Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie ich an den Menschen mich zu rächen suche

Aber Menschen suchte ich auf, auf sie einen Teil dieser Schuld zu wälzen. Ich fand den Arzt zunächst, der nicht dem Rufe alsobald gefolgt war, der sich dann gebärdet hatte wie ein Metzger und nicht wie ein Arzt. Dann glaubte ich wieder den Bauer an allem schuld; hätte er mich nicht um meinen verdienten Lohn betrogen, so würden wir Eheleute gewesen sein, und ich wäre sicher näher bei der Hand gewesen. Und wieder warf ich der Gemeinde die Schuld zu, die mich an meine Schuld nicht gemahnt, die da auf Kosten eines armen Kindes habe aufmachen lassen, was jedem gefallen. Und am Ende dachte ich noch an die Regierung, warum die so schlechte Ärzte nicht nur dulde, sondern sogar bestelle, die einen um Geld und Leben brächten, und warum sie die Gemeinden also es treiben ließen? Und eine unendliche Bitterkeit quoll in mir auf, und eine Rachsucht glühte in meinen Adern, die mir keine Ruhe ließ. Hatte ich den Arzt im Auge, so wollte ich ihm einmal alle Knochen entzwei schlagen und ihm mit seiner Zange auch abreißen an seinem Leibe, was lassen wollte. Dem Bauer, der nun wirklich Statthalter geworden, wollte ich öffentlich vorhalten, welch Duckenmäuser und Schelm er sei, ihm das Haus abbrennen, ihm Hanf und Flachs abmähen. Der Gemeinde wollte ich antun was ich konnte, sann darüber nach, wie ich mich aufzuführen hätte, daß ich sie in viele Schande und Kosten brächte; namentlich schien mir recht gut, wenn ich ihr eine Menge unehlicher Kinder aufladen würde, die sie dann zu erhalten hätte. Der Regierung wollte ich nicht gehorsam sein; aber ich sann umsonst über Streiche, die ich ihr spielen könnte; der wußte ich nicht recht beizukommen. Solche Gedanken brütend, strich ich umher des Nachts, und ohne daß ich daran dachte, führten mich alle Wege auf Annelis Grab. Dort lag ich Stunden lang in Liebe und Zorn, und allgemein ging das Gerücht, es sei wieder unghürig auf dem Kirchhof, und niemand hätte ihn nach zehn Uhr betreten, auch nicht der Pfarrer, nicht einmal nach einem kräftigen Gebet, wie der Pfarrer zu W. den Kirchturm.

Als Knecht war ich immer weniger wert. Nicht mein Dienst nahm nun meine Seele ein, sondern mein Schmerz und meine Rache; und das ist ein himmelweiter Unterschied, ob man bei etwas nur mit dem Leibe, oder auch mit der Seele ist. Da liegt der Grund der Überzahl schlechter Arbeiter, der Welt voll Pfuscharbeit, vom Niedrigsten bis zum Höchsten, von der vollbrüstigen Kühmagd bis zum ordentlichen Professor, oder gar bis zum erblichen König (man wird diese Zusammenstellung unhöflich finden, aber in bezug auf das «Melken» ist sie eine sehr natürliche); von einem Gartenbeet, einer Kochete Sauerkabis, einem Paar Schuhe bis zu einem Chuchbüchli, einem Polizeiministerium, oder gar einer Zeitungsredaktion. Wären die Leute mehr mit ihrem Geiste bei der Arbeit, so wäre auch mehr Geist in der Arbeit, und mehr Leben, denn im Geiste ist das Leben. Freilich haben viele Menschen wenig Geist; nur aus überflüssigen Abschnitzeln anderer besteht er; aber wenn sie noch den brauchten, den sie hätten, so wäre es besser als gar keinen. Darum lehret von Jugend auf die Menschen, mit ganzer Seele und von ganzem Gemüte bei dem sein, was sie machen; dann kriegt ihr ganz andere Menschen: andere Wäscherweiber, andere Professoren, andere Kindermädchen und andere Stallknechte, andere Zeitungsredaktoren und andere Pädagöglein. Eine gute Pfeife Tabak biete ich dem, der hier den Vergleichungspunkt zwischen den verschiedenen Gliedern findet. Wohlverstanden, von Baumeistern, Forstmeistern und andern Meistern, die weder mit dem Leibe noch mit der Seele bei ihrer Arbeit sind, rede ich gar nicht. Aber wer also lehren will, muß eben Geist haben, und dann mit dem Geist bei seiner Lehre sein.

