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Mein Meister gehörte zu jener Klasse, die zu arbeiten und zu essen hat, aber allem aufbieten muß, um den Schulden zu begegnen und nur in besonders günstigen Jahren einen Ruck vorwärts kommt. Sein Hof war groß, aber mager; ihm viel Aufzug zu geben oder ihn mit größeren Kosten zu bearbeiten, vermochte er nicht; daher verbesserte der Hof sich auch nicht. Seine Frau verstand das Haushalten recht gut und war emsig von früh bis spät; viele Leute wollten behaupten, sie habe eigentlich die Hosen angehabt; doch gar sichtbar wurde es nicht. Sie hatten fünf Kinder, von denen das älteste ein Knabe und ein Jahr älter als ich, das jüngste, zu dem ich eigentlich sehen sollte, ein Jahr alt war. Die ersten Tage ließ man mich so ziemlich machen, was ich wollte, um mich ans Haus zu gewöhnen und das Heimweh zu verhüten; auch war mir recht wohl. Ich freute mich im Stall an Kühen und Rossen; nur eines ärgerte mich, daß man mir nämlich nie den Taufnamen gab, sondern daß ich nur der Bueb hieß. Später erst merkte ich, daß ein auf ein Gut verdingtes Kind jeglichen Namen verliert, um Bueb oder Güeterbueb zu heißen, d. h. um ein Mensch zu werden, der Niemandem mehr auf der ganzen Welt angehört als dem Gut, auf welchem er verpflegt wird. Solche Dinge scheinen den meisten Menschen Kleinigkeiten; allein sie haben eine weit tiefere Bedeutung als die Menge glaubt. Fragt nur euch selbst: was klingt lieblicher und Zutrauen erweckender: Johannesli, Peterli, Christeli oder Bueb? Beim Spielen mit den Kindern mußte ich fast immer nachgeben; allein ich war gutmütig und tat es gerne; freute es mich ja gar zu sehr, bei Kindern zu sein und spielen zu können. Doch am dritten Abend wurde mir eine Wunde ins Herz geschlagen, die, immer wieder aufgerissen, nie vernarbte und mich zu einem ganz eigenen Menschen machte. Schon war ich ganz einheimisch und wohlauf, als ich eben am dritten Abend den Bauern vor dem Stall sitzen sah, gerade wie der Vater es auch zu tun pflegte; ich spielte nicht weit davon und der nachälteste Knabe stand beim Vater. Der Anblick heimelte mich; ein unwillkürlicher Zug riß mich zum Bauern hin; ich kletterte auf seine Knie und fragte ihn: «Ätti! hesch mi o lieb?» Ehe dieser noch antworten konnte, riß mich der Knabe herunter, stieß mich weg und sagte: «Das isch nit dy Ätti, du bisch nume dr Bueb!» und die andern Kinder kamen auch herbei, umringten den Ätti, stießen mich weg, wiederholten: «Du bisch nume dr Bueb, das isch nit dy Ätti, du hesch kei Ätti!» - Und der Bauer lachte herzlich über seine Kinder, die ihn so lieb hätten, daß er nicht auch mein Ätti sein sollte! er sah nicht, wie mein ganzes Wesen sich erschütterte und große Tränen die Backen herabströmten.
Das isch nit dy Ätti, du hesch kei Ätti, du bisch nume dr Bueb! Diese Worte tönten in meinem Herzen fort und fort, zerrissen es, und rissen einen Vorhang von meinen Augen weg; nun kam mir zum Bewußtsein, daß ich hier keinen Ätti habe, kein Kind, sondern nume dr Bueb sei. Ich hatte ein Herz voll Liebe, hätte so gerne alle geliebt; aber meine Liebe wollte man nicht, Liebe gab man mir nicht, glaubte mehr als genug zu tun, wenn man mir zu essen gab. Diese Liebe, die niemand wollte, schloß sich ein in das Herz und verschloß es; ich fühlte mich allein auf der Welt, wurde ernst, bitter, dachte über alles für mich selbst nach, schien unfreundlich, mürrisch; aber niemand sah, wie oft, wenn ich allein war, eine Wehmut über mich kam, die in einen Tränenstrom sich auflöste, der fast nicht versiegen wollte. O die Menschen wissen nicht, wie schön es in Kinderherzen aussieht, in denen die Liebe aufblüht; sie wissen aber auch nicht, wie zart diese Pflanze ist in ihrem Frühling, und wie leicht ein Frost sie lähmt oder tötet. Mit eisiger Hand, frostig durch und durch, wühlen die meisten Menschen in den Kinderherzen, und unter ihren Händen erstarrt der schöne Frühling; die Pflänzchen der Liebe sterben und kühle, kalte, selbstsüchtige Menschheit nistet sich ein als tausendarmiges Unkraut in der Liebe verödetem Garten, und da wo man der süßen Liebe süße Früchte hätte pflücken können, findet man nur die bittern Galläpfel des Neides, der Engherzigkeit, der Gemeinheit.
Ich wußte also, daß ich auf dem Gut der Bueb war und nicht das Kind, und das sollte ich alle Tage fühlen. Nicht daß meine Meisterleute böse gewesen wären im eigentlichen Sinne; wenn sie keine Kinder gehabt hätten, so wäre mir recht wohl bei ihnen gewesen; ich hätte arbeiten müssen, aber unvernünftig wären sie mit nur nicht umgegangen. Sie gehörten aber zu den Eltern, die an ihren Kindern in der Jugend gar nichts sehen, die diese alles zwänge lassen aus dem Grundsatze: was well me, es syg ume-n-es Ching! und die meinen, wenn der Verstand komme, so kommen alle Tugenden von selbst. Sie gehörten also auch unter die Eltern, bei denen die Kinder gegen andere Leute immer Recht haben, immer andere Leute schuld sein müssen, wenn die Kinder etwas Dummes machen, immer Lügner sein müssen, wenn ihre Aussagen mit denen der Eltern nicht übereinstimmen, also zu den Eltern, die nie glauben wollen, daß ihre Kinder lügen, wenn diese es auch hundert Mal in einem Tage tun.
