Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie ich ein altes Schloß fand, aber neue Leute dabei

Eines Abends nach einem heißen Tage stieg ich müde einen Hügel hinan und setzte mich oben hin. An der Seite des Hügels lag ein schönes Kirchdorf, über ihm ein altertümliches Schloß, ein Zeuge vergangener Zeiten, ein Zeuge mancher schweren Tat, ein Zeuge manches schweren Seufzers. Wie das wechselt in der Jahre Lauf, im Äußern der Menschheit! Wenn das Tor reden könnte, dachte ich, und erzählen von den Leuten, die aus- und eingezogen seien, von ihren verschiedenen Gewändern und verschiedenen Gesichtern, was würde man da wohl alles hören! Haben nur die Gewänder sich geändert, oder auch die Gesichter; haben nur die Namen sich geändert, oder auch das Betragen? Ehedem Ritter hoch zu Roß, eisern um und um, eisernen Leibes, eisernen Herzens, hoch herabsehend vom hohen Rosse; verschwunden jetzt die Ritter, ihre Hengste, der eiserne Leib, aber auch die eisernen Herzen und die Augen, die hoch herabsehen möchten aus Chaise und Charabanc? Ehedem zerknirschte Leibeigene halb nackt, mit zerdrücktem Herzen, mit Striemen und Beulen von des gestrengen Herrn Faust und Peitsche; nun keine Leibeigenen mehr, nicht mehr Striemen und Beulen, aber auch keine zerdrückten Herzen? So dachte ich, als die Sonne sich senkte über des grauen Schlosses Zinne und schlafen ging ins große Vaterhaus und scheidend aus ihrem großen Auge lange Blicke sanft und mild über die Erde warf. Ich versank in Andacht, dachte dessen, was niedergeht und aufersteht, was bleibt, was schwindet; und in meine Andacht hinein tönte klar und feierlich das Geläute, das auf morgen den Tag des Herrn verkündete. Mir war weich ums Herz, und da ich der himmlischen Heimat gedachte, verlangte mich auch nach einer irdischen, wo ich ruhen konnte, ohne an eine morndrige Reise zu gedenken, wo ich mein Tagewerk beginnen und des Herrn warten konnte, bis er kommt in seinen Weinberg, die Arbeit zu prüfen, die Arbeiter zu wählen oder zu verwerfen.

Feierlichen Herzens stieg ich nieder und mir ward, als ob der Herr läuten lasse zu meinem Einzuge, nur mir verständlich, aber den da unten Wohnenden zum Heil; als ob er mich feierlich rufe, da unten meine Hütte zu bauen; und bei jedem Begegnenden mußte ich denken: «Wenn du wüßtest, für was ich komme und was ich dir einst sein werde», und mußte dann wieder lächeln über meines Herzens gutmütige Eitelkeit. Alles gefiel mir wohl, die Leute, die Häuser, die Gegend; reinlich war es und sauber aufgeräumt, die Kinder mit ihren Besen vor den Häusern; bei den Brunnen fegten die Weiber, und mit hochaufgerollten Hosen fuhren die Bursche Stoßbären hochaufgetürmt mit wohlriechendem Kühd...ck auf die gewaltigen Misthaufen. Vor dem Wirtshause stund die altertümliche Linde und Kinder mit roten Backen herdeten da wohlgemut. Freundlich wurde ich im reinlich gehaltenen Wirtshause empfangen von der rührigen Wirtin, die eben Kaffee trank mit ihrem aus sechs wilden Kindern bestehenden Fasel und ihrem Manne, einem derben Schweizer, dem der rotverbrämte Metzgerkittel und der weiße Schurz ganz gut stand. Alles gefiel mir gar gut, alles wie gewünscht; die mit Alt und Jung begonnenen Gespräche zeugten von Derbheit, aber auch von Verständigkeit und gesundem Sinne.