Ich vergaß mein Vorhaben unter den Händen, ließ manche Arbeit halb gemacht liegen, lief davon weg; sah nicht mehr, was zu machen war, sah kein Werkholz mehr, das am Wetter lag, hörte nicht, wenn man mich rief; ich schien den ganzen Tag zu machen, und machte doch nur halb so viel als sonst. Mein Meister hatte Geduld mit mir und Erbarmen, und wenn ich bei dem leisesten Vorwurf auffuhr, so schwieg er. Immer mehr brütete ich über meine Rache, sie wurde mir zum festen Vorsätze; immer wilder sah es aus in meinem Gemüte, und immer zorniger sahen meine Augen auf alle Menschen.

Es ist merkwürdig, wie viel Unglück, wie viele Übeltaten der liebe Gott verhütet. Die Menschen jammern über viele Unglücksfälle, über viele böse Taten; sie wissen nicht, was sie tun; sie wissen nicht (sie würden erstaunen, wenn sie es wüßten), wie viele böse Folgen menschlicher Leichtsinn haben könnte, wenn Gott sie nicht verhütete. Wenn alle verleichtsinnigten Häuser abbrennen würden, die Sturmglocken würden nie schweigen; Strohhütten hätten wir bald keine mehr im Lande; und der Statthalter T., der herumgeht oder herumliegt, wie ein brüllender Löwe, der seine Besoldung zieht, den Eid geschworen hat, und doch mit Aufruhr droht, wenn das Gesetz über die Dachungen auch auf seine Verwandten soll ausgedehnt werden, würde die Pfeife einziehen. Wenn sie wüßten, wie viele Vorsätze keimen in der Menschenbrust, die nie zur Tat werden, wie viele böse Anschläge böser Menschen gegen Leben und Eigentum ihrer Brüder nie zur Ausführung kommen, weil der sie verhütet, der nie schläft, sie würden des Morgens inbrünstiger beten und mehr Vertrauen zu dem lieben Vater im Himmel haben.

Diese Wahrheit gibt sich mir kund, wenn ich nachdenke, wie viele böse Vorsätze ich in jener traurigen Zeit faßte, sie aber nie zur Ausführung bringen konnte. Wenn ich dem Doktor auflauerte, Wut und Rache voll, und ihn nicht geschont hätte, so kam er nicht des Weges, oder jemand anders war bei ihm; und wenn ich ein andermal ihm begegnete, so schickte es sich mir nicht, oder meine Seele hatte in diesem Augenblicke nicht die gehörige Spannung, die Tat zu vollbringen.

