche und Sanfte; und dieser Ausdruck der Erde ist's, was dem empfänglichen Herzen die gleiche Gestaltung gibt. So wanderte ich heim, tief beglückt in des Herzens Gründen. Wieder hatte ich Leute gefunden, die mich noch liebten, obgleich sie über mich zürnen sollten; hatte wieder ein heimisches Haus, bei dessen Anblick ich denken durfte: Dort darfst du willkommen eintreten. Weggehen schmerzt wohl zuweilen, aber größer als der Schmerz ist doch die Freude, zurückdenken zu können, daß man hinter sich Freunde habe. Da schaut man um so mutiger vorwärts; und wenn eine Aufgabe zur Lösung uns vorliegt, so fühlt man mächtiger in sich das Brausen der Kraft, welche der Arbeit und dem Kampf sich entgegendrängt; und heller erglänzt das Auge, höher und freier hebt sich der Schritt, wie dem Pferde, das Trompetenschmettern hineinruft in die heiße Schlacht. Ich war wieder der alte, der als Flügelmann seiner Compagnie in Paris' engen Straßen furchtlos stand, furchtlos durch die Barrikaden drang; das Gleichgewicht war hergestellt in mir; die Besonnenheit, der feste Wille thronten wieder über den verletzten Gefühlen, diese waren geheilt. Als ich heim kam endlich, da dankte ich Gott inbrünstig für das Glück dieses Tages und die erhaltene Kräftigung. Ich gelobte, nie mehr zu verzagen, nie mehr durch irgend eine Torheit der Menschen mich entmutigen oder erbittern zu lassen, sondern in Liebe und Geduld sie zu tragen, aber nie auch laß zu werden in der Sanftmut, die mit leiser Hand die Fehler der Mitmenschen mildern, heilen will.


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