An den drei Tischen saßen schweigend drei Bäuerlein, und tranken ihre Schoppen; man brachte nicht viel anderes aus ihnen heraus, als daß sie im Schloß gewesen; eben nicht leichten Herzens, wie es schien, kamen sie von dort herab. Das Gesumme der Arbeit draußen verstummte, Lichter blinkten durch die Scheiben, und nach und nach füllte sich die Stube, aber mit Leuten, aus denen ich nicht klug werden konnte. Es waren wohl Bauern darunter mit breiten Rücken und schwieligen Händen; aber die meisten waren nicht Herren, waren nicht Bauern. Einer glich wohl von oben einem Herrn, aber unterhalb einem Bauer; an andern gehörten nur die Beine einem Herrn mit gewichsten Stiefelchen, aber oberhalb war er akkurat wie ein Bauer; und wenn man auch bei dem einen im ersten Augenblick glaubte, er sei ein vornehmer Herr, mit hohem Halstuch und klingelnder Uhr behängt, fast wie der schöne Herr zu B..., so sah man beim zweiten Blick beschmutzte Hände, ein zerrissenes Nastuch, ein schlechtes oder gar nicht gebleichtes Hemd; es soll sogar deren geben, die gar keins tragen. Handwerker waren es auch nicht, dazu sahen sie zu brutal aus; nicht einmal Schneider, das merkte man am Geruch oder an den langen, saftigen Pfeifen, die den ganzen Tag nicht aus dem Munde zu kommen schienen. Baschkiren waren es auch nicht, denn mancher hatte eine gar schöne große rote Nase; auch nicht Kosaken, denn manchem fehlte der Bart; auch nicht Türken, denn sie tranken ungeniert Wein, besonders roten; zudem redeten alle deutsch, einige sogar versuchten das Hochdeutsch in etwas, wenn auch schlecht. Sie flatterten um die Bauern herum wie Raben um das Aas, schnatterten durcheinander, daß ich wenig verstehen konnte. Endlich merkte ich aus einem Gespräche in meiner Nähe, daß der steifbeinigste unter ihnen zweien armen Teufeln, die bei einem Schoppen Branntwein saßen, ein Erbe, das hinter der Gemeinde lag, abhandelte, um das halbe Geld. Ich begann zu glauben, es seien Juden, trotz ihren Pfeifen; da brachte die Wirtin Saufüße und Sauohren, eine ganze Platte voll, über die fielen sie her wie die Habichte; es waren also wieder nicht Juden. Während sie nun handlich in die Saufüße und Sauohren bissen, konnten sie nicht mehr alle auf einmal reden, und in allen Ecken, und was die sprachen, welche das Maul nur halbvoll hatten, konnte ich verstehen. Es war von Gerichts- und Geldstagen, von Notifikationen und Moderationen, Inventarisationen, sogar von Insinuationen die Rede, von Käufen und Kontrakten, Testamenten und Betreibungen. Aha, so dachte ich, das wird eine Versammlung der Schuldenboten des ganzen Landes sein, so eine Art von Verein um einander das Saugen abzulernen. Ich sagte meine Meinung der Frau Wirtin. «Bhüet-is Gott nein», sagte die, «das isch ke apartigi Versammlig, die sy all Abe da, si sy all usem Dorf oder us dr Nächstsami; es isch dr Amtsschriber u dr Grichtsschriber u dr Gmeindschriber u dr Amtsnotari u dr Prokerater, u de zwei Agente, u de no ihri Chnechte u Buebe; das sy gueti Lüt, si gäh-n-is am mehrste z'verdiene». Bhüet-is Gott, dachte auch ich, so viel Schreiber an einem Haufen, geben so viel zu verdienen, müssen also auch viel verdienen, und von wem? Ich zählte, und zählte sie wieder, und zum drittenmal, und es waren und blieben immer siebenundzwanzig.

Ich vernahm später, daß in früherer Zeit an gleichem Orte ihrer drei die gleichen Geschäfte verrichtet, und zusammen den Wirten nicht halb so viel als einer von den siebenundzwanzig zu verdienen geben konnten. Also das die zweibeinige Schar, welche Tag für Tag zu den Schloßtoren einzog, herrschend und mächtig, wie die alten Ritter, die Schrecken der Bauern, die ihnen, wenn schon nicht untertan, doch zinsbar waren.