Aus dieser Quelle entstanden meine Leiden. Ich sollte also Kindemeitschi sein; das jüngste Kind war ein, ein anderes drei Jahre alt, beide gewohnt zu tun, was sie wollten, bei jedem Anlaß geradeaus zu brüllen und mit diesem Gebrüll alles zu erzwingen. Ich war noch nie Kindemeitschi, sondern selbst das jüngste Kind gewesen, und also gar nicht gewöhnt, kleine Kinder zu gaumen; sie waren mir freilich recht lieb, aber ich wußte nicht viel mit ihnen anzufangen. Nun mag es oft geschehen sein, daß ich nicht alle meine Aufmerksamkeit den Kleinen zuwandte und in ein dumpfes Hinbrüten versank, so daß sie Langeweile hatten; aber zu leid tat ich ihnen doch nichts, tat für sie, was in meinen Kräften stand. Sie aber waren, als ob sie es ordentlich darauf anlegten, meine Quälgeister zu sein. Wenn sie wußten, daß die Eltern nicht in der Nähe seien, so ging es noch an; sie fielen und standen auf, spielten mit mir ohne Geschrei. Sobald sie aber wußten, daß Vater und Mutter sie hören konnten, so schrieen sie beim kleinsten Anlaß, und auch ohne denselben, fürchterlich. Dann kam die Stimme der Alten über uns: «Bueb, was machst d'Ching aber z'brüele, we sie nit bald schwyge, so will der's cho zeige.» Natürlich schwiegen die Kinder nicht, ich mochte tun, was ich wollte, bis eins der Alten herkam, das schreiende auf die Arme nahm und den wüsten Buben mit einer Ohrfeige oder einem Scheltworte traktierte. Fiel gar eines, dann schrie es, wie wenn ich es am Messer hielte, bis in Schrecken und Angst eines der Alten herlief, glaubend, wenigstens ein Hals und zwei Beine seien gebrochen. Ob nun ein Schaden oder keiner entstanden, so erhielt ich Wix von der Frau, ehe sie sich nach dem Kind umsah, vom Mann nachher, und obendarauf wurde immer die Drohung gesetzt: das nächste Mal schlage man mich halb tot.
So ging es den lieben langen Tag; bis sie eingeschlafen waren, hörten die Quälereien nicht auf. Mit dem dreijährigen Meitschi sollte ich im Bett noch beten; gewöhnlich wollte es nicht; ich hielt ihm an, allein es schrie, bis die Mutter kam, den wüsten Buben fortjagte und dem Meitschi flattierte und über den Buben schimpfte, bis es betete. Natürlich fühlte ich die ungerechte Handlung tief und dachte scharf darüber nach: woher es komme, daß die Kinder so bös und zwängisch seien, und ob, wenn die Eltern anders wären, die Kinder nicht auch anders sein würden? Ich dachte, wenn sie die Prügel erhielten, welche ich abtun müßte, sie würden bei ihnen besser anschlagen als bei mir. Ich versuchte daher das Prügeln an ihnen; dadurch wurde das Zetergeschrei noch größer und allemal hieß es: «Du Donnersbueb, du sosch mr miner Ching nit schlah!» Allein wenn es sich mir schickte, so tat ich es doch, kam es doch im Grunde auf eines heraus, geprügelt oder geschimpft wurde ich allweg; es brachte nach und nach den Kindern eine Art Respekt vor mir bei, der sie mich weniger quälen ließ, weil sie wußten, später oder früher kriegten sie auch einen Teil von dem ab, was sie mir zugezogen. Gleich geartet und gleich gezogen waren die älteren Kinder. Wurde einem dieser Kinder etwas befohlen, so antwortete es, wenn ich irgend in der Nähe war: «Dr Bueb cha's mache!» «Bueb, wosch enander na gah oder nit?» befahlen dann die Alten. Der älteste Knabe betete sonst vor Tisch. Ich war noch nicht lange da, so kam es ihm einmal, da wir böse über einander waren, in Sinn, das sei auch eine Bürde, die er auf mich abladen könne, und als der Vater sagte: «Johannesli, bet!» sagte Johannesli: «Vater, der Bueb cha bete!» «Bueb, bet!» hieß es. Das ärgerte mich nun, daß er mich mit dem Beten sollte strafen können, ich betete nicht. Da hieß es lauter: «Bueb, wotsch bete oder nit!» aber der Bueb betete nicht. «Du Donnersbueb, wotsch jetzt bete?» schrie der Alte und faßte mich beim Haar. Unter Heulen betete ich und Johannesli sagte spöttisch: «Gäll, du hesch müesse?»
Ob wohl über dieses Beten die Erbauung im Himmel tief, auf dem Tisch der Segen des gütigen himmlischen Vaters groß gewesen sei, wer sagt mir das?
Dieser Johannesli und ich lebten überhaupt zusammen wie Hund und Katze. Er war älter und größer als ich und glaubte sich auch stärker; im Anfang zwang er mich richtig mit der Faust nach seinem Willen, und alle Augenblicke, besonders wenn der Vater es sah, sollte ich mit ihm niedermachen; der Alte hatte dann eine kindische Freude, wenn sein Bübchen mich überschlug und im Gras oder Kot herumtröhlte.
Allein das Blatt wandte sich. Ich erwachte am Ende und lernte das Niedermachen durch das Niedergemachtwerden. Ich war stärker als der Johannesli, auch gleitiger, und als ich aus Ärger den Mut erhielt, mich recht zu wehren, so kam ich meist oben auf und Johannesli lag im Kot oder im Grase. Das ärgerte den Johannesli, aber viel mehr noch den Vater, der es gar nicht mehr ertragen mochte, daß der Bueb stärker sein sollte als das Söhnchen. Jetzt sah der Vater, wo Kot oder Gras war, wenn sein Sohn darin lag; jetzt wußte er, daß Kot die Kleider verderbe, jetzt mußte ich am Niedermachen schuld sein, jetzt war ich der unerchantisch von Allen, jetzt hieß es schnell, so lang er mich im Vorteil sah: «Wotsch ne la gah oder nit!» während früher und noch immer, wenn das Söhnchen zufällig die Oberhand erhielt, dieses mich nie lange genug im Kot herumdrückte. Unter diesen Geschichten kam allmählich der Winter heran, die Abende wurden länger, man mußte öfters in der Stube sein. Machten nun die Kinder der Mutter zu viel Lärm, so hieß es: «Syt still, susch müeßt dr z'Schuel,» und wenn sie dieses ungefähr drei Mal gesagt hatte, so besserte es sicher. So wurde das Schulgehen einige Wochen lang als ein recht wirksamer Bölima gebraucht; endlich sagte eines Abends der Bauer: «Es wird doch müesse sy, mr werde d'Ching müsse i d'Schuel schicke, sisch wegem Verdruß, dr Pfarrer, dä Schueltüfel, kujiniert is susch.»