Wenn ich dem Bauer zu schaden ging, so wurde ich entweder nicht einig in mir, auf welche Weise es geschehen solle, oder ich sah Licht im Hause, oder ich wollte warten das Haus abzubrennen, bis es mit Früchten angefüllt sei, den Flachs schöner werden lassen, um die Kränkung zu verstärken; so war immer etwas, das mir im Wege stund, gerade wie man von Gespenstern faselt, die Reitern, welche ihrem Unglück entgegen reiten, mitten auf ihren Weg sich stellen, und sie nicht durchlassen wollen. Und wenn ich ausging, die Gemeinde zu kränken; wenn ich Mädchen verführen, unschuldige Kinder in die Welt bringen wollte, damit sie als Plagegeister, verwünscht von der Geburt an, der Gemeinde auf dem Halse lägen; wenn ich damit das furchtbarste Verbrechen begehen wollte, das der Mensch gegen den Menschen vollbringen kann; so trug mein Fuß mich nie zu einer Gadentüre: auf Annelis Grab fand ich mich wieder; von dort trieben die Geister des Morgens mich nach Hause. Auch ins Wirtshaus ging ich, um da Bekanntschaft zu machen und am Tage anzubahnen oder zu vollbringen, was ich des Nachts nicht vermochte. Aber wie viele der Mädchen auch waren, wie lockend sie nach mir hinsahen, wie nahe sie an mir vorbeistrichen, wie holdselig sie mir untere guckten und liebliche Reden führten mit zartlichen Augen in deutlicher Manier, wie anzüglich ich ihnen auch antworten wollte – es war etwas im Halse, das mir die Stimme brach und die Worte verhauchte. Und wenn ich schon nach ihnen die Hand ausstrecken wollte, zwischen mir und ihnen war etwas, durch das ich nicht kommen konnte; und dann fing es mir an zu grauen, von den Mädchen floh ich weg, floh, wenn die Wehmut Meister wurde, weit weg, wo Menschen mich nicht störten. Wallte aber die Bitterkeit oben auf, dann konnte ich die Menschen nicht verlassen, denen ich Böses mit Bösem vergelten wollte. Hinter eine Flasche Wein pflanzte ich mich und sah mit giftigen Augen ins Menschengewühl, sehnte mich nach einer Gelegenheit, den innern Groll loszulassen von seinen Fesseln, Lärm und Unglück anzustellen, Köpfe zu zerschlagen. Wo mir dann nur ein uneben Wort fiel, mich einer nur ansah, daß es mir nicht gefiel, da hatte ich Streit und Kampf. Weil ich nun keine Kameradschaft hatte, hingegen nach und nach viel Feindschaft, so stund ich gewöhnlich einzig, und wenn ich auch nur mit einem anfing, so hatte der gleich viele, die ihm halfen. So gab es richtig eine Schlägerei, besonders wenn ein gewisser Landjäger da war, der solche an allen Orten einzurichten wußte, um klagen, Buße ziehen zu können. Sobald Schläge fielen, war's mir weit ums Herz und wohl; geprügelt wurde ich allemal tüchtig, blutete immer, wurde aber doch nie besiegt, räumte oft in der ganzen Stube auf. Als bekannter Händelmacher hatten mich die Landjäger nicht besonders auf der Mugge; ich wurde daher von ihnen nie so verklagt, daß ich entfernt worden wäre; und weil ich meist gegen einen ganzen Haufen stritt, so schämten sich meine Gegner, mich zu verklagen; und wenn sie auch klagten, so hatte ich mehr Wunden aufzuweisen, als ein einzelner von ihnen, erschien somit als die unterliegende Partei und kam meist vor dem Richter fast ungeschlagen durch, schlief aber nie wohler als mit einem halben Dutzend Löcher im Kopfe, wie ein Vollblütiger nach einem Aderlasse.

Mein Meister hatte zum Teil Freude daran, einen so starken Knecht zu haben, aber doch Erfahrung genug, zu wissen, daß das nicht immer so ablaufen werde. Er warnte mich öfters, doch umsonst. Er reisete Mareili, als es einmal z'Dorf kam, hinter mich, und Mareili war so teilnehmend und freundlich: wäre ich bei ihnen gewesen, es hätte mich geheilt; allein, trotz mehreren Anerbieten, trotzdem, daß es mich hinzog, zog doch der Trotz vor, und ich ging nicht. Es war, als fürchtete ich ordentlich, aus meinem heillosen Zustande gezogen zu werden, als wären Haß, Bitterkeit, Gram, Rache, Zorn lauter wohltätige Gefühle, ein wahres Seelenglück. Wenn sie auch abnehmen wollten, so steifte ich sie aufs neue wieder.


 << zurück weiter >>