Und wenn man die Augen zutat, so klangen ihre Stimmen gar laut; doch hatten sie etwas fistelartiges, und ihre Füße polterten gar gewaltig am Boden herum; doch tönte es mehr wie Horn oder Holz als wie Eisen, und sie fuhren an und begehrten auf und putzten ab, daß man sich allerlings noch einen Tisch voll Zwingherren und Raubritter hätte vorstellen können, mächtigen Leibes, mit eisernen Fäusten, die Helme trotzig auf dem dicken Nacken, dem großen Kopf, die Schwerter lang an den Seiten. Wenn man sich das so recht lebhaft vorgestellt hatte, die Augen dann wieder auftat, und an den Tischen die siebenundzwanzig Schreiber und Schreiberlein sah, mit den spitzigen Gesichtern, den langen schwarzen Fingern, den halbseidenen schwarzen Kappen, winzig oder plump, mit den von Pfnüseln angefressenen Gesichtern, mit vergessenen Federn hinter den Ohren, und steifen, gen Himmel schreienden Haaren, mühselig und unbeholfen hantieren mit Gabeln und Messern – hei, wie war da einem wunderlich zu Mute! Hei, was hätte da wohl einer der Ritter gesagt zu ihnen, zu dessen Toren sie aus- und eingingen, üppig und dünkelvoll? Hei, ein solcher Ritter hätte allen diesen seinen Nachzüglern vor dem Frühstück die Köpfe eingedrückt, wie ein Vogelfanger Leipzigerlerchen. Und doch hatte dieses baumwollene Völklein wieder eine Ähnlichkeit mit jenen eisernen Mannen. Diese eisernen Mannen, wenn sie des Abends heimgekehrt waren unter Dach von ihrem Tagwerk, so saßen sie hinter ihren hohen Humpen, und wenn sie satt waren von Habermus und Rehschlegel, so schwemmten sie Habermus und Rehschlegel tüchtig ein, gewöhnlich mit saurem Wein, und einer erzählte, wie er einem Bauer die Hunde durchs Korn gehetzt und hinten drein geritten; ein zweiter hatte mit eigener Hand eine halbverhungerte Familie, die ihre Gefälle nicht bezahlen konnte, und Rüdengebell und Peitschenknall von seiner Hufe gejagt, ein dritter einen Leibeigenen versandt, und unterdessen mit seinem Weibe oder dessen Töchtern Kurzweil getrieben, ein vierter ein Wildschwein abgefangen, und ein fünfter das Lager eines Sechszehnenders aufgefunden zu morndriger Jagd. Vor allem aber sprach, wer das Schwert gebraucht, Wunden geschlagen und empfangen hatte, und pries seine Taten in ihrer Kraft und Gewandtheit. Und wie jene Dahingegangenen geredet hatten von ihren ritterlichen Heldentaten, so redeten auch die Dasitzenden, nachdem sie die Sauohren versorgt hatten, von ihren schreiberlichen Heldentaten.

Zwei waren an Freundlichkeiten gewesen, und hatten gottlob (wie sie meinten) die Vermittlung hintertrieben; andere hatten Erscheinungen und glücklicherweise Einfälle gehabt, die neue Incidenzien nach sich zogen. Einer rühmte, wie er in einem Beneficium heute wieder 137 Briefe habe ausfertigen lassen. Wenn einer mit solchen Briefen jährlich nicht 2000 Pfund zu machen wisse, so müsse er ein Lümmel sein. Wenn einem Wirts- oder Krämer-Beneficien in die Hände kämen, so seien das wahre Herrenfressen, und der halben Welt könne man da ungeniert Briefe schreiben à 4 Batzen das Stück. Ein anderer war an einer Gantsteigerung, und hatte unter der Hand einen guten Schick gemacht; ein anderer kam von einer Geldstagssteigerung heim, hatte eine halbe Hutte Geld bei sich, das er benutzen wollte so lange er die Ausfertigung des Geldstages hinausschieben konnte, und noch einige Neutaler, die ihm ein Käufer gegeben, damit er eben mit der Ausfertigung und Zusendung der Collocationen nicht pressiere; ein anderer hatte einen Kontrakt aufgejagt, und seinem Meister in die Bähre, und einer einen Prozeß, zu dem er einen reichen Bauern angestiefelt; einer zweien Branntweinrülpsen ein Erbe um das halbe Geld abgeknipst, und einer nebenbei manches galante Abenteuer bestanden, wie er mit grinsendem Munde verblümt zu verstehen gab, daß man es mit Zwilchhändschen greifen konnte (derselbe hatte impertinent blonde Haare); einer durch Vergeßlichkeiten in Assekuranzscheinen einen guten Schnitt und einem ehrlichen Bauern weiß gemacht, für einen Hof, den er von seinem Vater um 25,000 Pfund