Und die Mutter sagte: «Dä het is nüt z'bifehle, dä cha mer blase, wo-n-i schön bi, dä het is nüt a Hof zahlt, u zahlt is nüt a de Zeyse.» Zuletzt wurde man rätig: man wolle die Kinder diese Woche noch nicht schicken; es sei ja nicht mehr dr wert, es sei ja schon Dienstag; die andere Woche, da wolle man anfangen. Ich freute mich auf die Schule, nicht des Lernens wegen, an das dachte ich gar nicht, sondern nur auf so lange des Kinderhütens los zu sein. Ich wußte auch eigentlich nicht, wie es in einer Schule zuging, weil ich kaum ein dutzend Mal in einer gewesen war. Das Wenige, was ich konnte, hatte ich größtenteils noch bei der Großmutter gelernt; sie hatte eine gar große Meinung von meiner Gelehrsamkeit gehabt, als sie mich zum Buchstabieren aus dem Namenbuch ins Fragenbuch brachte. Weiter hatte ich es bei meinen Eltern nicht gebracht; sie hatten an andere Dinge zu denken, als ihre Kinder lesen zu lehren; so fanden sich auch unter meinen mitgebrachten Sachen keine Bücher, weil die Mutter keinen Wert darauf setzte.
In Mitte Dezembers an einem kalten Morgen brachen nun unser drei nach der Schule auf. Ich bekam ein versudeltes Fragenbuch vom Johannesli, dem dafür ein gar schönes mit goldenen Tieren gekauft wurde, um welches ich ihn nicht wenig beneidete. Zugleich mußte ich das Säcklein tragen mit Speise, worin Milch, Brot und Äpfel waren, zu unserm Mittagessen, denn wir hatten eine halbe Stunde weit zum Schulhaus und sollten über Mittag dort bleiben. Ihre eigenen Säcke hatten die beiden andern noch mit Äpfeln gefüllt und zwar hatten sie dafür die Äpfel, welche die Mutter aus dem Keller heraufbrachte, erlesen, die schönsten für sich behalten, die schlechtern ins allgemeine Säcklein getan. Ich hatte auch zugreifen wollen; allein die Mutter meinte, sie wüßte gar nicht, warum ich noch apart Äpfel im Sack haben müsse; ich werde es noch manchmal machen müssen ohne Äpfel; man könne nicht immer alles haben, was andere hätten.
Frischer Schnee war gefallen und eine lange Strecke keine Bahn. Ich mit dem Säcklein und dem versudelten Fragenbuch mußte vorangehen, die andern konnten dann in meinen Tritten bequemer fortkommen; so wandelten wir zur Schule fort, wo wir nach 9 Uhr morgens ankamen. Der Schulmeister, mit einer Brille auf der Nase, las eben das Namensverzeichnis ab, als wir kamen, in das ich denn auch geziemend eingetragen und alsobald unter die sogenannten Fragenbüchler gesetzt wurde, während meine beiden Gefährten ihre Füße auf dem Ofen trockneten, die kaum so naß waren als die meinigen. Nach dem abgelesen war, rief der Schulmeister: «Lerit!» nahm eine starke Rute unter den Arm und spazierte in der Stube herum, hier und da stille stehend. Und wie er stille stand, erhoben sich eines oder mehrere Kinder und steckten Äpfel an die Spitze seiner Rute, und wie er es merkte, daß es geschehen war, kehrte er sich um und fragte: «Wele tusigs Büntel het mer das chönne mache? Wen i's wüßt, i wett ihm!» Über diesen Zorn lachte man, und der Täter auf eine Weise, daß er kenntlich wurde; dann hieß es: «Für einist will der's schäiche, aber ds anger Mal sosch erfahre!» Die Äpfel wurden abgenommen und in ein Schäftchen in der Stube gelegt; dann steckte er die Rute wieder unter den Arm und schrie: «Lerit!» spazierte wieder und erhielt zu allgemeinem Jubel wieder Äpfel, und wie glücklich waren die, welche Äpfel hatten an die Rute zu stecken! Ich aber hatte keine, und hätte doch auch so gerne gegeben, ohne noch zu wissen, was für Nutzen es brachte. Ach, geben können ist gar schön, die meisten Menschen wissen nicht wie schön; ein Kind aber fühlt es. Natürlich sah von den Kindern keines ins Buch, sondern hatten sämtlich ihre Lust am Spektakel und paßten begierig auf, wo der Schulmeister stille stehe, und wer noch Äpfel habe, um die Lust zu verlängern. Nach und nach nahm der Apfelvorrat ab, so wie das Schäftchen sich anfüllte, und wie der Schulmeister zweimal stille gestanden war, ohne etwas an die Rute zu bekommen, so hieß es: «Jetzt müeßt ihr ufsäge».
Die, welche Fragen gelernt hatten, mußten sie aufsagen; uns Kleinen wurde von Zeit zu Zeit, wenn das Geräusch zu stark wurde, zugerufen: «Lerit!» Beim Aufsagen spielte die Rute eine andere Rolle; einige wurden tüchtig mit derselben getroffen, entweder aufsagende, oder solche, die Lärm gemacht haben sollten. Es wurde nämlich bei allzu starkem Lärm immer eines dafür geprügelt, aber ohne langwierige Untersuchung, ob dasselbe wirklich das schuldige sei. So erhielt auch ich am ersten Tag meine Tracht Schläge, ohne Mucks gemacht zu haben. Als ich darüber weinte, sagte mir eins: «Warum hast du keine Äpfel an die Rute gesteckt? Wer keine ansteckt, der kriegt sie». Nun wußte ich, was ich zu tun hatte, aber woher Äpfel nehmen? Entbehrungen und Listen brachten mir zuweilen welche; aber das hatten des Meisters Kinder nicht gerne; sie hatten ihre besondere Lust daran, wenn der Schulmeister mich prügelte, und verklagten mich dann zu Hause, damit ich auch noch von den Alten durchgehudelt werde. Hatte ich durch Äpfel das Wetter abgewendet, so war ihnen der Spaß verdorben; aber sie verklagten mich nun, wenn es irgend tunlich war, daß ich irgendwo Äpfel gestohlen und dem Schulmeister gegeben. Wehe mir, wenn ich nicht nachweisen konnte, daß ich sie geschenkt oder gefunden erhalten. So war ich übel daran, ich mochte es machen wie ich wollte; ich war überhaupt in der Schule noch übler daran als zu Hause, aus mehreren Gründen.