gekauft, müsse er von 40,000 Pfund den Ehrschatz geben, der nach dem wahren Wert zu entrichten sei. Einer endlich, nachdem er eine Flasche Neuenburger 1834er kommen ließ, las eine Bittschrift an den großen Rat vor, um Vermehrung ihres Einkommens, indem darin klar dargetan war, daß sie nicht das klare Wasser verdienten. Ich sah sie allerdings kein Wasser trinken, aber Neuenburger; er wird wohlfeiler gewesen sein als das Wasser an selbem Ort! Die Handlanger und Knechte hatten auch manches Erfreuliche zu berichten, wie sie Bauern abgeschnauzt und zum Narren gehabt, halbe Stunden stehen lassen, ehe sie dieselben nur angesehen. Doch nach und nach, besonders bei Anlaß der Bittschrift an die Regierung, nahmen sie einen höhern Schwung, und verstiegen sich ins Gebiet der Politik und in das der Gesetzgebung, beide mit einander verwechselnd, alles durcheinander werfend, wie Kraut und Rüben, mit Nichts zufrieden. An der Regierung waren lauter Dummköpfe, verstunden nicht e Dreck viel von diesem, und nicht e Dreck viel von jenem; zudem war allen nicht zu trauen. Von dem einen wußten sie das, von einem andern etwas anderes: höchstens fand der eine oder der andere bei ihnen Gnade, der einst mit ihnen aus dem gleichen Tintenfaß geleckt. Am Ende war das Volk als der größte Esel befunden, der die rechten Leute nicht zu finden wisse. Andere meinten, wenn die nur weg wären, die da seien; das Volk sei nicht mehr so dumm, und würde die Rechten schon finden, und räusperten sich dann, kratzten die Haare noch mehr auf gen Himmel, stießen die Gläser an, und sagten mit verschmitzt sein sollenden Gesichtern: «Gsundheit». Und einer mit unsicheren Augen, aber struppigem schwarzem Backenbart, ripsete denselben eine Weile an dem Halstuche, und schrie dann in heisern Tönen und landschäftlerischem Dialekt: «Zu Gunsten der Freiheit!»

Plötzlich fragte einer mitten aus wirrem Gespräch: «Wer geit morn z'Predi?» «Wer wett doch dä D... Pfaff möge ga lose; er seit alli Sundi ds Glyche», meinte einer; «er weiß nit, was er seit» ein zweiter; «er isch e dumme Tüfel; alles was er weiß, wett i i vierzehe Tage lerne» ein dritter. Endlich erhob sich ein Gespräch über die Religion, daß mir die Haare zu Berge stunden und ein Bauer nach dem andern wegging. Ich hatte zu allem geschwiegen; aber als einer sagte: «I glaube nume was i gseh, u was i nit cha gseh, das isch o nüt»; da konnte ich mich nicht mehr enthalten, zu sagen: «Ich kannte in Paris eine Uhr, die glaubte auch an keinen Uhrenmacher; sie war aber nur von Similor, und ging grundschlecht.» Sie sahen über die Achseln nach mir hin, ließen sich aber nicht stören. Ich merkte, daß ich zu verblümt gesprochen; ich mußte mich daher deutlicher ausdrücken, wenn ich wollte verstanden sein. Als der unter ihnen, welcher die steifsten Beine hatte und fast aussah wie ein Landsknecht, meinte: «O, tot isch tot», entgegnete ich lauter: «Zu Paris im Tiergarten sind Tiere, man zählt sie zu dem Federvieh, und doch sehen die einen von ihnen aus wie giftige Kröten, die andern wie Frösche auf den Dünkeln; die einen werden so fett wie italienische Schweine, die andern bleiben dürr, und gleichen hundshärigen Besenstielen. Sie gehen eigentlich auf zwei Beinen, wälzen sich aber gerne im Dreck. Sie gehören zu den fleischfressenden Tieren, trinken aber gerne Wein, besonders roten, und wenn sie knüll auf dem Rücken liegen, so glauben sie auch an keine Auferstehung. Am Morgen nach der langen Nacht sind sie aber doch wieder auf den Beinen, sehen jedoch ganz erbärmlich aus, gerade wie verstoßene Sünder, und stehen da nicht nur mit Zähneklappern, sondern auch mit schlotternden Armen und Beinen». – Sie sahen mich gar grimmig an; aber die Sache war ihnen noch nicht recht klar. Ich setzte noch hinzu, daß ich die Tiere oft mit Erstaunen betrachtet und endlich den Wärter gefragt, wie sie hießen. Dieser sagte mir, sie hätten verschiedene Namen; das gemeine Volk nenne sie Baurenzägge, die Gelehrten aber Tintenschlecker oder Papierfresser, und einige nährten sich bloß durch Agentisieren.

Potz Million, wie hatte ich in die Wespen geguslet! Die fuhren auf, wie wenn ein Blitzstrahl in den Tisch geschlagen hätte. Ich erhob mich auch, und da ich so lang aufstand, als ob es kein Ende nehmen wollte, und so breit da stand, trat die halbe Mannschaft ins hintere Glied, und versuchte mit Wurfgeschütz die vordere Kolonne zu unterstützen, aber sehr unglücklich; denn sie schlugen mit den geworfenen Gläsern den Ihrigen von hinten Löcher in den Kopf. Die andern fuhren um mich her wie gehetzte Pommer; aber trotz aller Wut und allem Lärm war doch keiner gerne der Erste. Endlich wagte es einer mit langen Beinen und stüpfte mich in die Seite; aber seine langen Beine schützten ihn nicht vor einer Ohrfeige, die ihn in die Ofenecke zum Sitzen brachte. Unterdessen hämmerten sie von der andern Seite mit ihren luggen Fäusten auf mich ein, so gut sie es vermochten, und andere wollten eben wie Zäggen sich festmachen an mir; aber gelassen schüttelte ich das Ungeziefer ab, wischte gelassen mit meinem guten langen Arm Ohrfeige um Ohrfeige aus. Ich lachte in mich hinein und kam mir vor, als sei ich der alten Ritter einer, dem das Gezücht den Eingang in seine Burg verwehren, und der nach langer Abwesenheit Ordnung schaffen wolle auf seinem Grund und Boden. Die Angriffskolonne wurde immer dünner; wer eine Ohrfeige erhalten hatte, begehrte keine zweite und trat ins hintere Glied zu den Belfernden und Werfenden. Als endlich der Schreiber Ehre auf dem Spiel stand, weil keine Vordern mehr da waren, und die Hintern entweder den Reißaus nahmen oder nun auch an die Reihe zu kommen fürchteten, trat schnell der Älteste, eine hagere lange Figur, vor, tat, als ob er erst hereinkomme, und rief: «Halt! was isch das? wer bisch du, daß du da chunst cho Stryt afa; du muesch uf dr Stell i dChefi, u de we mr ungersueche, was du für e Kerli bisch, mr wei di scho ringgle; reich me uf dr Stell dLandjäger.» Ich sollte erschrecken, aber ich erschrak nicht; ich erbot mich, ins Gefängnis zu gehen, wenn alle Mitstreitenden mitgingen, bis die Untersuchung ausweise, wer die Schuldigen seien; übrigens hätte ich meine Schriften in der Ordnung; die wolle ich denen zeigen, die das Recht hätten, darnach zu fragen; auch zweifle ich daran, daß er das Recht hätte, jemanden zu verhaften. Er ließ sich hoch auf und polterte mich nicht übel an, winkte aber einem mit den Augen, daß es Zeit sei, einen andern Weg zu versuchen. Der rief nun, wenn ich es mit ihnen ausmachen wolle, so könne ich vielleicht noch ohne Käficht davon kommen. So dachte ich, wie die Juden allenthalben einen Handel zu machen wissen, so die allenthalben eine Ausmachete, die einer Prellerei allemal so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern. Ich setzte mich stillschweigend nieder; sie traten zusammen, zählten ihre Ohrfeigen und Löcher hinten im Kopfe, die ich nun natürlich auch gemacht haben sollte, zusammen, und ließen mich fragen, ob ich es mit allen zusammen in einem Klapf ausmachen wolle? Ich fragte, wie viele denn geprügelt worden seien von mir? Nun war es recht lächerlich, wie jeder etwas erhalten haben, die gesamte hintere Kolonne im Gefecht gewesen sein wollte; es nahm mich wunder, daß aus den siebenundzwanzig nicht vierundfünfzig wurden, wie man Würmer entzwei hauen kann, und aus jedem Stück wieder ein ganzer Wurm wird. Über dieses Schreien eines jeden, über diesen Drang, geprügelt worden zu sein, um etwas zu