Vor allem aus hatte ich furchtbar Langeweile. Ich hatte den ganzen Tag das Fragenbuch vor mir, nicht aber um auswendig zu lernen, sondern um einige Zeilen durchzubuchstabieren, diese dann einmal des Tages dem Schulmeister geläufig herstottern zu können; sah ich vom Fragenbuch weg und hatte ich keine Äpfel, so erhielt ich Schläge, oder hörte wenigstens: «Lerit, lerit!»
Wie kann nun ein neunjähriger Knabe eine Stunde lang an einen Ort hinsehen und stille sitzen und noch dazu an einem Ort, wo er nichts Lustiges sieht und nichts, das er versteht, nur dumme Buchstaben und Worte, die für ihn keinen Sinn haben? Mir taten die Augen weh; es krabbelte mich in Händen und Füßen, es biß mich am Kopf, ich hatte beständig zu kratzen, konnte gar nicht stille sitzen aus der fürchterlichsten Langeweile; hätte es den Kopf gekostet, ich mußte zuweilen aufsehen, dem Nachbar etwas sagen, oder jemand beim Haar nehmen, oder am Kleid zupfen; wenn ich auch ins Buch sah, so war es mir unmöglich, mehr als ein Wort zu buchstabieren für mich selbst; ich wußte nicht, ob es recht gewesen, so wie ich es gesagt, wußte nicht, was es bedeute. Es flimmerte mir bald vor den Augen; ich sah weder Buchstaben noch Worte mehr, guckte verstohlen herum, seufzte nach dem Ende der Schule oder gar nach dem Aufsagen; kriegte ich auch bisweilen Schläge dabei, so war es doch kurzweiliger. Im ganzen Fragenbuch war eine einzige Stelle, die mich anzog, aber mir auch oft Schläge zuzog, weil ich die Blätter umschlug, um zu ihr zu kommen, und dann nicht fortfahren konnte, wo mein Vordermann geblieben. Es war das zweite Gebot, wo es heißt: Du sollst dir kein gegraben noch geschnitzt Bild machen, ja gar kein Bildnis noch Gleichnis, weder von Dingen, die im Himmel droben, noch denen, die unten auf Erden, noch denen, die unter der Erde im Wasser sind. Was das für Dinge sein möchten, da unten und da oben? Das beschäftigte mich gewaltig, und allemal, wenn ich diese Stelle durchbuchstabierte, kam eine Art Schauer über mich und ich verlor mich in tiefes Staunen. Ich hatte einmal ein lebendig Kamel gesehen, eine furchtbare Kreatur für mich, und da oben und da unten, was mußte nun erst da sein? Aber das sagte mir niemand, und wenn ich auch fragte, so hieß es: «Bueb, ler du, das gaht di nüt a.»
War endlich der Mittag da, so fing für mich eine andere Plage an. Johannesli nahm das Säckli und teilte das Essen aus; daß ich zu kurz kam, war natürlich; aber das ärgerte mich doch am meisten, daß er mir das weiche Brot herauskratzte und hinwarf, den Rauft für sich behielt. Früher machte ich zwischen beiden keinen Unterschied; seit ich aber das Weiche essen mußte, den Rauft man mir vorenthielt, hatte ich einen ordentlichen Ekel vor dem ersten, Rauft aber kam mir süßer vor als Basler Leckerli. So wurde Meisterlosigkeit und Lüsternheit gepflanzt: konnte ich einmal ein ordentliches Stück Brot aus der Tischtrucke erwischen, so kriegten Hund oder Katze den weichen Teil, und ich erlabete mich an dem harten. Prügeln konnte ich mich mit dem Johannesli in der Schule nicht; er war ein Bauernsohn und ich nur e Bueb; er hatte Vettern und Nachbarn da, die ihn nicht im Stich gelassen hätten. Einmal versuchte ich es; aber ich kam übel an, und durch den Lärm geweckt, kam endlich auch noch der Schulmeister dazu und ich erhielt meine Heiligen aufgezählt, als Sündenbock für alle. In der langen Zwischenzeit von 11 bis 1 Uhr hätte ich so gerne mitgespielt und mitgehalten. Es waren Kinder da, die mir überaus wohl gefielen, zu denen es mich hinzog; aber entweder stieß man mich weg, oder wenn man mich mitmachen ließ, so war es eben, um der Sündenbock zu sein. Das tat mir weh, machte mich nur verschlossener und bitterer; ich zog mich zurück; neckte man mich, so wehrte ich mich so tüchtig in verbissenem Zorn, daß man mich allmählich ruhig ließ und eine Art Respekt vor mir bekam. Mir tat eine solche Prügelei allemal wohl, und ich fühlte mich nachher ordentlich erleichtert; doch suchte ich sie nicht. Der Nachmittag verstrich in der Schule wie der Morgen. Mit Beten wurde angefangen, dann folgte der Äpfel-Spektakel, dann das Aufsagen und nachher wieder das Beten. Mit diesem Beten ging es fast wie mit dem Lere: ich konnte nicht stillhalten während demselben; denn es währte gar lang, bis die gewöhnlichen drei Gebete hintereinander hergesagt waren, fast eine halbe Viertelstunde; auch verstund ich von dem allem gar nichts und weiß nichts mehr davon als folgenden Reim: Höllenpein, schreien in den Himmel 'nein. Bald hätte ich vergessen, daß einige in der Woche noch zweimal rechneten und schrieben. Der Schulmeister hielt gar nicht darauf; er sagte: Pfarrer werde keiner werden und Agenten habe man schon vielzuviel, das seien nur Leutverderber und Atheisten, von denen glaub keiner nüt, bis si einist der Tüfel bi de Hörnere heig. Es nähme ihn aber das nit Wunder; d'Agente lehre's von den Afflikaten; die säge eim grad use, si heige nüt uf der Religion und nüt uf de Pfaffen; dafür aber syge das alles o Lüt, wie wenn si dm Tüfel abem Charre g'heit wäre, und si meine, si hätte d'Wysheit alli allei g'fresse, und wenn eine e anderi Meinig heig als si, so schnauze si ne ab, daß es kei Gattig heig, und er söll i kei Schueh ine guet sy. Si syge no viel chutzlicher als e Landvogt, und das well viel säge; aber jeder von ihnen glaub o, er sei nit nume dr Papst, sondern dr Herrgott selber. So räsonnierte der gute Schulmeister allemal, wenn das Rechnen oder Schreiben anging; er soll aus zwei Ursachen also geschimpft haben, wie ich später vernahm. (Es ist aber doch merkwürdig, wie ich so viel besser behielt, was geschimpft, als was gebetet wurde.) In früheren Zeiten war er prozediererisch und viel bei Advokaten. Er prozedierte unglücklich und mag auch nach Erscheinungen beim Weine gesehen haben, wie vielleicht ein Afflikat im behaglichen Glauben, der Gescheuteste zu sein unter den Umsitzenden, mit Unglauben groß getan und mit leichtfertigem Spott um sich geworfen.