verdienen, erschrak dennoch der Klügste unter ihnen, fürchtend, sich lächerlich zu machen, wenn siebenundzwanzig Schreiberlein von Einem geprügelt sein wollten, drängte sich an meine Seite und versprach, wenn ich Wein kommen lassen wolle, so wolle er es für mich mit allen zusammen ausmachen; wenn ich mit jedem aparti abmachen müsse, so komme ich gar zu teuf dry. Und ohne meine Antwort abzuwarten, auch gerade wie die Juden auf dem Roßmärit, rief er: «Sie sollen heuschen!» Sie riefen: «Er soll bieten!» Nachdem das lange so gegangen war, sagte er: «Heuschet afe 20 Dublone, mr wei de lose.» Sie redeten mit einander und forderten 3O Dublonen, Richters Buße vorbehalten; sie handelten lange mit einander. Ich saß stumm da und ließ sie machen.

Es floß dabei Neuenburger wie Bach, und geschrien wurde ärger als in einer Judenschule. Endlich wurden sie um 25 Dublonen einig, die sollte ich also bar darlegen oder versichern, und die Üerti samt der Buße übernehmen. Doch kam ihnen in den Sinn, daß ich auch etwas dazu zu sagen hätte, und man fragte mich, ob ich das Geld bei mir trage, oder ob ich Pfand und Versicherung zu geben habe? Und alle sahen so glückselig drein, trotz der erhaltenen Ohrfeigen. Ja, einen Abend schmarotzen zu können auf eines armen Teufels Kosten, und dazu noch bar Geld kriegen durch eine Prellerei, das ist für solche Leute der Himmel, und ich glaube gerne, daß viele an keinen andern glauben können. Aber wie versteinerten die Gesichter, als ich weder das eine, noch das andere wollte; als ich auf das Geschrei: jener habe in meinem Namen ausgemacht, ich müsse halten, fragte, wo er seine Prokur habe? und ihnen sagte, sie seien alle zu dumm für einen, der lange Jahre in Paris gewesen. Es kochte in ihnen wie in einem Hexenkessel; aber die einen waren zu voll, um wieder anzugreifen, die andern fühlten noch die brennenden Backen, und die Klügsten hatten Respekt vor Paris, und merkten, daß sie mich nicht beschummeln könnten wie einen Bauern, der sein Lebtag nie anders aus seinem Graben kömmt, als wenn er Kindbetti haben muß. Sie fingen an einzulenken, und nach mancher Wendung versuchten sie mich zum Zahlen der Üerti zu bewegen. Aber ich war nach und nach doch erbittert worden über diese Schamlosigkeiten alle; ich wollte mich zu keinem Kreuzer verstehen, erklärte fest, daß ich Ursache zu klagen hätte, wenn ich sie nicht zu sehr verachtete; bis morgen Nachmittag werde ich hier im Wirtshause warten, damit sie mich finden könnten, wenn sie noch etwas wollten. Nun stund ich auf und ging ins Bett. Mein Benehmen hatte selbst auf die Frechsten Eindruck gemacht; sie fürchteten den Mann, den sie in mir erkannt; ob ich aber mit meinem Benehmen zufrieden sein sollte, das wußte ich lange nicht. Nach zwanzig Jahren also wieder eine Prügelten, und zu dieser hatte ich offenbar gereizt durch meine scharfen Gleichnisse. Hätte ich nicht lieber schweigen und gehen sollen, als mich hineinmengen in die allgemeine Rede, die nicht an mich gerichtet war? War das ein glückliches Probierstück meiner Lehrerschaft in der Gaststube? Aber dann wieder schweigen zu solchen Dingen, vermehrte das nicht offenbar die Frechheit und den Dünkel solcher Gecken? Sind sie eben nicht allmählich so geworden, weil der Bauer sie wohl in seinem Herzen verachtete, sie aber reden ließ, was sie wollten, weil er sich ihnen nicht gewachsen fühlte? Hat nicht jeder Christ die Pflicht, der Wahrheit Zeugnis zu