Der gute Afflikat merkte nicht, wie nur die untergebenen Agenten seine Rede für Weisheit nahmen, die andern aber insgeheim das Kreuz davor machten, wenn sie auch keine Einrede sich erlaubten, vielleicht gar noch einstimmten. Weil der Schulmeister einen oder zwei ungeschickte Afflikaten als gemeine Spötter kannte, schimpfte er über alle, als wäre keiner von ihnen gut genug für Futtertuch in des Teufels Pantoffel. Das war nun ungerecht; aber er tat nur, was viele Afflikaten auch tun; man wird oft mit dem gestraft, mit welchem man sündigt. Absprechen über ganze Menschenklassen zeuget entweder von groben Vorurteilen oder grobem Selbstdünkel; von beiden war mein Schulmeister nicht frei; denn er räsonnierte eigentlich deswegen über Schreiben und Rechnen, weil er es gar nicht konnte, wie viele behaupteten. So schimpft eben mancher über Dinge und spottet darüber, weil er zu dumm ist, sie zu fassen, zu hölzig, um Sinn dafür zu haben. Wir in der Schule kamen natürlich nicht darüber, am wenigsten ich als Bueb; denn seit Noahs Zeiten hatte niemand daran gedacht, einen Bueb schreiben und rechnen zu lehren; allein auch andere kamen nicht darüber. Er gab Vorschriften und gab Rechnungen aus einem Buche an und balgete zuweilen über krumme Buchstaben; er selbst aber machte nie einen; er sagte, ob die Rechnungen gut seien, aber er machte wieder keine. Es war immer ein Schüler da, der anderswo etwas gelernt, oder ein Schüler, der es dem ersten abgesehen hatte; die konnten's den andern zeigen, wenn sie wollten; er bekümmerte sich um nichts, als die Rechnungen anzugeben; wie sie gemacht würden, konnten die Schüler zusehen. Deswegen also besonders soll er über Rechnen und Schreiben geschimpft und behauptet haben, es mache in Mißkredit stehende schlechte Menschen, Agenten und Afflikaten, weil er es selbsten nicht konnte und einige Hausväter doch darauf drangen, daß er diese Fächer in der Schule treibe.
War endlich das Beten zu Ende und die Schule aus, so kann man sich denken, mit welcher Hast wir aus dem Zwinger stürzten und in welcher Wildheit die so lang geschnürte jugendliche Lebhaftigkeit sich ergoß. Zwei Stunden waren wir geistig tot, körperlich gefesselt gewesen, eine Ewigkeit für ein Kind! Nun strömte das gehemmte Leben wieder in alle Glieder, und wie die Türen sich öffneten, erscholl durch dieselben ein weit hintönender Lärm; wie die wilde Jagd stürzte und purzelte man hinaus; selten ging es ohne einige geschundene Knie ab, und draußen, da mußte etwas herhalten, etwas mußte getrieben werden, je ärger je besser. Alle, besonders schwächere Leute, gingen uns schon von weitem aus dem Wege, und wenn das Tosen der ausgelassenen Schule heranscholl, trat mancher Hausvater vor die Türe, um seine Habe zu sichern und die Schüler vom Hause abzuhalten.
Das waren noch die guten alten Zeiten, wo man in der Schule Religion lernte und nur Religion, und man vor lauter Religion nicht wußte, was Religion war, wo man vor lauter Bäumen den Wald nicht sah, wo man die Kinder mit dem Heidelberger und der Rute einbalsamierte, solange sie in der Schule waren, überzeugt, daß ihnen dann der Teufel nichts anhaben könne außer der Schule, sie mochten vornehmen und treiben, was sie wollten! Ach, das war eine fromme Zeit, wo man besonders Güterbuben und solche, die keine Äpfel hatten, mit der Rute durch und durch einsegnete, um sie zu behüten vor allem Bösen! Ach ja! das waren gottselige Zeiten, wo die Alten einen mit der Rute zur Schule prügelten, mit der Rute der Schulmeister einen empfing, wo man Hexen hatte statt Engel, in der Nacht vor Gespenstern bebte und vor dem Teufel zehnmal mehr Respekt hatte, als vor Gott, wo man entweder selbst zitterte oder andere zittern machte. So zogen wir von der Schule aus, wie das wütende Heer, kamen aber nicht desto geschwinder nach Hause; denn bei jedem Scheidewege hatte man sich noch wenigstens zu necken, wenn nicht zu prügeln. War einer einmal ordentlich abgewalkt worden, so war es nicht selten, daß er den andern Tag seinen Vater bestellt hatte, um die, welche ihn geprügelt, wieder zu prügeln. Sah man einen solchen, dann gab alles Auszug so gut möglich, und wer die schlechtesten Schuhe hatte, die bei jedem Tritt die Ferse zeigten oder stecken bleiben wollten, der kriegte für die andern die Schläge. Verständlich kam auch da die Reihe oft an mich, herzuhalten.