geben, und unnütze Schwätzer zur Ruhe zu weisen? Macht er sich nicht durch Stillschweigen der Verleumdung schuldig? Wäre es möglich gewesen, mit siebenundzwanzig über solche Dinge zu einem vernünftigen Gespräch zu kommen; schlugen nicht Spott und endlich Ohrfeigen viel besser bei ihnen an, und vertrieben ihnen ihren dummen Unglauben, mit dem sie sich groß machen wollten, während sie sich doch vielleicht im Herzen vor jeder alten Frau als vor einer Hexe fürchten, und im Tode grausenhaft zappeln in brennender Gewissensangst? So werweisete ich bei mir lange, und machte endlich aus: daß ich recht gehandelt, aber nicht klug; daß ich an einem Orte, wo ich länger bleiben wolle, vorsichtiger zu Werke gehen, daß ich hier mir mein Spiel verdorben, und weiter müsse, indem mit siebenundzwanzig Schreibern zu Feinden an einem Orte sich nicht wohl leben lasse; daß ich aber für einen Abend bloß als Durchreisender keine bessere Kur hätte anwenden, und keinen bessern Weg hätte einschlagen können, um diesen Menschen ihre Erbärmlichkeit zu zeigen. Diese Menschen sind so geworden, weil sie sich angewöhnt, da, wo sie sind, das große Wort zu führen. Versteht es aber einer, ein noch größeres Wort recht eindringlich zu führen, so ließe sich vielleicht an diesen Menschen alles machen. Wurde doch aus diesem Grunde der berüchtigte H. ein arger Stündeler (Mucker vielleicht).

Wie ich bei dem Schreiben meiner Lebensgeschichte zu dieser Stelle komme, werweise ich wieder lange, ob ich sie niederschreiben oder auslassen wolle? Ich denke, es gibt so viele brave Schreiber aller Art, Amtsschreiber, Gerichtsschreiber, Amtsnotarien, und meinethalben auch Agenten, die könnten das übel nehmen, und sie und andere Leute könnten meinen, ich rede hier von allen Schreibern überhaupt. Aber dann denke ich wieder, sie sehen aus dem ganzen Buche doch, daß du ein vernünftiger Mann bist, und nur ein unvernünftiger Mann nimmt einen ganzen Stand von Menschen in einen Klapf. Ich dachte, sie werden auch vernünftig sein, und sehen, daß ich hier ausdrücklich nur von siebenundzwanzig Schreibern rede; nun ihre Zahl im Lande Legion. Alle andern, außer jene siebenundzwanzig, haben also nichts auf sich zu ziehen, insoferne sie es nicht eben so an jenem Abend gemacht hätten, wie die siebenundzwanzig; und das sage ich nicht nur nicht, sondern will es auch nicht hoffen. Ferner denke ich, es sei meine Pflicht und Schuldigkeit, zu warnen vor diesen Leuten, die keine Religion, keine Sittlichkeit, keine Art von Ehrgefühl haben, die sich alle Streiche, alle Schliche, alle Kniffe erlauben, sobald sie unter dem Schein Rechtens können versteckt werden; die, gegen ärmere oder einfältigere Leute nicht einmal um den Schein des Rechts sich bekümmern, sondern durch grobe Anmaßung und anmaßende Grobheit einschüchtern; die mit schlauer Pfiffigkeit jeden Vorteil aufspüren, mit der unverschämtesten Frechheit ihn verfolgen, von eigentlicher Wissenschaftlichkeit in ihrem Fache keine Ahndung haben. Vor diesen Leuten warne ich nicht bloß deswegen, damit sich die in den Wirtshäusern sitzenden oder prozeßlustigen Bauern oder Herren hüten können vor ihnen, oder ihnen begegnen nach Verdienen, sondern deswegen warne ich vor ihnen, weil sie sich alle zu Erziehern von Hunderten von jungen Leuten aufwerfen. Sie zahlen nicht gerne jemand, daß er ihnen ihre viele weitläufige Arbeit mache; sie nehmen daher Lehrbuben, so viel sie können, und Lehrgeld, so