Kamen wir endlich heim, so mußte ich die Kinder wieder nehmen, sie zu Bette bringen und sie in der Wiege herumtreiben, bis sie endlich schliefen, nachdem sie mich auf ihre Weise noch gequält hatten. Nachher mußte ich rüsten helfen, wenn etwas für den folgenden Tag zu rüsten war, was ich recht gerne tat; aber dann sollte ich wieder lernen, sollte wieder mein Qualbuch vor mich nehmen und da eine oder zwei Stunden bis zum Bettgehen Worte buchstabieren oder lesen, von denen ich nichts verstund. Bald schlief ich darüber ein, bald buchstabierte ich darauf los, wie es mir in Sinn kam, ohne viel auf die Buchstaben zu achten, las ebenso; selten achtete jemand, ob ich die Worte richtig ausspreche; so lernte ich falsch lesen, und diese Lehrstunden schadeten mir weit mehr, als sie nützten. Zudem sah ich nicht einmal recht, was ich vor mir hatte. Zunächst dem Lichte saßen die Spinnenden, dann die Kinder; war auch noch der Bauer am Tisch und nicht auf dem Ofen, so kam ich so weit vom Lichte ab, daß es auf meinem Buche ganz dunkel war. Klagte ich darüber, so hieß es: «Meinst du, du g'hörst obe a Tisch, oder me söll für di es aparti Liecht ha? Mr wey nit geltstage wie dy Vater usw.» Konnten wir endlich zu Bette gehen, so zankten Johannesli und ich zuerst um die Decke, die er mir gewöhnlich fast ganz nahm oder in der Mitte des Bettes liegen wollte, und erst, wenn der Streit, gewöhnlich zu meinen Ungunsten, durch Vater oder Mutter geschlichtet war, kam der Schlaf, der mich den trübseligen Tag vergessen ließ.
So ging ein Tag wie der andere hin; ich lernte gar nichts, wurde immer unwerter, machte mir auch immer weniger daraus, je mehr ich fühlte, daß man mir Unrecht tat. Die Lust an der Schule verging mir durchaus, besonders seit der Schulmeister bei uns an der Metzgete gewesen, wo man mich bei ihm tüchtig verklagt und zu besonderer Zucht empfohlen hatte. Dieser Mahnung, ohne ihre Richtigkeit zu untersuchen, kam er getreulich nach, und das war ein glücklicher Tag, an welchem er mich nur einmal prügelte. Kein Gefühl ist aber in Kindern lebendiger, als das Gerechtigkeitsgefühl, und nichts macht sie verstockter, böser, unverbesserlicher, als wiederholte verstockte Ungerechtigkeit. Strafe man sie dann auch gerecht wegen offenbaren Fehlern, es nützt nichts mehr; sie bessern sich nicht, weil sie zum Strafenden das Zutrauen verloren haben, daß er gerecht sei. Nichts ist aber leichter, als gegen Kinder ungerecht zu sein, weil selten ein erwachsener Mensch mehr weiß, wie es in einem kindlichen Kopf, in einem kindlichen Herzen aussieht; weil selten ein erwachsener Mensch über die Quellen nachdenkt, aus denen die Fehler des Kindes kommen, sondern sie von vorneherein der Bosheit und Bösartigkeit zuschreibt; weil selten ein erwachsener Mensch aus Liebe straft, um zu bessern, sondern im Zorn, um Rache zu nehmen für gehabten Verdruß.
So verstrich mir der Winter. Er war hart und kalt gewesen; aber gegen das Ende des Märzes wurde es milde, die Erde taute auf, Märzenglöcklein blühten, die Bachteln (Glockenblumen) wuchsen wunderschnell empor. O wie freute ich mich darüber! bald kam Ostern, da hoffte ich auf Eier, hoffte sie recht schön zu sieden mit Brasilienholz, Bachtelnkraut und Zwiebelhülsen darum zu binden, daß sie geflammt würden und schöne weiße Kreuze erhielten. Ostereier waren im ganzen Jahr immer meine größte Freude gewesen; wochenlang vor Ostern konnte ich an nichts anderes sinnen, als an das halb Dutzend Eier, welche ich erhielt, und wenn ein Huhn gaggelte, gaggelte ich jubelnd mit. Wie wohlfeil ist doch Kinderfreude und wie schön; und wie traurig, daß selten alte Leute sich recht mehr freuen können, höchstens noch mit den Kindern; aber das traurigste ist wohl, auch mit Kindern sich nicht mehr recht freuen zu können, an ihren Freuden sich zu ärgern, und die unschuldigste zu verbittern. Nein, das ist noch nicht das traurigste, sondern das ist es, daß man diese Herzensbitterkeit, diese Freudlosigkeit für Gottseligkeit des Alters ausgibt, welche über die Welt und die Gottlosigkeit der Jugend seufzt. Das ist wahrlich eine finstere Gottseligkeit, welche nicht für den heitern Himmel paßt, in welchem der liebe Heiland seinen Kindern Wohnung bereiten will. Die Bäuerin hatte viel Eier bekommen; die vollen Krätten betrachtete ich mit großem Respekt und dann Ei um Ei, welches wohl das stärkste sein möchte. Am Ostersamstag machte man Vorbereitungen zum Sieden; die Kinder jubelten und brachten, was sie um die Eier gebunden wünschten. Ich dachte nichts anders, als auch welche zu erhalten. Sobald ich vom Kinderhüten entrinnen konnte, eilte ich auch und pflückte im grünenden Baumgarten, was mir schön schien, und, über manchen Fund ganz glücklich, brachte ich eine Handvoll Blümchen und Kräuter aller Art der Bäuerin in die Küche.
Verwundert fragte die, was ich damit wolle, und als sie meine Meinung hörte, sagte sie: «Was bildist dir y, myni Hühner lege o für di? Ohä, das wär e neui Mode, em Bueb no ga Eier z'siede, u b'sunders a-m-e settige, dä d'Ching geng z'brüele macht, nit lert, nit folget, u i der Schuel alli Tag Schläg übercho het! Nei, Bueb, sövli dumm sy mr notti nit, und settig Flause bild dr nit y.» Da war mir, als ob ich aus dem Himmel gefallen wäre: keine Eier an der Ostern, das war mir fast, wie kein Ätti mehr; für Vorwürfe, Schläge war ich sonst ziemlich unempfindlich geworden, aber das griff tief ein. Ostern und keine Eier, das wollte mir fast das Herz brechen. Anhalten konnte und mochte ich nicht, ich war nicht mehr gewohnt zu flattieren; ich wurde auch nicht sowohl wehmütig als zornig, heulte mehr als ich weinte, und nach und nach bildete sich die Überzeugung in mir, daß ich Eier haben müsse in jedem Fall.