viel sie können, nehmen diese gerade im gefährlichsten Alter, wo der Mensch seine bestimmte Richtung nimmt. Nun richtet so einer, wie jene siebenundzwanzig waren, die jungen Leute gerade so ab, wie er sie am besten brauchen kann; je weniger Religion, Sittlichkeit, Ehrgefühl sie haben, desto komoder sind sie ihm, desto besseren Vorteil zieht er aus ihnen, desto pfiffiger und frecher kann er sie machen. Und du, Bauer, bist doch, bald hätte ich gesagt, ein dummer, aber ich will nur sagen ein wunderlicher Köbi; du hältst im ganzen so viel auf Religion, willst nicht, daß man in der Schule etwas von Geschichte, Naturlehre, was doch so schön wäre, ich will nicht sagen in eigentlichen Stunden, sondern nur gelegentlich rede, und fragst, wenn du von einer Schule hörst, immer zuerst: Isch das o no e rechti Schuel, lert me da o no dFragi? Aber wenn du deinen Bub zu einem Schreiber tun, ihn dort Jahre lang lassen willst, so fragst du gar nichts, als: Isch's e Gschichte? Und wenn's der Schwarze selber wäre, sobald du hörst, es syg e Geschichte, so gibst du ihm deinen Bub, und denkst gar nicht daran, daß du ihn mit Leib und Seele übergibst. Zugleich wollte ich auch den Staat warnen, weil man junge Leute gerne in obrigkeitliche Schreibstuben tut, indem dort die mannigfaltigsten Geschäfte vorkommen, daß er ja bei der Anstellung von Männern, denen er solche Schreibstuben anvertrauen will, ganz besonders auf ihre Religiosität, Sittlichkeit, Rechtlichkeit sehen möchte als Erzieher junger Staatsbürger. Aber ich habe von denen, die aus der Stadt kamen, so manches gehört, daß ich meine gutgemeinte Warnung einstecken will, weil sie doch vergeblich wäre und die Leute in der Stadt nicht gerne guten Rat vom Lande nehmen. Leider leben wir nicht in dem Lande, wo man Menschen, die des Betruges verdächtig geblieben, gleich an den Pranger stellt, und nicht etwa nur sechs Stunden, sondern sechs Jahre, und nicht etwa nur in einem Städtchen, sondern eigentlich vor dem ganzen Lande, dadurch, daß man sie auf ein hohes Amt stellt, wo sie vom ganzen Lande gesehen werden, sie etwa zu Gerichtspräsidenten macht usw. Am andern Morgen wunderte sich die Wirtin mehrere Male, warum keiner der Schreiber komme, um seinen halben Schoppen zu nehmen, oder sein Gläschen Grüns? Zwei steckten ihre Köpfe zur Türe hinein, zogen sich aber schnell zurück und schoben sich wieder fort. Endlich frug sie ihren Mann, was es ächt gä heig, daß niemes chömm? Dem fiel es ein, sie würden wegen mir nicht kommen; denn er war bei dem Streit, seine Frau aber im Bett gewesen. Ihm ward wind und bange, mich fortzuschaffen, doch so höflich als er konnte. Er fragte mich, ob ich nicht lieber in die Kühle ginge? Als ich sagte, daß ich bis Mittag bleiben müsse, schickte er mir vor 11 Uhr mein Essen und versicherte mich,daß 11 Uhr hier Mittag sei, und nicht 12 Uhr und das schon seit ewigen Zeiten. Ich erlöste den guten Mann von seiner Angst und machte mich wieder auf die Strümpfe, und wie ich hinaus war, sah ich sie hinter mir hinein schlüpfen zu ihren Schoppen und Gläschen. Einer gewissen Wehmut konnte ich mich doch nicht enthalten, als ich dem freundlichen Dörfchen, dem ehrwürdigen Schloß den Rücken wandte und in einer Biegung des Weges sie zum letzten Mal sah. Es läutete wieder vom Turme herab; diesmal bezog ich aber das Läuten nicht auf mich, und begriff nun auch, daß das gestrige mir nicht gegolten.


 << zurück weiter >>