Nach langem Sinnen fiel mir endlich ein, daß ich noch einen neuen schönen Batzen hätte vom Examen her; an demselben hatte ich sonst meine große Freude gehabt, ein eigenes Säckeli für ihn gemacht und ihn oft betrachtet, wenn ich allein war; aber Eier waren mir doch noch lieber. Den holte ich, lief damit zu unseres G'husmanns Frau und bat sie, mir um den Batzen Eier zu geben. Ich war glühend rot vor Zorn, konnte kaum reden und die Tränen liefen mir noch immer über die Backen herunter, so daß die Frau wohl merkte, daß es etwas besonderes gegeben haben müsse. Sie fragte mich; ich erzählte ihr mein Elend, wie es mir ergangen, wie ich jetzt Eier haben müsse und gerne den Batzen dafür gebe, wie lieb er mir auch wäre. Da sagte die gute Frau: «Los, Miaßli, b'halt du dy Batze, Eier verchauf ig dr keini, aber chumm i d'Stube, mr wei luege.» In der Stube erzählte sie ihren zwei Kindern, der Miaßli bekomme drüben keine Eier und hätte doch so gerne welche; er sei es arms Buebli; aber er habe ihnen doch nie etwas zuleid getan, im Gegenteil, sie manchmal gegen den Johannesli in Schutz genommen; ob nun jedes ihm ein Ei geben wolle, eines behielte doch immer noch drei? Die gute Mutter hatte noch nicht ausgeredet, als ihre guten Kinder auf mich zu sprangen und mir Eier gaben; nur das eine von ihnen fragte: «Gäll Müetti, ds schönste bruch ig ihm doch nit z'gäh?» und doch nach einigem Kampf gab es mir das, welches ihm am besten gefiel.
Da ward mir wohl, und ich konnte wieder jemand freundlich ansehen, was lange nicht geschehen war, und recht von Herzen glücklich machten mich die Eier. Als der erste Eindruck vorüber war, fiel mir plötzlich ein, der Bäuerin nun zu zeigen, daß ich Eier bekommen auch ohne sie, und die erhaltenen ihr zu spienzeln, bis sie es merkte. Ich teilte meinen Einfall und meine Schadenfreude der Frau mit und wollte fort; die sagte aber: «Los, Miaßli, mach nit dir u-n-üs Verdruß; wenn di Frau weiß, daß mr dr Eier gäh hei, so nimmt si dr se, u mi z'Haß; nei, das wei mr nit mache. Versteck se wohl, oder wenn das nit chast, so la se da, u chum morn einisch mit mine Ching cho düpfe und g'vätterle, de hesch notti Freud und machst niemer höhn.» Die gute Frau hatte mehr als Recht. Den ganzen Abend konnte ich daheim in stiller Freude dem Lärm der Kinder mit ihren Eiern zusehen. Ich hatte wieder alle lieb, hatte mich doch auch jemand lieb gehabt, gab über alles guten Bescheid und flattierte den kleinen mir Übergebenen so von Herzen, daß selbst die Bäuerin, die meiner sonst sich nur achtete, wenn ihre Kinder über mich brüllten, aufmerksam wurde, mir ein Ei brachte und sagte: «Lue, da hest o eis, we ds ganze Johr so wärisch, so wärst eim o lieber, u überchämist o meh.» Die Frau wußte auch nicht, daß ein Kind fast ist wie eine Orgel und die Töne hören läßt, welche man auf ihm anschlägt. Der Mensch kennt alle Dinge der Erde; aber den Menschen kennt er nicht, da scheint er aus lauter Dummheit zusammengesetzt zu sein. Was meint man, wenn einer in Holzschuhen mit Roßnägeln beschlagen auf einer Orgel herumtrampeln und dann dieselbe, wenn sie erbärmlich quickte und quackte, schlagen wollte, weil sie aus Bosheit kein schönes Lied spielen wolle, würde man diesen Menschen nicht einen Schöps heißen und in den Kalender tun? Wollte man aber die Menschen in Kalender tun, die mit Holzschuhen und Roßnägeln auf Menschenherzen herumstolpern, und zürnen und prügeln, wenn diese Herzen nicht lauter Lust, Freude und Liebe sein wollen, so müßte man den lieben Gott bitten, daß er noch einen Blätz an unsere Erde setzen möchte, damit der Kalender Platz auf ihr hätte. Und wenn die gemeinnützige Gesellschaft sich auch mit diesem Kalender abgeben will, so müßte man den lieben Gott bitten, daß er den Blätz zwei- oder dreimal so groß machen mochte, als sonst nötig wäre.
Das ging nun einige Tage recht ordentlich, und weil gerade in diese Zeit die Bettlergemeinde fiel, so entschloß der Meister sich, mich zu behalten, und nahm mich an dieselbe nicht mit. Er werde dort sagen müssen, wie bös und verdorben ich zu ihm gekommen sei, daß er mich aber rangiert habe, bis ich mich gebessert; er verstehe es aber auch, und ich sei nicht der erste, den er z'weg gebracht, meinte er. Voll guter Meinung von sich ging er hin, mag dort auch also geredet haben, und viele Jahre lang galt sein Haus für das beste, um verdorbene Kinder z'weg zu bringen. So wohlfeil und so begründet kommt mancher zu Ehren und Ruhm, aber nicht nur zu Unverstand, sondern am meisten in den Hauptstädten, und nicht nur ehemals, sondern auch jetzt.
Bald war alles wieder im alten und eine neue Sache kam noch dazu, die am Ende mich hier forttrieb. Des G'husmes Frau und ihre Kinder waren mir begreiflich sehr lieb geworden; von ihnen bekam ich immer ein freundliches Wort; daher war ich auch gar gerne bei ihnen. Nun aber hatte meine Meisterfrau die Hausfrau auf der Mugge, aus mehreren Gründen. Sie kam nicht viel herüber und rühmte auch nicht viel; daher hieß sie sie hochmütig. Sie war sehr reinlich und an ihren Kindern sah man keine Löcher, weil sie behauptete, es sei viel wohlfeiler, Löcher zu rechter Zeit zu flicken, als die Kleider verhudeln zu lassen; so weit rechnen konnte die Meistersfrau nicht; daher nannte sie die Hausfrau hoffärtig.
Manchmal, wenn die Meisterfrau über andere loszog, wollte die Hausfrau abbrechen und z'best rede; daher hieß es: sie meinte es nicht gut, und halte es mit andern. Kurz, eine gewisse Überlegenheit der andern erbitterte die Meistersfrau; kein Weib hat eine solche gerne; zudem waren jene nur Hausleute und sie die Bauern; u Unverschanters cha's doch gwüß nit gä, as wenn G'husmes Frau g'schyder sy wott as ds Bure Frau.
Es ging daher allemal übel an, wenn man mich mit jenen zusammensah. «Du wirst aber sy ga chläfele, was gang hie», hieß es, und allemal fand man, daß ich etwas versäumt habe, oder einem Kind etwas zugestoßen sei, während ich dort war, und man sagte mir: «We mr di no einist dert g'seh, su gä mr dr eini zum Gring, daß d'no morndrisch sturm bisch.» Solche Drohungen fürchtete ich nicht; sie kamen gegen mich und nun bereits auch gegen ihre Kinder, so wie sie größer, ungehorsamer, ungereimter wurden, und das den Eltern lästig auffiel, alle Tage zu Hunderten vor, ohne daß von zehn eine ausgeführt wurde.
Aber eines Tages, anfangs Winters war es, küchelte die Meistersfrau, und der Anken lief ihr ins Feuer, was ihr unbegreiflich vorkam, es war ihr sonst noch nie begegnet. Glücklicherweise konnte sie schnell die Pfanne decken, so daß kein Unglück entstund; unglücklicherweise aber ging in selbem Augenblick die Hausfrau vorbei und fragte: «Trini, was machst, soll i dr helfe?» «Es ist guet, chunst grad, du Donners Hex, jetzt weiß i, wer mr ds Für i Anke g'hexet het!» scholl die Antwort aus der Küche, «aber i will dr ds Hexe vertrybe!» und mit der Küchengabel wollte sie auf die Hausfrau los, stolperte aber in der Wut über die Saumelchtern, und als sie aufgestanden, sah sie die Hausfrau nirgends mehr.
Man kann sich nicht vorstellen, wie die Frau in der Küche turnierte, wie sie die Küchlein herumschlug und über die Hexe fluchte, die ihr den Streich gemacht. Daß sie selbst schuld an der Sache sei, konnte sie sich nicht vorstellen. Das sei ja der deutlichste Beweis, daß die Hausfrau eine Hexe sei und ihr den Teig verhext habe, weil sie gerade dazugekommen; wie hätte sie es sonst gewußt, oder wie hätte es sich ungefähr so treffen können, urteilte sie. Gegen diesen bündigen Schluß war im ganzen Hause niemand imstande etwas einzuwenden. Man staunte nur, daß man die Hexe so lange nicht gemerkt, und pries die Geschicklichkeit der Bäuerin hoch, daß sie geschwind die Pfanne gedeckt, denn die Hexe hätte sicher das Haus verbrennen wollen; daß es noch stehe, habe man nur ihr zu verdanken. So wurde nun auch sie ganz stolz: was sie sonst keinem Menschen gesagt hätte, daß ihr der Anken ins Feuer gelaufen sei, das erzählte sie nun so lange sie lebte, gewöhnlich alle Tage zweimal und extra einem jeden, der den Fuß über die Schwelle setzte, um sagen zu können, die Hausfrau sei eine Hexe, sie aber habe geschwind den Deckel auf die Pfanne getan, und daß das Haus noch stehe, habe man ihr zu verdanken.
Nun aber wurde das Verbot, mit diesen Leuten keinen Umgang zu haben, solange man sie noch da haben müsse, sehr ernst. Den Kindern sagte man, sie könnten von ihr verhext werden, daher sollen sie der Frau beileibe nicht zu nahe kommen; von weitem könnten sie ihr Hex, Hex! schreien, soviel sie wollten; mir aber wurde gesagt, wenn ich ein einzig Wort mit ihr oder den Kindern rede, so schlage man mir beide Beine ab und alle Zähne in den Hals. Das fruchtete alles nicht; ich mußte hinüber, und in meiner kindischen Unbefangenheit dachte ich nichts Arges dabei, alles wieder zu erzählen, was man über sie geredet hatte. Diesmal hörte die Hausfrau zu, ein andermal aber sagte sie: «Los, Miaßli, schwyg lieber, i begehre nit z'wüsse, was si däne säge, es treit nüt ab, als mi taub z'mache.» Es konnte nicht fehlen, daß man meinen Umgang merkte, wenn ich ihn auch noch so heimlich halten wollte, denn die Kinder lauerten mir auf; da gab es immer tüchtigere Schläge, immer gehässigere Worte; denn über wen die Meistersfrau böse war, den sollte die ganze Welt hassen, und wer mit einem solchen redete, der war um nichts besser als der andere. Wenn sie mit der Magd ausgeschirret hatte, oder mit dem Knecht tubelte, und der Mann gab zufällig dem einen oder dem andern ein gutes Wort, so hatte er das Wetter auf dem Hals, und sie wurde nicht zufrieden, bis er sich bequemte, auch auszuschirren oder zu tubeln. Die Hausfrau bat mich endlich um meinetwillen nicht mehr zu kommen; aber ein ungewohntes gutes Wort tat mir viel wohler, als die gewohnten Schläge weh; so schlich ich um ihr Häuschen, bis ich von ihr oder den Kindern ein gutes Wort weg hatte.
Ich hatte es aber nun alle Tage böser, und die Meistersfrau verfluchte sich, daß ich aus dem Hause müßte so bald als möglich, daß sie mich nicht mehr vor Augen haben könne; sie dürfe mir kein Kind anvertrauen, aus Furcht, ich tue ihm etwas an, das mir die Hausfrau angegeben. Ich wurde alle Tage unwirscher und stöckischer, so daß ich ganz sicher viele Ursachen zu Klagen gegeben haben mag. Dies Haus verließ ich gerne; nur tat es mir weh um meine guten Leute in dem kleinen Häuschen. Ich weinte bitterlich, als ich von ihnen Abschied nahm, und die Hausfrau in meinen Vorschlag nicht eintrat, an die Bettlergemeinde zu kommen und mich zu verdingen. Wenn ich dann bei ihr wäre, so wollte ich dem Johannesli und den andern das Hex schreien schon verleiden und sie alle Tage prügeln nach Herzenslust, hatte ich ihr doch versprochen.